Hans-Peter Müller | Essay |

»Great Transformation« im Publikationswesen

Ein Schwerpunkt zur Orientierung in bewegten Zeiten

[*] Gegen Ende des Jenenser Mid-Term-Soziologie-Kongresses »Great Trans­for­mation: Die Zukunft moderner Gesellschaften« fand unter dem Titel »Plan S ante portas« eine kleine Podiumsdiskussion mit interessanter Be­set­zung statt. Am Ende einer langen Woche war verständlicher- wie be­dauer­li­cher­weise die Beteiligung überschaubar. Dafür gestaltete sich der Austausch un­ter den Anwesenden umso intensiver und fruchtbarer. Gerade weil so we­ni­ge vor Ort waren, die Thematik jedoch von großer Bedeutung für die Wis­sen­schaft und unsere Disziplin ist, haben wir uns dazu entschlossen, die Wis­­sen und Meinungsbilder versammelnden Beiträge einem breiteren Pub­li­kum zugänglich zu machen. Die hier gebündelten Informationen sollen eine solide Grundlage zur breitenwirksamen Diskussion dieser Thematik in un­serem Fach bilden.

Zunächst einige begriffliche Erläuterungen: Bei Plan S handelt es sich um ein wissenschaftspolitisches Projekt, das das Ziel verfolgt, ab dem Jahr 2021 alle Resultate wissenschaftlicher Studien, die mithilfe öf­fent­licher Gel­der durch­­geführt wurden, unmittelbar Open Access, also für alle Inter­es­sierten frei zugänglich, zu publizieren. Bereits die Annahme einer finan­ziel­len För­de­rung durch die öffentliche Hand soll die geförderten Wis­sen­schaft­ler*innen auf diese Publikationsart verpflichten. Eine wichtige Än­de­­rung in die­­sem Zusammenhang ist die Verlagerung der Kosten. Es wer­den beim Open-Access-Modell – sofern überhaupt Gebühren erhoben wer­den – für die Publikation einmalige Gebühren entrichtet und nicht mehr für den Zu­gang mehrfache Lizenzzahlungen an unterschiedlichen Stellen.

Es ist vorgesehen, die im Rahmen der Publikation von Artikeln in Zeit­schrif­­ten anfallenden Kosten durch transparent aufgeschlüsselte und ge­dec­kel­te Gebühren zu finanzieren, die in erster Linie von den För­der­in­sti­tu­tio­nen getragen werden sollen. Mischmodelle aus Zugangs- und Pu­bli­ka­tions­ge­­bühren, sogenannte Hybridlösungen bestehend aus freien und gegen Zah­lung zugänglichen Artikeln, werden nur noch übergangsweise un­ter­stützt, sol­len also mittelfristig gänzlich wegfallen. Der Plan S verfolgt damit deut­lich radikalere Ziele als etwa die laufenden »DEAL«-Verhandlungen zwi­schen der Allianz deutscher Forschungsinstitutionen und den markt­be­herr­schen­den Wissenschaftsverlagen, in denen vor allem Kombinationen von Open Access und Zugangsgebühren vereinbart werden sollen.

Allen Interessierten direkten und umfassenden Zugang zu For­schungs­er­­gebnissen zu gewährleisten, ist eine schöne Idee. Wie immer bei guten Ideen, die allen sofort einleuchten, kommt es entscheidend auf deren Um­set­zung an. Auf dem Weg von der Idee zur Praxis gilt es, zahlreiche Aspekte und etwaige Probleme zu beachten, um der bei Projekten stets er­nüch­tern­den Erfahrung zu entgehen: »Gut gemeint ist nicht gleich gut!« Schließlich ist oft das Gegenteil der Fall, stellen sich bei der Umsetzung neben den ge­woll­­ten doch häufig auch ungeplante, womöglich negative Effekte ein. Da dem Geschäft der Soziologie auch die Kritik inhärent ist, soll die kühne Idee des Open Access auf mögliche Folgen und Nebenwirkungen hin sorgfältig durch­­leuchtet werden. Genau das wollen die nachfolgenden Beiträge leisten, in­­dem sie das Projekt aus der jeweiligen Perspektive der involvierten Träger und Organisationen innerhalb des Forschungs(förder)prozesses betrachten.

Cori Antonia Mackrodt vom Springer VS Verlag umreißt die Situation aus der Perspektive eines Großkonzerns und dem wohl wichtigsten Buchverlag in den Sozialwissenschaften. Eingangs zeigt sie, wie weit »Open-Access-Pub­lizieren« (OAP) bereits ge­die­hen ist, in den Naturwissenschaften weiter als in den Sozialwissenschaften. So­dann diskutiert sie, wie das ausschließ­li­che OAP die gesamte Publikationskultur verändern wird. Auf diese Weise macht sie auf einige ungelöste Probleme aufmerksam, etwa auf die Erfah­rung, dass OA zwar »open available but not accessible« bedeuten kann, oder die Frage, wer in Zukunft eigentlich das oft gepriesene »Peer-Review« über­neh­men soll. Abschließend listet die Verlagslektorin eine ganze Reihe wich­ti­ger Fragen auf, der sich alle, die (weiterhin) wissenschaftlich publizieren wollen, stellen und die sie beantworten sollten, beinhalten die im Rahmen von Open Access auf uns zukommenden Entwicklungen doch auch eine ernst­hafte Herausforderung für die »Freiheit der Wissenschaft«. Kathrin Ganz von der »Open Gender Platform« gibt eine informative Ein­füh­rung in die Thematik, leuchtet den historischen Hintergrund des »Open Access Publizieren« (OAP) aus und skizziert die intensiven Bemühungen der cOAlition S, dem Zu­sammenschluss europäischer Forschungs­or­ga­ni­sa­tio­nen, die Trans­for­ma­tion zu OAP zu beschleunigen, um bis 2021 dieses Ziel zu erreichen. Zudem stellt der Beitrag alternative Geschäfts- und Fi­nan­zie­rungsmodelle für OAP vor, über die angesichts der Dominanz der Pub­li­kationsgebühren derzeit in der Open-Access-Community diskutiert wird. Angela Holzer schildert als Vertreterin der DFG Maßnahmen hinsichtlich der Förderung von Open Access (etwa die Bereitstellung von Fördermitteln für die Entwicklung und den Ausbau von Infrastrukturen, strukturbildende Pro­gram­me für Hochschulen zur Begleichung von Gebühren, und die ge­plante Ausweitung der Förderung auf Monografien). In ihrem Beitrag hebt Hol­zer die entscheidende Rolle der Bibliotheken hervor, die ihnen zum einen bei der Organisation von Zahlungen und der Einrichtung von in­te­grier­ten Budgets für aber auch bei der Marktbeobachtung und  bei der Be­ratung der Wissenschaft und der Bewertung der Seriosität unterschied­licher OAP-Formate zukommt, denn schon jetzt tummeln sich auf dem »Markt« un­seriöse Anbieter, die ge­gen in ihrer Höhe nicht gerechtfertigte Gebühren den Abdruck eines an­geb­lich »peer-reviewed«-Artikels binnen einer Woche ver­­sprechen. Zudem sind be­dauerlicherweise überwiegend quantitative Me­tri­ken wie Zeitschriften-»Im­pact« und die Zitierzahlen einzelner Artikel zen­tral für die Bewertung von Publikationen und Strategien der Publi­zie­renden geworden. Die DFG möch­te dem schon lange mit Maßnahmen zu »Qualität vor Quantität« entgegenwirken. Aus ihrer Sicht soll grundsätzlich nicht mehr der quantitativ in diversen Metriken gemessene Erfolg, sondern die Qualität und der wissenschaftliche Er­kenntniswert einer Publikation zählen. Tilman Reitz von der Universität Jena fordert aus Sicht der Wissenschaft den »freien Zugang ohne Prestigerenten«. In seinem Beitrag verweist er einer­­seits auf die prohibitiv hohen Kosten für Zeitschriften durch große Ver­­lagshäuser und andererseits auf die mächtige Stellung der Wis­sen­schafts­or­­ganisationen. Diese beiden Akteure stehen sich gegenüber, um die Details der DEAL-Verträge und ggf. auch die Umsetzung der in Plan S nieder­ge­leg­ten Richtlinien auszuhandeln. In diesen Auseinandersetzungen wird ein ent­schei­­dender und bisher strittiger Faktor die Deckelung der für die Publi­ka­tion eines Wissenschaftsartikels anfallenden Kosten (cost cap) sein, die Au­tor*in­­nen beziehungsweise deren wissenschaftliche Institutionen im Falle einer Publi­ka­tion zu entrichten haben. Erste im Rahmen der DEAL-Ver­hand­­­lungen fixier­­­te Gebühren belaufen sich auf 2.750 € je Artikel, wobei ge­­wisse Stim­men noch deutlich höhere Summen fordern. Gegenwärtig steu­ert etwa die DFG einen Betrag in Höhe von maximal 2.000 € pro Ver­öf­fent­lichung bei; Reitz weist unter Bezugnahme auf zahlreiche Quellen nach, dass deut­lich niedrigere Beträge von rund 1.000 € mehr als kos­ten­­deckend wären. Freilich ist eine Reihe von Mischlösungen denkbar, die unter Um­ständen auch auf den Markt der Monografien ausgeweitet werden könnte. Die Di­gi­ta­­li­sierung hat hier zu einem Konzentrationsprozess auf dem Verlags­markt ge­führt. Es gilt aber wie an anderer Stelle für Pluralismus und Vielfalt ein­zu­tre­ten, damit der Geist nicht durch das Geld gehemmt wird.

Enorm wichtig wird sein, dass sich unsere Disziplin an diesem Kampf mit eigenen Ideen und Lösungen beteiligt. Sollten die vier informativen Ar­ti­kel dazu bei­tragen, hätte sich der Aufwand gelohnt. An dieser Stelle sei al­­len Bei­tragenden gedankt, insbesondere Tilman Reitz, der neben seiner eige­­nen Stel­lungnahme die Koordination dieses Schwerpunkts über­nom­men hat.

  1. *** Anm. der Redaktion: Die Texte für diesen Schwerpunkt basieren auf einer Veranstaltung, die im Rahmen der DGS-Regionalkonferenz am 27. September 2019 in Jena stattgefunden hat. In Kooperation mit der Zeitschrift SOZIOLOGIE werden die Beiträge parallel hier und in Heft 2/2020 der SOZIOLOGIE publiziert.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher, Tilman Reitz.

Kategorien: Universität

Hans-Peter Müller

Prof. Dr. Hans-Peter Müller ist Professor für Allgemeine Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Arbeitsgebiete umfassen u. a. klassische und moderne Sozialtheorie, Sozialstruktur und Soziale Ungleichheit, Kultur und Lebensführung.

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