Stephan Lessenich | Rezension |

Das Elend der Nationalökonomie

Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt versuchen sich an einer Kritik der Globalisierung

Heiner Flassbeck / Paul Steinhardt:
Gescheiterte Globalisierung. Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates
Deutschland
Berlin 2018: Suhrkamp
410 S., EUR 20,00
ISBN 978-3-518-12722-3

Womit anfangen? Die Schwierigkeit ist in diesem Fall keineswegs trivial, stellt sich nach Lektüre des jüngsten Buches der beiden Ökonomen doch vordringlich eine Frage: Was ist eigentlich das Ärgerlichste gewesen an dieser 400-seitigen Leseerfahrung? Nun – schwer zu sagen: Der auf Dauer enervierende Stil? Die fehlende Systematik der Argumentation? Oder doch das von dem Autorengespann vertretene Politik- und Ökonomieverständnis?

Was geht (und was nicht)

Um möglichen Missverständnissen gleich vorzubeugen: In vielerlei Hinsicht wird der/die durchschnittliche, auch durchschnittlich ökonomisch gebildete und politisch interessierte soziologische Leser/in sein beziehungsweise ihr stilles Einverständnis mit den durchweg starken Positionierungen erklären können, mit denen das Autorenpaar aufwartet. Der Grund hierfür ist simpel. Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt präsentieren die gesamte Palette der gängigen und im sozialwissenschaftlichen Milieu vermutlich breit geteilten Kritik an der ökonomischen Neoklassik und am sogenannten Neoliberalismus. Da gibt es in der Tat ja einiges zu monieren. Vorab nur die Top Ten der Todsünden der ökonomischen Orthodoxie in Theorie und Praxis – in nicht hierarchisierter Reihung: ihre Realitätsferne und ihre geradezu zwanghafte Präferenz für die „Mikrofundierung“, ihre Konzeption des kapitalistischen Unternehmens und des Unternehmensgewinns sowie des Arbeitsmarkts und der „Grenzproduktivität“ der Arbeit, überhaupt ihre Vorstellung einer Marktwirtschaft als selbststeuerndes System, ihre Idee von Staaten als Unternehmen und eines notwendigen „Wettbewerbs der Nationen“ um die besten Standortbedingungen, ihre ideologischen Ansichten über die Effizienz von Kapitalmärkten und die segensreichen Wirkungen des Freihandels, ihre monetaristische Illusion vom „neutralen Geld“, sodann die Politik des deutschen Merkantilismus beziehungsweise Exportismus, die von Deutschland ausgehenden Lohndumpingstrategien und europäischen Austeritätspolitiken, die systematische politische Produktion sozialer Ungleichheit durch die Kürzung von Lohnersatzleistungen bei radikaler steuerlicher Entlastung von Unternehmen und Höchstverdienenden, die systematische öffentliche Investitionszurückhaltung, der ruinöse Marktfundamentalismus in der vermeintlichen europäischen „Staatsschuldenkrise“, schließlich und nicht zuletzt auch die im politischen Rührstück von der „schwäbischen Hausfrau“ aufscheinende Gleichsetzung von Staatsschulden und Privatschulden.

Alles richtig, mag man sagen. Und hinzufügen: Alles auch schon einmal anderweitig gesagt und geschrieben, gehört und gelesen. Übrigens mit großer Wahrscheinlichkeit auch schon einmal so gesagt und geschrieben wie von Flassbeck und Steinhardt höchstselbst. Sei‘s drum, immerhin lässt sich dieses kleine Einmaleins der Ökonomenschelte jetzt noch einmal in Ruhe zwischen zwei Buchdeckeln nachlesen. Wobei von Anfang bis Ende unklar bleibt, welchem Format dieses Buch eigentlich entspricht: Eben einem Kompendium zeitgenössischer Liberalismuskritik? Das wäre die nächstliegende Variante, doch fehlt der Darstellung dafür leider die nötige Systematik, eine nachvollziehbare argumentative Struktur, der berühmte „rote Faden“. Oder haben wir es mit einem heterodoxen Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaft zu tun? Passagenweise lesen sich die Ausführungen der beiden Autoren tatsächlich so, vor allem da, wo es ums Geld geht – freilich fallen diese Abschnitte wiederum allzu unpräzise aus, zu oberflächlich auch. Also vielleicht eher ein politisches Pamphlet, ein ambitionierter Versuch zur Popularisierung einer alternativen wirtschaftspolitischen Grundsatzprogrammatik? Spätestens im Schlusskapitel zu „moderner Wirtschaftspolitik“, wo die Darstellung zu einer mehr oder weniger unverblümten Anrufung der deutschen und europäischen Sozialdemokratie wird, kann daran kein Zweifel mehr herrschen.

Genau besehen wirken allerdings schon Titel und Untertitel der Publikation derart zusammengewürfelt, dass jede beliebige andere Zusammenstellung von Schlagwörtern im Rückblick auf die Lektüre mindestens ebenso plausibel geklungen hätte. „Gescheiterte Globalisierung“ thematisiert das Buch jedenfalls nur zum Teil und keineswegs durchgängig – eher hätte „Das klägliche Scheitern des Liberalismus“ die passende Überschrift geliefert, die das gesamte Konvolut auf den Punkt bringt. Und beim Untertitel hätte man sich ebenso gut – oder vielleicht sogar treffender – für die Trias „Nachfrage, Währungen und die Rehabilitation des Staates“ entscheiden können. Oder für „Löhne, Investitionen und eine neue Wirtschaftspolitik“. Oder halt für irgendeine andere, zufallsgenerierte Aneinanderreihung der Grundkategorien heterodoxer Ökonomik und Politikberatung.

Als erstes Zwischenfazit bleibt mithin festzuhalten, dass das Meiste schon einmal zu hören oder zu lesen gewesen ist, teilweise jedoch – wie aus soziologischer Perspektive hinzuzufügen wäre – durchaus treffender formuliert: Unübertroffen zum Beispiel, was die historisch-systematische Fundamentalkritik der Fiktion (oder der gesellschaftlich verheerenden Realfiktion) selbststeuernder Märkte angeht, in Karl Polanyis „The Great Transformation“ aus dem Jahre 1944 – ganz unbestritten ein Klassiker und Standardwerk, das Flassbeck und Steinhardt jedoch keine Erwähnung wert ist. Stilprägend ganz sicherlich auch Werner Hofmanns „Das Elend der Nationalökonomie“ aus dem Jahre – noch so ein Jubiläum – 1968, das bereits sämtliche Elemente einer Generalabrechnung mit der herrschenden Volkswirtschaftslehre als Legitimationsideologie des real existierenden Kapitalismus versammelt, die Flassbeck und Steinhardt (sie allerdings sprechen lieber von „Marktwirtschaft“) jetzt neuerlich gegen die liberale und nach wie vor hegemoniale Ökonomik in Anschlag bringen. Gut, Hofmann ist (wie letztlich auch Polanyi) kein Ökonom, sondern Soziologe gewesen, was womöglich das Kriterium der Autoren für die Auswahl ihrer intellektuellen Referenzen und Bezugspersonen gewesen sein wird. Zweifelsohne aber war Hofmann ein Heterodoxer, und sicherlich auch heterodoxer als es Flassbeck und Steinhardt für ihre eigenen wirtschaftstheoretischen wie -politischen Präferenzen reklamieren dürften. Wie auch immer, auf das „Elend der Nationalökonomie“ wird in jedem Fall noch zurückzukommen sein.

Schicken wir der danach fälligen Kritik noch ein Plus voraus, das die Leserschaft für das Buch einnehmen könnte – es ist seine kritische Auseinandersetzung auch mit Positionen linker politischer Ökonomie. Und zwar nicht nur mit Karl Marx, der – für die Autoren das Problem schlechthin – noch ganz „einzelwirtschaftlichem Denken verhaftet“ (S. 19) geblieben sei, sondern auch mit der zu kurz gesprungenen keynesianischen Revolution respektive ihren späteren wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Zugeständnissen an die „neoklassische Synthese“. Zudem mit Sahra Wagenknechts Faszination für die alten Herren des Ordoliberalismus, mit gegenwärtig heftig kursierenden Vollgeld-Konzeptionen oder – besonders überzeugend – mit dem auch vor sich als „links“ wähnenden Politakteuren nicht halt machenden Wahn einer notwendigen „Schuldenbremse“ und mit ihrem liberalesken Horror vor monetärer Staatsfinanzierung. Flassbeck und Steinhardt werden demgegenüber nicht müde zu betonen, dass im herrschenden System politökonomischer Verfasstheit, allen gegenteiligen Meinungen und allfälligen Aufgeregtheiten zum Trotz, schlicht keine Grenzen der Staatsschuld existieren. Vielmehr ist das genaue Gegenteil der Fall: Der (zumal währungs-)souveräne Staat vermag sich jederzeit und prinzipiell „grenzenlos“ zu verschulden. Auf diese – so würden die Autoren selbst formulieren – „Binsenweisheit“ kann in der Tat nicht oft und laut genug hingewiesen werden. Auch zur öffentlichen Kreditaufnahme ist bereits viel und viel Gutes geschrieben worden, man denke etwa an Michael Krätkes „Kritik der Staatsfinanzen“ aus dem Jahr 1984 – seines Zeichens immerhin Professor für Politische Ökonomie. Aber auch ihn und sein Buch oder den Verweis auf andere einschlägige Beiträge zum Thema sucht man im Literaturverzeichnis des hier besprochenen Buches vergebens. Hingegen macht das Autorenpaar bemerkenswerterweise – und auch dazu wird später noch mehr zu sagen sein – eine durchaus harte monetäre Grenze aus, sobald es um die These geht, dass Zuwanderer einheimische Arbeitskräfte „verdrängen“ und folglich deren Unterstützung durch die sozialen Sicherungssysteme notwendig wird – ein „auf Dauer nicht finanzierbarer Zustand“ nach dem Dafürhalten der erklärten Kritiker jedweder Austeritätspolitik (S. 45).

Solchen Widersprüchen zum Trotz findet sich, womit wir allerdings ans Ende dessen gelangen, was an Positivem zu vermelden ist, eine ganze Menge grundsätzlich nachvollziehbarer und zustimmungsfähiger Posten in der langen Liste der von Flassbeck und Steinhardt angemahnten wirtschafts- und sozialpolitischen Interventionen. Zugegeben, das programmatische Gesamtmenü von Vollbeschäftigungspolitik, einem starken sozialen Netz, politischer Marktregulierung, einkommens-, vermögens- und steuerpolitischen Maßnahmen zur Reduzierung der sozialen Ungleichheit, Wiederherstellung des Flächentarifvertrags, offensiver Lohnpolitik, staatlicher Investitionsförderung und öffentlicher Daseinsvorsorge, öffentlicher Kreditsteuerung, Einführung des Trennbankensystems und neuer Weltwährungsordnung, gemahnt überdeutlich an alte sozialdemokratische Hausmannskost, das heißt an Karl Schiller, die Globalsteuerung und das magische Viereck. Unter den gegebenen Bedingungen – und mit dem Schreckensbild der deutschen und europäischen, „modernen Sozialdemokratie“ vor Augen – mag ein solcher Katalog indes nicht einmal das Schlechteste sein.

Habituelle Hybris: Jeder könnte, aber nicht alle können

Was hingegen wirklich schlecht an dem Buch ist, fängt, wie angedeutet, bei und mit Fragen des Stils an – die eben nie bloß auf Oberflächenphänomene verweisen, sondern in aller Regel auf substanzielle Mängel. So auch hier. Etwas nochmal zu wiederholen, was schon häufig behauptet wurde, wenn auch nicht von allen und, bezogen auf die Ökonomenzunft, faktisch sogar von herzlich wenigen, muss kein Fehler sein und zum Stein des Anstoßes werden. Man sollte es jedoch nicht so machen wie das Autorenduo, nämlich im unangenehmen Tonfall apodiktischer Arroganz. Dieser Zungenschlag sucht in der zeitgenössischen Fachliteratur seinesgleichen und wird mit fortschreitender Lektüre zunehmend unerträglicher. Wer’s nicht glaubt, möge nachlesen: Alle, aber auch wirklich alle – natürlich mit Ausnahme der beiden Verfasser – sind schlichtweg unfähig, einfach mal gründlich nachzudenken. Weder können noch wollen die Leute Flassbeck und Steinhardt zufolge auch nur die einfachsten ökonomischen Zusammenhänge verstehen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind dieser Megapopulation ökonomischer Nieten, sei es nun in Nadelstreifen oder in Jogginghosen, nach meiner Auflistung zuzurechnen: erstens)[[SL1]]  orthodoxe Ökonomen durchgängig und sowieso, ferner zweitens) natürlich „die Deutsche Bundesbank“ (S. 131), leider drittens) auch die Großzahl der sogenannten (die das Qualitätsurteil sogleich wieder dementierenden Anführungszeichen finden sich ebenfalls im Text) „progressiven Ökonomen“ (S. 27) beziehungsweise viertens) solche Vertreter der Profession, die „als relativ aufgeklärt gelten“ (S. 130). Fünftens) „sogenannte Akademiker“ (S. 218), einschließlich der „sogenannten Bankenexperten“ (S. 239), sechstens) insgesamt und durchweg „die Politik“ (S. 14), siebtens) – so viel Ehrlichkeit muss sein – aber auch „die Bürger“ (S. 105), ja achtens) nicht weniger als „die Welt“ (S. 13). Die Autoren operieren ihres Erachtens mit so einfachen Wahrheiten, dass sie sich unterwegs immer wieder fragen, „wie es sein kann, dass die Menschheit [sie] nicht begreift“ (S. 48). Womit wir neuntens) bei der Inkompetenz der Menschheit als ganzer landen – lässt sich ein solcher Befund noch toppen?

Nein! Allenfalls durch die Stilblüten, zu welchen eine schier grenzenlose Selbstwertschätzung die Autoren in ihrer abschätzigen Beurteilung der Kollegenschaft treibt. Da versteht „selbst ein weltweit hoch angesehener Wirtschaftshistoriker“ (S. 131) das Offensichtliche nicht, für veritable „Nobelpreisträger“ ist eine „einfache Tatsache“ (S. 203) zu hoch, und sogar die wenigen verbliebenen, noch satisfaktionsfähigen Mit-Ökonomen „wie Paul Krugman oder Joe Stiglitz“ haben – hier lernt die Leserschaft wie einsam ultrakompetente Wirtschaftsexperten an der Spitze leben – „nicht verstanden, was wir oben erklärt haben“ (S. 204). Alles Flaschen also, außer Flassbeck und Steinhardt. Wobei man wohl nicht falsch liegt, Flassbeck für die Hauptquelle solch stilistischer Hyperhybris zu halten, nicht nur wegen seines alphabetisch gesicherten Vorrangs in der Autorenfolge oder wegen seiner politbiografischen Nähe zu einem anderen notorischen Oberchecker, sondern auch wegen des statistischen Sachverhaltes, dass nicht weniger als jede zehnte der im Buch zitierten Publikationen aus Flassbecks eigener Feder stammt. Einer – beziehungsweise Heiner – gegen den Rest der Welt.

Vermutlich lässt sich nicht anders als mit so viel Schaum vorm Mund schreiben, wenn man an dem schweren Schicksal trägt, ganz allein über ökonomischen Sachverstand zu verfügen sowie über die ansonsten praktisch ausgestorbene „Fähigkeit, logisch zu denken“ (S. 136). Dann stellen sich die Dinge halt so dar, dass alles – eigentlich! – „vollkommen klar“ (S. 54) und „leicht zu verstehen“ (S. 51) ist, aber „leider nur von wenigen verstanden“ (S. 99) wird. Dabei reichte doch – Ist das schon zu viel verlangt? – allein „die Bereitschaft, makroökonomisch unbestreitbare Zusammenhänge, erkenntnislogische Notwendigkeiten und empirisch gesicherte Informationen“ (S. 118) zur Kenntnis zu nehmen und dementsprechend zu handeln. Abweichende Meinungen, konkurrierende Interpretationen, alternatives Wissen? Ach was. One world is enough – for all of us: Die Sachen final zu regeln, könnte so einfach sein.

Insofern dürfte der folgende Versuch, die Dinge doch wieder etwas zu verkomplizieren, bei den Autoren nicht gut ankommen. Ohnehin wird ihr Urteil über die vorliegende Rezension vorab gefällt sein: Denn auch hier, also in meinem Fall, werden die Autoren es – bestenfalls – für „tragisch“ erklären, „dass sich fachfremde Intellektuelle – freilich ohne zu wissen, was sie tun“ (S. 37), mit dem im Grunde schlichten, für sie bedauerlicherweise aber doch zu hohen Kosmos ökonomischer Zusammenhänge beschäftigen. Wie dem auch sei: Durch dieses Exerzitium müssen jetzt alle Beteiligten durch. Nur zwei – recht einfache – Punkte stehen zur Klärung an: Flassbecks/Steinhardts Verständnis von Demokratie. Und von Ökonomie.

Normativer Etatismus: Der Staat hat immer Recht

Oberstes analytisches Gebot für die Autoren ist eine gesamtwirtschaftliche Perspektive, die das Dynamische des Wirtschaftsgeschehens im Blick hat. So weit, so gut. Aber wer besitzt eine solche umfassende Einsicht in gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, wer kann sie überhaupt haben? „Das ist unzweifelhaft der Staat, und zwar nur der Staat.“ (S. 77) Nun, der Vollständigkeit halber wird man wohl hinzufügen müssen: Der Staat, vermittelt über die Expertise der makroökonomisch Erleuchteten. Denn es ist der Staat, der „die Rolle des Systemoperators der Marktwirtschaft“ (S. 87) wahrzunehmen hat, der die durch niemand anderen zu besetzende Planstelle als ideeller Gesamtkapitalist und operativer Gemeinwohlgarant einnimmt. Dabei ist es „die Makroökonomik“, die dem gesamtwirtschaftlich alerten und allzeit zur wirtschaftspolitischen Intervention bereiten Staat die „Regeln für das Denken und Handeln vorgibt“ (S. 88). Wir haben es folglich – Think big, think Makro! – mit der gesellschaftspolitischen Vision einer aufgeklärten Makroökonomenherrschaft zu tun. So weit, so irritierend. Dahinter steckt freilich noch mehr.

Ein ganz spezifisches Staats- und Demokratieverständnis nämlich. „Mit dem Begriff ‚Staat‘ sind […] natürlich die heutigen Nationalstaaten gemeint.“ (S. 88) „Natürlich“ – dazu gleich und etwas ausführlicher mehr. Und mit dem so gefassten Staat muss zugleich die Demokratie notwendig eine Herrschaftsform „in einem abgegrenzten geografischen Raum“ (S. 89) sein – dem Raum des Nationalstaats. Überhaupt fallen Staat und Demokratie für die beiden Makroökonomen vollständig in eins. Beide Entitäten gehen gleichsam rückstandsfrei ineinander auf. Folglich widersprechen Flassbeck/Steinhardt der ansonsten einigermaßen unumstrittenen politikwissenschaftlichen Einsicht, dass der Staat kein einheitlicher Akteur ist (sondern – je nach politologischer Schule – ein komplexes institutionelles Arrangement tendenziell widersprüchlicher Handlungsrationalitäten oder ein sozialer Raum der materiellen Verdichtung heterogener Kräfteverhältnisse). Ihr Einspruch stützt sich auf das bemerkenswerte Argument, dass es aus politikwissenschaftlicher Perspektive dann ja auch falsch sein müsse, „die Deutsche Bank als einen einheitlichen Akteur anzusehen“ (S. 102). Bekanntlich ist nicht alles, was hinkt, ein Vergleich, doch würde im Zweifel jeder Organisationssoziologe oder jede Politologin in der Tat festhalten, dass gesellschaftliche Großorganisationen prinzipiell keine monolithischen Blöcke seien. Nun gut.

Vor allem vertritt das Autorenpaar, was seine Vorstellungswelt in Sachen Demokratie angeht, eine äußerst eigenwillige – meines Wissen nur ihnen selbst vorbehaltene – Interpretation des Artikels 20 Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Bekanntlich hält dieser Absatz fest, alle Staatsgewalt gehe vom Volke aus, um dann im Näheren zu bestimmen: „Sie [die Staatsgewalt] wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Soweit der Verfassungstext, der keinen Zweifel lässt an der Existenz unterschiedlicher Organe der Ausübung von Staatsgewalt, die in ihren Handlungen möglicherweise verschiedenartigen Operationslogiken folgen.

Für die beiden Autoren aber – an dieser Stelle wäre man geneigt, sie selbst zu zitieren und von „fachfremden Intellektuellen“ zu sprechen – besagt diese Grundgesetzbestimmung, dass „nach dem Willen des Grundgesetzes“ der Staat „der Repräsentant des ‚Volkes‘“ (S. 103) sei; also diejenige politische Instanz, die allein „die Interessen des Volkes repräsentieren“ (ebd.) könne – und solle. Angesichts dieser Lesart wird deutlich, warum Flassbeck und Steinhardt die Vorstellung vom Staat als einem einheitlichen Akteur – den sie faktisch als eine einzige Exekutive begreifen, der sie in ihren weiteren Ausführungen auch die Institution der Zentralbank unterordnen – derart kostbar und wichtig ist: Denn eigentlich gilt in parlamentarischen Demokratien wie der Bundesrepublik Deutschland – nomen est omen – ja das Parlament als Repräsentationsorgan des „Volkes“ und die demokratisch gewählten Parlamentarier/innen (im Volksmund nicht umsonst auch „Volksvertreter“ genannt) als dessen Repräsentant/innen. Mit derlei demokratietheoretischen Petitessen halten sich die Makroökonomen freilich nicht auf, haben sie doch Wichtigeres im Auge, nämlich festzustellen, „der Staat“ möge sich als Repräsentant des Volkswillens gleichsam uno actu, also in Vertretung dieses Volkswillens, über das Volkswissen erheben. Tatsächlich muss er sich sogar im ureigenen Interesse des Volkes, das heißt, im Sinne des „Gemeinwohls“ (vgl. S. 107 ff.), über das Volkswissen erheben, besteht seine höchste Aufgabe doch darin, „Handlungen auf der Basis der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge“ zu vollziehen, „die ‚das Volk‘ aus seiner einzelwirtschaftlichen Sichtweise weder durchschaut noch zu durchschauen in der Lage ist.“ (S. 105)

Es ist offenbar ein Kreuz mit dem Volk und seiner Repräsentation, also hat es der vom rechtwissenden Chefökonom beratene Staatsingeniör ganz schön schwör: „Soll sich der Repräsentant des Volkes, selbst wenn er eine Einsicht besitzt, die bei den Bürgern nicht vorhanden und die überdies schwer vermittelbar ist, daher jeder gesamtwirtschaftlichen Verantwortung entziehen dürfen?“ (S. 105 f.) Selbstredend nicht, lautet die makroökonomisch alternativlose Antwort. Mithin kann der kategorische Repräsentationsimperativ eines Staatstechnokraten, der sich durch den ohnehin raren Sachverstand makroökonomischer Experten aufgeklärt findet, nur heißen: Lieber schwer vermittelbaren Einsichten folgen als schwer vermittelbare Arbeitslose tolerieren! (Die es praktischerweise, angesichts der im wohlverstandenen Volksinteresse vorgenommenen operativen Umsetzung jener Einsichten, ohnehin nicht mehr geben wird.)

Kaum zu glauben, aber wahr: Flassbeck und Steinhardt bringen an dieser Stelle, ohne jede kritische Distanz oder einen Hauch innehaltender Reflexion, die aus der (durch und durch liberalen) Neuen Politischen Ökonomie bekannte, geradezu berühmt-berüchtigte Idee der benevolent dictatorship ins Spiel, das heißt die Sozialfigur eines „wohlwollenden Herrschers“ (S. 321), der das gesamtwirtschaftlich ebenso notwendige wie richtige erkennt und praktisch exekutiert. Sie favorisieren, anders gesagt, ein technokratisch-exekutivistisches Verständnis von „repräsentativer“ „Demokratie“, das insofern noch deutlich antidemokratischer ausfällt, als sie dem vermeintlich wohlwollenden Herrscher eine elitäre Beamtenkaste an die Seite stellen, die als „Mandarine der Demokratie“ (S. 360) mit der administrativ-operativen Durchsetzung einer aufgeklärt-alternativlosen makroökonomischen Steuerung beauftragt sind. Was sagt man dazu? Man hört Stimmen. Der ökonomische Weltraum – unendliche intellektuelle Weiten… Wir schreiben das Jahr 2018. Das Imperium spricht, wobei man sich eher ins Jahr 1918 zurückgesetzt fühlt.

Methodologischer Nationalismus: Alles so schön endogen hier!

Wie gesehen, verstehen Flassbeck und Steinhardt unter dem Staat „natürlich“ den Nationalstaat. Auch die Wirtschaft ist für sie, als Volkswirtschaft, selbstverständlich national. Sie kann gar nicht anders als national sein, folgt die ökonomische doch der politischen Form. Ergo kommt es so, wie es unter derartigen Vorzeichen kommen muss: Sämtliche wirtschaftlichen Produktionsfaktoren sind nur als nationale denk-, mess- und steuerbar, allen voran „die für jede Volkswirtschaft entscheidende Größe, die Produktivität der Arbeit“. Auch und gerade sie „ist nur in nationalen Grenzen definierbar, weil sie auf der historischen Akkumulation von Kapital beruht“ (S. 95). Auch das Kapital ist – Merke! – seinerseits immer „das Ergebnis eines dynamischen wirtschaftlichen Prozesses, der ohne Zweifel eine spezifische nationalstaatliche Tradition hat“ (ebd.) und, mehr noch, als solches „das Ergebnis nationaler Anstrengungen, nationaler Präferenzen und nationalstaatlicher Politiken“ (ebd.) darstellt. Mithin ist der Dreh- und Angelpunkt aller gesamtwirtschaftlicher Überlegungen stets der nationale Kapitalstock – und da „Kapital eine nationale Geschichte hat, sind auch die Arbeitsbeziehungen einschließlich der Einkommen der abhängig Beschäftigten nur auf nationaler Ebene bestimmbar.“ (S. 96)

Wem hier schwindlig wird, sollte sich nicht wundern – denn das Argument dreht sich im Kreis: Das nationale Kapital gebiert die nationale Arbeit, gebiert das nationale Einkommen, gebiert das nationale Kapital usw. usf. Willkommen in der geschlossenen Welt der Nationalökonomie – oder genauer der National-Ökonomik. In diesem Universum ist alle Geschichte eine Geschichte der Kapitalstöcke, und jede Kapitalstockgeschichte eine Nationalwirtschaftsgeschichte… und damit eine Geschichte, die sich in etwa nach dem folgenden Muster abspielt: „Länder mit einem großen und effizienten Kapitalstock und hoher Produktivität der Arbeit können hohe (reale) Löhne zahlen, und Länder mit einem kleinen Kapitalstock und geringerer Produktivität können nur geringere (reale) Löhne zahlen.“ (S. 97) Na klar – logisch! So ist sie, die geschlossene Welt der Nationalökonomie: Kein Außen, nur Endogenität, keine Geoökonomie kapitalistischer Dynamiken, nur nationale Pfadabhängigkeiten, natürlich keine Kolonialität, sondern historisch gewachsene Kapitalstöcke hier und nicht gewachsene Kapitalstöcke dort. Damit zeichnen sich dann aber auch schon die Konturen der „neuen Ökonomik“ (S. 88, vgl. S. 114 ff.) ab, die Flassbeck/Steinhardt offerieren, weil die Welt ihrer dringlich bedürfe – und die bei ihnen selbstverständlich „auf der Basis einer vorurteilsfreien Diagnose“ (S. 88) ruht. Herausragendes Merkmal dieser Diagnose ist, dass sie – Globalisierung hin, Globalisierung her – von allen weltsystemischen Vorurteilen befreit ist. Deshalb kann sie mit der irritierenden Grundeinsicht aufwarten, dass die Welt der Nationalökonomien und ihrer Akteure durch historische Entwicklungen geprägt ist, „die praktisch alle auf der nationalen Ebene stattgefunden haben“ (S. 99). Ach so.

Wenn jede Nationalökonomie – so viel liberale Restideologie muss selbst bei den schärfsten Kritikern des Wirtschaftsliberalismus sein – ihres eigenen Glückes Schmied ist, dann muss auch die gesamte Welt der Wertschöpfung und der Verteilung des erwirtschafteten Mehrprodukts eine rein nationale sein. Also können die Regeln einer „globalen“ (eigentlich internationalen oder multilateralen) Wirtschaftsordnung „nur darauf hinauslaufen, zu fordern, dass jedes Land sich an seine eigenen Verhältnisse anzupassen hat. Mehr kann einfach kein Staat von einem anderen verlangen und mehr kann keine globale Regelung von einzelnen Ländern und ihren Bürgern erzwingen.“ (S. 29) Wir lernen nicht aus: Jedes Land nennt – irgendwie nationalhistorisch gewordene, endogen gewachsene – wirtschaftliche Verhältnisse sein Eigen, die wiederum den Maßstab auch des zukünftigen nationalen Wirtschaftens abzugeben haben. (Wir lernen außerdem, dass dem Ökonom methodologisch, neben dem Nationalismus, nichts über die Verpflichtung aufs Pfadabhängigkeitstheorem geht.) In dieser Binnenwelt ist alles national, von Globalität keine Spur; der erwirtschaftete Kapitalstock – national, und zwar wie gestern, so auch morgen; die Produktivität des eingesetzten Kapitalstocks – national; und – Wie sonst? – selbstverständlich stellt auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine nationale Größe dar. Folglich kann die goldene Regel für eine geordnete Weltwirtschaft (von „System“ darf ja eigentlich nicht die Rede sein) nur lauten: „Jedes Land muss seine eigenen Ansprüche genau an seine eigene Produktivität anpassen.“ (S. 29) Nicht mehr, aber auch nicht weniger – und das gilt qualitativ wie quantitativ, sprich: keine Nation darf über, jedoch auch nicht unter ihrer Leistungsfähigkeit leben. Blieben alle Schuster bei ihren Leisten, wäre die Welt der Nationen in Ordnung. Es gäbe keine Schuldner mehr, und wo es keine Schuldner gibt, da gibt es auch keine Gläubiger.

Wer diese Überzeugungen nicht teilt, ist selber schuld – oder es mangelt eben am Vermögen, die einfachsten Zusammenhänge nachzuvollziehen. Aus denen ergibt sich im Übrigen die Devise, nicht die Arbeit solle wandern, sondern das Kapital. Was andernfalls passiert, ist mit Händen zu greifen – man muss es nur sehen können: „Finden die Zuwanderer keine Arbeit, beanspruchen sie Leistungen der sozialen Sicherungssysteme. Das aber wird keine Gesellschaft in größerem Umfang tolerieren. Denn den Mindestlebensstandard, den eine reiche Gesellschaft durch soziale Sicherungssysteme für ihre Mitglieder zu garantieren versucht, um den sozialen Frieden und den Zusammenhalt zu sichern, kann sie nicht für den Rest der Welt oder auch nur einen spürbaren Teil davon zur Verfügung stellen.“ (S. 44) Auch hier absolvieren wir wieder im Crashkurs eine ganze Reihe an Lektionen mit ebenso schlichten wie gewichtigen Wahrheiten: Soziale Sicherungssysteme, sozialer Friede, gesellschaftlicher Zusammenhalt – alles national. Arbeitslose Zuwanderer – Einwanderer in den Sozialstaat. Kommen die einen – wird sich als nächstes der Rest der Welt einfinden. Oder vielleicht auch nur, hätte die reiche Gesellschaft ein bisschen Glück, ein „spürbarer Teil“ davon – was indes bereits des Schlechten zu viel ist.

Auch „progressive Ökonomen“ dürfen ja wohl mal aussprechen, „dass in Deutschland kein ungebremster Strom von Zuwanderern verkraftet werden kann und – im ureigenen Interesse der uns umgebenden Niedriglohnländer – auch nicht verkraftet werden darf.“ (S. 47) Es liegt also im Interesse der Völker und ihrer Zärtlichkeit miteinander, wenn sie brav unter sich bleiben und die reichen Völker einen Teil ihres Kapitals zu den ärmeren schicken, um dann dort den (natürlich letztlich wieder „nationalen“) Kapitalstock aufzubauen und den Wohlstand der Nation zu befördern, selbstverständlich wieder schön pfadabhängig und gemäß der üblichen Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie: steigende Produktivität, steigende Löhne, steigender Wohlstand, volkswirtschaftlicher Aufholprozess, Anschluss an die reichen Nationen der Welt. Die wohlhabende, „sich kulturell zusammengehörig fühlende Gesellschaft“ (S. 47) würde auf diese Weise „ihre Solidarität viel effektiver […] unter Beweis stellen“ als etwa durch die Aufnahme von Zuwandernden. Alternativ könnte die reiche Nation, „wäre sie bereit dazu“ (S. 44), kulturell als fremd empfundene Gesellschaften nicht nur durch private Direktinvestitionen, sondern „über eine massive Erhöhung der Entwicklungshilfe“ (S. 45) unterstützen. Das sind die beiden Optionen, dritte Wege ausgeschlossen. Wird hingegen ständig anderes, das heißt makroökonomisch Widersinniges behauptet, also etwa davon geredet, Zuwanderung habe einen wirtschaftlichen Nutzen – wen „wundert es da noch, dass die Bevölkerung sich zunehmend vor der Globalisierung fürchtet und Fremdenfeindlichkeit auf dem Vormarsch ist?“ (S. 48) Also wo sie Recht haben… Für einen aufmerksamen Flassbeck/Steinhardt-Leser lösen sich die meisten Rätsel wie von selbst, und so erweist sich auch der Vormarsch der Fremdenfeindlichkeit in den kulturell homogenisierten reichen Gesellschaften wie etwa der Bundesrepublik als nicht weiter verwunderlich.

Wenn nur das Kapital wandern und die Arbeit daheim bleiben soll, werden die „Entwicklungsländer“ – Flassbeck und Steinhardt verwenden den Begriff ganz ohne Scheu und dementsprechend ohne Anführungszeichen – in eine zunächst einmal komplizierte Situation geraten. Sie ließe sich, trügen die Aussichten nicht, nach Ansicht unserer Autoren allerdings mit dem nationalen Kapital der reichen Volkswirtschaften und dank des wohlwollenden Handelns lokaler Herrscher, aufgeklärter Makroökonomen und demokratischer Mandarine leichthin bewältigen: Gemeint ist eine Situation, in der die daheim bleibende Arbeit zu Hause womöglich gar nicht oder jedenfalls nicht mehr sehr lange gebraucht wird. Denn, so ein weiterer Merksatz der Autoren, „mittel- bis langfristig [ist] die Entwicklung hin zu einem ständig steigenden Kapitaleinsatz eine Art Naturgesetz in der Welt der Ökonomie“ (S. 34). Steigender Kapitaleinsatz führt, haben wir zu begreifen, unvermeidlich zu neuen Arbeitsmöglichkeiten und Einkommenschancen. Die nach dem staatlich repräsentierten Volkswillen der reichen Gesellschaften daheim bleiben müssenden Müllschnüffler und -verbrenner in Accra werden sich freuen, von solchen Naturgesetzen zu hören und demnächst von ihnen profitieren zu können. Vermutlich werden sie sich mittelfristig für ihre Körper wie Geist verzehrende Suche nach verwertbarem Material im westlichen Elektronikschrott mit arbeitserleichternden Wertstoffortungs-Apps (Namensvorschlag für die US-amerikanischen Softwareentwickler: „EaseWaste“) ausrüsten. Und langfristig winkt ihnen garantiert ein Arbeitsplatz in einer mit modernster europäischer Technologie ausgestatteten Mülltrennungs- und -verbrennungsanlage am Rande der westafrikanischen Metropole. „Die kapitalintensive Produktionsweise ist langfristig immer die überlegene, weil sie mehr Wohlstandspotenzial und damit die Voraussetzung für auf der ganzen Welt steigende Löhne schafft.“ (S. 36) Auch das ghanaische Volk ist damit so gut wie sicher auf dem Sprung, „wirtschaftlich aufzuholen und das Wohlstandsgefälle zu den reichen Ländern zu verringern“ (S. 40) – wie immer natürlich dem Stand der nationalen Kapitalstock- und Produktivitätsentwicklung entsprechenb d. Gut volkswirtschaftlich Ding will Weile haben.

Wachstum? Danke der Nachfrage!

Was das Ökonomieverständnis des heterodoxen Autorenpaars, neben der strikt nationalen Natur allen Wirtschaftens, im Kern kennzeichnet, ist die absolut unbezweifelbare Zentralität des materiellen Wachstums. Die wiederholt eingesetzte rhetorische Wendung, keine nationale Volkswirtschaft dürfe „unter ihren Verhältnissen“ (S. 29) leben, steht für nichts anderes als die Überzeugung, dass gesamtwirtschaftlich immer neue Nachfrage nach immer neuen Gütern zu schaffen sei – permanente „Nachfrageausweitung“ (S. 51) ist das Lebenselixier der Marktwirtschaft. Dem wohlwollenden Herrscher über das wirtschaftliche Geschehen muss es grundsätzlich und ausnahmslos darum gehen, durch die Realisierung beständiger Einkommenssteigerungen zu vermeiden, dass „der Zuwachs der Gütermenge, der potenziell möglich ist, von der eigenen Bevölkerung nicht mehr gekauft werden [kann]“ (S. 53). Das ist gewissermaßen die Horrorvorstellung der „neuen Ökonomik“: Stell Dir vor, es könnte etwas produziert und abgesetzt werden – und niemand will es haben. Wehe, das produktive Potenzial der nationalen Volkswirtschaft wird nicht ausgeschöpft! Erneut stehen wir vor einer Art Naturgesetz: In einem immer effizienter werdenden Produktionsprozess entstehen immer mehr Produkte, und diejenigen, „die die Produkte kaufen sollen, […] müssen auch die Mittel haben, um sie zu erwerben“ (S. 60 f.). So einfach. Wie kann man solche Trivialitäten bloß nicht verstehen?

Gute Wirtschaftspolitik sorgt demnach dafür, dass „der lachende Dritte“ (S. 72) – nein, bewahre, nicht der Kapitaleigner und Investor, sondern – „der Arbeitnehmer als Konsument“ ist, „weil er mehr Güter kaufen kann als vorher“ (S. 73). Die „neue Ökonomik“ ist insofern ganz die alte, als sich alles um die Wachstumsfrage dreht: Sie ist eine Legitimationswissenschaft der spätkapitalistischen Krümelmonsterökonomie, durch und durch. Der neuen Ökonomik und ihrer alten Ökonomie geht es letztlich allein darum, dass keine Nation unter den Möglichkeiten ihres Produktions- und Produktivitätspotenzials bleibt, dass in jeder Nation „ein großer Kuchen gebacken wird“ (S. 115) – also um die Frage, wie ein hohes nachfragerelevantes Einkommen entsteht „und wie man es weiter erhöhen“ (S. 115), sprich in der nächsten Periode einen noch viel größeren Kuchen backen kann. Und so immer weiter. Das ist eine Ökonomie des süßen Breis – der quillt und quillt, und die nationalen „Arbeitnehmer als Konsumenten“ sollen ihn in sich hineinstopfen, bis sie platzen. Oder bis der Globus kollabiert – wobei die stoffliche Basis dieser ganzen endlosen und endlos wachsenden Produktions- und Produktivitätsmaschinerie bei Flassbeck und Steinhardt überhaupt keine Rolle spielt. Sie ist ihnen im ökonomischen Wortsinne nicht der Rede wert. Was allein zählt, ist eine skalenmäßig grenzenlose, sozialräumlich aber eben strikt nationale Wachstumswirtschaft, gesteuert durch einen wachstumsökonomisch aufgeklärten, wachstumsdemokratisch legitimierten und wachstumsbürokratisch administrierten Wachstumsstaat, der sich der vollständigen „Aktivierung der in seinem Herrschaftsgebiet befindlichen Ressourcen“ (S. 360) verschrieben hat.

Dementsprechend fallen auch die abschließenden Ausführungen der Autoren zu „Klimawandel und Umweltschutz“ (S. 374 ff.) aus – bei denen sich auf den ersten Blick die einfache Frage aufdrängt, warum sie angesichts der bisherigen Ausführungen und Thesen überhaupt in dieses Buch hineingeraten sind. Vermutlich hatten die Autoren das Gefühl, zu diesem gesellschaftspolitischen – und eben auch gesamtwirtschaftlichen – Megathema irgendetwas sagen zu müssen. Die nun publizierten 20 Seiten zum Thema sind allerdings von einer wissenschaftlichen Antiquiertheit und einer intellektuellen Schlichtheit, dass einem wahlweise der Atem stockt oder die Tränen kommen. Gänzlich ungerührt von den einschlägigen, seit Jahrzehnten andauernden Debatten der politischen Ökologie, vollkommen unbefleckt von einem und sei es auch nur rudimentären Wissen um die äußerst lebendige Disziplin der Ecological Economics, ist dieses Kapitel ein echtes Armutszeugnis heterodoxer ökonomischer Analyse. Mehr noch: All das, was auf den zurückliegenden 370 Seiten ebenso wortreich wie selbstgefällig an den Mann (die Ökonomik ist eine Wissenschaft von Männern für Männer) gebracht werden sollte, ist hier urplötzlich verschwunden, auf einen Schlag wie weggefegt.

Denn, Überraschung: Wenn es um die Umwelt geht, dann regelt das Weitere wie das Nähere nicht ein Gesetz, sondern der Markt. Na klar, ein staatlich regulierter Markt – doch die staatliche Regulierung hat an dieser Stelle der Problemlandschaft nur das nachzuvollziehen, was sich ihr als die Aggregation individueller Präferenzen darstellt. Um es im Klartext der „neuen Ökonomik“ auszudrücken, muss der Staat die in der Bevölkerung verbreitete „abstrakte Bereitschaft, für mehr Umweltschutz zu zahlen“, als „Unternehmer für den Umweltschutz“ aufnehmen und „diese Präferenzen bedienen“ (S. 379). Nach Ansicht der Autoren „erledigt sich“ damit „eine ganze Klasse von Problemen, die von der herrschenden Ökonomie mit dem Umweltschutz verbunden wird“ (S. 380) – die ansonsten verhasste und gnadenlos abgewatschte unsichtbare Hand soll jetzt in Umweltfragen (Gerhard Schröder hätte in seiner unnachahmlichen Art wohl gesagt: bei Umwelt und Gedöns) ihre offenbar doch segensreiche Wirkung entfalten. Das nennt man wohl ökologische Transformation, leichtgemacht: Vollzogen letztlich „durch rein private Dispositionen“ (S. 381) – „Politik muss sich darüber überhaupt keine Gedanken machen“ (ebd.).

In der Tat, man traut seinen Augen nicht – weder theorieimmanent, noch gar policy-logisch ist diese Wendung auch nur ansatzweise nachzuvollziehen. Ein verfassungsmäßig verankertes Staatsziel Umweltschutz lehnen die Autoren, ansonsten um keine etatistische Selbstüberbietung verlegen, rundweg ab – ein „grandioser Unsinn, weil der Wunsch der Menschen […] nach sauberer Umwelt in die Reihe der (mikroökonomischen) Präferenzen gehört“ (S. 382 f.). Und solche Wünsche und Neigungen der ansonsten als Souverän nicht gerade geschätzten Bevölkerung steuert „ein kompetenter Staat (also ein Staat, der ausschließlich in gesamtwirtschaftlichen Kategorien denkt)“ (S. 381) über die Preise, „wie denn auch sonst“ (S. 385). Wie denn auch sonst!? An dieser Stelle ziehen Flassbeck und Steinhardt – das Drehbuch ist wirklich so schmierenkomödiantisch – das Instrument des Zertifikathandels aus dem Hut, das heißt ein klassisch und radikal marktliberales Instrument, über dessen Effektivität und Effizienz, Allokations- und Verteilungswirkungen außerhalb der liberalen Ökonomik alles bekannt und gesagt ist.

Zudem behauptet das Autorenduo an dieser Stelle doch tatsächlich, dass es nicht – ich wiederhole: nicht – die „Vorgaben eines Staates“ (S. 385) sein dürften, die einer möglichen Unaufgeklärtheit des Volkes entgegengesetzt werden, wo doch ansonsten der aufgeklärte Staat für Flassbeck und Steinhardt immer und überall gehalten ist, im Dienste des Gemeinwohls tätig zu werden und dafür das Volkswissen zur Not auch zu ignorieren. Es ist schon verrückt: Der ganze Popanz vom wohlwollenden Herrscher, in der Umweltfrage löst er sich in ökonomisches Wohlgefallen auf, mit dem schlichten Taschenspielertrick des Verweises auf die individuellen Präferenzen. Auf einmal erweist es sich, „wie ungeheuer flexibel die Unternehmen sein können. Sie könnten auch solche globalen Herausforderungen wie den Klimawandel leicht bewältigen. Wir müssten nur beginnen zu begreifen, wie die Marktwirtschaft funktioniert“ (S. 388). Sie schreiben das ernsthaft so: Der Klimawandel wäre „leicht“ zu bewältigen. Vorletzte Fußnote: Auch die staatlicherseits unbedingt zu respektierenden Umweltpräfenzen sind natürlich wieder einmal strikt national gewachsen, so dass in einem Land, in dem kollektiv-individuell eher eine Präferenz für mehr Umweltverschmutzung besteht, „der Staat dort mit einer gewissen Berechtigung weniger Umweltschutz durchsetzt“ (S. 384).

Ein letzter Punkt: Was im Rahmen von Flassbecks/Steinhardts „neuer Umweltökonomik“ geradezu undenkbar erscheint, ist die Eventualität, den Ressourcen- und Energiebedarf spürbar, geschweige denn radikal zu senken. Stattdessen bemühen sie eine Schreckensvision, die ansonsten als Heilsbringer firmiert – nämlich die als „extrem gefährlich“ bezeichnete Idee vom „globalen grünen Diktator“ (S. 393), „eine gut gemeinte globale Ökodiktatur, in der ein wohlwollender Diktator das tut, was für die Menschheit insgesamt angemessen erscheint“ (S. 396). Erstaunlich, dass den Autoren der immanente Widerspruch nicht bewusst wird – was aber wiederum, der Kreis schließt sich, an ihrem radikalen methodologischen Nationalismus liegen dürfte: Den wohlwollenden Herrscher, der national nicht nur sachlich angemessen und demokratisch legitim, sondern schlichtweg auch funktional unverzichtbar ist, kann es, ja darf es auf globaler Ebene einfach nicht geben. Auch deswegen wohl sehen die Autoren nicht grün, sondern schwarz für eine „globale Klimastabilisierung“ – „es nützt nichts, sich mit Illusionen zu trösten, wenn es keine guten Argumente gibt.“ (S. 393) Keine guten Argumente für ein globales Klimaregime, aber auch kaum gute Gründe für eine nationale Klimapolitik, die über die staatlich zu exekutierenden Präferenzen der klimaschädigenden Bevölkerungen hinausginge: Im Fazit würde man solche Befunde mit Recht „gescheiterte Globalisierung“ nennen.

Aber von einem solchen Scheitern ist im Buchtitel zweifelsohne nicht die Rede. Bleibt also nur die logische Schlussfolgerung: „In jedem Fall ist eine drastische absolute Verminderung des CO2-Ausstoßes aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe (andere Quellen gibt es dann immer noch) bis 2050, wie das von vielen Klimaforschern für nötig gehalten wird (man redet sogar von Null-Emissionen aus der Verbrennung), vollkommen ausgeschlossen.“ (394) Man wird den Subtext dieser Aussage ergänzen müssen, der da – um für die nötige Verdeutlichung zu sorgen – zweifelsohne lautet: Und das ist auch gut so. Denn wollte man sich diesem Ziel auch nur annähern, dann müsste die Logik der Wachstumsökonomie ganz grundsätzlich infrage gestellt werden – und zwar gerade in den reichen, überentwickelten Gesellschaften, die als allererste damit zu beginnen hätten, „unter ihren Verhältnissen“ zu leben.

Was bleibt?

„Man mag das wirtschaftliche System, in dem wir leben, Marktwirtschaft nennen oder Kapitalismus, entscheidend ist nicht der Begriff, sondern ein möglichst umfassendes Verständnis davon, wie dieses System funktioniert.“ (S. 168) Das mag stimmen: Es geht nicht so sehr um Begriffe (obwohl die Theoretiker und Praktiker der mehr oder weniger „sozialen“ Marktwirtschaft schon den bloßen Begriff des Kapitalismus nicht umsonst scheuen wie der Teufel das Weihwasser), sondern um die angemessene politökonomische Analyse. Was diese Analyse allerdings angeht, so gehen Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt dem neoklassisch-neoliberalen Mainstream, gegen den sie sich so unumwunden positionieren, letztlich doch erstaunlich unreflektiert auf den Leim. Zu einer kritischen Analyse des real existierenden Kapitalismus – und bezeichne man ihn auch als „Marktwirtschaft“ – gehört fraglos die Würdigung so entscheidender Faktoren wie des Privatbesitzes an Produktionsmitteln beziehungsweise der Institution des Privateigentums überhaupt, des Lohnabhängigkeitsverhältnisses, des Kapitalakkumulationszwangs, des Klassenantagonismus, der Ausbeutung von lebendiger Arbeit und lebendiger Natur – allesamt Momente und Motive, die als strukturanalytische für Flassbecks/Steinhardts „neue Ökonomik“ faktisch keine Rolle spielen.

Hier herrscht vielmehr eine grundsätzlich harmonische Vorstellung vom „Prozess der normalen wirtschaftlichen Entwicklung“, die sich nämlich derart vollziehe, „dass der berühmte schumpetersche Pionierunternehmer eine Idee zur Verbesserung der Produktionsverfahren oder zur Verbesserung der Produkte hat bzw. ein ganz neues Produkt auf den Markt bringt.“ (S. 175) Und ab geht die Post: Schon steigen seine Produktivität und sein Gewinn, wird produziert und Einkommen geschaffen, zieht die Nachfrage an und die andere Unternehmer nach, entstehen Ungleichheiten auf der Mikroebene, die neue Leistungsanreize setzen – und wenn der berühmte Pionierunternehmer nicht gestorben ist, dann innoviert er auch noch heute. Oder eben andere, noch nicht so berühmte, aber nicht minder innovative schöpferische Zerstörer.

Als ökonomische Querdenker, als unbequeme Außenseiter, als Hüter einer alternativen ökonomischen Vernunft angetreten, offenbaren Flassbeck und Steinhardt mit ihrem Buch das ganze Elend der Nationalökonomie: Wer solche heterodoxen Ökonomen als Freunde – oder sagen wir: als potenzielle Verbündete für eine postneoliberale Gesellschaftsgestaltung – hat, der braucht gar keine liberalen Ökonomen mehr zum Feind. Und eine Gesellschaft, die sich auf die eine oder andere Expertise verlassen würde, führe so oder so gegen die Wand – sei es nun auf orthodoxe Weise, in neoliberaler Raserei, oder aber auf die heterodoxe Art, mit altsozialdemokratischer Richtgeschwindigkeit. „Unglücklicherweise hat sich die Welt gerade fundamental verändert, was Lösungen notwendig macht, die von den einen wie den anderen das verlangen, was ihnen am absolut schwersten fällt: ein Umdenken.“ (S. 190) Ja, so ist es. Da möchte man den Autoren nur noch zurufen: Denkt mal drüber nach.

Postskriptum

Eine allerletzte Frage wäre am Ende noch zu klären: Warum verlegt Suhrkamp ein solches Buch? Die Antwort lassen wir offen. Muss wohl altes, einzelwirtschaftliches Denken mit im Spiel gewesen sein.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Martin Bauer.

Kategorien: Globalisierung / Weltgesellschaft Wirtschaft Staat / Nation

Stephan Lessenich

Stephan Lessenich, Soziologe, ist Professor für Gesellschaftstheorie und Sozialforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dort Direktor des Instituts für Sozialforschung (IfS).

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