Lisa Abbenhardt, Susanne Becker | Veranstaltungsbericht |

The Power of/in Academia: Critical Interventions in Knowledge Production and Society

6. Internationale Nachwuchskonferenz des Exzellenzclusters „Normative Orders“, Goethe-Universität Frankfurt am Main, 13–14. November 2015

Reflexion wissenschaftlicher Wissensproduktion?

Die diesjährige Nachwuchstagung des Exzellenzclusters „Normative Orders“ an der Frankfurter Goethe-Universität hatte die Reflexion eines Kerns wissenschaftlichen Arbeitens zum Thema: Die Produktion von Wissen. Machtstrukturen innerhalb der Wissenschaft, die mitbedingen, was erforscht wird und wie, sollten ebenso in den Blick genommen werden wie der Deutungsanspruch der Wissenschaft und ihre damit einhergehende Machtposition in der Gesellschaft. Legitimierte Wissensformen kritisch zu hinterfragen, impliziert nicht nur die Reflexion theoretischer Konzepte, sondern auch das Denken in primär sprachlichen Kategorien. Das Anliegen der Konferenzveranstalter*innen war es dementsprechend, strukturelle Voraussetzungen von Forschung zu hinterfragen, die eigene Arbeit leitende theoretische Konzepte, Forschungsmethoden, die empirische Forschungspraxis und nicht zuletzt standardisierte Formen der Präsentation wissenschaftlichen Wissens zu reflektieren.

Die Konferenz bot also Gelegenheit dazu, die eigenen Positionen als Forscher*innen zu diskutieren und weiterzudenken. Ein erster Ansatzpunkt waren die Präsentationsformen wissenschaftlicher Befunde: So wurden zusätzlich zu den typischen Formaten – Kurzvorträge mit anschließender Diskussion und längere Keynotes – Reflexions- und offene Diskussionsformate angeboten: Zum einen kamen die Teilnehmer*innen zu Beginn der Tagung im Rahmen eines „Knowledge Cafés“ in kleinen spontan gebildeten Diskussionsgruppen zusammen. Der „Open Space“ am Ende der Konferenz ermöglichte wiederum, Themen, die in den vergangenen Tagen besonders relevant waren, in kleinen informellen Gruppen sowie im Plenum noch einmal zu besprechen. Beide Formate wurden von ANIKA MECKESHEIMER (Mexico City/Freiburg) angeleitet.

Nicht nur luden offene Räume die Teilnehmenden dazu ein, niedrigschwellig zu diskutieren, Vortragende wurden auch explizit dazu ermuntert, sich in den Panels alternativer Formen der Wissenspräsentation zu bedienen. Dieser Aufforderung kam z.B. LOKESHWARI DASGUPTA nach, indem sie ihren Vortrag über Tanz in der Wissenschaft mit einer eigenen Tanzperformance ergänzte. Des Weiteren bot das THEATER DER VERSAMMLUNG (Bremen) in zwei Performances während der Konferenz eine Irritation akademischer Denkweisen dar. Um nicht ihrerseits einem performativen Widerspruch aufzusitzen, hatten die Organisator*innen die typischen Präsentations- und Diskussionsformate um die oben genannten Reflexions- und Irritationsmöglichkeiten ergänzt. So konnte Wissensproduktion nicht nur verbal im Vortragsformat hinterfragt werden. Die verschiedenen Formate ermöglichten nebenbei die Herausbildung einzelner Diskussionsthemen, die im Laufe der Konferenz immer wieder aufgegriffen wurden. Auf die wichtigsten drei dieser Themen möchten wir kurz eingehen.

Denken in Kategorien

Eine Auseinandersetzung um die Funktion von Kategorien in der Wissenschaft wie auch für politische Forderungen durchzog die gesamte Konferenz: Den Anstoß dazu lieferte MATTIA MOSSALI (Bergamo) in seinem Vortrag, dem sich eine Diskussion über die Nützlichkeit von Kategorisierung im Allgemeinen sowie in der Forschung im Speziellen anschloss. Mattia Mossali plädierte zwar für einen gänzlichen Verzicht von Kategorien, doch wurden insbesondere im Hinblick auf die Thematisierung von Geschlecht Stimmen laut, die die politische Relevanz von Kategorisierung und Kategorien betonten. In der Auseinandersetzung wurde deutlich, dass sich die theoretische Forderung des Verzichts auf Kategorien kaum mit der politischen Notwendigkeit von Kategorisierungen, um Rechte für marginalisierte Gruppen erkämpfen zu können, vereinbaren lässt.

Die Frage danach, wann, wie und vor allem wer in der Wissenschaft kategorisieren darf und damit Repräsentationen schafft, wurde auch in dem Panel „Ethical Challenges in Qualitative Research. Fieldwork and Method(ologies)“ diskutiert. So sprach MATTI TRAUßNECK (Marburg) in ihrem Vortrag über die rassifizierende Ordnung von Wissenschaft, die sich unter anderem in den Machtstrukturen der Migrationsforschung zeigt, in der Schwarze Menschen häufig zum Objekt der Forschung von weißen Forscher*innen werden. Im Anschluss daran thematisierten GWENDOLYN GILLIÉRON (Olten) und MAGNUS FRANK (Duisburg-Essen) in ihren Vorträgen ihre jeweilige Positionierung innerhalb ihres Forschungsfeldes, die letztlich auch auf wechselseitigen kategorialen Zuschreibungen basiert. Im Zuge dessen entwickelte sich eine Diskussion um die Frage, ob Forscher*innen über andere forschen dürfen, also Gruppen, zu denen sie sich nicht zählen, oder ob sich gerade dann Machtverhältnisse reproduzieren, indem weiterhin über ‚Beforschte‘ gesprochen wird, statt dass Letztere selbst sprechen. Die Auseinandersetzung um Kategorien wurde auch am Ende der Konferenz im „Open Space“ wieder aufgegriffen und wiederum im Hinblick auf ihre ambivalente Funktion sowohl für die Reproduktion von Machtverhältnissen als auch für das Unterlaufen derselben diskutiert.

Alternative Formen der Wissensgenerierung

Im Mittelpunkt der Debatte stand weiterhin die Dominanz wissenschaftlicher Erkenntnis als eine schwer zu hinterfragende „Wahrheit“. In einer Diskussionsgruppe des „Open Space“ wurde beispielsweise emotionales und nur schwer verbalisierbares Erkennen mit dem primär verbalen und argumentativen Verstehen in der Wissenschaft kontrastiert. DIETER MERSCH (Zürich) stellte in der ersten Keynote der wissenschaftlichen eine künstlerische „Wahrheit“ gegenüber. Er plädierte für eine ästhetische Denkweise, die über sprachlich verhaftetes Denken hinausgeht und damit die Vorherrschaft sprachlich verfasster Formen von „Wahrheit" hinterfragt. Ähnliche Impulse gab die zweite Vorstellung des Theaters der Versammlung, die zur Wissensgenerierung jenseits etablierter Formate von wissenschaftlichen Tagungen ermutigte. Durch die interaktive Performance konnten beispielsweise Fragen nach Gendernormen und deren Verkörperung nicht nur kognitiv erfasst und diskutiert werden, sondern von den Teilnehmenden und Zuschauenden selbst leiblich erfahren werden. In der anschließenden Diskussion der Performance erwähnten Zuschauer*innen die Schwierigkeit, ihre Erfahrung zu verbalisieren – was wiederum die Frage aufwirft, welche Möglichkeiten der gemeinsamen Reflexion dieser Art der Erkenntnis es denn geben kann.

Institutionelle Bedingungen zu forschen

Die zweite Keynote-Speakerin der Konferenz von YVONNA LINCOLN (College Station), problematisierte in ihrem Vortrag, das Unterlaufen der Forschungspraxis unter dem Einfluss von Marktprinzipien. Mit Bezug auf die USA zeichnete sie nach, wie die zunehmende Finanzierung von Forschungsprojekten durch Stiftungen und private Institutionen dazu führe, dass Wissen privatisiert werde und Forscher*innen zunehmend in ihrer Selbstbeobachtung die Marktlogiken der institutionellen Praxis verinnerlichen würden. In den Diskussionsformaten des „Open Space“ und des „Knowledge Cafés“ wie auch in informellen Gesprächen zwischendurch sprachen die Teilnehmenden immer wieder über eigene Abhängigkeiten von den Förderinstitutionen, die letztlich in einen erhöhten Publikationsdruck und der Akzeptanz prekärer Erwerbsbedingungen münden würden. Unaufgelöst blieb das Dilemma zwischen der Reflexion der eigenen (Macht-)Position in der Forschungspraxis (etwa gegenüber dem Feld, der (Re-)Produktion von Kategorien) und der eigenen Abhängigkeit.

Kritik – Diskussion – Reflexion: und dann?

Nach zwei langen und intensiven Tagen formellen und informellen Austauschs, der Reflexion der eigenen Forschungspraxis und der gesellschaftlichen Strukturen der Wissensproduktion ist die Frage zu klären: Was bleibt? Welche Konsequenzen folgen und wie können nicht nur eigene Forschungsweisen, sondern gerade auch strukturelle Bedingungen nachhaltig verändert werden? Nachwuchswissenschaftler*innen haben nur begrenzte Möglichkeiten, typische Anforderungen der Forschungslandschaft, wie sie hier kritisiert wurden (etwa Forschungsfinanzierung, Ergebnispräsentation in Publikationen) zu umgehen oder grundlegend zu hinterfragen. So bleibt die Gefahr im performativen Widerspruch – der Kritik der wissenschaftlichen Praxis durch wissenschaftliche Arbeit – zu verharren, bestehen. Aber Ideen wurden diskutiert, neue Netze gesponnen. Es liegt nun an uns, sie umzusetzen.

Konferenzübersicht:

13. November 2015

Grußworte

Rebecca Caroline Schmidt (Frankfurt am Main)

Nicole Deitelhoff (Frankfurt am Main)

Performance

Theater der Versammlung/Theatre of Assemblage: „One of Them …“ Guide for an Exclusion in Style

Actions: Carolin Bebek, Simon Makhali, Tom Schröpfer

Artistic Direction: Jörg Holkenbrink

Knowledge Café

University as space of power

Katarina Froebus (Graz), The Academic Production of Critique – University as a Place for Critique?

Zubair Ahmad (New York) / Luis Manuel Hernandez Aguilar (Frankfurt am Main), Secular Power and Disciplinary Effects: Reflections on the Institutionalization of “Islamic” Theology at German Universities

Ilka Sommer (Berlin), The violence of the collective knowing-it-all-better: The (non-)recognition of foreign qualifications in Germany and the impossibility of thinking knowledge (production) as being of equal value

Anne Reiff, Janina Hirth, Miranda Loli und Kristina Weil (Frankfurt am Main), Cluster of Excellence Goes Congo

Artistic Research/Künstlerisches Forschen

Sebastian Mühl (Offenbach / Leipzig), What Kind of Research, what Kind of Knowledge? Artistic Research!

Philipp Schulte und Falk Rößler (Berlin), Against Functionalization. Under Which Conditions can Artistic Research Become an Aesthetic Critique of the Academic Production of Knowledge?

Relations between Society and Academia

Lisa Katharina Bogerts (Frankfurt am Main), What are you Looking at? How Scholars use Visuals but Have no Clue About it

Matthias C. Kettemann (Frankfurt am Main), The Power and Legitimacy of Academia in Internet Governance Processes

Felicitas Heßelmann (Berlin), Knowledge and Secrets: Legitimizing Scientific Sanctions for Cases of Misconduct

Sebastian Levi (Oxford), Belief Selection in International Politics – A Cross-Country Analysis of Causal Beliefs on the Financial Crisis 2007-2009

Representations of Critique/Darstellungen von Kritik

Katharina Herrmann, On the Problem of Contradicting - A Subject Critical Analysis of Critical Formation of Theory

Tobias Albrecht (Frankfurt am Main), “…that the Essay as a Literary Form has a Natural Affinity to the Exercises I Have in Mind“ – On Some ‘Methodological‘ Similarities between Arendt and Adorno

Magdalena Scherl (Regensburg), From Theory to Parody – Subversive Practices of Writing

Janoš Klocke (Frankfurt am Main), Spaces without Borders. Places of Criticism Following Foucault and Adorno

Subjectivity and Resistance

Agnes Wankmüller, Can a Particular Ethical Practice, Such as Self-Governing According to Foucault, Inform and Spark Social Protest and Critical Research?

Mattia Mossali (Bergamo), Fighting against Gender Categorization: the Complexity of Subjectivity.

Sophie Künstler (Frankfurt am Main), “We are not Poor” – Power Effects of Knowledge Production and (Im-)Possibilities for Critique Within the Research about the Poor

Models of Critical Theory/Modelle Kritischer Theorie

Annika Weinert (Lüneburg), Knowledge-Slash-Power’. The Nexus between Knowledge and Power in Early ANT

Christoph Haker (Bremen), The Practice of Paradoxization in Critical Theory

Martin Meng, Two Frankfurt Schools – Approaches on Synthesizing

Ricardo Pagliuso Regatieri, Civilization: Singular or Plural?

Keynote

Dieter Mersch (Zürich), Aesthetic Criticism. On the Wisdom of Art

14. November 2015

Ethical Challenges in Qualitative Research, Fieldwork and Method(ologies) I

Federico Trentanove / Chiara Santoro, Going through Vulnerability as an Ethic Choice: to Keep the “Scientific” Distance Interchanging the Research Protagonist

Sinah Theres Kloß (Heidelberg), Experiencing Danger during Fieldwork: Self-Defense, Power Relations, and Ethical Challenges of the (Gendered) Ethnographer

Sebastian Garbe (Gießen), “The Proof of the Pudding is in the Eating” – Knowledge Production as Political Praxis in the Context of Transnational Solidarity

Nina Schneider, Pluralizing History: Resistance to Epistemic Violence in the Americas

Critical Epistemologies

Florian Muhle (Bielefeld) / Tobias Conradi (Braunschweig), Perspectives of Critique

Lokeshwari Dasgupta, Dance in the World of Academia

Dror Pimentel (Jerusalem), Beuys as Philosopher: The Aporia of Fat

C COPY A, ENCRYPTED

Click-Performance by Theater der Versammlung/Theatre of Assemblage

Actions: Carolin Bebek, Anna Buschart-Heintz, Simon Makhali, Clara Schließler, Tom Schröpfer

Dramatic Composition: Anna Seitz

Artistic Direction: Jörg Holkenbrink

Ethical Challenges in Qualitative Research, Fieldwork and Method(ologies) II

Matti Traußneck (Marburg), Critical Science – Reflections on Ideology, Science and the Scientists in the Context of Racism Studies

Gwendolyn Gilliéron / Sevda Can Güneş (Olten), Reciprocal Process of Attribution in the Research Practice

Kira Nierobisch (Ludwigsburg), Forgotten Questions? Ethics and Responsibility in Narration-Analytical Procedures of Biography Research

Magnus Frank (Duisburg-Essen), The Pedagogy of the Others – Self-critical Questions on a Migration-societal Ethnography

Critical Guided Tour of the Campus

Florian Zabransky

Open Space

Keynote

Yvonna S. Lincoln (College Station), Threat Levels: Qualitative Research Ethics, Power and Neoliberalism's Context

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Christina Müller.

Kategorien: Wissenschaft

Lisa Abbenhardt

Lisa Abbenhardt ist Doktorandin am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie promoviert zum Thema "Zwischen Hilfebezug und Markterfolg. Eine anerkennungstheoretische Analyse prekärer Existenzgründungen". Ihre Forschungsschwerpunkte sind Arbeitssoziologie, berufliche Selbstständigkeit, Sozialpolitik und qualitative Sozialforschung.

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Susanne Becker

Susanne Becker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Soziokulturelle Vielfalt am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen. Sie studierte Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und promoviert zum Thema „Sprache(n) und soziale Ungleichheiten“ an der Goethe-Universität Frankfurt.

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Zur PDF-Datei dieses Artikels im Social Science Open Access Repository (SSOAR) der GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften gelangen Sie hier.

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