Veronika Settele | Rezension |

Am Pranger

Rezension zu „Intensivtierhaltung. Landwirtschaftliche Positionierungen im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft“ von Barbara Wittmann

Barbara Wittmann:
Intensivtierhaltung. Landwirtschaftliche Positionierungen im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft
Deutschland
Göttingen 2021: Vandenhoeck & Ruprecht
492 S., EUR 65,00
ISBN 978-3-525-31727-3

Rezension zu: Barbara Wittmann, Intensivtierhaltung. Landwirtschaftliche Positionierungen im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft, Göttingen 2021.

von Veronika Settele

Den Ausgangspunkt für Barbara Wittmanns Buch bildet die Frage, wie die Halterinnen und Halter großer Schweine- und Hühnerbestände damit umgehen, dass sie und ihr Tun auf immer weniger gesellschaftliche Zustimmung stoßen. „Massentierhaltung“ sei, so heißt es einführend, „zum Symbol all dessen geworden, wovor Zivilisationskritiker bereits seit der Industrialisierung flüchten wollten“ (S. 11). Ein kultureller Paradigmenwechsel, der nur mehr nachhaltiges Wirtschaften goutiert, mache die technisierte und effiziente Intensivtierhaltung zum Sinnbild „für eine Überfluss und Ausbeutung erzeugende, eine Fülle an ökologischen und klimatischen Negativfolgen bewirkende kapitalistische Konsumkultur der Länder des globalen Nordens“ (S. 16). Diese Agrarkritik habe seit etwa 1960 durch die öffentlichkeitswirksame Anprangerung einer Reihe von Missständen an Kontur gewonnen. Dazu gehörten etwa der Einsatz umweltschädlicher Herbizide und Pestizide, das Aufkommen der Käfighühner, die Hormonskandale der 1980er- und die BSE-Krise der 1990er-Jahre. Durch die „Zivilitätsverluste in der digitalen Kommunikation“[1] habe die Kritik in den letzten Jahren noch einmal deutlich an Schärfe gewonnen und die negative mediale Positionierung von Landwirtschaft ein bisher nicht gekanntes Niveau erreicht. Intensivtierhalterinnen und -halter würden heute nicht länger als Individuen, sondern als stumme „Ausführende eines moralisch verwerflichen Systems wahrgenommen“ (S. 18). Gegen diese Sichtweise schreibt Wittmann an, indem sie die Betroffenen zu Wort kommen lässt und fragt, „wie sich Nutztier haltende Landwirte und Landwirtinnen gegenüber der Kritik am System Intensivtierhaltung selbst positionieren“ (S. 21). Ihr besonderes Interesse gilt dabei den Bewältigungsstrategien von Menschen, deren Berufsgruppe einen enormen Anerkennungsverlust erlitten habe, die aber bisher keinen Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung bildeten, weil sie nicht in das Raster von gender-, ethnizitäts- oder prekaritätsbezogener Stigmatisierung passten. Darüber hinaus bemüht sich Wittmanns Studie um anwendungsorientierte Lösungen für eine Versachlichung des Dialogs zwischen den Kritikerinnen und Kritikern der Intensivtierhaltung und den Praktikerinnen und Praktikern.

Nach Forschungsstand, methodischer Reflexion, Begriffsklärungen und makroökonomischer Verortung bilden vier Kapitel à achtzig bis einhundert Seiten den Hauptteil der Studie. Sie basieren auf 29 Interviews, die Wittmann mit dreißig Betriebsleiterinnen und -leitern sowie mit insgesamt 23 von deren Familienangehörigen und Angestellten geführt hat. Die entsprechenden Betriebe lagen alle in Bayern, bewirtschafteten zwischen 27 und 170 Hektar Land und beherbergten auf sogenannte konventionelle, also nicht-öko-zertifizierte Weise 75 bis 700 Zuchtsauen, 500 bis 6.000 Mastschweine, 18.000 bis 35.000 Puten, 26.000 Enten, 100.000 Junghennen, 27.000 bis 280.000 Legehennen oder 27.000 bis 300.000 Masthühner.

Im ersten Hauptkapitel rekonstruiert die Autorin, inwiefern es die öffentliche Kritik konventionellen Tierhalterinnen und Tierhaltern verwehrt, ihr Tun als sozialen Erfolg zu empfinden und darzustellen. Ihre Tätigkeit erfahre weder ideelle noch finanzielle Wertschätzung. Sieben der dreißig untersuchten Betriebe sahen sich mit öffentlichen Protesten konfrontiert; mit verbalen Angriffen oder anonymen Drohungen im persönlichen Umfeld sogar zwei Drittel der Befragten. Die Proteste gegen den Stallbau von Betrieb T. etwa dauerten mehrere Jahre und erstreckten sich auch auf die drei Kinder der Familie. Das gerichtlich entschiedene Genehmigungsverfahren erreichte überregionale Aufmerksamkeit. Für ihr negatives „Positioniert-Werden“ machten die betroffenen Landwirtinnen und Landwirte an erster Stelle eine realitätsferne Medienberichterstattung verantwortlich, namentlich politisch-grüne Journalistinnen und Journalisten, die für höhere Verkaufszahlen und Einschaltquoten eine permanente Skandalisierung betrieben. Zweitens seien „schwarze Schafe“ in der Branche schuld, in deren Ställen tatsächlich inakzeptable Bedingungen herrschten. Drittens seien gesetzeswidrig vorgehende Natur- und Tierschutzorganisationen verantwortlich, die etwa nachts in Ställe einbrächen. Wittmann erkennt darin eine Reziprozität des Anerkennungsverlusts: Als Reaktion auf die eigenen Ausgrenzungserfahrungen würden die befragten Tierhalterinnen und Tierhalter der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten sowie von Nichtregierungsorganisationen ebenfalls die Anerkennung verweigern. Die Befragten agierten in einem permanenten Defensivmodus. Ihren Rechtfertigungsdruck kanalisierten sie über Vergleiche mit weniger tierfreundlichen Haltungsformen in der Vergangenheit oder dem Hinweis, dass sie es sich aufgrund des ökonomischen Drucks gar nicht leisten könnten, sich nicht sorgfältig um die Tiere zu kümmern. Die Befragten nähmen den Stellenwert von Tierwohl, Umwelt und Klimaschutz in der öffentlichen Diskussion als unverhältnismäßig wahr, weil ihre persönliche ökonomische und arbeitsintensive Situation außen vor bleibe. Sie fühlten sich stigmatisiert und marginalisiert. Der Rückzug in eine innerlandwirtschaftliche Gegenöffentlichkeit stifte Selbstbestätigung und befördere damit den Entfremdungsprozess zwischen landwirtschaftlicher und nicht-landwirtschaftlicher Bevölkerung.

Die Erfahrung des negativen „Positioniert-Werdens“ von außen ist die Kontrastfolie, vor der Wittmann die befragten Tierhalterinnen und Tierhalter in den folgenden drei Hauptkapiteln ihre jeweils eigenen Positionierungen zu den Themen Ökonomie, Tier und Umwelt formulieren lässt. Das Kapitel zur Ökonomie bildet den Auftakt, weil die wirtschaftlichen Prozesse im Stall basal für das Verständnis der „Landwirt-Nutztier- und Landwirt-Umwelt-Beziehung“ seien. Schon zu Beginn des Kapitels offenbart sich der Grundwiderspruch, dem alle weiteren Widersprüche zwischen Stall und Gesellschaft nachgeordnet sind: Die Befragten betreiben Massentierhaltung zum Einkommenserwerb. Genau darüber aber ging der gesellschaftliche Konsens verloren. Kritikerinnen und Kritiker der Intensivtierhaltung stellen infrage, ob und wenn ja, bis zu welchem Punkt Tierhaltung aus ökonomischen Motiven betrieben werden darf. Wittmann rekonstruiert, wie die Inhaberinnen und Inhaber großer Hühner- und Schweinehaltungen das kapitalistische Leistungsparadigma internalisieren, sich über ihre relativ bessere Wettbewerbsfähigkeit definieren und sich so gesellschaftlich isolieren. Der Glaube an wirtschaftliches Wachstum führe zu steigendem finanziellen Druck aufgrund zunehmender Verschuldung, andauernder Überarbeitung und psychischer Belastungen. Wirtschaftlicher Erfolg im Stall werde nur mehr innerlandwirtschaftlich honoriert. Außerhalb der Branche habe sich die Währung sozialer Anerkennung verändert. Die Tierhalterinnen und Tierhalter steckten in einem Dilemma, da die weitere Anpassung an die agrarpolitisch gesetzten Wachstums- und Leistungsimperative die moralische Negativbewertung von außen weiter vorantreibe. Der Ausstieg aus der Wettbewerbs- und Steigerungslogik setze sowohl ökonomisches als auch kulturelles und soziales Kapital voraus – und eben daran mangele es den in Verschuldungsspiralen gefangenen Betroffenen.

Das dritte Hauptkapitel verhandelt das zwischen Ausbeutung und Fürsorge changierende Verhältnis der Bäuerinnen und Bauern zu ihren Tieren. Die persönliche Herausforderung, welche die alltägliche Arbeit im Massenstall für die Tierhalterinnen und Tierhalter bedeutet, wird plastisch. Tiere würden je nach ihrer Position im Betriebsablauf, ihrem ökonomischen Beitrag oder der situativen Beziehung parallel versachlicht, vertierlicht oder vermenschlicht: Ferkel „gehen kaputt“, Hühner mit Durchfall oder gebrochenen Beinen werden getötet, während Eber mit Namen so gekrault werden, wie sie es am liebsten mögen. Wittmann zeigt, dass die wirtschaftliche Logik der Tierhaltung alle anderen Bedeutungsebenen des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier im Massenstall überlagert. Das anatomische und verhaltensbiologische Wissen der Tierhalterinnen und -halter ende beispielsweise dort, wo es über Futterverwertung und Leistungsoptimierung der Tiere hinausgeht. Manche Intensivtierhalterinnen und -halter beherbergten parallel Hobbytiere, etwa eine Handvoll Kühe auf der Weide oder zwei Fleckesel. Die Haltung dieser Tiere interpretiert Wittmann als Ausdruck einer Sehnsucht nach engeren Beziehungen, die die Distanz zu den Tieren in dem auf ökonomische Leistung getrimmten Massenstall nicht befriedigen könne.

Das letzte und vierte Hauptkapitel widmet sich der Umwelt und damit der anderen Thematik, deretwegen Intensivtierhalterinnen und -halter seit einigen Jahren im Kreuzfeuer öffentlicher Kritik stehen. Die Fülle und Härte der gegen die Berufsgruppe gerichteten Vorwürfe eines nicht-nachhaltigen Umgangs mit den Ressourcen Fläche, Boden, Wasser und Klima führe zu individueller Überforderung, die sich in einer kollektiven Verantwortungsabwehr ausdrücke. Der Beitrag zum Klimawandel, welcher der Landwirtschaft zugeschrieben wird, werde als ungerecht zurückgewiesen und Studienergebnisse würden in Zweifel gezogen. Eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik finde kaum statt.

Wittmanns Fazit bringt die politische Dimension der gegenwärtigen Krise der Intensivtierhaltung auf den Punkt und liefert damit anwendungstaugliche Anknüpfungspunkte. Es mangele an politischen Konzepten zur Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Mensch, Tier und Boden, obwohl das bisherige Verhältnis an gesellschaftlicher Anerkennung verloren habe. In diesem Vakuum entfernten sich um Biodiversität, Klima, Umweltschutz oder Tierethik besorgte Konsumentinnen und Konsumenten stetig weiter von der sich immer stärker einigelnden Berufsgruppe der Intensivtierhalterinnen und -halter. Um diese Entwicklung zu stoppen, fordert Wittmann einerseits, letztere zurück in den öffentlichen Diskurs zu holen und sie als heterogene Individuen wahrzunehmen, die mitunter selbst betroffen sind über tierische und ökologische Ausbeutung, statt sie als vermeintliche Handlanger einer anonymen Agrarlobby zu ignorieren. Andererseits mahnt sie „erheblichen Reflexionsbedarf“ und verhaltensbiologische Nachhilfe in der Branche selbst an, in der selbstkritisches Hinterfragen und die inhaltliche Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung „eher die Ausnahme als die Regel“ darstellten (S. 441).

Barbara Wittmann erweist sich als ausgesprochene Expertin landwirtschaftlicher Zusammenhänge. Das wird etwa deutlich, wenn sie die resignative und trotzige Defensivhaltung der Befragten mit kurzsichtigen Subventions- und Vorschriftenregelungen in Zusammenhang bringt. Souverän kontextualisiert sie sämtliche Produktionszusammenhänge, reflektiert agrarpolitische Interessenskonflikte und erklärt, was Tierhalterinnen und -halter leisten können und was nicht. Wittmann bleibt nah an den geführten Interviews. Sie nimmt ihre Leserinnen und Leser mit auf die Höfe und in die Ställe. Die Akteure werden lebendig und ihre jeweiligen Weltsichten anschaulich und nachvollziehbar dargestellt. Wer kein Bayerisch spricht, lernt einiges über „Bulldogs“, mühselige „Aufschreiberei“ und „gescheite Bauern“ ebenso wie über deren „Viecher“, „Schweindln“ und „Hennan“. Die entsprechenden Passagen sind ein angenehmer Ausgleich zur restlichen Studie, die in der üblichen deutschen Wissenschaftssprache verfasst ist und an Nominalstil, Passivkonstruktionen und Schachtelsätzen leidet. Ungeachtet seiner fehlenden sprachlichen Finesse lohnt das Buch die Lektüre. Die Untersuchung beeindruckt mit einer großen Detailgenauigkeit der eigenen Empirie und einer enorm breiten Rezeption der interdisziplinären Forschungsliteratur. Wittmanns Studie ist eine Fundgrube, an der zukünftig zu dem Thema arbeitende Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler nicht mehr vorbeikommen werden.

Die Gliederung und der Aufbau sind zu jedem Zeitpunkt nachvollziehbar, auch wenn die einzelnen Kapitel keiner einsichtigen inhaltlichen Logik folgen. Die Argumentationsmuster der Befragten wiederholen sich in den vier Untersuchungsabschnitten. Gesellschaft, Wirtschaft, Tiere und Umwelt sind vier Bereiche, die die Positionierungen der Befragten prägen. Sie lassen sich jedoch nicht voneinander abgrenzen, sondern formen sich gegenseitig, ein Umstand, den Wittmann als „permanente Reziprozität“ fasst (S. 429). Mit einer mutigeren Organisation des Inhalts, die sich weniger am Verlauf des Forschungsprozesses als an dessen Ergebnissen orientiert hätte, wäre es der Autorin möglich gewesen, ihre klugen Beobachtungen pointierter zu präsentieren. Große Entwicklungslinien wie beispielsweise die Entfremdung von inner- und außerlandwirtschaftlichem Diskurs finden sich zwar in allen vier Hauptkapiteln, werden aber nicht als kondensiertes Ergebnis ausgewiesen. Nach der Lektüre drängt sich die Vermutung auf, dass alle beschriebenen Verwerfungen zwischen Stall und Gesellschaft Reaktionen auf die Anpassung der betroffenen Menschen und Tiere samt ihrer Umwelt an eine rationalisierte, in internationale Handelsbeziehungen eingebundene, wachstums- und profitorientierte Wirtschaftsweise sind. Die Geschichte der Intensivtierhaltung ist eine Kapitalismusgeschichte. Da sich die nicht-kapitalistisch organisierte Landwirtschaft in Deutschland zwischen 1949 und 1990 nicht als anzustrebende Alternative anbot, unterstreicht das Buch die Dringlichkeit einer konstruktiven gesellschaftlichen Diskussion um die Zukunft der Tierhaltung in einer satten Wohlstandsgesellschaft des globalen Nordens. Barbara Wittmann hat die entscheidende Vorlage für diese Diskussion geliefert.

  1. Kai Hafez, Hass im Internet. Zivilitätsverluste in der digitalen Kommunikation, in: Communicatio Socialis 50 (2017), 3, S. 318–333.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Karsten Malowitz.

Kategorien: Arbeit / Industrie Gesellschaft Ökologie / Nachhaltigkeit Wirtschaft

Veronika Settele

Veronika Settele ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen. Sie forscht zur wirtschaftlichen und moralischen Dimension von Ernährung, politischen Handelsbeziehungen und dem Verhältnis zwischen Menschen und Tieren in Moderne und Postmoderne. Ihr Buch „Revolution im Stall. Landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland 1945–1990“ wurde mit dem Opus Primum Förderpreis der VolkswagenStiftung, dem Deutschen Studienpreis und dem Friedrich-Meinecke-Preis ausgezeichnet.

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