Niels Penke | Essay |

Das prekäre Wissen und das Wissen der Populärkultur

Über Superreiche

Über ökonomisch weniger gut aufgestellte Milieus wissen wir viel. Wer nur aus einer Quelle finanziert wird, ist nicht nur beim Finanzamt schnell durchleuchtet, sondern auch häufig Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung, die auf die Bedeutung wachsender Ungleichheit für demokratische Gesellschaften verweist. Der politische Einfluss dieser prekären Bevölkerungsgruppen ist zudem tendenziell gering. Dass Wissen über eine Gruppe und ihre gesellschaftliche Macht in einem antiproportionalen Verhältnis zueinanderstehen, wird auch deutlich, wendet man sich der anderen, demografisch weit kleineren Gruppe der sehr gut aufgestellten Personen und Haushalte zu, die als Superreiche gelten können. So fallen in den Erhebungen des Sozio-ökonomische Panel (SOEP) bereits Haushaltseinkommen in die Gruppe „Hocheinkommen“, die oberhalb von 4.500 Euro im Monat liegen. Ein Lehrerpaar oder eine Fachärztin liegen locker darüber, können aber weder große Sprünge machen, noch die Welt oder zumindest Weltausschnitte maßgeblich gestalten, denn sie befinden sich im Promillebereich solcher Hocheinkommen, die tatsächlich Einfluss geltend machen können. Die mit vielen Millionen oder Milliarden ausgestatteten Menschen sind in solchen Erhebungen unterrepräsentiert.

Doch auch über quantitative Studien hinaus hält sich die Soziologie in Bezug auf Superreiche – oder auch nur diejenige Bevölkerungsschicht, die „Oberklasse“ genannt wird – verhältnismäßig bedeckt.[1] Es scheint, als hätte Carl Schmitt den richtigen Riecher besessen, als er einem seiner Schüler die Definition mit auf den Weg gab: „Elite sind diejenigen, deren Soziologie keiner zu schreiben wagt.“[2] Bei Schmitt aber geht der Denkweg stets in die Richtung ewig-gleicher Feindbilder und landet rasch beim (Singular) „Juden“. Dies ist die eine Weise, mit diesem Wissensdefizit umzugehen, das Unbekannte durch ein phantasmatisches Feindbild vorstellbar zu machen. Über die Dämonisierung der superreichen Feinde erfolgt einerseits die Entlastung davon, man selbst könnte etwas mit ihrem Status als Superreiche zu tun haben. Denn die Reichtümer, die über profane Dinge wie Autos, Computer, Öl, Mietwohnungen oder Versandhandel aggregiert werden, und die wir alle durch Konsuminteressen und Kaufentscheidungen (zumindest in Teilen) mitaufbauen und stützen, spielen im Verschwörungsdenken seit jeher keine entscheidende Rolle. Andererseits bewahrt sie vor der herausfordernden Auseinandersetzung mit den ökonomischen Logiken, die der massiven Ungleichverteilung von Vermögen zugrunde liegen und so die Existenz jener Superreichen erst bedingen. Verschwörungserzählungen erscheinen als Strategie, auf welche Weise auch immer, Licht in ein ‚Dunkel‘ zu bringen, das nicht ganz geheuer ist, von dem man auch nicht allzu viel weiß, in dem es daher aber besonders niederträchtig zugehen muss. Denn die meist bösartigen, immer parasitär-raffenden Wohlbegüterten, sie müssen ihren Status auf andere, heimtückisch-geheimnisvolle Weise erworben haben. Von Rothschild bis Soros ist diese Fantasie von unbeirrbarer Stabilität.

Solche Verschwörungserzählungen bieten Entlastung von Komplexität. Und sie sind, zum Leidwesen der derart Beschriebenen wie einer deliberativen Öffentlichkeit, populär. Sie sind weit verbreitet und zirkulieren in unzählbar vielen Formen und verschiedenen medialen Realisationen. Sie bilden die eine Seite der medialen Fremddarstellung, die sich wissend und daher aufklärend geriert, obwohl ihre Grundlage meist dürftig und ihr Blick ressentimentgeleitet ist.

Angesichts der kargen empirischen Fakten, ließe sich sagen, dass sich vieles, was wir tatsächlich über Superreiche wissen oder zu wissen meinen, populären Formaten verdankt. Gegenüber den verschwörerisch-denunziatorischen Darstellungen gibt es auch andere, die ihre superreichen Hauptfiguren klar im Modus der Fiktion entwerfen und sie in Bildern oder erzählend in Szene setzen, etwa in populärkulturell eingebundenen Romanen, Filmen und Serien. Sie zeigen the sunny side of the street, the rich and the famous. Ob Klassiker wie The Great Gatsby oder Citizen Kane, Serien wie Dallas oder Reich und schön: die Bilder von ausgesuchten Ressorts, alltäglichem Luxus und unerhörter Mode, die Begehrnisse weckt, aber für die meisten Zuschauenden unerreichbar bleibt, sind ebenso zahlreich wie in ihren Motiven beständig, im Detail wiederum im Wandel begriffen. Das verdeutlichen auch aktuelle Beispiele wie Gossip Girl oder die spanische Serie Élite, die sich um differenzierte Perspektiven bemühen. Wenn es narrative Gemeinsamkeiten zwischen diesen Repräsentationen gibt, dann stechen zwei Elemente ins Auge. Erstens die Entkoppelung der Möglichkeiten zur Gestaltung individueller Lebenswelten von ihren Bedingungen, namentlich von Erbschaften, Firmenanteilen, Investitionen, konkreten Geschäftspraktiken und Projekten sowie von deren Folgen. Es gilt die Diffusion oder Beschränkung im Hinblick auf das Zustandekommen exorbitanter Reichtümer, der die Prätention, trotz fast unbegrenzter Möglichkeiten Mensch wie alle anderen zu sein, entgegensteht. Und es läuft darauf hinaus, die Reichen ganz unberührt von ihrem kontingenten Wohlstand als Menschen vorzustellen, denen Gefühle, Erinnerungen und ihre Mitmenschen eigentlich die wichtigeren Dinge im Leben sind. Das machtvolle Medienempire Charles Foster Kanes bedeutet ihm wenig verglichen mit seinem Schlitten Rosebud, dessen Erinnerung an die unbeschwert-unschuldige Kindheit die Gegenwart sentimental überstrahlt. Von einem Feelgood Movie wie Richie Rich (1994) mit Macauly Culkin bis hin zu Crazy Rich (2018) menschelt sich diese Weisheit durch die (vor allem Film-)Geschichte, nach der die „wahren“ Schätze ohne monetären Gegenwert, persönlich imprägniert und unbezahlbar sind.

Was dahinter liegt, wird anderswo gezeigt. Einen Jay Gatsby umgibt das Geheimnis besonders stark, es wird durch die unausgesprochene Grenze verstärkt, die eine Konfliktlinie zwischen (vererbtem) ‚altem‘ und ‚neuem‘ Geld aus dubiosen Quellen sowie den damit verbundenen Milieus andeutet, die allerdings hundert Jahre später verschwunden zu sein scheint.[3] Dass der Firnis der Zivilisation dünn ist, zeigen unter anderem der Kinoerfolg Triangle of Sadness (2023) oder Jonas Lüschers Novelle Frühling der Barbaren (2013), die über den Bruch dieser Fassade den Umschlag in die nackte Barbarei eines Naturzustandes durchspielen.

Wo hingegen die Ursprünge großer Reichtümer explizit gemacht werden, ist die märchenhafte Fortune am Werk. Dagobert Duck etwa, der als selfmade man vom erfolglosen Schuhputzer und Torfstecher den grandiosen Aufstieg vollzieht, nachdem er den richtigen Augenblick erkannt hat und als Tüchtiger mit dem nötigen Glück belohnt wurde, um schließlich mit guten Investitionen und ausgeprägtem Geiz zur reichsten Ente der Welt zu werden.[4] Eine Ente, die den American Dream einlöst und dem Aufstiegsversprechen des Kapitalismus eine fabelhafte Erzählung gibt.

Fantasien wie diese werden kontrastiert durch Selbstdarstellungen, die mit einigen wenigen, primär populärkulturell bekannt gewordenen Celebrities in Serie gegangen sind. Waren Zugänge in die Welt der Superreichen sporadisch und hauptsächlich Klatschmagazinen überlassen, hat sich dies nicht zuletzt durch auch durch die enorm verbreiterten Möglichkeiten von Social Media verändert. Donald Trump, der vor seiner politischen Karriere in The Apprentice seine Rolle als erfolgreicher Geschäftsmann und Investor spielte, um damit vorbereitend seine Eignung für die Präsidentschaftskandidatur herauszustellen, hat sich auf Twitter als Übergangsfigur zum Vulgären, Zynischen und Faschistoiden präsentiert und so deutlich gemacht, wie gut sich Vermögen und ein unbedingter Machtwille ergänzen – gezeigt hat die Show auch, wie gut dieses Rollenspiel vor Publikum funktioniert. Die Reality-Soaps Keeping Up with the Kardashians und ihre diversen Spin-Offs, Secret Lives of the Super Rich oder das The Real Housewives of ...-Franchise gewähren dosierte Einblicke in Wohn- und Lebenswelten, wie diese auch in einem eher trashigen Format wie Die Geissens. Eine schrecklich glamouröse Familie (seit 2011) – als spektakuläres Gegenstück zur „schrecklich netten Familie“ eines Schuhverkäufers der unteren Mittelschicht – zur Schau gestellt werden. Wenn diese Formate eine Gemeinsamkeit haben, dann besteht sie in der Performance des Reichseins, die das Reichwerden ausklammert, und auch die gesellschaftlichen Bedingungen, die diese Reichtümer ermöglichen und begünstigen, fehlen ebenso wie die verheerenden Auswirkungen superreicher Realitäten auf das Gemeinwesen. Diese nicht reflektierten Bedingungen, Folgen und die verursachten Schäden wurden aktuell in Dokumentationen der ARD (Ungleichland, 2020; Das Klima und die Reichen, 2023) und des ZDF über die Macht der Superreichen (2022) aufgearbeitet.

All diese Inszenierungen kulminieren in Elon Musk, der der Sozialfigur des Multi-Milliardärs ein neues Antlitz gegeben hat. Sie markiert die Spitzenstellung in einer Gesellschaft der eskalierenden Ungleichheit, sowie den Ersten in einer auf Steigerung und immer neue Rekorde zielenden Gesellschaft des Populären. Die zeigt, nach Bill Gates und Warren Buffet, nun Jeff Bezos und Elon Musk in einem Wettkampf, der wiederum das wahnwitzige Moment der Comic-Figuren wiederholt, diese in ihrem Streben aber weit übertrifft: Störung bis Zerstörung des öffentlichen Raumes sind die Folge, aber noch lange nicht das Ende, denn dieses kann erst jenseits der Einlösung (tatsächlicher oder vermeintlicher) Menschheitsträume wie der Eroberung des Weltraums und der Besiedlung neuer Planeten liegen. Zwischen Superheld und Cowboy agiert dieser Typus, der überzeugt ist, Gutes zu tun, aber zynisch dadurch bleibt, den Planeten verlassen zu wollen, zu dessen Zerstörung er und Seinesgleichen in Vergangenheit und Gegenwart den wesentlichen Teil beigetragen haben. Der Ausweg ins All zeigt einerseits an, dass er die Vorstellung einer gemeinsamen Welt nie geteilt hat und ist andererseits Ausdruck einer Entwicklung, in der sich der technizistische Solutionismus und die überzeichnete popkulturelle Imagination immer weiter anzunähern scheinen.

  1. Gerald Wagner, Unbekanntes Wesen Oberschicht, https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/soziologie-der-oberschicht-obere-einkommensklasse-kaum-erforscht-17564740.html (10.07.2023), Michael Hartmann, Die „Oberklasse“ – ein blinder Fleck bei Andreas Reckwitz, https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0340-0425-2021-3-297.pdf (10.07.2023).
  2. Brief vom 26.12.1954, in: Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler, herausgegeben von Armin Mohler in Zusammenarbeit mit Irmgard Huhn und Piet Tommissen, Berlin 1995, S. 147
  3. An Leonardo DiCaprio, der Gatsby in Baz Luhrmanns Neuverfilmung (2013) spielte, ließen ausgehend sich von Celebrity (1998) über Catch Me If You Can (2002) bis zu The Wolf of Wall Street (2013) verschiedene Facetten reicher Figuren(-typen) verfolgen.
  4. Vgl. Don Rosa, Dagobert Duck – Sein Leben, seine Milliarden, 1993 ff. (Original: The Life and Times of Scrooge McDuck, 1991ff.)

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Hannah Schmidt-Ott.

Kategorien: Geld / Finanzen Kultur Kunst / Ästhetik Wirtschaft

Niels Penke

Niels Penke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Germanistischen Seminar der Universität Siegen, seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. Theorie und Geschichte des Populären, Fantasy und deutschsprache Gegenwartsliteratur. Zuletzt erschienen: Populäre Kulturen zur Einführung, Junius 2018 (mit Matthias Schaffrick); Jünger und die Folgen, Metzler 2018; Instapoetry. Digitale Bild-Texte, Springer VS 2022.

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