Cornelia Koppetsch | Essay |

Aufstand der Etablierten?

Rechtspopulismus und die gefährdete Mitte

Seit der Jahrtausendwende haben Gefährdungsdiagnosen zur Mittelschicht auch in Deutschland einiges Aufsehen erregt.[1] Realeinkommen stagnieren, Erwerbsunsicherheiten, prekäre Beschäftigungssituationen und Phasen der Arbeitslosigkeit sind für immer mehr Beschäftigte zu einem realistischen Szenario geworden (Castel/Dörre 2009). Und während der obere und der untere Rand immer weiter auseinanderdriften, wachsen auch die Verwerfungen innerhalb der Mittelschicht. Auch zunehmend mehr Hochschulabsolventen sind von Unsicherheiten und prekären Beschäftigungsbedingungen betroffen (Tölke/Hank 2005; Manske 2007, 2009). Angesichts solcher Befunde wachsen auch die Sorgen über das Integrationspotenzial der Gesellschaft. Eine stabile und prosperierende Mittelschicht gilt Soziologen wie Ralf Dahrendorf, Seymour M. Lipset oder Theodor Geiger als Garant politischer und gesellschaftlicher Stabilität. Daraus resultieren auch politische Fragen. Wenn die Mittelschicht nun aufhört, ein Ort der Sicherheit und Beständigkeit zu sein, wird die Gesellschaft dann anfälliger für Extreme und politischen Extremismus (Münkler 2010)?

Die Bundesrepublik Deutschland und später auch das vereinigte Deutschland schien aufgrund jahrzehntelanger wirtschaftlicher Prosperität, aber auch infolge der intensiven Auseinandersetzung und Aufarbeitung des NS-Erbes, lange Zeit gefeit gegenernstzunehmende Erfolge rechtspopulistische Parteien. Der Erfolg der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) war auch deshalb für viele eine Überraschung, weil die rechtspopulistischen Strömungen und Parteien in anderen europäischen Ländern zunächst als vorübergehende Erscheinung galten, die bald wieder verschwinden würden (Jörke 2017). Eine solche Sichtweise ist spätestens mit der Wahl Trumps im November 2016 zum Präsidenten der USA nicht mehr plausibel.[2] Aus heutiger Sicht ist Deutschland lediglich ein Nachzügler einer Entwicklung, die in anderen westlichen Ländern schon weiter fortgeschritten ist.[3] Der Aufstieg der im Jahr 2013 durch den Ökonomieprofessor Bernd Lucke gegründeten AfD begann mit der Eurokrise und den Verhandlungen über die Rettungspakete für Griechenland. Nach parteiinternen Machtkämpfen und dem darauffolgenden Rechtsruck der Partei, konnte die AfD mit einer rhetorischen Mobilmachung gegen den Zustrom der Flüchtlinge seit Sommer 2015 noch einmal deutlich an Tempo zulegen. Am Ende des Jahres 2016 war die AfD in insgesamt 10 Landtagen vertreten, in Mecklenburg-Vorpommern ist diese, mit einem Stimmenanteil von insgesamt 21%, an der CDU vorbei zur zweitstärksten Macht im Landtag geworden. Die Fortsetzung der Eurokrise, bei der die Überschuldung immer weiterer südlicher EU-Länder offenbar wird und der vermutlich anhaltende Druck von Migrantenströmen nach Europa, dürften dazu führen, dass diese beiden Kernthemen der Partei auf längere Zeit die politische Agenda bestimmen (Häusler/Roeser 2015: 124; Münkler/Münkler 2016: 184).

Nach wie vor ist jedoch ungeklärt, in welcher Form gesellschaftliche Spaltungen zum Erfolg der Rechtsparteien beigetragen haben und welche Dynamiken dahinter stehen.[4] Ein Blick auf die unterschiedlichen empirischen Befunde zeigt, dass es keineswegs die offensichtlich Erfolglosen und Benachteiligten sind, die die AfD wählen. Vielmehr stellt sich der Zusammenhang zwischen dem Wandel von Ungleichheitsordnungen und der politischen Mobilisierung von rechts sehr viel komplexer dar, als bisher vermutet.

  1. Ausgehend von der Annahme, dass vor allem eine gut integrierte, prosperierende Mittelschicht vor politischen Extremismus schützt, wäre zu vermuten gewesen, dass rechtspopulistische und -extreme Parteien vorzugsweise in solchen Ländern einen rasanten Auftrieb erfahren haben, die von der Finanz- und Eurokrise seit 2008, von Arbeitslosigkeit und Austerität, besonders getroffen wurden. Doch bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 haben die Rechtsparteien gerade in solchen Ländern am besten abgeschnitten bzw. ihre stärksten Zugewinne erzielt, die von den unmittelbaren Folgen der Krise vergleichsweise wenig getroffen wurden: Österreich, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Niederlande und Schweden. Die einzige Ausnahme ist Ungarn, das ökonomisch hart getroffen wurde und in dem die rechtsextreme Jobbik das viertbeste Ergebnis erzielt hat (Decker et al. 2015: 14f).
  2. Als völlig überraschend erweist sich vor diesem Hintergrund, der Erfolg der Rechtsparteien in Schweden und Dänemark, die im europäischen Vergleich zu den egalitärsten europäischen Gesellschaften mit den weltweit sichersten Wohlfahrtssystemen und dem höchstem Bildungsniveau verfügen (Inglehart/Norris 2016: 12).
  3. Aber auch innerhalb von Gesellschaften sind die Befunde vieldeutig und komplex. So findet sich Unterstützung für Rechtspopulisten quer durch alle sozialen Lagen hindurch, darunter in einem nicht unerheblichen Ausmaß auch bei Akademikern und Hochqualifizierten – vor allem in Deutschland und in den USA. Darüber hinaus finden sich die Anhänger rechtspopulistischer Parteien in West- und Nordeuropa nicht verstärkt im Prekariat, also bei Langzeitarbeitslosen, Sozialhilfeempfängern oder Geringverdienern, sondern in der Mittelschicht (Oesch 2008; Inglehart/Norris 2016: 27).
  4. Als widersprüchlich und vieldeutig ist auch der Umstand zu bewerten, dass der Aufstieg der AfD in Deutschland in eine Phase partieller wirtschaftlicher Erholung und Stabilisierung von Arbeitsmärkten fällt: Die Zahl der „Normalarbeitsplätze“, d.h. der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, hat seit 2006 wieder zugenommen und die Angst vor dem Abstieg und die Sorge um den Arbeitsplatz ist deutlich zurückgegangen (Lengfeld 2016).

Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht die These, dass der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien durchaus als politischer Ausdruck sozialer Spaltungen verstanden werden kann. Wohlstandseinbußen spielen dabei allerdings zumeist eine untergeordnete Rolle. Vielmehr sind es Macht- und Geltungseinbußen spezifischer Gruppen in der Mittelschicht, die mit dem Verlust von bislang garantierten Privilegien gegenüber anderen Gruppen im gesellschaftlichen Rollengefüge einhergehen. Derartige Statusverluste wurden in den Sozialwissenschaften, die gesellschaftliche Umbrüche primär unter dem Vorzeichen von „Markt“ und „Ökonomie“ betrachtet hatten, bislang kaum systematisch untersucht und bleiben in ihren sozialmoralischen Auswirkungen unterschätzt. Zwar hat es immer wieder Warnungen vor einer Spaltung der Gesellschaft gegeben, aber diese bezogen sich zumeist darauf, dass das untere Drittel der Gesellschaft von der Wohlstandentwicklung abgehängt oder dass der obere und der untere Rand der Gesellschaft immer weiter auseinanderdriften würden. Doch das Erstarken der AfD zeigt, dass die Spaltungen geradewegs durch die Mitte der Gesellschaft gehen.

Unter Bezugnahme auf die relationalen Soziologien von Norbert Elias und Pierre Bourdieu, sollen die sozialen Dynamiken untersucht werden, die dem Aufstieg des deutschen und des amerikanischen Rechtspopulismus zugrunde liegen. Anfällig für Rechtspopulismus sind, so die Annahme, vor allem solche Menschen, die kulturelle Geltungsverluste, d.h. Verluste an relativer Hegemonie und Deutungsmacht hinnehmen mussten. Derartige Geltungsverluste müssen nicht notwendig durch berufliche oder soziale Deklassierung, sie können auch durch Modernisierungsschübe verursacht worden sein. Gezeigt werden soll, unter welchen Bedin-gungen derartige Geltungsverluste bei den Betroffenen zur Häresie, d.h. zum „Kippen“ von Weltsichten und zur Abkehr vom liberalen Konsens, von der liberalen Orthodoxie, führen. Die rechtspopulistische Mobilisierung, so soll im Anschluss an Bourdieus Theorie der „Soziologie der Erkenntnis“ und Norbert Elias‘ Figuration der Etablierten und Außenseiter gezeigt werden, ermöglicht die Wiederaufrichtung des Selbstwertgefühls und die Rehabilitierung von abgewerteten Weltsichten und Modi der Welterfahrung. Sie ist eine Strategie der Re-affirmation kultureller Würde und gesellschaftlicher Einflussbereiche von bislang etablierten, aber in zunehmender Weise symbolisch de-legitimierten Gruppen.

Im Folgenden sollen daher rechtspopulistische Ideologeme, Weltbilder und Gefühlslagen im Kontext veränderter Macht- und Ungleichheitsdynamiken analysiert werden.[5] Dabei werden drei Analyseebenen aufeinander bezogen: Die Ebene der Weltbilder bzw. Ideologien, die Ebene veränderter Machtbalancen im Kontext des sozialstrukturellen Wandels und die Ebene der Emotionen.

Im ersten Schritt wird anhand der Analyse von rechtspopulistischen Mobilisierungsthemen und Kommentaren in den Sozialen Medien das kulturelle Regime, die Wissensordnung, neurechter Weltbilder erschlossen (1). Der zweite Abschnitt befasst sich, anknüpfend an den Stand der Forschung zur sozialstrukturellen Zusammensetzung und zu Motivlagen von Anhängern des Rechtspopulismus, mit sozialräumlichen Positionierungen des Rechtspopulismus in Deutschland und den USA (2). Im dritten Abschnitt werden die zentralen Mobilisierungsthemen rechtspopulistischer Parteien wie etwa „Migration“ und „Islam“ auf Ungleichheitskonflikte im Stile von Etablierten/Außenseiterfigurationen im Anschluss an Norbert Elias und John L. Scotson bezogen (3). In einem abschließenden Teil geht es um die emotionalen Triebfedern rechtspopulistischer Proteste (4).

1. Das kulturelle Regime neurechter Weltsichten

Die Debatte um Thilo Sarrazins im Jahre 2010 erschienenen Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“, lieferte erste Anzeichen mittelschichtsspezifischer Haltungen und Weltsichten, die im Rückblick auf ein Erstarken des Rechtspopulismus hindeuteten. In der Debatte ging es um die Folgen, die sich nach Ansicht Sarrazins für Deutschland aus dem Geburtenrückgang, einer wachsenden Unterschicht und der Zuwanderung aus überwiegend muslimischen Ländern ergeben könnten.[6] Die Debatte enthüllte, dass die Topoi, auf die sich auch der gegenwärtige Rechtspopulismus wesentlich stützt, nämlich die vorgebliche Bedrohung von Sicherheit und Ordnung, die Angst vor „Überfremdung“ durch den Islam sowie die Forderung nach Begrenzung der Zuwanderung, in arrivierten Kreisen, bei Besserverdienenden und Höhergebildeten zu finden sind.[7]

Nicht nur kam es im Zuge der „Flüchtlingskrise“ seit 2015 zu einer Verstärkung der Kritik am „Islam“ und an der Zuwanderung. Sichtbar wird darüber hinaus eine Verknüpfung mit ande-ren Anti-Gleichstellungsthemen. Gestützt auf Kommunikationstechnologien sozialer Medien wie Blogs, Twitter und Facebook bildeten sich Netzwerke zwischen unterschiedlichen Aktivisten, wie etwa Parteien, bibeltreuen Christen, „Lebensschützern“, maskulinistischen Publizisten (Berbuir et al. 2014), die neben den klassischen Topoi der Migrations- und Islamkritik auch gesellschaftliche Themen aufgriffen. Polemisiert wurde gegen die vorgeblich übergreifende „Political Correctness“ und die Dekonstruktion einer „heteronormativen Geschlechterordnung“ (Butler 1991) durch „sexuelle Früherziehung“, „Homoehe“ oder „Gendermainstreaming“. Verbreitung finden diese Topoi allerdings nicht allein in einschlägigen Blogs wie etwa politically incorrect. In abgeschwächter Form stoßen diese auf öffentliche Zustimmung auch in bürgerlichen Kreisen, etwa in den Feuilletons großer überregionaler Zeitungen und in den führenden Presseorganen. Dabei geht es zumeist um religiöse, sexuelle oder ethnische Minderheiten, wie etwa Transgendermenschen, Homosexuelle, „Ausländer“, Frauen, Flüchtlinge, die jeweils zu viel Aufmerksamkeit oder gar Sonderprivilegien genießen, während die „eigentlichen Probleme“ nicht angegangen würden. So wird etwa vor „übertriebenen Formen“ der Gleichstellung von Frauen oder vor der angeblich „zu großen Toleranz“ gegenüber Migranten und Flüchtlingen gewarnt (Hark/Villa 2015).

Zwar sind die Aussichten, derartige unterschiedliche Gruppen betreffende Anti-Gleichstellungsthemen tatsächlich politisch durchzusetzen oder auch nur zum Thema parlamentarischer Auseinandersetzungen zwischen Populisten und etablierten Parteien zu machen, eher als unterdurchschnittlich einzuschätzen (Siri 2015: 242). Ihre Mobilisierungsfähigkeit außerhalb der Kommentarspalten von Zeitungen und Sozialen Medien erweist sich bislang als eher gering. Interessant an der intensiven Zirkulation von Themen und Personen sind jedoch die thematischen und personellen Verbindungen zwischen den in den Blogs sich formierenden Stimmen und den bereits bestehenden rechtskonservativen Kräften bei Freikirchen, islamfeindlichen Protestgruppen, rechten Männergruppen, Burschenschaften sowie publizistischen Organen der „neuen Rechten“ (wie etwa „Sezession“ oder „Die Junge Freiheit“) (Kemper 2014: 18f., 33ff.).[8] Rechtskonservative, rechtspopulistische, evangelikale und weniger eindeutig positionierte Gruppen finden über Themen wie Modernisierungskritik, sexuelle Vielfalt, negative Migrationsfolgen und Islamkritik zueinander (Siri 2015).

Ein weltanschauliches Verbindungsglied zwischen den Gruppen besteht in der protestförmigen Artikulation traditionalistischer Leitbilder, oftmals auch in expliziter Abgrenzung vom „linken Mainstream“ oder vom „linken“ Establishment. Exemplarisch haben die Autorinnen und Autoren eines von Sabine Hark und Paula Villa (2015) herausgegebenen Bandes das Amalgam aus Neo-Konservatismus und Protest am Beispiel des „Anti-Genderismus“ aufgezeigt. Die Protagonisten des Protests hätten demnach „durchaus verstanden, was der gender turn impliziert, nämlich in der Tat ein post-naturalistisches bzw. post-essentialistisches Verständnis von Geschlecht“ (Hark/Villa 2015: 19). Unterstellt wird seitens der Kritiker nun, die „Genderideologie“ würde Menschen dazu bringen, althergebrachte Vorstellungen von Geschlechtsrollen abzuerziehen oder die Gesell-schaft insgesamt ihrer vorgeblich natürlichen Fundamente – Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität – zu berauben. Die Diskreditierung der Gender-Studies als „Exzess“, „Ideologie“ oder „Pseudowissenschaft“ geht dabei zumeist mit der Behauptung einher, die Aufweichung der traditionellen Geschlechterordnung würde „von oben“, d.h. seitens des Establishments oder der Universitäten aufoktroyiert.[9] Die sozialwissenschaftliche Dekonstruktion eingelebter Selbstverständlichkeiten stehe konträr zu den „ursprünglichen Empfindungen und Wahrnehmungen der meisten Menschen“ (Villa/Hark 2015: 18).

Analoge Verbindungen zu konservativen Narrativen finden sich auch bei anderen rechtspopulistischen Kernthemen wie „Familie“, „Patriotismus“, „Heimat“ oder der „Pflege des Christentums“. Wie Behrmann (2015: 103) herausgearbeitet hat, wird in einem Parteiprogramm der AfD eine Verbindung zwischen „Heimatliebe“, „Patriotismus“ und einer „starken Kernfamilie“ hergestellt. Eine starke Nation könne sich nur mittels eigener Kinder und nicht durch Zuwanderung reproduzieren. Die Familie sollte aus der Sicht der AfD dabei nicht nur eine biologische, sondern auch eine kulturelle Reproduktionsinstanz der nationalen Kultur, d.h. der primäre Ort der Kulturvermittlung, sein. Deshalb müssten zentrale Erziehungsaufgaben dem Bildungssystem entzogen und „auf natürliche Weise“ wieder stärker in den Verantwortungsbereich der „intakten“ Familie übergehen. Wenn die Familie, wie die AfD wirbt, als „Keimzelle“ stark ist, dann erwachse daraus auch eine starke Gesellschaft (ebd.). Damit soll keineswegs bestritten werden, dass zwischen rechtsnationalen, rechtskonservativen und rechtspopulistischen Orientierungen gravierende politische und konzeptionelle Unterschiede existieren, doch zeigt sich, dass konservative Narrative als übergreifende Identitätsangebote fungieren und gegen Gleichstellungs-Politiken und die „von oben“ aufoktroyierte Modernisierung in Stellung gebracht werden.

Der Politikwissenschaftler Michael Freeden (2013) definiert Konservatismus als Gegenideologie und Gegenbewegung zu Liberalismus und Sozialismus, den „progressiven Ideologien“ des 19. Und 20. Jahrhunderts. In Abgrenzung zu diesen konkretisiert und variiert der Konservatismus seine Schlüsselkonzepte. In dieser Lesart gewinnt das neokonservative Weltbild der Rechten seine gegenwärtige Überzeugungskraft durch Abgrenzung zum „postmodernen Liberalismus“, der in westlichen Ländern seit den 1980er Jahren durch aufsteigende Mittelschichten verkörpert wird. Konstitutiv für postmodern-liberale Ideologien sind die kulturelle Öffnung und der Anspruch auf Gleichwertigkeit von Lebensformen, Identitäten und Kulturen. Postmoderne Lebensformen sind durch Persönlichkeitsideale wie Individualisierung, Authentizität und Selbstverwirklichung bestimmt. Eine starke Valorisierung erfahren Werte wie Chancengleichheit, Toleranz und Pluralität. Der inhärente Pluralismus des liberalen Weltbildes impliziert allerdings zugleich auch die Relativierung moralischer und kognitiver Wahrheitsansprüche. Wissen und Moral bieten keine feststehenden Haltepunkte mehr, sondern konkurrieren miteinander auf Märkten.

Demgegenüber favorisieren die unterschiedlichen rechtskonservativen, rechtsextremen oder rechtspopulistischen Aktivisten kulturelle Schließungen, welche die Errungenschaften der jeweiligen Wir-Gruppe – der Nation, des „Volkes“, der Kernfamilie, des Christentums, etc. – gegenüber Außenseitern verteidigen wollen. Die Bezugsgröße des Sozialen bildet das Kollektiv, die community. Dabei ist zumeist ein normativer Partikularismus vorherrschend: Demnach nimmt die Welt die Form eines Antagonismus, eines Gegensatzes zwischen Innen und Außen, ingroup und outgroup an, der zugleich auch ein Dualismus zwischen dem Wertvollen und dem Wertlosen ist (das Volk gegen die kosmopolitischen Eliten). Der Prozess der Valorisierung arbeitet somit daran, die Eindeutigkeit der identitätsstiftenden Symbole zu bewahren und soziale Identitäten zu essenzialisieren (Reckwitz 2016).

Rechte und liberale Wissensordnungen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Umgangsweisen mit Grenzen, Kollektiven und kulturellen Gütern, sie sind darüber hinaus in unterschiedlichen Zeitperspektiven verankert. Das liberale Weltbild ist in die Zukunft gerichtet und setzt auf Wachstum, Selbstüberbietung und Entgrenzung. Demgegenüber sind rechte Weltbilder auf die Vergangenheit gerichtet, sie prämieren das „Alte", die Tradition durch Bezugnahme auf historische Erzählungen und althergebrachte Moralkodizes. Dies spiegelt sich im deutschen Rechtspopulismus etwa in den traditionsorientierten Narrationen nationaler Identität und in dem Verlangen, zum "Kulturvolk Deutschland" zurückzukehren. Deutlich wird somit, dass es sich bei rechtspopulistischen und rechtskonservativen Weltbildern um Sichtweisen handelt, die sich gegen die kulturelle Hegemonie der Postmoderne, den „progressiven Neoliberalismus“ (Fraser 2017), richten. Wir finden hier die Denunzierung der technokratischen Anmaßung auf das Monopol an politischer Kompetenz, Feindseligkeit gegenüber Gleichstellungsmaßnahmen und political correctness, sowie eine Ideologie der „Natürlichkeit“ sozialer Hierarchien und kultureller Klassifikationen.

2. Verortungen rechtspopulistischer und rechtskonservativer Milieus im sozialen Raum: Abwärtsmobilität und Hysteresis

Nach Bourdieu (1982) besitzt Kultur, zu denen alltägliche Denk-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata wie auch politische Weltsichten gehören, eine relative Autonomie. Sie gewinnt dabei nur in dem Maße materielle und symbolische Wirksamkeit, wie sie in die Auseinandersetzungen und Kämpfe der Sozialwelt verstrickt sind (Müller 2014: 144), mittels derer spezifische Klassenfraktionen bzw. soziale Gruppen versuchen, ihre Sichtweise auf die soziale Welt als die allein Legitime durchzusetzen. Neben dem materiellen Klassenkampf, also einem Kampf um knappe Ressourcen und Positionen, ist nach Bourdieu stets auch der symbolische Klassifikationskampf, also der Kampf um Sichtweisen und Positionierungen, zu berücksichtigen. Stellungen und Stellungnahmen, Positionen und gesellschaftliche Positionierungen sind in der Klassenanalyse Bourdieus eng aufeinander bezogen. Von dieser Perspektive ausgehend muss auch das rechtspopulistische bzw. rechtskonservative Wissensregime als Teil eines symbolischen Klassenkampfes, als Kampf um Deutungshoheiten und Denkkategorien verstanden werden. Herausgefordert wird das staatliche Deutungsmonopol des Establishments, von dem behauptet wird, dass es durch die liberalen Eliten, die „Genderfrauen“ und die politisch korrekten Vertreter des „pädagogischen Establishments“ vertreten würde.

Für die sozialräumliche Verortung der neuen Rechten ist nun nicht in erster Linie das Volumen oder die Zusammensetzung des Kapitals, also die sozio-ökonomische Stellung, sondern die Mobilitätsrichtung maßgeblich, genauer gesagt: die relative Abwärtsmobilität im Kontext des Gesamtgefüges sozialer Lagen.[10] Abwärtsmobilität – die mit Bourdieu als Flugbahn[11] beschrieben werden kann – ist dabei nicht mit Prekarität gleichzusetzen, denn eine Deklassierung kann auch dann stattgefunden haben, wenn man nach wie vor ganz gut dasteht. Auch ist sie nicht auf eine spezifische Lage beschränkt, sondern kann klassenübergreifend konstatiert werden. Dabei geht es, wie gesagt, nicht allein um ökonomische Fragen, sondern um symbolische Anerkennung, Status und Macht.

Die Frage der Mobilitätsrichtung ist insofern von Belang, weil sich Kulturkonflikte in den von Abstiegswellen geprägten Gegenwartsgesellschaften in jüngster Zeit intensiviert haben (Koppetsch 2013). Die Kluft zwischen auf- und absteigenden Gruppen geht tendenziell durch alle sozialen Lagen, oftmals mitten durch einzelne Berufsfelder (Rosavallon 2013), hindurch. Welche Hinweise finden sich nun im empirischen Material, um den Zusammenhang zwischen abwärts gerichteten Flugbahnen sozialer Klassenfraktionen und Gruppen, Habitus und Rechtspopulismus zu bestimmen? Wie bereits erwähnt, sind die Unterstützer der Rechtsparteien keineswegs immer die offensichtlich Erfolglosen und Benachteiligten. Gemessen an Einkommen und Bildungsniveau weist die AfD eher eine gemischte Wählerschaft auf und ist daher - durchaus vergleichbar mit der CDU und der SPD - als eine Mittelschichtspartei einzustufen (Niedermayer/Hofrichter 2016) [siehe hierzu Tabelle 1 und Tabelle 2]. Deutschland und die USA stellen insofern Sonderfälle dar, als der Rechtspopulismus hier stärker als in den europäischen Vergleichsländern auch von Höhergebildeten und Besserverdienenden unterstützt wird.[12] Gleichwohl zeigt sich, dass auch in den anderen westeuropäischen Ländern rechtspopulistische Parteien die größte Resonanz nicht in der Unterschicht, sondern in der Mittelschicht, vor allem im „traditionellen Kleinbürgertum“, also bei Facharbeitern, Handwerkern und Kleinstunternehmern und bei Angehörigen einfacher Dienstleistungsberufe, finden (Inglehart/Norris 2016; Oesch 2008).[13]

Zudem wird sichtbar, dass das populistische „Wir“, also die Anhängerschaft der neuen Rechten, kein einheitliches Milieu darstellt, sondern Wählergruppen mit unterschiedlichen Einkommensniveaus und Bildungshintergründen sowie unterschiedlichen Beweggründen umfasst. In der AfD zum Beispiel finden sich die Protestwähler, die ihrer Partei einen Denkzettel verpassen wollen, die wertkonservativen, traditionalistischen Wähler, denen die CDU nicht mehr konservativ genug ist und die in der liberalen, postindustriellen Gesellschaft keine politische Heimat mehr finden. Es finden sich aber auch die „Wutbürger“ und die „Zurückgebliebenen“ in den de-industrialisierten Regionen Ostdeutschlands und Nordrhein-Westfalens sowie die Blogger in den sozialen Medien, die zumeist eher aus gebildeten Milieus stammen.[14] In meiner eigenen Feldarbeit zur neuen Rechten bin ich auf die Figur des männlichen Akademikers gestoßen, der in jungen Jahren die in universitären Milieus vorherrschenden linksliberalen Haltungen geteilt hatte und im Zuge biografischen Scheiterns nach einer Scheidungs- oder Berufskrise eine radikale Abkehr von diesem Milieu, gewissermaßen eine Konversion ins rechte Lager, vorgenommen hat.

Was eine Mehrheit der Wähler quer durch unterschiedliche Milieus jedoch eint, ist die grundsätzliche Kritik an gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten wie auch die Einschätzung, mit dem Land als Ganzem gehe es bergab, die Zukunft der Kinder werde verspielt und die Eliten kümmerten sich nicht oder seien nicht kompetent (Müller 2016). Gemeinsam ist den Anhängern also ein pessimistisches Gesellschafts- und Zukunftsbild. Dies zeigt sich nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA. Wie die großangelegte ethnografische Studie von Arlie Hochschild (2016) zum Aufstieg Trumps im ländlichen Louisana eindrucksvoll dokumentiert, steht dahinter oftmals keine ökonomische Notlage, beurteilen viele der Anhänger Trumps ihre wirtschaftliche Lage doch als gut bis sehr gut. Was die von Hochschild Befragten eint, ist das Gefühl der Entfremdung von herrschenden Normen und Strukturen. Es ist das Gefühl, dass Verhaltensmaßstäbe, die für die eigene Identität und Stellung in der Gesellschaft und die gesellschaftliche Wertschätzung bislang relevant waren, nicht mehr gelten und dass der eigene Beitrag, die eigenen Leistungen nicht mehr hinreichend geachtet und gewürdigt werden. Ähnliche Befunde hat auch Karin Priester (2012) für den Aufstieg des westeuropäischen Rechtspopulismus zusammengetragen.

Die sozialstrukturelle Bedeutung derartiger Gefühlslagen erschließt sich dann, wenn das Konzept des Hysteresis-Effektes von Bourdieu als intervenierende „Variable“ hinzugezogen wird. So zeigen die skizzierten Entfremdungsgefühle an, dass die Passung zwischen subjekti-ven Dispositionen und objektiven Strukturen aufgebrochen worden ist (Bourdieu 1982: 238) und bislang für selbstverständlich gehaltene Handlungsoptionen verschwinden. Da der Habitus jedoch träge reagiert und dazu tendiert, die Umstände zu erhalten oder wiederzugewinnen, in denen er reibungslos funktionieren kann, wird die Anpassung an neue Bedingungen erschwert. Der Habitus bleibt seinen Entstehungsumständen verhaftet. Man lebt etwa über seine Verhältnisse, kann trotz drastischer Einkommensreduktionen den freigiebigen Lebensstil nicht aufgeben, oder wähnt sich nach wie vor in einer überlegenen Position, derer man allerdings längst verlustig gegangen ist. Das nennt Bourdieu „Hysteresis-Effekt“. Besonders ausgeprägt sind derartige Beharrungs- und Trägheitseffekte bei sozial Abgestiegenen, wie Martin Schmeiser (2003) am Beispiel des „lang hinausgezögerten sozialen Abstiegs“ von Söhnen und Töchtern aus Akademikerfamilien herausgearbeitet hat.[15]

Die Ursachen für das Nachhinken des Habitus hinter die gesellschaftlichen Umstände müssen allerdings nicht immer in individuellen beruflichen oder sozialen Deklassierungen begründet sein. Sie können auch durch Modernisierungsschübe ausgelöst worden sein.[16] Denn in Zeiten des beschleunigten Wandels vervielfältigen sich nicht nur die Anpassungsbestrebungen, sondern auch die Trägheitsmomente. Diese zeigen sich in unterschiedlichen institutionellen Handlungskontexten, etwa im Überdauern klassischer Bilder von Weiblichkeit oder Männlichkeit in der Familie, oder bei Menschen denen es nicht glückt, die in der Ausbildung erworbenen berufsethischen oder -fachlichen Orientierungen den flexiblen Erfordernissen von Märkten unterzuordnen. Viele reagieren schockiert, wenn ihnen klar wird, dass bislang prämierte Tugenden, wie etwa Charakterstärke, Gradlinigkeit, Opferbereitschaft oder Durchhaltevermögen für den Statuserhalt nicht mehr hinreichend sind, sondern der flexible Mensch das neue Leitbild darstellt (Sennett: 2000).

Auch für den Rechtspopulismus liegt die Vermutung nahe, dass er sich aus Gruppenspeist, deren inkorporierte Werte und Weltsichten in der einen oder anderen Form erschüttert worden sind. Dafür spricht, dass vor allem die den Werten der Industriemoderne verpflichteten Gruppen mobilisierbar sind, wie etwa die Landbevölkerung, ältere Menschen und Rentner, mehr Männer als Frauen, sowie Facharbeiter und Handwerker in der Produktion (Inglehart/Norris 2016: 29). Am Beispiel der USA lässt sich zudem sehr gut zeigen, dass sich der Cleavage bei den US-Wahlen im November 2016 nicht primär am Wohlstands- und Einkommensgefälle, sondern an Fragen kultureller Hegemonie entzündet hat. In den USA sind es tendenziell sogar eher die Besserverdienenden, die Trump bevorzugten, während unter den Armen sogar die Clinton-Wähler (52%/41%) überwogen. Evangelikale, Christen ganz allgemein, Weiße und die ländliche Bevölkerung wählten bevorzugt Trump, während Clinton von Schwarzen (in geringerem Umfang auch von Latinos), Transgendermenschen und der städtischen Bevölkerung bevorzugt wurde.[17] Es sind somit Menschen, die einst als gesellschaftlich privilegierte „Majorität“ galten und die unter dem Einfluss des progressiven Neoliberalismus an Hegemonie eingebüßt haben (siehe hierzu Tabelle 3) bzw. sich durch die Gleichstellungspolitik der kosmopolitischen Eliten an den Rand gedrängt fühlen (ebd.: 28f).

Der Hysteresis-Effekt kann darüber hinaus die Orientierung am Vergangenen in rechtspopulistischen Weltbildern erklären. Wer auf seinen überkommenen Habitus beharrt, glaubt zumeist nicht an eine bessere Zukunft, sondern blickt auf frühere, glanzvolle Zeiten vergangener Größe zurück: etwa auf frühere persönliche Erfolge, aber auch auf den Glanz vergangener Gesellschaftsordnungen, auf die einstige Macht industrieller Zentren, auf die frühere Bedeutung von „Anstand" und „Moral", auf die vergangene Glorie und wirtschaftliche Macht der eigenen Nation. Damit ist keineswegs gesagt, dass sich alle von Modernisierungsschüben Bedrohten in rechtsgerichteten Protestbewegungen engagieren. Erklärt werden kann aber, warum sich politische Ideologien in Gegenwartsgesellschaften, in denen Modernisierungsschübe mit Abstiegswellen einhergehen, eher von rechts als von links formieren und eher in Form von Re-Souveränisierungen denn als Klassenkampf artikulieren.[18] Rechtspopulismus ist somit ein politischer Kampf um die Macht zur Wiederaufrichtung vergangener Gesellschaftsordnungen. Die rechtspopulistischen Parteien versprechen, die gesellschaftliche Ordnung der Industriemoderne, in welcher der Habitus ihrer Anhänger noch reibungslos funktionierte, zu restaurieren und zur Wiederherstellung der einstigen Größe (des Subjekts, wie auch der Nation) beitragen zu können: "America first", "Britain first", "La France d'abord" lauten die Slogan. Die im Nationalstaat verankerten gesellschaftlichen und politischen Strukturen der Industriemoderne sollen – etwa mittels nationalprotektionistischer Strategien – wieder errichtet und gegen Globalisierungstendenzen verteidigt werden. Entsprechend räumen sie dem Idealbild des Staates und der Nation einen höheren Rang in ihrem Selbstbild und ihrer Werteskala ein, als die Vertreter liberaler Weltbilder. Letztere verstehen sich ja nicht primär als Angehörige einer Nation, sondern als Weltbürger, als Kosmopoliten.

3. Etablierte und Außenseiter: Die Urszene rechtspopulistischer Gefühlslagen

Aus diesen Gründen lehnen es Anhänger rechter Bewegungen und Parteien zumeist auch ab, sich als Verlierer oder Opfer der Umstände anzusehen, weshalb sie einer Politik der Umverteilung und des Wohlfahrtsstaates auch eher ablehnend gegenüberstehen. Die Anhänger der neuen Rechten betonen stets ihre persönliche Stärke, ihr Durchhaltevermögen und ihre Leistungsbereitschaft. Auch dies dokumentiert, dass Rechtspopulismus weniger an die exkludierten oder „abgehängten“ Schichten appelliert, sondern an Milieus, die sich, ungeachtet ihre „objektiven“ Lage, im weitesten Sinne zu den Etablierten zählen, also den „leistungsorientierten“ und gut integrierten Gruppen aus der Mittelschicht, die noch etwas zu verlieren haben. Dabei bedeutet „etabliert“ in unterschiedlichen Soziallagen ganz unterschiedliches.[19]

Doch warum gehen rechtspopulistische Weltsichten mit Anti-Gleichstellungspolemik und einer aus liberaler Sicht obsessiven Beschäftigung mit „dem Islam“ einher? Die kategorische Ablehnung der Muslime und die vorgebliche „Überfremdung“ durch Migranten und die „Auflösung des deutschen Volkes“ werden bekanntlich von Rechtspopulisten als Symptome gesellschaftlichen Niedergangs gedeutet. Für Liberale, insbesondere für Linksliberale, ist die Einwanderung bestenfalls ein gesellschaftlicher Nebenschauplatz der durch die Globalisierung hervorgerufenen Ungleichheiten und Verwerfungen. Der Umstand allerdings, dass die sogenannte „Flüchtlingskrise“ aktuell das bislang größte Mobilisierungspotenzial der AfD darstellt (Schwarzbözl/Fatke 2016) und für die fulminanten Landtagswahlerfolge 2016verantwortlich war, ist für viele moralisch verwerflich, aus sozialwissenschaftlicher Sicht allerdings erklärungsbedürftig.

Die Bedeutung von Muslimen und Migranten im rechten Gesellschaftsbild erschließt erst dann, wenn man die Gefühlslagen der moralischen Entfremdung und der mangelnden Aner-kennung figurationstheoretisch im Kontext des Wandels der Machtbalancen begreift. Denn der neuralgische Punkt, an dem sich der rechte Zorn entzündet, ist der Umstand, dass die bislang durch spezifische Zugehörigkeiten verbürgte soziale Stellung im Verhältnis zu aufsteigenden Außenseitergruppen ins Wanken geraten ist. Es sind somit Machtkämpfe in der von Elias und Scotson (1990) untersuchten Figuration von Etablierten und Außenseitern, bei dem sich die Etablierten ein Gruppencharisma zuschreiben, während sie die unterlegene Gruppe durch Stigmatisierungen und Abwertungen in den Stand der Gruppenschande versetzen, welche die Urszene rechtspopulistischer Gefühlslagen darstellt. Die Etablierten sind als die Alteingesessenen zutiefst davon überzeugt, über besondere Befähigungen und höhere moralische Standards zu verfügen. Gleichwohl geht eine stete Bedrohung von den Außenseitern aus, deren bloße Existenz als Angriff auf ihr Wir-Bild und ihre Machtressourcen wahrgenommen wird und der Kontakt mit diesen wird, da diese als minderwertige Menschen gelten, sorgfältig vermieden.[20] Umso stärker fällt jedoch die Ablehnung aus, wenn sich der Stern einer Etabliertengruppe tatsächlich im Sinken befindet. Unter diesen Bedin-gungen scheint es den Betroffenen nun so, als ob die Außenseiter versuchen würden, durch regelwidriges Verhalten in die Machtzentren vorzudringen und den bislang Etablierten den Rang streitig zu machen.

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass Abstiegswellen im Zuge der neoliberalen Transformation auch in mittleren und privilegierten Soziallagen zu Deklassierungen geführt und die Angst vor andrängenden Außenseitergruppen forciert haben. Relative Positionsverluste erleiden nicht nur traditionelle Facharbeiter und Handwerker, sondern auch Akteure in bislang privilegierten Stellungen (Drasch 2009): Akademiker, die sich nicht rechtzeitig auf die Wissensökonomien eingestellt und am Ethos ihrer Profession festgehalten haben; Gelehrte, die den Anschluss sowohl an die Strukturen der Bologna-Universitäten wie auch an die Welt der medialen Aufmerksamkeitsökonomien verloren haben (Münch 2011); Juristen, Mediziner oder Pädagogen, die sich nicht in die Strukturen des New Public Management einfügen konnten oder wollten; Unternehmer und Führungskräfte „alter Schule", die nunmehr weder im Mittelstand noch in den großen Konzernen eine ökonomische Basis finden. Aber auch ältere Menschen, die im Sog immerwährender "Umstrukturierungen" in den Vorruhestand geschickt wurden und nun erkennen müssen, dass ihr Lebenswerk hinfällig wird, sind deklassiert worden (Littler et al. 2003). Gruppenbezogene Positionsverluste sind aber keineswegs auf Berufsgruppen begrenzt, sie zeigen sich derzeit auch im Geschlechterverhältnis, etwa im Verlust männlicher Vorrechte, wie sie ehemals durch die Rolle des Mannes als Vorstand und Ernährer der Familie verbürgt waren (Koppetsch/Speck 2015).

Von allen Gruppen sind es die altindustriellen Fraktionen der unteren Mittelschicht in den westlichen Ländern, die am sichtbarsten an Bedeutung verloren haben. In Deutschland etwa haben Prozesse der De-Industrialisierung im Ruhrgebiet und vor allem auch in Ostdeutschland zur Verarmung und Entleerung ganzer Landstriche geführt (Gornig/Goebel 2013) und einen Rechtsruck in den betroffenen Regionen nach sich gezogen. Status- und Machtverluste erlitten die altindustriellen Gruppen sowohl auf nationaler Ebene gegenüber den aufsteigenden, kosmopolitisch-liberalen Gruppen, wie auch auf internationaler Ebene gegenüber den Mittelklassen der aufschließenden BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika). Denn während die Einkommensungleichheiten innerhalb der westlichen Welt gewachsen sind, haben vor allem viele asiatische Länder den Status von Entwicklungsländern hinter sich gelassen und eine neue globale Mittelschicht hervorgebracht (Milanovic 2016). Dass die führenden Industrienationen mit dem Aufstieg asiatischer Wirtschaftsmächte einen Teil ihrer vormaligen Größe eingebüßt haben,  rührt daher oftmals empfindlich am Selbstwert all jener Gruppen, die ihre einstige Bedeutung und Identität den Strukturen der Industriemoderne verdankten und nun den Eindruck haben, auf einem absteigenden Ast zu sitzen. Sie sehen sich von den ehemals wirtschaftlich unterlegenen Nationen und ihren Mittelschichten eingeholt, wenn nicht sogar überholt. Das Verlangen nach Restauration der alten Ordnung entzündet sich nun oftmals an den leibhaftigen Repräsentanten des Wandels, den Fremden, den Muslimen und den Flüchtlingen, denen nun die Rolle der Sündenböcke für die Verwerfungen der Globalisierung zugeschrieben werden kann. Indem Flüchtlinge auch in der medialen Berichterstattung stets mit dem Thema Gewalt und Aggression in Verbindung gebracht werden, wiederholt sich der immer gleiche Vorwurf, den Etablierte zumeist gegen Außenseiter gerichtet haben, nämlich der Vorwurf, anomisch und undiszipliniert zu sein (Elias/Scotson 1990).

Die Ausgrenzung und Stigmatisierung von Außenseitern allein führt allerdings noch nicht zur politischen Mobilisierung. Die Figuration der Etablierten/Außenseiter muss daher um die Rolle eines Dritten erweitert werden, wenn die Dynamik rechtspopulistischer Mobilisierung hinreichend verstanden werden soll. Der Dritte in der Figuration ist das politische Establishment. Dessen Aufgabe sollte aus der Sicht der Etablierten darin bestehen, die Interessen der Etablierten zu schützen und die alte, „gerechte“ Ordnung zu restaurieren und die „gute Moral“ wieder herzustellen. Doch genau dies geschieht aus der Sicht der Betroffenen nicht – im Gegenteil: Das Establishment treibe die destruktiven Kräfte der Globalisierung noch weiter voran und reiche auch noch den Außenseitern, nicht den „eigenen Leuten“, die Hand, gebe den Flüchtlingen günstigen Wohnraum, Sozialleistungen und mahne obendrein noch zu Rücksichtnahme. Die Betroffenen fühlen sich nun vom „System“ verraten, da nicht einmal die Regierung auf ihrer Seite zu stehen scheint. Daraus resultiert auch der populistische Hass auf das Establishment. Indem die kosmopolitischen Eliten fordern, Migranten oder Flüchtlinge „gut“ zu behandeln und Frauen oder Homosexuelle nicht zu diskriminieren, statt die Interessen der eigenen Gruppe zu schützen, begehen sie aus ihrer Sicht Verrat an den Etablierten. Die mitunter ausufernde Hetze gegen Migranten und „den Islam“ muss daher auch als Teil eines Rachefeldzuges gegen das Establishment und eine Befreiung von den Gefühls- und Sprachnormen der politisch korrekten Umgangsformen verstanden werden.

Katherine Cramer (2016) hat die spezifische Dynamik dieser Dreiecks-Figuration zwischen Etablierten, Außenseitern und politischem Eliten in ihrem jüngsten Buch „The Politics of Resentment“ aufgearbeitet. Bei ihrer Feldforschung im ländlichen Wisconsin stellte sie fest, dass im Kollektivbewusstsein der Befragten stets das Gefühl keimt, den verdienten Anteil nicht zu erhalten und für die eigenen Leistungen und enormen Arbeitseinsätze von den Eliten nicht mehr gewürdigt zu werden. Andere Gruppen hingegen – wie etwa Schwarze, Homosexuelle, Städter sowie staatliche Angestellte – würden scheinbar mühelos an einem vorbeiziehen und ihnen ungerechtfertigte Vorteile und Privilegien erhalten. Dabei ist das Empfinden vorherrschend, gleich in zweifacher Hinsicht Opfer von Ungerechtigkeiten ge-worden zu sein: Zum einen, weil die städtischen Eliten einen größeren Teil des Kuchens für sich behalten und auf die „einfachen Leute" herabblicken und zum anderen, weil diese vorgeblich mit den Schwarzen gemeinsame Sache machen würden, deren „lockere Lebensweise“ sie durch deren soziale Akzeptanz in gemischten Wohngebieten und durch Wohlfahrtsprogramme unterstützen würden (ebd.: 85ff).

Ob Ressentiments durch rechtspopulistische Parteien auch tatsächlich erfolgreich geschürt bzw. bedient werden können, hängt davon ab, ob die jeweils stigmatisierten Außenseiter – etwa Migranten, Flüchtlinge – interdependente Außenseitergruppen darstellen und somit als Konkurrenten um begehrte Güter, um gesellschaftliche Machtpositionen, Arbeitsplätze, Wohnraum, Sozialleistungen oder staatliche Zuwendungen, wahrgenommen werden. In den eher privilegierten Milieus sozial gentrifizierter Stadtbezirke oder in herrschenden Klassen, die über exklusive Lebensräume und höhere Gehälter sowie über wirksame Schließungsmechanismen gegenüber Flüchtlingen und Migranten verfügen, ist dies in der Regel nicht der Fall, weshalb offen fremdenfeindliche Anwandlungen hier zumeist nicht geteilt werden. Doch auch diese Gruppen kennen ihre „Außenseiter“. In gentrifizierten Stadtteilen, wie etwa Prenzlauer Berg oder Kreuzberg in Berlin zum Beispiel, treten „Schwaben“ oder „Touristen“ in die Rolle der unliebsamen Eindringlinge. In männlich dominierten Berufen werden oftmals Frauen als Außenseiter wahrgenommen. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Außenseitergruppen stets, dass sie aus der Perspektive der Etablierten jeweils als Angriff auf die Moral wie auf die Machtressourcen wahrgenommen werden. Dies erklärt, warum Flüchtlinge vor allem in strukturschwachen Regionen Deutschlands und insbesondere in Ostdeutschland, in denen Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit staatliche Transferleistungen erhalten und somit von den Zuweisungen aus öffentlichen Kassen angewiesen sind, stigmatisiert werden. Hier gewinnt die Frage, wer überhaupt dazu gehört, also wer zur staatlichen Unterstützung überhaupt berechtigt ist, eine zentrale Bedeutung. Auch der Zugang zu günstigem Wohnraum und Arbeitsplätzen soll aus der Sicht der Eigengruppe primär den Alteingesessenen vorbehalten bleiben. Die bloße Möglichkeit, die Zugewanderten könnten als „unberechtigte“ Empfänger von staatlichen Zuwendungen profitieren oder auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt werden, potenziert das Gefühl der Deklassierung und kulminiert in der Behauptung, „die Flüchtlinge“ würden von der Regierung gegenüber den Alteingesessenen bevorzugt.[21]

4. Die emotionalen Triebfedern rechtspopulistischer Proteste

Versucht man in dieser Weise den unerwarteten Erfolg der Rechtspopulisten im Kontext der Transformation von Klassengesellschaften im 21. Jahrhundert zu deuten, wird sichtbar, dass es in den politischen Kämpfen weniger um Verteilungs- als um Kulturkonflikte, d.h. um Auseinandersetzungen um Weltsichten, vor allem zwischen auf- und absteigenden Gruppen geht. Während aufsteigende Gruppen Umgangsformen verfeinert und neoliberale Subjektivierungsformen internalisiert haben, sind andere Gruppen wütend darüber, dass ihre Werte und Arbeitseinsätze nicht mehr zählen sollen und sie einen Geltungsverlust von Ethos und Habitus hinnehmen mussten (Wimbauer 2015). Daher greift die Behauptung, es handele sich bei den Rechtswählern um „Globalisierungsverlierer", zu kurz. In der rechten Revolte manifestiert sich nicht in erster Linie ein Widerstand gegen materielle Deprivationen, sondern die Verteidigung des bedrohten Status‘.

Doch nicht alle Menschen, deren Status durch soziale/berufliche Abstiege oder Modernisierungsschübe bedroht ist, erliegen der rechtspopulistischen Versuchung. Wovon hängt das im Einzelnen ab? Der Unterschied zwischen liberalen und rechtspopulistischen Grundüberzeugungen besteht nicht etwa darin, wie viele Liberale glauben mögen, dass sie selbst die Aufgeklärten und daher „fortschrittlich“ und „gut“ und die anderen, also die Rechten, unreflektiert, moralisch verwerflich und „irrational“ seien. Der Unterschied besteht in einer milieuspezifischen Deutung sozialer Statuskonflikte und Erfahrungen des Scheiterns, die mit spezifischen mentalen Panoramen sozialer Ungleichheiten und Gefühlskulturen einhergehen. In liberalen Milieus werden Deklassierungen – völlig unbeeinflusst von gesellschaftskritischer Rhetorik, die in erster Linie auf kapitalistische Herrschafts- oder Ausbeutungsverhältnisse abzielt – als individuelles Versagen gedeutet und empfunden. Im Zentrum von Status- und Ungleichheitskonflikten stehen individuelle Gefühle der Unter- oder Überlegenheit. Tief im Inneren ist die Überzeugung vorherrschend, dass individuelle Defizite, etwa mangelnde Fähigkeiten oder Fehlentscheidungen, zum Misserfolg geführt haben müssen. Das vorherrschende Gefühl biografischen Scheiterns ist das Gefühl persönlicher Minderwertigkeit und die Scham über die Unfähigkeit, den Anforderungen des Ich-Ideals tatsächlich auch zu genügen. Wie Alain Ehrenberg (2004) gezeigt hat, sind die daraus resultierenden Pathologien nicht unproblematisch, sie sind allerdings weniger gegen die Gesellschaft im Ganzen sondern gegen das eigene Selbst gerichtet: Sie manifestieren sich in Suchtverhalten, Depressionen oder ganz allgemein in selbstbezüglicher Destruktivität.[22]

Ein völlig anderes Bild zeigt sich, wenn die Betroffenen den Eindruck gewinnen, dass sie nicht allein, sondern als Teil einer bislang etablierten Gruppe oder gar als Teil einer gesellschaftlichen Mehrheit von Deklassierungen, Status- oder Geltungsverlusten betroffen sind. Persönliche Abstiegserfahrungen werden dann weniger als individuelles Scheitern, sondern eher als Symptom eines gesamtgesellschaftlichen Niedergangs gedeutet. Im Kollektivbewusstsein der deklassierten Gruppen ist dann das Gefühl vorherrschend, am Guten festgehalten zu haben und trotz nachweislicher Überlegenheit und moralischer „Größe" an gesellschaftlicher Wertschätzung einzubüßen. Diese Haltung erlaubt, am eigenen Gruppencharisma festzuhalten und die Wiederaufrichtung der Gruppenehre – etwa der männlichen Ehre, der Größe der Nation oder des durch Modernisierungsprozesse ausgehöhlten Berufsethos' – zu fordern.[23]

Die Heterogenität dieser Anrufungen macht deutlich, dass die Anhängerschaft des Rechtspopulismus gerade keine soziale Klasse im Sinne einer homogenen Lebenslage bildet, sondern ein breites sozialstrukturelles Spektrum umfasst und somit ein klassenübergreifendes Bündnis unterschiedlicher, kulturell deklassierter Gruppen bildet. Darin sind Arbeiter und kleine Gewerbetreibende genauso eingeschlossen, wie auch Mittelschichtseliten und Akademiker,[24] Rentner genauso wie spezifische Gruppen von Erwerbstätigen, Teile der Landbevölkerung genauso wie urbane „Verlierer“. Unter dem Dach der propagandistischen Leerformel „Wir sind das Volk“ können ganz unterschiedliche Statusprojekte adressiert werden: die männliche Ehre, die Würde der Arbeiter oder der Landbevölkerung, die Privilegien der autochthonen Deutschen oder der weißen Amerikaner, die entwertete Berufsehre oder auch die in Ostdeutschland häufiger problematisierte „Heimat".

Auf diese Weise werden Rahmenerzählungen geschaffen, die Gefühle von Solidarität und Zugehörigkeit mit anderen Gruppenmitgliedern stärken und die den Wunsch nach Wiederherstellung der einstigen Größe und der Gesellschaftsordnung nähren sollen: vor den Zeiten von Globalisierung, Einwanderung, Feminismus und technologischem Wandel. Indem sie den Pionieren und Trägern der Postmoderne die Verantwortung für den vorgeblichen Niedergang des Landes zuweisen, nehmen sie eine radikale Abkehr von der liberalen Weltsicht vor.

Das emotionale Einfallstor für diese Weltsicht ist das Ressentiment, das nach Max Scheler (1978 [1912]) eine moralische Ventilfunktion erfüllt. Ressentiments bieten in einer Situation der Ohnmacht und der Unterlegenheit emotionale Entlastung, denn sie ermöglichen, das Gute und Wertvolle der Anderen, der Privilegierten, ja der Gesellschaft im Ganzen, nicht wertschätzen, ja nicht einmal mehr wahrnehmen und empfinden zu müssen. Ressentiments erlauben, Ohnmacht in moralische Empörung, Scham in Rache zu verwandeln. An die Stelle des Neides auf die Vorzüge der „Gewinner" tritt der Vorwurf ihrer unverhohlenen Anmaßung, ihrer (sexuellen) Laxheit und moralischen Dekadenz. Derartige Ressentiments gegenüber modernen Lebensformen und Lebensstilen werden seitens absteigender Gruppen oftmals gegenüber gesellschaftlich aufstrebenden Gruppen artikuliert.

Selbstverständlich ist mit der Kollektivierung von Status- und Identitätsbedrohungen allein noch nicht determiniert, in welche politische Richtung die moralische Empörung und die Rachegefühle der demoralisierten Gruppen ausschlagen. Ressentiments müssen nicht notwendig von rechts, sie könnten auch von links gespeist werden. Und die Wiedereinsetzung von Gruppenehre und Kollektivstolz hatte in der Aufrichtung des „klassischen" Arbeiterbewusstseins, im politischen Kampf der Linken etwa, auch eine zentrale Bedeutung (Beaud/Pialoux 2004). Diese Rahmenerzählung ist heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, allerdings bedeutungslos geworden, nicht zuletzt auch deshalb, weil Modernisierung heute, anders als noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert, von vielen Menschen heute nicht mehr als Fortschritt sondern als Rückschritt, als negative Individualisierung und Desintegration, erfahren wird.

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  1. So wird berichtet, dass nach jahrzehntelangem Wachstum die Einkommensmittelschicht wieder kleiner werde (Grabka/Frick 2008) und dass Ängste vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg wachsen würden (Groh-Samberg et al. 2014; Lengfeld/Hirschle 2010; Herbert-Quandt-Stiftung 2007; Vogel 2009, 2011; Heinze 2011; Mau 2012; Burkhardt et al. 2012). Soziale Spaltungen und eklatante Einkommensungleichheiten werden als Anzeichen einer Krise der Mittelschicht gedeutet (Bude 2008; Castel 2000; Kronauer 2002; Castel/Dörre 2009; Bude/Willisch 2008; Busch et al. 2010; Lessenich 2009; Koppetsch 2013).
  2. In Europa markierte die Europawahl 2014 eine Zäsur, denn sie brachte vielen europäischen rechtspopulistischen Bewegungen Rekordergebnisse ein, wobei sich der Anteil der auf die rechtspopulistischen Wählerparteien entfallenden Stimmen von 5,1% auf 13,2% (Inglehart/Norris 2016) mehr als verdoppelt hat. Dass die Front National in Frankreich oder die UKIP in Großbritannien zur jeweils stärksten Partei ihres Landes aufsteigen könnten, schien bis dato undenkbar (Hillebrand 2015: 7).
  3. Auch weist die AfD im Vergleich zu ihren rechtspopulistischen europäischen Schwesterparteien Besonderheiten auf: Sie ist hinsichtlich ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik neoliberaler und hinsichtlich ihrer Familienpolitik konservativer. So ist beispielsweise die französische Front National sehr viel markt- und kapitalismuskritischer eingestellt und vertritt eher sozial-protektionistische und somit wirtschaftspolitisch linke Positionen. Hatten in der Anfangszeit in der AfD zwei verschiedene Ausrichtungen von Beginn an miteinander gerungen, so setzte sich mit dem von Frauke Petry angeführten „nationalkonservativen“ Flügel eine stärkere identitätspolitische Stoßrichtung durch, bei der migrations- und asylpolitische Themen im Zentrum stehen und bei der rechtskonservative Familien- und Geschlechterbilder einen größeren Raum einnehmen als etwa in den westeuropäischen Vergleichsländern (Decker et al. 2015: 115).
  4. Während bereits einige sehr gute politikwissenschaftliche Analysen zum politischen Potenzial rechtspopulistischer Parteien existieren (Mouffe 2007; Kriesi et al. 2006; 2015; Priester 2013; Hillebrand 2015; Cuperus 2015; Jörke/Selk 2015), steht eine soziologische Analyse der gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründe des Aufstiegs der Rechtsparteien noch aus (Knöbl 2016).
  5. Laut Elias sind Habitus, Selbst- und Weltbilder in soziale Figurationen und gruppenspezifische Konkurrenzordnungen eingebunden (Elias 1992: 176). Laut Bourdieu wurzeln Welterfahrungen im sozialen Raum.
  6. Sarrazin prognostiziert die abnehmende Produktivität und Leistungsfähigkeit Deutschlands, da überdurchschnittlich viele Kinder in bildungsfernen Schichten mit vermeintlich unterdurchschnittlicher Intelligenz aufwüchsen. Auch sieht Sarrazin in erster Linie Erbfaktoren als Ursache für das Versagen türkischer Migranten im Schulsystem.
  7. Eine von der Gesellschaft für Konsumforschung durchgeführte repräsentative Studie zur Käuferschaft der Schrift stellt fest, dass gerade nicht die Arbeiterschicht oder die Menschen in sogenannter „einfacher Lage“ das Buch gekauft haben, sondern in erster Linie die Besserverdienenden und Menschen mit überdurchschnittlicher Bildung (Kniebe 2011). Zu den Käufern gehören mehr Männer als Frauen, die über 60-Jährigen sind überproportional vertreten, ebenso die Altersgruppen der 20- bis 29-Jährigen, die sich am Berufsstart befinden. Vor allem Aufsteiger und Leistungsorientierte finden sich unter der Käuferschaft. Denn die Mehrheit (74 Prozent) gibt an, dass „in meinem Leben beruflicher Erfolg an erster Stelle“ steht. Die Aussage „Ich gehe gerne Risiken ein“ wird hingegen von 60 Prozent der Sarrazin-Leser verneint. Es handelt sich bei den Sarrazin-Lesern also um ein Publikum, das der gehobenen Mittelschicht angehört.
  8. Auf derartige Überschneidungen hat die politische Soziologin Jasmin Siri (2015), etwa im Zusammenhang mit der Biografie und dem familien- und sexualpolitischem Engagement der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch sowie im Hinblick auf die Berichterstattung der Jungen Freiheit zu den Demonstrationen der christlichen Eltern gegen Sexualerziehung im Schulunterricht oder auf die Sonderausgabe der rechtskonservativen Zeitschrift „Sezession“ zur rechtspopulistischen Bewegung Pegida, hingewiesen. Darüber hinaus sind personelle Überlappungen auch zwischen Burschenschaften, AfD-Wählern und rechtsextremen Organisationen erwähnenswert.
  9. Die Rede ist von „Gender-Wahn“ und „Gender-Unfug“, von der „Profilierungssucht“ der „Genderfrauen“, deren illegitimer Usurpation von Professuren und Lehrstühlen, sowie davon, dass die Gender-Studies naturwissenschaftlich bewiesene und objektive Tatsachen ebenso wenig zur Kenntnis nähmen wie den „gesunden Menschenverstand“.
  10. Bourdieu bestimmt den Zusammenhang von Klasse und Klassifikation und das dynamische Relationsgefüge von Klassenfraktionen anhand von drei Dimensionen: Erstens, das Volumen bzw. der Umfang des insgesamt zur Verfügung stehenden ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals, zweitens die Struktur bzw. die Zusammensetzung des Kapitals; und drittens die soziale Laufbahn bzw. der Werdegang einzelner Gruppen oder gesellschaftlicher Kollektive.
  11. Bourdieu verdeutlicht den Einfluss der Flugbahnen auf den Habitus am Beispiel des Psycho- und Soziogramms unterschiedlicher Fraktionen der unteren Mittelschicht, d.h. des Kleinbürgertums (Bourdieu 1982: 500ff). Während das aufstrebende, neue Kleinbürgertum, das in medizinisch-sozialen Pflegeberufen oder als populäre Kulturvermittler tätig ist, symbolische und materielle Gewinne aus kulturellen Modernisierungsprozessen ziehen kann, ist das absteigende Kleinbürgertum, als die älteste Fraktion der Mittelschicht, von der wirtschafts- und berufsstrukturellen Entwicklung jeweils besonders stark bedroht. Das neue Kleinbürgertum gehört nach Bourdieu daher zu den Trägergruppen progressiver Weltsichten und liberaler Lebensformen, während das traditionelle Kleinbürgertum zumeist an überkommenden Normvorstellungen und Wahrnehmungskategorien festhält, pessimistische Zukunftsvorstellungen hegt und den modernen Berufsparten als den Trägern der modernen Lebensführung mit Ressentiments begegnet. Die von Bourdieu gemachten Beobachtungen sind bis heute gültig.
  12. Dies unterscheidet die AfD vor allem von Ländern wie etwa Österreich, Belgien, Frankreich und Norwegen, in denen die jeweiligen rechtspopulistischen Parteien sehr viel stärker von Angehörigen der unteren Mittelschicht/des Kleinbürgertums gewählt werden (Oesch 2008; Inglehart/Norris 2016).
  13. So sind es nicht die Hauptverlierer der Globalisierung, wie etwa geringqualifizierte oder ungelernte Arbeiter in den Städten, Sozialhilfeempfänger oder „Arme“, die zu den wichtigsten Wählergruppen gehören (Inglehart/Norris 2016: 129).
  14. Wer sich in den seit etwa 10 Jahren existierenden Kommentarspalten oder Blogs wie political incorrect umschaut, wird sehr schnell feststellen, dass die hier sich artikulierende Gegenöffentlichkeit, die etwa gegen Angela Merkel, „die Medien“, die Schwulenehe, den „Genderwahn“, die „Frühsexualisierung“ oder den Islam polemisiert, keineswegs ausschließlich aus der Arbeiterklasse stammt. Die meisten Einträge sind von Menschen mit (oftmals akademischer) Bildung und überdurch-schnittlichen zeitlichen Ressourcen verfasst worden.
  15. Diese kann so nachhaltig sein, dass die Persönlichkeitsdispositionen nur noch schlecht an die gewandelten objektiven Möglichkeiten angepasst sind, was im Einzelfall etwa zu Abspaltungsprozessen des beruflichen Abstiegs und zur Ausbildung eines falschen Selbst führen kann – im Sinne der oben skizzierten Camouflage oder Hochstapelei.
  16. Bourdieu hat den Hysteresis-Effekt anhand von aufstrebenden Gruppen der Mittelschicht illustriert, deren Qualifikationen und Bildungsabschlüsse durch Modernisierungsschübe oder Bildungsexpansionen an Exklusivität eingebüßt oder insgesamt entwertet worden sind, und denen es nun schwerfällt, nicht mehr die Wahrnehmungs- und Beurteilungskriterien anzuwenden, die den mit der verlorenen Position verbundenen Berufs- und Lebenschancen entsprachen (Bourdieu 1982: 171).
  17. Anders als in Deutschland spielen das Geschlecht und die Bildung mit Ausnahme der Höchstgebildeten, die eine eindeutige Präferenz für Clinton erkennen lassen, für den Wahlerfolg Trumps in den USA keine so entscheidende Rolle [Tabelle 2].
  18. Demgegenüber kann vermutet werden, dass linke Ideologien und Protestformen eher dann entstehen, wenn soziale Verwerfungen aus blockierten Optionen in einer insgesamt aufwärtsmobilen Gesellschaft zurückzuführen sind. Aufwärtsmobile Gruppen bringen eher linke Ideologien hervor. Sie glauben eher an eine bessere Zukunft, an den „Fortschritt" und tendenziell auch eher an universalistische und humanistische Ideale - ganz unabhängig davon, dass auch in gesellschaftlich aufwärtsmobilen Gruppen individuelle Abstiege möglich sind.
  19. Auch tariflich oder betrieblich geschützte Facharbeiter in der Produktion befinden sich, etwa gegenüber Leiharbeitern, Erwerbstätigen in einfachen Dienstleistungsberufen, gegenüber Frauen innerhalb desselben Milieus und nicht zuletzt gegenüber Sozialhilfeempfängern, in einer privilegierten Position.
  20. So können die Autoren am Beispiel der Gemeindestudie zu Winston Parva zeigen, dass sich Etabliertengruppen – zu Recht oder zu Unrecht – durch die Außenseiter einem „dreifachen Angriff“ ausgesetzt sehen: gegen ihre monopolisierten Machtquellen, von denen die Außenseiter ausgeschlossen sind; gegen ihr Gruppencharisma, das Ausdruck der eigenen Höherwertigkeit ist und schließlich gegen ihre Gruppennormen, die Verhaltensstandards definieren, denen die Außenseiter vermeintlich oder real nicht genügen (ebd.: 56).
  21. Aufschlussreich ist vor allem die Neigung, den Außenseitern, als Vorwurf, Einstellungen und Verhaltensweisen nachzusagen, die zum eigenen Einstellungsrepertoire der Etablierten zählen und hier oft genug Lob einbringen. So wird den Flüchtlingen oftmals vorgeworfen, „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu sein, und somit ihr Land verlassen zu haben weil sie in der Fremde eine Verbesserung ihrer ökonomischen Lebensbedingungen erwarten.
  22. So steht der Alkohol- oder Suchtabhängige nach Ehrenberg für ein Selbst, das durch die Einnahme einer Substanz den Weg durch den Konflikt vermeidet. Die Depression steht für das Gefangensein in einem idealisierten Bild des eigenen Selbst, das die Grenzen seiner eigenen Macht nicht anerkennen kann. In beiden Fällen resultieren Pathologien aus dem Unvermögen, die gesellschaftliche Bedingtheit und Beschränktheit der eigenen Existenz nachzuvollziehen.
  23. Derartige Deutungsmuster liegen etwa auch den Kommentaren zu "Gendermainstreaming" und Transgendertoiletten in Blogs und Social Media zugrunde, die als Versuche der Re-Souveränisierung verstanden werden können (Wimbauer 2015). Demnach seien es heute nicht mehr Frauen, sondern die Männer, nicht die Homosexuellen, sondern die "straighten" Menschen, die „Normalos", nicht die Fremden, sondern die Einheimischen, die Deutschen, die Weißen, etc., die benachteiligt würden. Durch die widersinnige Bevorzugung der „Randgruppen" bzw. „Minderheiten“ sei man nun selbst zum Opfer sozialer Degradierungen geworden.
  24. So finden sich abwärts gerichtete Werdegänge nicht nur bei Facharbeitern, sondern etwa auch in akademischen Berufsgruppen, deren Monopolstellung durch das „Aufplatzen des Wissens" (Knorr-Cetina) durch Wissensmärkte und die globale Ausweitung von Konkurrenzbedingungen aufgehoben worden ist.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Baran Korkmaz.

Kategorien: Kultur Demokratie Gruppen / Organisationen / Netzwerke

Cornelia Koppetsch

Dr. Cornelia Koppetsch ist Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Gegenwartsdiagnosen; Biografie und Lebensführung;  Geschlechterverhältnisse, Familie und soziale Ungleichheiten.

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