Annemarie Matthies | Essay |

Was weiß die Literatur?

Disziplinäre Differenzen im analytischen Zugang zum fiktionalen Text

Komposita, die das Nomen ‚Wissen‘ enthalten, erfreuen sich nicht nur in der Soziologie anhaltender Beliebtheit. Auch anderen Disziplinen gelten Gegenstände als besonders erforschenswert, die Aufschluss über den Wissensfundus der Gesellschaft versprechen. Ins Suchfeld von Gegenwartsdiagnostikern geraten nicht allein Erzeugnisse der Wissenschaften, sondern auch diverse alltagsweltliche und künstlerische Artikulationsformen bzw. -medien, in denen Wissen produziert und praktiziert, artikuliert und gespeichert werden könnte.[1] Vor allem fiktionale Literatur wurde in der vergangenen Dekade als Wissensmedium (wieder)entdeckt – bislang allerdings weniger von der Soziologie[2] denn von der Literaturwissenschaft. Deren Zugänge unterscheiden sich deutlich vom ‚soziologischen Blick‘ auf Literatur, sind aber für nicht-philologische Erkenntnisinteressen durchaus anschlussfähig. Im Folgenden sollen daher zentrale Unterschiede zwischen den disziplinären Herangehensweisen an (das Wissen der) Literatur skizziert werden. Im Anschluss möchte ich ausloten, welche Potenziale diese für ein gesellschaftswissenschaftliches Interesse bereithalten.

Disziplinäre Standpunkte zum Text als ‚Wissensmedium‘

Einerseits gilt: Dass fiktionale Literatur nicht nur ein Medium der Zerstreuung ist, sondern als ‚wissenshaltig‘ definiert werden kann, ist für die Soziologie keine brandneue Entdeckung. Überblicksartikel über die Literatursoziologie[3] zeugen davon ebenso wie Aussagen anerkannter ‚Größen‘ der Disziplin. So bestimmt Niklas Luhmann fiktionale Literatur als gesellschaftstheoretisch ernstzunehmendes „Medium für Ordnungsmöglichkeiten“.[4] Wenn der gerade in der Wissenssoziologie einst einflussreiche Sozialphilosoph Paul Feyerabend festhält, dass die „Dichtkunst, das Epos, das Drama […] Mittel zur Darstellung individueller Eigentümlichkeiten und sozialer Gesetze“ entwickeln, und zwar „lange bevor die wissenschaftliche Psychologie und Soziologie sich der Sache annehmen“[5], wird zudem deutlich, dass der Literatur auch im historischen Rückblick das Vermögen zugesprochen wird, Gesellschaft und ihre Elemente auf eine Weise zu verhandeln, die zwar nicht mit wissenschaftlichen Darstellungen gleichzusetzen ist, aber dennoch theoretische Bestimmungen ihres Gegenstands liefert.

Andererseits gibt die Disziplin kaum Antworten auf Fragen danach, welche spezifischen Mittel der fiktionalen Literatur dabei zur Anwendung kommen, welche konkreten Ordnungsmöglichkeiten sie entwirft und inwiefern sich ihre darstellerischen Verfahrensweisen von denen der Geistes- und Sozialwissenschaften unterscheiden. Ihr theoretisches Wissen über den Charakter fiktionaler Literatur sowie ihre Zugänge zum Material stehen in einem diskrepanten Verhältnis zueinander. Setzt sich die Soziologie analytisch mit dem fiktionalen Text auseinander, so geschieht das nach wie vor zumeist so, wie es Jörg Schönert in einem Überblick über systemtheoretische Grundlegungen der Literatursoziologie in den 1970er- und 1980er-Jahren beschreibt: Die Soziologie behandelt den literarischen Text insofern als black box, als sie sich dafür interessiert, was „zu den Texten hinführ[t] oder von ihnen ausgeh[t]“.[6] Anders gesagt: Sie untersucht, in all ihren unterschiedlichen Facetten, anstelle der Inhalte primär das ‚Äußere‘ der Literatur – etwa die „literarische Produktion“, die „literarische Rezeption“ oder das „literarische Feld“.[7]

Anders sieht das in der Literaturwissenschaft aus: Zeitgenössische Vertreter der Disziplin verstehen fiktionale Literatur ausdrücklich als ein Medium, welches Wissen vermitteln kann.[8] Philologen beziehen den Wissensbegriff dabei auf die Besonderheiten des Mediums und seiner Verfahrensweisen. So erläutert Jochen Hörisch ähnlich wie Luhmann: Fiktionale Literatur „eröffnet systematisch abweichende Beobachtungen vertrauter und eingespielter Sachverhalte“ und konfrontiert „etablierte und anerkannte (z.B. common-sense oder wissenschaftliche) Diskurse mit alternativen Realitätsversionen“.[9] Sie halte insofern ein „Alternativ-Wissen“ [10] bereit, als sie „unwahrscheinlichen Wirklichkeitsversionen“ [11] Plausibilität und Glaubwürdigkeit verleihe.

Erzähltheoretiker, denen eher an einer Vermittlung zwischen faktualem und fiktionalem Text denn an deren Differenzierung gelegen ist, sind der Ansicht, dass zwar „selbst die freiesten poetischen Fiktionen auf ihre Weise welthaltig sind und überdies reichen Gebrauch von faktualistischen Schreibweisen machen“.[12] Dabei unterstellen sie jedoch eine relevante Spezifizität des Fiktiven:

Eines der Grundmerkmale des künstlerischen Erzähltextes ist seine Fiktionalität, d.h. der Umstand, dass die in ihm dargestellte Welt fiktiv ist. Der Begriff des Fiktiven, abgeleitet von lat. fingere […] bezeichnet Gegenstände, die ausgedacht sind, aber als wirklich vorgegeben werden. […]. Die Fiktion ist […] zu verstehen als die Darstellung einer eigenen, autonomen, innerliterarischen Wirklichkeit.[13]

Wichtig ist der Begriff der autonomen, innerliterarischen Wirklichkeit, dem ein die Disziplin prägender historischer Diskurs zu Grunde liegt. Diesen umfassend wiederzugeben, ist im Rahmen dieses Aufsatzes nicht möglich. Stattdessen verweise ich, gerade aufgrund des Kontrasts zu vielen soziologischen Perspektiven auf fiktionale Literatur sowie zum (mittlerweile obsoleten) Verständnis des Fiktionalen als Widerspiegelung der Wirklichkeit, zumindest auf eine in diesem Diskurs relevante Aussage:

Die Frage nach der Möglichkeit des Romans als eine ontologische, d. h. als eine die Fundierung im Wirklichkeitsbegriff aufsuchende, zu stellen, bedeutet also, nach der Herkunft eines neuen Anspruches der Kunst zu fragen, ihres Anspruches, nicht mehr nur Gegenstände der Welt, nicht einmal mehr nur die Welt nachbildend darzustellen, sondern eine Welt zu realisieren. Eine Welt – nichts Geringeres ist Thema und Anspruch des Romans.[14]

Die Welt des Romans reicht – ungeachtet aller ausführlich diskutierten existierenden Kontexte und außerliterarischen Bezüge – von seiner ersten bis zur letzten Seite. Die Darstellung ihrer autonomen, innerliterarischen Wirklichkeit erfolgt ‚umfassend frei‘:

[D]ie Erzählung herrscht […] in ihrem Reich bindungslos und allmächtig; sie muss sich um Kongruenz mit der äußeren Realität nicht kümmern; sie nimmt sich die Freiheit, alles und jedes zu einem Gegenstand in der Welt zu erklären. […] Wer deshalb vom homo narrans spricht, denkt den Menschen in seinem Vermögen, zu der Wirklichkeit, in der er lebt, sowohl ja als auch nein sagen zu können; moralisch gewendet, zu lügen; oder genauer, in der Fähigkeit, die Differenz zwischen real und irreal, wahr und falsch auszusetzen, aufzuheben, mit ihr zu spielen.[15]

Nicht allein dem erzählerischen Verfahren nach ist die fiktionale Erzählung frei und allein an ihrer eigenen, inneren Kohärenz orientiert; auch ihr inhaltliches Produkt unterliegt keinem anderen Maßstab als dem der inneren Stimmigkeit.

Das ‚besondere Wissen‘ der Literatur

Im wissenschaftlichen Diskurs oder in Spezialdiskursen auffindbare Narrative verfahren fraglos ebenfalls frei im erzähltheoretischen Sinne. Zu denken wäre etwa an soziologische Gegenwartsdiagnosen sowie an narrativ vermittelte Fälle der Medizin, des Rechts oder der Psychologie.[16] Gleichwohl werden solche Aussagen (idealerweise) nicht an ihrer erzählerischen Stimmigkeit gemessen, sondern daran, wie sachlich plausibel sie den verhandelten Gegenstand darstellen: Das Kriterium der Stimmigkeit, von Hörisch als „ästhetischer Code“ in den literaturwissenschaftlichen Diskurs eingeführt, relativiert sich angesichts der Frage, ob auch inhaltlich stimmt, was erzählt wird.[17]

Anders verhält es sich mit Fiktion: „Schöne Literatur ist schlicht von der Verpflichtung freigestellt, wie andere Rede- und Schreibgattungen [...] das sachlich Zutreffende zu sagen."[18] Die den anderen Erzählformen gegenüber besondere Freiheit des Fiktionalen begründet sich mithin nicht einfach dadurch, dass dessen Inhalte ‚ausgedacht‘ sind, sondern dadurch, dass sie dezidiert als ausgedacht legitimiert sind.[19] Dass fiktionale Literatur ihre Referenzobjekte nach eigener Maßgabe selektiert, neu ordnet und bei der Herstellung von Kohärenz weder einem (diskurs-)immanenten regelhaften Ablauf noch einem Pluralismus von Meinungen und Aussagen im weiteren Sinne gerecht werden muss, kann als relevante Differenz zu Erzählungen gelten, die der Faktualität verpflichtet sind.

Einerseits beschränkt das die Aussagekraft literarischer Darstellungen: Die wissenschaftliche Leitdifferenz wahr/unwahr findet hier insofern keine Anwendung, als Literatur für die Wahrheitsfindung schlicht nicht zuständig ist.[20] Andererseits wächst der Spielraum ihrer Inhalte: Wenn fiktionale Texte ihre Gegenstände verfremden, zuspitzen, übertreiben, alternative Sichtweisen ignorieren oder simplifizieren, verfahren sie nicht unlauter, sondern gemäß ihrer Eigenart. Der Begriff des darin enthaltenen Alternativ-Wissens zielt, zumindest bei Hörisch, keineswegs im Sinne eines epistemologischen Anarchismus auf ein anderes, ‚irgendwie genauso richtiges‘ Wissen. Vielmehr meint er die per se gegebenen Möglichkeiten der fiktionalen Literatur, eine Welt zu entwerfen, die frei ist von für andere Textformen geltenden Beschränkungen, und diese als Welt im Text als gültig zu verbürgen.

Daraus ergibt sich für den Begriff des (besonderen beziehungsweise alternativen) Wissens ein Vorbehalt: Per definitionem handelt es sich im Falle literarischer Erzählungen schließlich um etwas, was keiner Validitätsprüfung unterliegt. Nicht zu allen, aber doch zur Mehrzahl soziologischer Wissensbegriffe steht das in einem paradoxen Verhältnis. [21] Wer objektivierbares Wissen über einen Gegenstand erhalten möchte, ist gut beraten, sich an empirisch überprüfbare Fakten aus verlässlichen Quellen zu halten und eben nicht in einen Roman zu schauen. Dessen ungeachtet drückt sich in der innerliterarischen Wirklichkeit, der je singulären Welt des Romans zumal, ein Anspruch auf Plausibilität und Gültigkeit aus, der sich selten in einem bloßen spielerischen Ausgedachtsein erschöpft.

Ein Roman etwa, der sich der Arbeitswelt kurz nach der Jahrtausendwende widmet, mag eine sozioökonomisch unzutreffende, widerlegbare Darstellung einer bestimmten Berufsgruppe entwickeln. Höchstwahrscheinlich soll diese narrative Konstruktion keine ‚richtige‘ Auskunft über empirische Verhältnisse geben, kein zur Überprüfung freigegebenes Wissen hervorbringen. Zugleich aber ist die spezifische narrative Konstruktion, also die im Roman gültige Erscheinungsform der bestimmten Berufsgruppe, das, was der Roman über sie weiß. Dass etwa Angestellte in einem mittelständischen Betrieb eine geistlose, dem Mobiliar gleichzusetzende Masse sind, ist das, was der beispielhaft angeführte Roman als sein Wissen über diese spezifische Arbeitswelt vermittelt. – Was ein Text hingegen mit der narrativen Konstruktion seines Gegenstands sein will, ob literarischer Kommentar, wissenschaftsäquivalente Kritik, ästhetische Überhöhung, politische Dystopie oder nichts davon, ist eine andere Frage, die sich nur im Einzelfall prüfen lässt.

Verfahren der Literaturauswertung und ihr Potenzial

Die Literaturwissenschaft beansprucht, die Spezifik ihres Gegenstands nicht nur theoretisch zu erfassen, sondern ihr auch analytisch gerecht zu werden. Die Techniken, die sie dabei anwendet, sind, obgleich sie kaum so systematisiert vorliegen wie die Auswertungsmethoden der Soziologie, vielfältig und hier schwerlich zufriedenstellend zu skizzieren. Dass die Differenzen innerhalb der Disziplin, die so diverse Herangehensweisen wie die geisteswissenschaftliche Methode, die Hermeneutik oder die poststrukturalistische Literaturwissenschaft anwendet, groß sind, liegt auf der Hand. Eine nahezu banale Gemeinsamkeit vieler Zugänge, die in Bezug auf die Frage, inwiefern die Soziologie von Perspektiven der Literaturwissenschaft profitieren kann, jedoch bedeutsam ist, ist die folgende: „Seit es Literaturwissenschaft als Disziplin gibt, interpretieren diejenigen, die mit dieser Disziplin befasst sind, Texte. Bei dieser Interpretation (lat.: interpretatio = »Auslegung«, »Übersetzung«, »Erklärung«) geht es immer […] um »Verstehen«.“[22] Nun kann kaum behauptet werden, dass es der Soziologie nicht um das Verstehen ginge. Allerdings legt sie den Fokus, wenn sie sich fiktionaler Literatur zuwendet, allenfalls in bislang nicht systematisch ausgewerteten Einzelfällen auf das inhaltliche Narrativ. Insofern ist die Literaturwissenschaft – von Ausnahmen abgesehen – genuin ‚näher‘ am Text als die Soziologie, welche dazu neigt, die (fraglos ebenfalls aufschlussreichen) Produktions- und Rezeptionsformen von Literatur stärker zu beachten als die ‚erzählte Geschichte‘. Im Lichte dessen, was Klassiker und zeitgenössische Vertreter der Soziologie[23] über das besondere Vermögen der Literatur kundtun, ist das erstaunlich. Gerade einer an gesellschaftlichen (Selbst-)Beschreibungen interessierten Disziplin würde sich eine qualitativ wie quantitativ ergiebige Quelle erschließen, wenn sie den Blick auf die inhaltlichen Ordnungsmöglichkeiten und Bestimmungen sozialer Verhältnisse richtete, die ein literarischer Text erzählerisch hervorbringt. Nicht nur der Wissenssoziologie, sondern vor allem den Teildisziplinen, die an konkreten sozialen Elementen interessiert sind – zu denken wäre beispielsweise an Arbeit und Ökonomie, Bildung und Erziehung, Familie und Beziehung –, liegt mit deren zahlreichen Fiktionalisierungen gerade im zeitgenössischen Roman ein tatsächlich besonderes Wissen vor. Letzteres kann zwar den disziplinären Wissensstand nicht ergänzen, aber – je nach Fall – einen diesen affirmierenden oder aber korrigierenden, negierenden, zuspitzenden, unterlaufenden ‚alternativen‘ Charakter haben.

Es versteht sich von selbst, dass eine hermeneutisch geleitete, am erzählten Inhalt ausgerichtete Feinanalyse fiktionaler Texte andere Befunde erbringt als eine an klassischen inhaltsanalytischen Kategorien der qualitativen Sozialforschung ausgerichtete Untersuchung: Quantifizierungen, Kategorisierungen und daraus abzuleitende Verallgemeinerungen sind kaum zu erwarten; dafür aber eröffnet sich die Einsicht in Deutungsmuster, die dem Fiktionalen vorbehalten sind. Wird etwa in Romanen eine Berufsgruppe der Jahrtausendwende so verfremdet, dass ihre Angehörigen als geistlose Funktionsträger zweckfreier Prinzipien erscheinen, mag das sachlich falsch sein – es spiegelt aber doch einen Teil des gesellschaftlichen Wissensfundus über diese Gruppe und die Beweggründe ihrer Tätigkeit wider.[24] Die Erschließung des Letzteren kann (nur) über die rekonstruktive Analyse der je singulären innerliterarischen Wirklichkeit gelingen.

  1. So fragt beispielsweise das an der Universität der Künste in Berlin angesiedelte DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ nach Bedingungen, Effekten und kritischen Potenzialen einer spezifisch künstlerischen Wissensgenerierung.
  2. Eine in diesem Zusammenhang erwähnenswerte Ausnahme ist das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Fiction meets Science“, das sich seit 2014 dem Wissen literarischer Texte, insbesondere Utopien und Science-Fiction, widmet.
  3. So etwa der Artikel von Nicole Köck im Handbuch Spezielle Soziologien, in dem die Literatursoziologie von ihrer Geburtsstunde bis zu aktuellen Konsolidierungen als Teildisziplin skizziert wird (Nicole Köck, Literatursoziologie, in: Georg Kneer / Markus Schroer (Hrsg.), Handbuch Spezielle Soziologien, Wiesbaden 2010, S. 263–276).
  4. Niklas Luhmann am 13. Dezember 1990 in einem Interview mit Hans Dieter Huber in Bielefeld; veröffentlicht in: Texte zur Kunst 1 (1991), 4, S. 121–133; hier: S. 126.
  5. Paul Feyerabend, Wissenschaft als Kunst, Frankfurt am Main 1985, S. 48f.
  6. Jörg Schönert, Perspektiven zur Sozialgeschichte der Literatur, Tübingen 2007, S. 28. Wie eine Beglaubigung dessen liest sich Hans Norbert Fügens Argumentation, der 1971 dafür plädiert, dass sich die Soziologie als eine am Handeln und Interaktion interessierte Wissenschaft zwar mit Literatur, nicht aber mit deren Ästhetik befassen solle (vgl. Hans Norbert Fügen, Die Hauptrichtungen der Literatursoziologie und ihre Methoden, Bonn 1971).
  7. Diese Typologie ist dem von Andreas Doerner und Ludgera Vogt herausgegebenen Einführungswerk Literatursoziologie. Eine Einführung in zentrale Positionen (Wiesbaden 2013) entnommen.
  8. Im Jahr 2007 erschien eine breit rezipierte Aufsatzsammlung Jochen Hörischs unter dem Titel Das Wissen der Literatur. Im Wintersemester 2008/2009 startete ein gleichnamiges Promotionsprogramm an der Berliner Humboldt-Universität, das DoktorandInnen der Literaturwissenschaft einen internationalen Forschungs- und Arbeitszusammenhang bietet. 2011 erschien ein von Tilmann Köppe herausgegebener Sammelband unter dem Titel Literatur und Wissen. Theoretisch-methodische Zugänge, dem eine literaturwissenschaftliche Diskussion zur Reichweite des Wissensbegriffs (allerdings nicht nur) in fiktionalen Texten vorausging (vgl. hierzu etwa Roland Borgards, Wissen und Literatur. Eine Replik auf Tilmann Köppe, in: Zeitschrift für Germanistik 17 (2007), 2, S. 425–428).
  9. Jochen Hörisch, Vorwort, in: ders., Das Wissen der Literatur, München 2007, S. 10.
  10. Ebd.
  11. Ebd.
  12. Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt am Main 2012, S. 330.
  13. Wolf Schmid, Elemente der Narratologie, Berlin 2005, S. 32f.
  14. Hans Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans, in: Hans Robert Jauß (Hrsg.), Nachahmung und Illusion. Kolloquium Gießen, Juni 1963. Vorlagen und Verhandlungen, München 1964, S. 9–27, hier S. 20. Hervorhebung im Original.
  15. Koschorke, Wahrheit und Erfindung, S. 330. Hervorhebung im Original.
  16. Am Freiburger Graduiertenkolleg Faktuales und fiktionales Erzählen. Differenzen, Interferenzen und Kongruenzen in narratologischer Perspektive wird, in diesem Zusammenhang aufschlussreich, das Zusammenspiel von Faktualität und Fiktionalität in verschiedenen Text(sort)en sowie (audio-)visuellen und materiellen Medienprodukten unter Einbeziehung der Geschichtswissenschaft, der therapeutischen Psychologie sowie der Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften erforscht.
  17. Bereits 1991 schlägt Hörisch den Code stimmig/unstimmig beziehungsweise passend/unpassend als Leitdifferenz vor und veranschaulicht am Beispiel eines Anagramms von Kurt Mautz, dass Stimmigkeit im Falle des Fiktiven mit sachlicher Richtigkeit nichts zu tun hat. Vgl. Jochen Hörisch, Die verdutzte Kommunikation, in: Merkur 45 (1991), 12, S. 1096–1104.
  18. Jochen Hörisch, Aut prodesse aut delectare – das Wissen der Literatur, in: ders., Das Wissen der Literatur, München 2007, S. 17.
  19. Wenn Autoren unter dem Vorwand der Fiktionalität reale Personen und Geschehnisse erkennbar abbilden, führt das nicht selten zu medialen Skandalen und juristischen Auseinandersetzungen (siehe etwa den Kritikerstreit um Martin Walser und Marcel Reich-Ranicki oder den Skandal um Maxim Billers Roman Esra von 2003) und wird als Missbrauch der Literatur verhandelt – ein Hinweis darauf, dass ‚Ausgedachtsein‘ als Prinzip gilt und rechtlich geschützt wird.
  20. „Der Code wahr/unwahr wird als Leitunterscheidung ‘rejiziert‘– so wie ja auch umgekehrt die Wissenschaft keinerlei Interesse mehr daran zeigt, die Darstellungen der schönen Literatur und der Kunst als ‘Unwahrheiten‘ zur Kenntnis zu nehmen“ (Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt 1997, S. 384).
  21. Zur Vorstellung, in fiktionaler Literatur sei Wissen enthalten, äußert sich ausführlich Tilmann Köppe, wiederum kritisch diskutiert in: Borgards, Wissen und Literatur. Auch Jochen Hörisch hält fest, dass Literatur nicht einmal die Minimalkriterien erfüllt, die üblicherweise an Wissen angelegt werden. Als Kriterien für Wissensaussagen führt Hörisch an: „zutreffende, klar formulier- oder gar formalisierbare, intersubjektiv geteilte, wenn auch ständig modifizier- und erweiterbare Kenntnisse über Sachverhalte“ (vgl. Hörisch, Vorwort, in: ders., Das Wissen der Literatur, S. 9).
  22. Claudia Liebrand / Rainer J. Kaus, Zur Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Interpretieren nach den „turns“. Literaturtheoretische Revisionen, Bielefeld 2014, S. 7–14, hier: S. 8.
  23. Als „analytisch wertvolle Beschreibung […] des Sozialen“ bestimmen im Jahr 2003 etwa Helmut Kuzmic und Gerald Mozetič fiktionale Literatur. Zugleich halten sie fest, dass das darin liegende „Potential“ der Analyse fiktionaler Literatur nicht ausgeschöpft werde (Helmut Kuzmics / Gerald Mozeti, Literatur als Soziologie. Zum Verhältnis von literarischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit, Konstanz 2003, S. 27). Diesem mittlerweile dreizehn Jahre zurückliegenden Befund sind wenige systematisch-analytische Arbeiten ‚am Fall‘ gefolgt. (Helmut Kuzmics / Gerald Mozetič, Literatur als Soziologie. Zum Verhältnis von literarischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit, Konstanz 2003, S. 27).
  24. Theoretisch gehen Vertreter der Soziologie davon auch aus. Davon zeugt etwa der 2004 erschienene Sammelband Die Gesellschaft der Literatur, in dem die Herausgeber elf soziologische Romananalysen präsentieren, die sich der Leitfrage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft widmen (Thomas Kron / Uwe Schimank, Die Gesellschaft der Literatur, Opladen 2004).

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Christina Müller.

Kategorien: Kunst / Ästhetik

Annemarie Matthies

Dr. Annemarie Matthies hat Soziologie, Germanistik und Ethnologie studiert. Derzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Bildung und Erziehung am Institut für Soziologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tätig. Seit November 2016 untersucht sie im Rahmen eines DFG-Forschungsprojekts die Darstellung beruflichen Handelns in anwendungsorientierten Studiengängen.

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