Gerd Spittler, Hannah Schmidt-Ott | Interview |

„Arbeit ist eine Lebensform“

Gerd Spittler im Gespräch mit Hannah Schmidt-Ott

Gerd Spittler promovierte einst in Soziologie, ist mittlerweile aber emeritierter Professor für Ethnologie. In seiner Studie „Anthropologie der Arbeit“[1] hat er Arbeitsformen über verschiedene Zeiträume, Weltgegenden und Gesellschaftsformationen hinweg verglichen, um die wesentlichen Elemente von Arbeit zu identifizieren. Wir haben mit ihm über seine Forschung, die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit und überraschende Gemeinsamkeiten in ganz unterschiedlichen Kontexten gesprochen. – Die Red.

Herr Spittler, „Carework is work“ lautet eine politische Parole, die die Anerkennung des Arbeitscharakters einer Tätigkeit fordert, bei der es sich nicht unmittelbar um Lohnarbeit handelt. Welche substanziellen Elemente von Arbeit haben Sie in Ihren Forschungen identifiziert – und wäre „Carework“ eingeschlossen?

Das Elend der Arbeitssoziologie besteht meines Erachtens darin, dass sie immer noch von kapitalistischer Lohnarbeit ausgeht. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass die weltweit und historisch eine Ausnahme darstellt und die Haus- oder Familienwirtschaft nach wie vor die verbreitetste Form von Arbeit ist, dann stellt sich die Frage, ob Care-Arbeit eigentlich Arbeit ist, nicht wirklich. Denn in der Familien- oder Hauswirtschaft gehört die Pflege von Kindern und Alten ebenso dazu wie das, was man im engeren Sinne als Hausarbeit bezeichnet.

Und was ist es, das alle Arbeiten miteinander gemein haben? Für mich ist Arbeit zuvorderst etwas, das auf Dauer angelegt ist. Arbeit macht man nicht eine Minute oder eine Stunde lang, Arbeit dauert Tage, Monate, vielleicht nicht unbedingt das ganze Leben, aber jedenfalls sehr lang. Und das stellt bestimmte Anforderungen an eine Person, die sich etwa von denen eines Spiels unterscheiden. Denn Arbeit braucht nicht nur Zeit, sie braucht auch Zuverlässigkeit. Barbara Polak hat Kinderarbeit in Afrika untersucht:[2] Kleine Kinder ahmen ja gern die Erwachsenen nach, sie lassen sich aber auch schnell ablenken. Sie arbeiten also vielleicht etwas auf dem Feld, sehen dann aber plötzlich eine Eidechse und rennen der nach. Zur Arbeit gehört aber, dass man zuverlässig dabeibleibt und sich der Tätigkeit mit einer gewissen Effizienz widmet. Und das sind Momente von Arbeit, die natürlich auch bei Care-Arbeit zu beobachten sind.

Aus dem Alltagsverstand heraus würde man ja meinen, dass sich Arbeit und Spiel, insbesondere das kindliche Spiel, darin unterscheiden, dass das Spiel eine eher selbstzweckhafte Tätigkeit ist, die ihr Ziel eigentlich in der Ausübung und somit in der Sache selbst findet, während Arbeit eine gerichtete Aktion ist. Das machen sie aber nicht zum zentralen Punkt ihrer Unterscheidung?

Nein, weil auch Arbeit sehr häufig – und nicht nur bei Kindern – spielerische Elemente enthält. Natürlich muss Arbeit im Gegensatz zum Spiel zu einem Ergebnis kommen, aber das bedeutet nicht, dass man sie nicht als Spiel oder Kampf organisieren kann.

Die britische Ethnologin Audrey Richards hat in den 1930er-Jahren die Gesellschaft der Bemba in Rhodesien untersucht und ethnografisch beschrieben. Die Bemba haben ein bestimmtes System des Rodens: sie fällen große Bäume nicht, sondern steigen in die Bäume und schneiden die Äste ab, die dann verbrannt werden, um eine bestimmte Art von Dünger herzustellen. Und diese Arbeit ähnelt einem Kampf insofern, als es sich um eine sehr gefährliche Tätigkeit handelt. Jedes Jahr stürzen einige vom Baum und verletzen sich schwer oder sterben sogar. Als Richards versuchte, ihnen die Vorzüge der englischen Landwirtschaft nahezulegen, war der Kommentar der Leute: „Die haben wohl Angst, in die Bäume zu klettern.“

Sie begreifen Arbeit allerdings nicht als instrumentelles Handeln, sondern als Interaktion des Arbeitenden mit seinen Arbeitsmitteln, wobei diese Arbeitsmittel durchaus über einen Eigensinn verfügen. Ist Arbeit damit eine Interaktion wie jede andere auch oder hat sie einen spezifischen Charakter?

Ich unterscheide zwischen „Eigenständigkeit“, „Eigenwilligkeit“ und „Eigensinn“ des Arbeitsmittels. „Eigenständigkeit“ bedeutet, dass ich, wenn ich ein Stück Holz bearbeite, anerkennen muss, dass das Holz seine Eigenständigkeit hat, also über Eigenschaften verfügt, die ich berücksichtigen muss. Ich kann meinen Willen nicht widerstandslos durchsetzen. „Eigenwilligkeit“ lässt sich hingegen bei Tieren sehen, etwa bei Ziegen, die besonders eigenwillig sind, mehr als Schafe übrigens. „Eigensinnigkeit“ heißt, dass die Tätigkeit einen Sinn hat. Wir charakterisieren in der Regel Menschen als „eigensinnig“. Aber wie und wem „Eigenständigkeit“, „Eigenwille“ und „Eigensinn“ zugeschrieben werden, variiert je nach Gesellschaft. Unser Verständnis ist da relativ eng, aber bei den Tuareg, bei denen ich jahrelang Untersuchungen durchgeführt habe, wird gerade der Eigenwille von Gegenständen betont: Wenn man auf dem Markt Datteln verkauft und der Verkauf geht schlecht, dann sagen sie: „Die Datteln weigern sich, verkauft zu werden“. Oder wenn ich das Tamascheck, die Sprache der Tuareg zu lernen versuche und wenig Fortschritte mache, dann sagen sie: „Das Tamascheck verweigert sich dir“.

Aber wichtig ist, dass diese Interaktion eben nicht nur in, in unseren Augen, nichtmodernen Gesellschaften stattfindet, sondern auch in modernen. Ich zeige am Beispiel von Kopierern, denen, und nicht nur von Leuten, die wenig davon verstehen, sondern auch von Wartungstechnikern, Attribute zugeschrieben werden, die zugleich die Interaktion mit ihnen charakterisieren. Die Techniker etwa bezeichnen die Kopierer wahlweise als „Monster“ oder als „hilfsbereit“, das interaktive Element wird also in der Sprache ganz deutlich. Und wenn die Arbeit darin besteht, Kunden zu akquirieren, dann muss man die auch erst einmal ausfindig machen und sie dann dahingehend beeinflussen, dass sie ein Produkt erwerben wollen. Es ist also sinnvoll, nicht nur postindustrielle Gesellschaften zu untersuchen, denn der Vergleich mit anderen Gesellschaftsformationen kann sehr erhellend sein, auch über unterschiedliche historische Kontexte hinweg.

Woran denken Sie konkret?

Nehmen wir das Beispiel Homeoffice. Das wird aktuell als etwas absolut Neues verhandelt und für bestimmte Aspekte stimmt das auch, etwa die, die Digitalisierung voraussetzen. Aber Homeoffice ist natürlich eine Arbeitsform, die eine lange Geschichte hat. Die Heimarbeit in der frühen Industrialisierung ist eine Art von Homeoffice, die man gut mit der heutigen vergleichen kann. Etwa hinsichtlich der Frage, wie man die Arbeit von anderen Lebensbereichen, etwa der Familie, abgrenzt, wenn es keine räumliche Trennung gibt. Das ist ein Problem, das jeder, der im Homeoffice arbeitet und eine Familie hat, kennt und für sich lösen muss. Das gilt gerade für Wissenschaftler und zwar schon seit der frühen Neuzeit. Zuvor waren Wissenschaftler in der Kirche, in Klöstern, gehörten zu Orden. Mit der Reformation haben sie dann angefangen, Familien zu gründen und mussten überlegen, wie sie eine Studierstube einrichten, um zu Hause arbeiten zu können. Es gibt eine schöne Arbeit von dem israelischen Historiker Gadi Algazi,[3] in der er untersucht, wie sich da so etwas wie eine Arbeitsstruktur herausbildet. In Melanchthons Arbeitszimmer musste seine Frau anklopfen, bevor sie hereinkam, und die kleinen Kinder durften zwar herumtollen, aber wenn Besuch kam, mussten sie hinausgehen. Ich finde das ausgesprochen interessant. Es zeigt, dass die Annahme, dass gegenwärtige Entwicklungen in der Arbeitswelt stets etwas vollkommen Neues bedeuten, ein Irrtum ist.

Aber Arbeit ist nicht losgelöst von technischer Entwicklung. Die Digitalisierung hat kaum ein Berufsfeld unberührt gelassen, vom Industriearbeiter, der es mit immer weiter reichender Automatisierung zu tun hat, bis zum Digital Nomad, der seinem Beruf mit dem größtmöglichen Maß an zeitlicher und räumlicher Flexibilität nachgeht. Erschweren diese Veränderungen die Vergleiche mit anderen Arbeitsformen?

Der Digital Nomad, der irgendwo in der Karibik sitzt und seinen Geschäften nachgeht, ist ja eher eine Ausnahmeerscheinung und wird das meiner Ansicht nach auch bleiben. Mit der Automatisierung ist das selbstverständlich etwas anderes. Hans Paul Bahrdt hat im Zuge einer Untersuchung zur Hüttenarbeit eine frühe Form der Automatisierung in der Hüttenindustrie untersucht, wo dann ein Wärter nur noch darauf achten muss, dass alles richtig funktioniert, davon abgesehen jedoch nichts mehr tut. Und er vergleicht das mit Hirtenarbeit, wo der Arbeiter auch nicht manuell eingreift, aber eine große Verantwortung trägt. Und wenn etwas schiefläuft, ist das durchaus ein Problem, bei der Arbeit der Hirten ebenso wie bei der Arbeit an der Maschine. Ich selbst habe lange Ziegen- und Kamelhüten untersucht und mich gefragt, was da die Unterschiede sind. Und gerade beim Hüten von Kamelen sind die Vergleiche mit modernen Arbeitsformen sehr interessant. Wir sind ja gern der Auffassung, dass traditionelle Arbeitsformen wenig abstrakt sind, dass es da um manuelle Arbeit geht. Aber Kamele etwa zerstreuen sich und sollen das auch, um eigenständig Futter zu suchen. Ich war mal mit einem Kamelhirten unterwegs, der nachsehen wollte, ob alle seine Kamele da sind. Und nach einer Stunde sagt er: „In Ordnung, sie sind alle da.“ Und ich sage: „Ich habe nur ein Kamel gesehen.“ Und er antwortet: „Aber ich habe die Spuren von allen gesehen.“ Die kognitiven Fähigkeiten, die man braucht, um so etwas zu erkennen, scheinen mir den Anforderungen, die moderne Arbeitsformen an die Beschäftigten stellen, durchaus ähnlich.

Anhand welcher methodischen Kriterien machen Sie ganz unterschiedliche Kontexte miteinander vergleichbar?

Mein Ansatz ist die „Grounded Theory“ von Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss, die mit minimal- und maximalkontrastiven Fallvergleichen arbeitet. Die Autoren haben in ihrem Buch über den Tod[4] untersucht, wie der Tod in einem Krankenhaus oder bei einem Unfall oder in bestimmten nationalen Kontexten wie Amerika oder Japan verhandelt wird. Wenn man solche maximal unterschiedlichen Fälle in Bezug zueinander setzt, stößt man häufig auf interessante Merkmale, die man sonst vielleicht übersehen hätte. Das ist das eine Prinzip, dass Vergleiche von scheinbar disparaten Fällen ermöglicht. Und das andere ist mein ethnografischer Zugang, die teilnehmende Beobachtung oder die Dichte Teilnahme.[5] Man beschränkt sich also nicht darauf, eine Befragung durchzuführen, sondern begibt sich für einen langen Zeitraum ins Feld und baut intensive und vertraute Beziehungen auf. Ich habe jahrelang bei Bauern in Afrika und bei Nomaden in der Sahara geforscht, dort eng mit den Leuten zusammengelebt und sie in ihrem Alltag begleitet, statt zu versuchen, mittels einer Befragung das Feld abzuklopfen. Denn wenn man nur Fragen stellt, erfasst man lediglich einen kleinen Teil der Realität. Man muss länger dabei sein, um die Strukturen, das Nonverbale zu verstehen. Optimal ist auch, wenn man die Arbeiten, sofern es in der Forschung um Arbeit geht, selbst ausführt.

Welchen Stellenwert messen Sie Arbeit zu – einerseits menschheitsgeschichtlich und andererseits im Leben eines jeden Einzelnen?

Arbeit, so wie ich sie verstehe, hat es immer gegeben. Aber nicht immer haben alle Menschen gearbeitet. Hannah Arendt wundert sich ja beispielsweise, dass in der modernen Gesellschaft selbst Könige arbeiten, das Regieren also als Arbeit gilt, während die Herren sich früher gerade nicht als Teil der arbeitenden Bevölkerung verstanden. Was Arbeit für den Einzelnen bedeutet? Grundsätzlich stelle ich Arbeit und Leben oder Arbeit und Familie einander nicht gegenüber. Arbeit ist auch eine Lebensform, eine Lebenstätigkeit.

Der deutsche Fachkräftemangel ist in aller Munde, Anfang 2023 hat die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände in Anbetracht der fehlenden Arbeitskräfte durch Frühverrentung und Teilzeitarbeit mehr „Bock auf Arbeit“ gefordert. Ist Arbeit etwas, zu dem wir uns ganz grundsätzlich stets zwingen beziehungsweise gezwungen werden müssen?

Arbeit ist ein wertaufgeladenes Phänomen und in den Diskursen, auch den wissenschaftlichen, gibt es oft eine ideologische Komponente. Aber auch hier kann die Untersuchung von Kinderarbeit in Familienwirtschaften etwas offenlegen: dort arbeiten die Kinder schon sehr früh, ab dem Alter von drei Jahren, auf spielerische Weise mit. Aber wenn sie zum Beispiel Unkraut jäten, dann reißen sie nicht nur das Unkraut, sondern auch die richtigen Pflanzen aus oder sie laufen weg, wenn sie etwas sehen, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie sind nicht zuverlässig, denn sie können die Disziplin, die Arbeit erfordert, noch nicht aufbringen. Und wenn man will, kann man sagen, dass es unmenschlich ist, dass man diese Disziplin irgendwann aufbringen muss. Man kann aber auch betonen, dass es sich um eine Fähigkeit handelt, die erwachsenen Menschen zukommt, der Mensch sich also mit der disziplinierten Verrichtung von Arbeit erst entfaltet, eine Person wird.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Arbeit und Herrschaft?

Es gibt ein Kapitel in meinem Buch, das „Herren, Meister, Manager“ heißt und in dem ich die unterschiedlichen Formen von Herrschaft, die für Arbeitsverhältnisse wichtig sind, charakterisiere. Herren sind, wie Hegel in seiner berühmten Parabel von Herr und Knecht feststellte, die, die nur die Früchte der Arbeit genießen und nicht durch Arbeit ein Produkt und damit auch sich selbst erschaffen. Ich habe bei den Hausa in Gobir, wo das vorkoloniale Herrschaftssystem bis in die Gegenwart wirkt, geforscht. Die Bauern dort sagen: „Die Macht braucht keinen Verstand.“ Das heißt, sie nimmt nur, sie muss nicht wissen, wie das, was sie nimmt, erzeugt wird. Ein anderes ihrer Sprichwörter lautet: „Die Hyäne kennt nicht den Preis der Kuh, die sie frisst.“ Die Hyäne, das sind die Machthaber, braucht sich nicht darum zu kümmern, wie mühsam es ist, eine Kuh aufzuziehen, sie nimmt sie sich einfach. Herren in diesem Sinne gibt es heute nur noch selten, weil, wie Hannah Arendt schon festgestellt hat, heutzutage selbst Könige und Präsidenten arbeiten. Aber es gibt eben noch andere Formen von Herrschaft im Arbeitskontext, etwa den Meister. Das ist jemand, der auch Macht ausübt, aber sich dadurch qualifiziert, dass er das Handwerk besser beherrscht als seine Untergebenen. Und zuletzt gibt es die Herrschenden, die ich als Manager bezeichne. Das Wort kommt ja von der Manege und bezog sich ursprünglich auf jemanden, der dort die Pferde bändigt. Und das ist ohne Zweifel eine Art von Arbeit, die auch Kompetenz benötigt: Man muss einiges können, damit die Pferde machen, was man von ihnen will. Aber man kann ihnen ihre Tätigkeit nicht vormachen, weil man sie besser beherrscht. Und so verstehen auch Manager von der Tätigkeit der Arbeiter wenig oder gar nichts und haben trotzdem Macht über sie. Und es gibt auch keinen Zweifel, dass sie arbeiten, auch wenn die das Arbeiter vielleicht nicht unbedingt so sehen.

Macht es Sinn, Arbeit als entfremdetes Verhältnis zu analysieren?

Grundsätzlich ist Arbeit natürlich kein entfremdetes Verhältnis. Aber ist sie es unter kapitalistischen Bedingungen? Der Begriff ist sehr stark durch die Marx'sche Theorie geprägt. Viele Studien zeigen, dass etwa Industriearbeiter versuchen, ihrer Arbeit einen Sinn abzugewinnen oder ein Spiel daraus zu machen. Ich habe das in meinen Analysen ebenfalls festgestellt, auch in „banalen“ oder banal scheinenden Arbeitsverhältnissen. Eine Kassiererin in einem Geschäft etwa entwickelte eine besondere Form der Interaktion mit ihren Kunden. Wichtig ist eben, dass man die Arbeitenden nicht nur befragt, sondern in die teilnehmende Beobachtung geht, sonst bekommt man nicht raus, wie sie ihre Arbeit tatsächlich ausführen. Natürlich gibt es ausbeuterische Verhältnisse unter denen die Leute leiden und sehr unglücklich sind, aber das gilt nicht generell für kapitalistische Arbeitsverhältnisse. Vor diesem Hintergrund würde ich auch nicht alle Arbeit im Kapitalismus als entfremdet bezeichnen.

Im Vorfeld unseres Gesprächs haben Sie erwähnt, dass Sie gerade aus Afrika zurückgekommen sind. Wo genau waren Sie und haben Sie dort geforscht?

Ich habe viele Jahre bei den Tuareg in der Sahara geforscht, aber mir ist das inzwischen zu gefährlich. Man wird manchmal entführt und das ist, wenn man über 80 ist, nicht mehr so schön wie mit 20. Da hat es noch einen abenteuerlichen, fast romantischen Charakter (lacht). Gut, aber was ich immer noch mache, und auch sehr gern, ist unterrichten. Ich war gerade in Niger, an der Universität in Niamey und habe dort ein Seminar zu Max Weber gegeben. Und ich muss gestehen, dass ich es spannender finde, dort zu lehren als in Deutschland. Die Diskussionen sind ganz andere, etwa über Magie, die ja bei Max Weber insofern eine wichtige Rolle spielt, als ihre Beseitigung eine Voraussetzung für moderne Rationalität ist. In islamischen Gesellschaften ist der Glaube an Magie verboten und meine Studenten wissen das natürlich, aber jeder von ihnen kann mir begeistert von magischen Praktiken erzählen, wie jemand durch die Luft fliegen kann oder ähnliches.

  1. Gerd.Spittler, Anthropologie der Arbeit. Ein Ethnographischer Vergleich, Wiesbaden 2016.
  2. Barbara Polak, Peasants in the Making: Bamana children at work, in: Gerd Spittler / Michael Bourdillon (Hg.), African Children at Work, Berlin 2012, S .87–112.
  3. Gadi Algazi, Scholars in Households: Refiguring the Learned Habitus, in: Science in Context 15(2003), S. 9–42.
  4. Barney Glaser / Anselm Strauss, The Discovery of Grounded Theory: Strategies od Qualitative Research. New York 1967.
  5. Gerd Spittler, Teilnehmende Beobachtung als Dichte Teilnahme, in: Zeitschrift für Ethnologie 126(2001), 1, S. 1–25.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Jens Bisky.

Kategorien: Arbeit / Industrie Geschichte Gesellschaft Interaktion Lebensformen Wissenschaft

Gerd Spittler

Gerd Spittler ist emeritierter Professor für Ethnologie an der Universität Bayreuth.

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Hannah Schmidt-Ott

Hannah Schmidt-Ott ist Soziologin. Sie arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung als Redakteurin der Zeitschrift Mittelweg 36 sowie des Internetportals Soziopolis.

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