Autor:innenkollektiv Leipziger Kultursoziologie | Essay |

„Deadlines Make You Creative“

Mit Mut gegen Scheu und Blockaden

Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen leicht angepassten Auszug (S. 33–39) aus dem Leitfaden „schöne wissenschaftliche Texte“ des Instituts für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig. Wir danken dem Autor:innenkollektiv für die Erlaubnis, die Passagen in unser Dossier Wissenschaft als Handwerk integrieren zu dürfen.

Die Redaktion

 

„I love deadlines. I love the whooshing noise they make as they go by.“ (Douglas Adams)

Ohne Frage: Wissenschaftliche Texte erfordern (viel) Zeit und Aufwand. Und zu allem Übel lauern am Wegesrand mitunter tiefe Motivationstäler und Selbstzweifel. Dennoch: Sehen Sie solche Texte keinesfalls als unlösbare Aufgaben an. Mitunter helfen banale Dinge, einen wissenschaftlichen Text, gleich welcher Art, zu bewältigen. Machen Sie sich bewusst, dass Schreiben eine kreative Angelegenheit ist, zugleich aber eine Art Handwerk. Ein Handwerk, das kontinuierliche Arbeit, ständiges Ausprobieren, neuerliche Wiederholungen, gehörige Portionen an Willen, Motivation und Disziplin verlangt. Und nicht zuletzt die Absicht, eine Abgabefrist einzuhalten. Da unterscheidet sich das Schreiben von schönen Texten nicht vom Schreiben schöner Songs. Vertrauen Sie deshalb Jack White:

„Inspiration and work ethic they ride next to each other […]. Force yourself. Force yourself to require now in that time. Deadlines and things make you creative. But opportunity and telling yourself, ‚oh, you got all the time in the world […] even all the colours in the palette you want […] anything you want‘. I mean that just kills creativity.“[1]

Recht hat er. Und gleichzeitig sind damit einige bedeutsame Hindernisse ja gerade nicht vom Tisch gewischt, die sich beim Schreiben wissenschaftlicher Texte ergeben.

Wissenschaftlichkeit

Viele von Ihnen werden anfänglich besonders damit hadern, für sich verständlich zu entschlüsseln, was mit Wissenschaftlichkeit und wissenschaftliches Schreiben überhaupt gemeint sein soll. Die Frage, ob das überhaupt eine wissenschaftliche Fragestellung ist, bekommen wir immer wieder zu hören. Einerseits ist dies eine berechtigte Frage, oftmals stehen Sie sich damit jedoch selbst im Weg.

Wissenschaftlich wird ein Text nicht dann, wenn Sie eine komplizierte Sprache wählen, Spezialausdrücke verwenden oder den gesunden Menschenverstand ausschalten. Wissenschaftlichkeit ist auch keine Eigenschaft, die ein Text einfach hat oder eben nicht hat. Er kann bei einer guten Fragestellung starten, dann aber bei reinen Vermutungen oder Behauptungen enden.

Aus unserer Sicht, und damit schließen wir uns der Sicht vieler Kolleg:innen an, ist Wissenschaftlichkeit vor allem eine Frage der Distanz und der Perspektive. Wenn es Ihnen gelingt, selbst das alltäglichste Phänomen aus eben einer anderen Perspektive zu betrachten, als Sie das normalerweise tun würden, sind Sie schon auf einem guten Weg. Grundsätzlich wird das speziell in den Wissenschaften erzeugte und angewandte Wissen vom sogenannten Alltagswissen dadurch unterschieden, „dass es systematisiert, reflektiert, geprüft und schriftlich fixiert ist. Es ist nicht unbedingt wirksamer als Alltagswissen, wohl aber begründeter“.[2] Und dies geschieht eben hauptsächlich mittels entsprechender Texte, Daten oder Quellen.

Otto Kruse zeichnet in einer anschaulichen Einleitung nach, wie Sie Etappe für Etappe Ihres Studienlebens das wissenschaftliche Schreiben (er)lernen, worauf Sie vorbereitet sein müssen und welche Schreibkompetenzen wann gefordert sind.[3] Sie werden sich stets auf der sicheren Seite befinden, wenn aus Ihren Texten erkennbar und eindeutig hervorgeht, dass ausgehend von einer klar definierten Fragestellung begründete Ergebnisse und Wissen gesammelt und produziert wurden. Sie müssen transparent gemacht haben, wie Sie Ihre Analysen durchgeführt haben und diese anhand der dafür benutzten Literatur und hinzugezogener Quellen dokumentieren.

Vor allem: Bleiben Sie kritisch gegenüber Ihrem Material sowie den dort gebotenen Argumenten. Lassen Sie auch gegensätzliche Ansichten über Ihr Thema nicht außer Acht und diskutieren Sie diese – je nach Umfang Ihrer Arbeit mehr oder weniger ausführlich – abwägend und mit Bedacht.

Arbeitsstrategien

Auch wenn wir alle unsere individuellen Gewohnheiten und unterschiedlichen Arbeitsweisen haben: Ein Arbeitsplan hat noch keinem geschadet. In den einschlägigen Ratgebern zum wissenschaftlichen Schreiben finden Sie ähnliche Strategievorschläge und Arbeitsetappen: von der ersten Idee zur konkreten Frage; Zeitplan erstellen; klare Deadline geben; suchen, finden und strukturieren von Literatur und Quellen; einen inhaltlichen roten Faden spannen; den Rohtext schreiben; überarbeiten und korrigieren; Abgabe.[4]

Möglicherweise runzeln Sie beim Lesen die Stirn, weil Ihnen dies zu simpel erscheint. Machen Sie es sich aber nicht komplizierter als nötig: Ein wenig Organisation, hier und da ein intensiveres Gespräch und nicht zuletzt konzentriertes und zuversichtliches Arbeiten – viel mehr braucht es manchmal gar nicht.

Bleiben Sie vor allem aktiv: Lesen Sie, schreiben Sie! Und nutzen Sie Möglichkeiten zum Üben, wenn sie sich bieten. Immer wieder werden, auch institutsübergreifend, Workshops zum wissenschaftlichen Arbeiten angeboten. Halten Sie nach solchen Angeboten Ausschau, und machen Sie davon Gebrauch.

Kommunikation & Co.

Einen erheblichen Einfluss auf das Vorankommen Ihres wissenschaftlichen Textes besitzt die Kommunikation mit dem oder der Betreuenden Ihrer jeweiligen Arbeit. Suchen Sie bei Unklarheiten, Fragen oder Problemen rechtzeitig das Gespräch, persönlich nach dem Seminar oder in der Sprechstunde, via Mail oder anderweitig. Es muss klar abgesteckt sein, was von Ihnen verlangt wird, wie groß der Umfang der Arbeit sein soll, welche und wie viel Literatur nötig ist und auf wann der Abgabetermin festgesetzt ist. Tauschen Sie sich über das Thema aus und stimmen Sie die Fragestellung genau ab. Halten Sie – insbesondere bei Abschlussarbeiten – regelmäßigen Kontakt und Austausch.

Erwarten Sie aber nicht, alles servierfertig präsentiert zu bekommen. Die Hauptarbeit obliegt immer noch Ihnen selbst. Und beweisen Sie Fingerspitzengefühl: Niemand wird Ihnen den Mut zur Hartnäckigkeit negativ zur Last legen, ganz im Gegenteil. Doch Empathie und Geduld sowie vor allem eine fundierte inhaltliche Vorbereitung und eingehaltene Absprachen wirken erleichternd und ergiebig auf die Kommunikation mit Ihrem/Ihrer Betreuer:in.

Wie machen es eigentlich die anderen?

Beim eigenen, oft individuellen Arbeiten gilt: Bloß nicht verstecken, eingraben und einsam verzweifeln! Das Gespräch mit anderen über die eigene Arbeit ist unglaublich wichtig, und schon ein fünfminütiger Smalltalk kann neuen Schwung verleihen und auf Ideen bringen. Für Abschlussarbeiten kann es sich sehr lohnen, mit Kommiliton:innen Arbeitsgemeinschaften zu gründen. Haben Sie keine Scheu, miteinander zu diskutieren, sich gegenseitig zu berichtigen und zu unterstützen. Solche kleinen Zirkel mit Vertrauenspersonen können unglaublich hilfreich sein. Und man lernt an der Diskussion über die Arbeiten anderer oft ebenso viel wie bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit. Insbesondere bei empirischen Arbeiten ist es hilfreich, die Interpretation des eigenen empirischen Materials in einer Gruppe vorzunehmen.

Ebenso ist es bezüglich bevorstehender Bachelor- oder Masterarbeiten keineswegs verboten, danach zu schauen, was eigentlich die Anderen in ihren Arbeiten so gemacht haben. Dies kann inspirieren und neue Fragen aufwerfen, aber auch einfach beruhigend wirken: Die Mitstudierenden kochen auch nur mit Wasser. Fragen Sie Ihre Betreuungsperson nach geeigneten Arbeiten.

In vielen Masterstudiengängen werden übrigens regelmäßige Forschungswerkstätten angeboten, in der Sie die Konzeption Ihrer Arbeiten besprechen können, aber auch gemeinsam mit den anderen Teilnehmern an Ihrem empirischen Material arbeiten können.

Raum und Zeit

Viel hilft viel gilt auch beim Schreiben wissenschaftlicher Texte nicht! Plan und Struktur sparen Ihnen Zeit und Mühe. Bewahren Sie vor allem den Überblick. Werfen Sie nicht wegen einer Bachelorarbeit für ein halbes Jahr Ihren kompletten Alltag über den Haufen. Kappen Sie nicht sämtliche private Kontakte und gönnen Sie sich weiterhin Ihre Freizeitvergnügen. Finden Sie heraus, wann Sie selbst am produktivsten arbeiten können – jeder Biorhythmus ist anders getaktet. Integrieren Sie Pausen, Mittagessen, frische Luft und wirkliche Regenerationsphasen. Erarbeiten Sie sich im Gegenzug konzentrierte und produktive Schaffensphasen.

Sollte Ihnen gelegentlich am Arbeitsplatz die Decke auf den Kopf fallen, wechseln Sie ruhig auch mal Ihren Stammplatz. Öffentliche Bibliothek, heimischer Schreibtisch, warum nicht auch ein Café, solange Sie sich nicht daran stören, unter plaudernden Menschen nachzudenken. Und wie gesagt: Erhalten Sie sich in der Woche und/oder am Wochenende ausdrücklich weiter Freiräume, um den Abschlussstress mal Abschlussstress sein zu lassen. Machen Sie Sport, treffen Sie sich mit Freunden in Parks und Bars oder gehen Sie sonst irgendwelchen persönlichen Vergnügungen nach.

Schließlich: Finden Sie ein Ende. Planen Sie die Arbeit von Beginn an so, dass Sie wirklich innerhalb der Arbeitsfrist fertig werden. Lassen Sie sich vom Abgabedatum motivieren, aber nicht frustrieren. Keine Arbeit wird nur deshalb besser, weil länger an ihr geschrieben wurde.

Nur Mut

Zu guter Letzt noch einmal die Versicherung: Es gibt nichts zu befürchten. Selbst wenn Ihnen Ihre anfänglichen wissenschaftlichen Schreibversuche noch so schwerfallen sollten und holprig wirken. Schritt für Schritt spielt sich das Prozedere ein. Sie werden sicherer, selbstbewusster, erfahrener: beim Ideen finden, beim Fragestellungen erarbeiten, beim Literatur ausfindig machen und beim Schreiben. Vor allem lernen Sie, fruchtbar zu kommunizieren und Feedback und Kritik einzuholen. Und schließlich spiegeln sich die Ergebnisse Ihrer persönlichen Entwicklung in angemessenen, einfach guten Arbeiten und den Bewertungen wider.

Das klingt vielleicht nach Küchenpsychologie für verzweifelte Studierende, soll Ihnen aber helfen. Gerade weil wir alle wissen, dass das Schreiben nicht jederzeit leicht von der Hand geht und wir alle es schon am eigenen Leib erfahren haben, an einem herrlichen Sommertag in sauerstoffarmen Bibliotheksecken vor einem leeren Worddokument den Verstand zu verlieren, während um uns herum hemmungslos geschmatzt, unnachahmlich geflüstert oder nervtötende Youtube-Kanäle konsumiert wurden.

Wenn alles vom Start weg von allein liefe, bräuchten gutgemeinte Ratgeber ja auch nicht geschrieben werden. Aber es lohnt sich, einige oder viele dieser Tipps anzunehmen und zu verinnerlichen. Egal ob vor dem nächsten Literaturbericht, inmitten einer fiesen Schreibblockade oder nach Abgabe einer elendig schleppenden Hausarbeit. Glauben Sie an sich. Und schreiben Sie. Nur Mut.

  1. Jack White in der Dokumentation Under Great White Northern Lights von 2009.
  2. Otto Kruse, Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium [1994], Frankfurt am Main / New York 2007, S. 61.
  3. Ebd., S. 239–241.
  4. Eine beispielhafte Anleitung zur Planung von Abschlussarbeiten, die entsprechend verkürzt auch für Hausarbeiten helfen könnte, ist Judith Wolfsberger, Projektplanung für sechs und neun Monate. Das Recht, sich auf den gesetzlichen Zeitraum zu beschränken, in: dies., Frei geschrieben. Mut, Freiheit und Strategie für wissenschaftliche Abschlussarbeiten, Stuttgart/Wien 2010, S. 53–67.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Thomas Hoebel, Wibke Liebhart.

Kategorien: Universität Wissenschaft

Autor:innenkollektiv Leipziger Kultursoziologie

Der Leitfaden „schöne wissenschaftliche texte“ wurde 2015 erstellt von Johanna Häring, Maximilian Hendel, Roman Kreusch, Wibke Liebhart, Thomas Schmidt-Lux und Monika Wohlrab-Sahr sowie 2018 überarbeitet von Jan Beuerbach, Uta Karstein, Christiane Reinecke, Ringo Rösener und Kathrin Sonntag.

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