Sylka Scholz | Rezension |

Neues zur Männerfrage

Rezension zu „Der modularisierte Mann“ von Lothar Böhnisch

Lothar Böhnisch:
Der modularisierte Mann. Eine Sozialtheorie der Männlichkeit
Deutschland
Bielefeld 2018: transcript
256 S., EUR 24,99
ISBN 978-3-8376-4075-5

In seinem neuen Buch „Der modularisierte Mann“ fasst Lothar Böhnisch seine Untersuchungen zur Entwicklung von Männern in modernen Gesellschaften zusammen. Böhnisch, einer der Pioniere der kritischen Männerforschung, formuliert auf dieser Grundlage eine „Sozialtheorie der Männlichkeit“, die „die Konstitution von Männlichkeit in der Zweiten Moderne im Spannungsfeld von männlicher Dominanz, ökonomischer Verfügbarkeit des Mannes, der Emanzipation der Frau sowie den tiefenpsychischen Dynamiken des Mann-Seins thematisiert“ (S. 11). Gleich zu Beginn wendet er sich gegen die vor allem mediale „ständige Männerkrisenbeschwörung“ (S. 10), die aus seiner Sicht nur dazu beiträgt, die faktische Reproduktion männlicher Hegemonie zu verschleiern. Dennoch kritisiert Böhnisch die akademische Männerforschung dafür, dass sie zu unkritisch am Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Raewyn Connell festhalte.[1] Seiner Ansicht nach werde dazu tendiert, die soziale Realität diesem Konstrukt anzupassen, statt der Tatsache Rechnung zu tragen, dass mit der Durchsetzung des Neoliberalismus und den unterschiedlichen Anforderungen an Männer und Männlichkeit auch Machtverhältnisse komplexer werden.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil, den „Vorstudien“, werden verschiedene Szenarien zur zukünftigen Entwicklung des Geschlechterverhältnisses vorgestellt. Sie reichen von einem „Degendering“, also der schwindenden gesellschaftlichen Bedeutung von Geschlecht, über eine sozialstaatlich forcierte geschlechtergerechte Gesellschaft bis hin zu einem möglichen globalen Backlash verbunden mit einer erneuten Geschlechterpolarisierung und Remaskulinisierung. Diesen Szenarien stellt der Verfasser empirische Ergebnisse aus verschiedenen, teilweise von ihm selbst durchgeführten quantitativen Studien entgegen. Aufgezeigt werden widersprüchliche Anforderungen an Männer, die in einer Typologie zusammengefasst werden zu der neben den „modernen“ und den „teiltraditionellen“, die „suchenden“ und die „balancierenden“ Männer gehören.[2] Während die Balancierenden sich zwischen traditionellen und modernen Rollenbilder hin und her bewegen und sie pragmatisch vertreten, können die „Suchenden“ weder mit den alten noch mit den neuen Rollenbildern etwas anfangen. Beide Typen sind für Böhnisch der Beleg für eine zeitdiagnostische „Spannung zwischen Wandel und Resistenz“ (S. 26): Männlichkeit wird in der Gesellschaft „gleichzeitig strukturell zurückgewiesen und – im ökonomisch-technologischen Prinzip der Externalisierung – neu aufgefordert“ (S. 28).

Im zweiten Teil des Buches spezifiziert Böhnisch sein Theorieprogramm, dass im Anschluss an Anthony Giddens und Hans Joas die „Integration unterschiedlicher disziplinärer und paradigmatischer Zugänge zum Phänomen des Sozialen“ (S. 33) leisten soll. Dafür arbeitet er „Konvergenzpunkte/Konvergenzlinien“ (S. 33) verschiedener disziplinärer Zugänge heraus, die anschließend in „Strukturierungen“ zusammengeführt werden. Ziel ist die Formulierung einer Theorie mittlerer Reichweite zur Konstitution von Männlichkeit in der ersten und zweiten Moderne. Als modernisierungstheoretische Folie dient Böhnisch die „Soziale Theorie des Kapitalismus“ von Eduard Heimann aus den 1930er Jahren, die nach Böhnisch dadurch gekennzeichnet ist, dass sie das Ökonomische und das Soziale als ein dialektisches Verhältnis konzipiert. Ganz explizit wählt der Verfasser eine „ökonomisch-gesellschaftliche Rahmung“ (S. 34), in deren Zentrum die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung steht. Sie ist es, die Böhnisch zufolge die gesellschaftliche Geschlechterordnung konstituiert, wobei die „ökonomische Verfügbarkeit des Mannes“ (S. 34) den Preis darstellt, den dieser für seine gesellschaftliche Dominanz zahlt. Aus einer kapitalismuskritischen Perspektive geht es Böhnisch anschließend darum, zu analysieren, wie Männer sich verändern können, um der ökonomisch geforderten permanenten Verfügbarkeit zu entkommen und ihre, wie er es nennt, „reproduktiv orientierte Sehnsucht“ (S. 39) zu stillen. Darunter versteht Böhnisch vor allem die stärkere Beteiligung am Familienleben, die in den von ihm referierten quantitativen Studien von den befragten Männern immer wieder gewünscht wird. Im Fokus steht eine „reproduktionsorientierte Modernisierung von Männlichkeit“ (S. 195), wobei diese Modernisierung einen „zunehmenden Einbau des reproduktiven Prinzips in die Ökonomie zu einem sozial korrigierten und gerichteten ökonomisch-technischen Wachstum“ (S. 39) ermöglichen soll, die mithin eine neue „‚Männlichkeit der Vereinbarkeit‘“ (ebd.) konstituiert.

Hinsichtlich der Ansätze, die Böhnisch für seine Sozialtheorie der Männlichkeit fruchtbar machen will, nehmen der sozialanthropologische beziehungsweise der evolutionspsychologische Zugang einen zentralen Stellenwert ein. Obwohl der Verfasser herausstellt, dass diese Perspektive in der Männlichkeitsforschung, wie auch in der Geschlechterforschung insgesamt, als „heikel[]“ (S. 32) gilt, geht er davon aus, dass die Gebärfähigkeit der Frau im Mann einen Gebärneid auslöst, der „diskursiv nicht erreichbar, nicht als soziale Konstruktion hinreichend bestimmbar ist“ (S. 51). Aus dem Gebärneid resultiere eine „leibseelische Fragilität“, die bis zur „Hilflosigkeit des Mannes“ (S. 48) reiche und seine fundamentale Bedürftigkeit bedinge. Diesen Mangel müsse der Mann durch Stärke und Dominanz kompensieren. Die Frau hingegen ziehe aus ihrer Reproduktionsfähigkeit nicht nur eine „eigenverfügbare reproduktive Macht“ (S. 48). Sie gestatte ihr zudem, sich den ökonomischen Zumutungen des kapitalistischen Systems zumindest zeitweise zu entziehen, da sie mit der Familie über einen legitimen Rückzugsort verfüge.

Bei den anderen Zugängen, die Böhnisch einbezieht, handelt es sich entweder um spezifische theoretische Konzepte, wie die Zivilisationstheorie von Norbert Elias, oder um Ansätze und Entwürfe, die stellvertretend für ganze Disziplinen stehen. So werden einzelne Ansätze, teilweise aber auch empirische Studien oder historische Debatten vorgestellt, jedoch ohne dass der Leser*in plausibel wird, warum genau dieses Konzept für die Gendertheorie oder die Pädagogik steht.

Über sechzehn Unterkapitel arbeitet Böhnisch ausgehend von den anthropologischen und evolutionspsychologischen Prämissen „Konvergenzlinien“ heraus, die dann im dritten Teil in den Strukturierungen zusammengeführt werden. „Strukturierung“ fungiert dabei als ein Begriff, unter den Böhnisch drei ganz unterschiedliche Aspekte subsumiert: Erstens das Zusammenspiel von Handlung und Struktur, also von „kollektiven männlichen Praktiken und gesellschaftlich strukturierten Männlichkeiten“ (S. 127). Zweitens eine „Ambivalenz der Ermöglichung“ (ebd.) kraft derer Handlungen auf die Struktur zurückwirken und sie verändern können, wie umgekehrt auch Strukturen Möglichkeiten des Handelns bestimmen, also sowohl begrenzen wie erschließen. Und drittens die Prozesshaftigkeit von Männlichkeit, die daraus resultiert, dass Strukturierungen immer das Ergebnis von sich im Wandel befindenden Spannungsverhältnissen und Widersprüchen sind.

Konträr zum kritisierten Konzept hegemonialer Männlichkeit von Connell, welches die Verknüpfung von Männlichkeit und Macht zentral setzt, stellt für Böhnisch die „Bedürftigkeit“, die aus dem „Ausgesetzt-Sein des Mannes gegenüber den Verwertungsbedingungen der Ökonomie und seine Identitätsbindung an die Erwerbsrolle“ (S. 130) resultiert, die zentrale Strukturierung dar. Damit eng zusammenhängend, wird von ihm die Bedeutung der Strukturierung „Externalisierung“ hervorgehoben, die in der männlichen Sozialisation durch die notwendige Ablösung von der Mutter und der damit verbundenen Außenorientierung und Abspaltung entsteht. Sie passt für den Verfasser hervorragend zur kapitalistischen Wirtschaftsform, da sie sowohl „psychodynamisch rückgebundenes männliches Verhaltens- und Bewältigungsmuster als auch […] ökonomisch-gesellschaftliche Wachstumsformel“ (S. 133) ist. Die Strukturierung „männliche Dividende (Das ‚Trotzdem‘)“ (S. 139) erfasst das faktische Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern. An dieser Stelle knüpft Böhnisch an Connells Begriff der patriarchalen Dividende an, gibt ihm jedoch einen eigenen Akzent: Männer haben nicht per se einen Anspruch auf den Gewinn, sondern der Anspruch auf männliche Überlegenheit wird trotz aller Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen im neoliberalen Kapitalismus immer wieder neu formuliert. „Gewalt“ wird von Böhnisch als weitere bedeutsame Strukturierung von Männlichkeit herausgearbeitet und als häufiges Resultat der gesellschaftlich tabuisierten, männlichen Hilflosigkeit geschildert.

Der Verfasser betont, dass bestimmte Strukturierungen dazu tendieren, sich zu bündeln und Männer aus spezifischen sozialen Verhältnissen anzuziehen. Die daraus resultierende Pluralisierung von männlichen Lebensmustern und Männlichkeitsidealen will Böhnisch mit der Metapher der „Magnetfelder“ (S. 195) erfassen. Er entwickelt in diesem Kontext auf wenigen Seiten eine ausbaufähige Skizze, die Männlichkeit systematisch mit anderen Kategorien des sozialen Raums wie Milieu oder Klasse (hier schwankt seine Begrifflichkeit) und Alter verknüpft (vgl. S. 195-198). Den Abschluss des Kapitels bildet das Konzept des modularisierten Mannes, welches titelgebend für das Buch ist.

Das Wort Modularisierung übernimmt Böhnisch aus der „Hegemonialsprache des digitalen Kapitalismus“ (S. 203). Er macht hiermit deutlich, dass Männer unterschiedliche, sich widersprechende Männlichkeitsmodule kombinieren und besonders in ihren Konsumentscheidungen manifestieren können. Böhnisch führt beispielhaft die auf den Mann ausgerichtete Werbung für einen Geländewagen an bei der Männlichkeit im Spannungsfeld zwischen individueller Handlung und ökonomischer Struktur gleichzeitig zurückgewiesen und gefordert wird. Die Modularisierungen ermöglichen, die eigenen Bedürfnisse und die gesellschaftlichen Ansprüche „passungsfähig“ (S. 204) zu machen. Das führe jedoch dazu, dass die real existierenden, alltäglichen Vereinbarkeitsprobleme von Männern „entdramatisiert“ (S. 201) werden. Sie werden nicht öffentlich diskutiert, Konflikte werden verdrängt „und damit auch die kritische Reflexivität zu Männlichkeit und Mann-Sein“ (S. 205).

Abgeschlossen wird das Buch mit einem vierten Teil, der die im ersten Teil erörterten Szenarien im Hinblick auf Perspektiven der Gesellschaftsentwicklung diskutiert. Böhnisch beschäftigt sich unter anderem mit der fortschreitenden Prekarisierung der Erwerbsarbeit und den daraus resultierenden Problemen für Männer aus den unteren sozialen Schichten. Gerade sie würden sich von rechtspopulistischen Bewegungen angezogen fühlen, es konstituiere sich ein gesellschaftlicher „Zündstoff Mann“ (S. 215), der im Zusammenspiel mit der Ablehnung von Geschlechterpolitik und Geschlechterdemokratie zu einer „Remaskulinisierung“ (S. 233) der Gesellschaft führen könne. Diskutiert werden aber auch optimistischer stimmende Aussichten, etwa die Chancen kapitalismuskritischer Bewegungen (die im Buch leider nicht genauer identifiziert werden), eine blockierte Reflexivierung von Männlichkeit (wieder) anzustoßen. Potenziale für positive Veränderungen sieht Böhnisch auch bei älteren Männern jenseits der Phase der Verberuflichung, die die Männerforschung jedoch bisher nicht hinreichend zur Kenntnis genommen hat.

Mein Fazit zu dem Buch von Lothar Böhnisch fällt ambivalent aus: Der Verfasser legt eine grundlegende Untersuchung der Situation von Männern und von Männlichkeitskonstruktionen in kapitalistischen westlichen Gesellschaften unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung des neoliberalen, digitalen Kapitalismus vor. Mit dem zentralen Begriff der Modularisierung erfasst er pointiert die Differenzierungsprozesse in modernen Gesellschaften, die zu widersprüchlichen Anforderungen an Männer in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen führen und zeigt auf, wie sie individuell gelöst werden: nämlich durch einen pragmatischen Rückgriff auf verschiedene Männlichkeitskonstrukte, oder wie Böhnisch es nennt „Module“, die nicht (mehr) miteinander vermittelt werden. Seine Analyse ist an vielen Stellen anschlussfähig an die aktuelle, kapitalismuskritische Forschung, die der Kategorie Geschlecht im Allgemeinen und Männlichkeit im Besonderen kaum Beachtung geschenkt hat. Was Böhnisch „Externalisierung“ nennt, könnte man etwa mit der „Weltreichweitenvergrößerung“ in Hartmut Rosas kapitalismuskritischer Resonanztheorie[3] oder dem Theorem der „Landnahme“, wie es insbesondere Klaus Dörre ausformuliert hat,[4] parallelisieren. Auch der wachstumskritische Diskurs in der Postwachstums-Bewegung würde von einer männlichkeitssoziologischen Perspektive profitieren.[5] In dieser Hinsicht kann das Buch den Diskurs um wichtige Aspekte erweitern und befruchten. Dies gilt auch für die aktuelle Debatte um die Krise der sozialen Reproduktion, die bisher die Rolle von Männern und Männlichkeiten nicht systematisch berücksichtigt hat.[6]

‚Heikel’ ist jedoch in der Tat die sozialanthropologische und evolutionspsychologische Fundierung von Böhnischs Sozialtheorie. Böhnisch will zeigen, wie sich im Entstehungsprozess moderner kapitalistischer Gesellschaften Männlichkeit neu strukturiert. Dabei setzt er eine konstitutive Angewiesenheit auf Fürsorge und Bindung, die von den Männern jedoch abgespalten und verdrängt werden muss, als anthropologische Konstante. Die Notwendigkeit, Bedürftigkeit durch Dominanz und Stärke zu kompensieren, ließe sich jedoch auch ohne solche Setzungen aufzeigen. So bezieht sich etwa Andrea Maihofer auf die frühe kritische Theorie von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer sowie den späten Michel Foucault und arbeitet heraus, wie sich das männliche bürgerliche Subjekt als ein vermeintlich autonomes und unabhängiges im Kapitalismus konstituiert, das jedoch permanent davon bedroht ist, „sich selbst und seine Herrschaft zu verlieren“.[7] Deshalb unterwirft es sich die mit der Natur gleichgesetzte Frau und konstituiert männliche Subjektivität durch Expansion und Raumbeherrschung, Naturbeherrschung und -ausbeutung, Konkurrenz- und Statusdenken. Solche Überlegungen korrespondieren mit dem, was Böhnisch als ein maskulines Externalisierungsstreben diagnostiziert.

Verwiesen sei auch auf ethnographische Studien, die zeigen, dass die Geschlechterdifferenz zwar hoch bedeutsam für die reproduktive Ordnung ist, sie dabei jedoch nicht nur auf ‚Männer‘ und ‚Frauen‘ beschränkt sein muss, sondern weitere Geschlechter existieren.[8] Der „gendertheoretische Zugang“ hat in dieser Hinsicht also mehr zu bieten und ist komplexer als Böhnisch ihm mit dem lapidaren Verweis auf Butler und die Queer Studies unterstellt (vgl. S. 45). Die Prämisse von Böhnisch, seine Sozialtheorie der Männlichkeit nicht schlicht auf „Naturhaftes“ zurückzuführen, sondern „das Biologische […] im Rahmen seiner sozialen und kulturellen Interpretation und Verwendung“ (S. 46) zu verstehen, liegt meines Erachtens nicht weit weg von vielen gendertheoretischen Arbeiten. Der Rekurs auf den Gebärneid konstituiert jedoch eine universale und damit unhistorische Legitimation männlichen Dominanzstrebens.

Die konzeptionell mit dem Gebärneid verbundene dichotome Zweigeschlechtlichkeit kann darüber hinaus deren sich aktuell vollziehende Infragestellung durch die rechtliche Implementierung eines dritten Geschlechts nicht erfassen. In dieser Hinsicht stellt sich eine gänzlich neue Herausforderung für die Männlichkeitsforschung: Wie wird die neue ‚diverse‘ geschlechtliche Existenzweise die Konstruktionen von Männlichkeit verändern? Zu konstatieren ist, dass der Entwurf einer Sozialtheorie der Männlichkeit zu einem Zeitpunkt erscheint, zu dem die Kategorie Männlichkeit von verschiedenen Seiten in Frage gestellt wird: wissenschaftlich von den Queer Studies oder der Forschung über Trans- und Intergeschlechtlichkeit und alltagsweltlich von Menschen, die sich jenseits der Geschlechterbinarität verorten und rechtlich für eine Überschreitung der Dichotomie männlich-weiblich streiten. Mit der Anerkennung von Intergeschlechtlichkeit als neue Geschlechtskategorie löst sich die Bedeutung von Geschlecht nicht gleich auf, es bleibt gerade auch in seiner Form als ‚divers‘ eine „Existenzweise“.[9] Diese Aspekte wären zukünftig in einen Theorieentwurf von Männlichkeit zu integrieren.

Männlichkeitsforschung kann derzeit als ein heterogenes wissenschaftliches Feld beschrieben werden. Die Forschungen divergieren stark in ihren Erkenntnisinteressen und bedienen sich in ganz unterschiedlichem Maße Methoden und Resultaten anderer Fachdisziplinen.[10] Lothar Böhnisch ist eine wichtige und streitbare Stimme im Feld der Männlichkeitsforschung, die gleichsam vor der Frage steht, ob und wie sie angesichts der Pluralisierung von männlichen Lebenslagen und einer, wie Böhnisch es nennt, Modularisierung von Männern, an ihren zentralen Kategorien „Mann“ und „Männlichkeit“ festhalten kann.

  1. Auf welche Forscher*innen sich Böhnisch hier bezieht, bleibt offen. Aus meiner Perspektive werden Stärken und Schwächen des Konzepts in der Männlichkeitsforschung durchaus differenziert diskutiert, vgl. z.B. Stephan Höyng, Männlichkeitenforschung: Bilanz und Perspektiven, in: Gender 8 (2016), 2, S. 135-140 oder Sylka Scholz, Männlichkeitsforschung: die Hegemonie des Konzeptes „hegemoniale Männlichkeit“, in: Beate Kortendiek / Katja Sabisch / Birgit Riegraf (Hg.), Handbuch interdisziplinäre Geschlechterforschung, Wiesbaden 2017.
  2. Böhnisch orientiert sich an der von Volz und Zulehner vorgelegten Typologie (vgl. Rainer Volz / Paul M. Zulehner, Männer in Bewegung. Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland, Baden-Baden 2009, S. 29).
  3. Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Frankfurt am Main 2016.
  4. Klaus Dörre, Die Grenzen der Landnahme. Der Kapitalismus stirbt nicht von allein, doch wir können ihn überwinden, in: Aron Tauss (Hg.), Sozial-ökologische Transformation. Das Ende des Kapitalismus denken, Hamburg 2016, S. 52-109.
  5. Vgl. Andreas Heilmann / Sylka Scholz, Warum Männlichkeit ein Thema der Degrowth-Bewegung sein sollte – Plädoyer für eine Perspektivenvertiefung, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 31 (2018), 4 (im Erscheinen).
  6. Vgl. Sophie Ruby / Sylka Scholz, Care, Care Work and the Struggle for a Careful World from the Perspective of the Sociology of Masculinities, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 43 (2018), 1, S. 73-85.
  7. Andrea Maihofer, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1995, S. 116.
  8. Vgl. etwa Susanne Schröter, FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. Frankfurt am Main 2002.
  9. Vgl. Maihofer, Geschlecht als Existenzweise.
  10. Vgl. den Überblick in Stefan Horlacher / Bettina Jansen / Wieland Schwanebeck, Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2016.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Hannah Schmidt-Ott.

Kategorien: Gender Gesellschaftstheorie

Sylka Scholz

Sylka Scholz ist Professorin für Qualitative Methoden und Mikrosoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschlechtersoziologie, insbesondere Männlichkeits- und Jungenforschung, und die Familiensoziologie. Ein weiteres Forschungsinteresse richtet sich auf die Entwicklung von qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung, speziell visuelle Auswertungsmethoden.

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