Benjamin Loy | Essay |

Denker des Abgrunds

Charles Baudelaire, Joseph de Maistre und die Antimoderne

Das Unbehagen der Kritik

Nicht mehr als 42 Tage lagen zwischen dem Tod Joseph de Maistres am 26. Februar 1821 und der Geburt Charles Baudelaires am 9. April des gleichen Jahres. Es ist nicht überliefert, ob der Verfasser der Fleurs du Mal dieser biografischen correspondance mit dem Ahnherrn der französischen Gegenaufklärung eine besondere Bedeutung beigemessen hat. Gewiss jedoch ist, dass de Maistre für das Denken Baudelaires und seine Wahrnehmung der Moderne von weitaus wesentlicherer Bedeutung war, als einige der prominentesten Baudelaire-Interpreten haben zugestehen wollen.

„De Maistre et Edgard Poe m’ont appris à raisonner“, „de Maistre und Poe haben mir das Denken beigebracht“, notiert Baudelaire knapp in der Sammlung kurzer Notizen, Aphorismen und Aperçus, denen er den nietzscheanisch anmutenden Titel Fusées („Raketen“) gab. Es sind diese nachgelassenen Fragmente, die zur Erhellung des politischen Denkers Baudelaire und seiner häufig verschwiegenen Geistesverwandtschaft mit dem savoyischen Konterrevolutionär das mitunter ergiebigste Anschauungsmaterial darstellen.[1]

Walter Benjamin etwa ließ in seiner Baudelaire-Lektüre nicht nur die Figur de Maistres vollkommen unerwähnt, sondern verweigerte dem Dichter bekanntlich auch den Status eines systematischen politischen Denkers – mit dem Argument, dass die „Stereotypien in Baudelaires Erfahrungen, der Mangel an Vermittlung zwischen seinen Ideen, die erstarrte Unruhe in seinen Zügen“ den Schluss nahe legten, „daß die Reserven, die großes Wissen und umfassender geschichtlicher Überblick dem Menschen eröffnen, ihm nicht zu Gebote standen.“[2] Jean-Paul Sartre würdigte in seinem Baudelaire-Essay neben der christlichen Erziehung des Dichters den Einfluss de Maistres zunächst als „unleugbaren Faktor“, nur um ihn im nächsten Moment als „Fassade“ und reine Distinktionsgeste abzutun und stattdessen die Frage nach der Zentralstellung des Bösen und der Naturkritik bei Baudelaire in eine alternative Filiation eines „Antinaturalismus“ von Saint-Simon bis Comte einzupflegen.[3]

Die psychoanalytisch gefärbte, stark moralisierende Lektüre Sartres, von Georges Bataille beschrieben als das Werk eines „moralischen Richters, dem viel daran liegt, zu wissen und zu bekräftigen, dass Baudelaire grundsätzlich verdammenswert (condamnable) ist“,[4] steht dabei, ebenso wie die Benjamins oder auch die de Maistres ebenfalls vollkommen ausblendende Studie Dolf Oehlers über Baudelaires Antibürgerlichkeit,[5] stellvertretend für das Unbehagen einer wirkmächtigen (linken) Interpretationslinie. Angesichts der Möglichkeit einer politisch reaktionären Dimension bei Baudelaire stellt sich die doppelte Aufgabe, diese zu camouflieren oder herunterzuspielen und dabei zugleich das diagnostische Potenzial seiner Modernekritik und deren kapitalismuskritischer Dimensionen zu bewahren.[6]

Gegen diese ‚hadernde‘ Interpretationslinie haben Autoren wie Antoine Compagnon die ideologischen wie ästhetischen Kontinuitäten der Antimodernen herausgearbeitet, deren Prototyp in der Figur Baudelaires zu erblicken sei.[7] Die Antimodernen gelte es, so Compagnons bekannte Definition, gerade nicht als dumpfe Reaktionäre oder einfältige Melancholiker der verlorenen alten Ordnung zu begreifen, sondern als die eigentlichen „Denker und Theoretiker des Modernen“.[8] Vor diesem Hintergrund einer ideen- wie werkgeschichtlich unhaltbaren Trennung der Modernekritik Baudelaires von der Traditionslinie einer katholisch fundamentierten Gegenaufklärung sollen im Folgenden anhand der zahlreichen Bezüge auf Joseph de Maistres Denken und Werk einige der ideologischen wie ästhetischen Berührungspunkte dieser von der Kritik so häufig verfemten Filiation Baudelaires beleuchtet werden.

Revolution, Fortschritt, Autorität

Baudelaires de Maistre-Lektüren erfolgen, wie André Guyaux mit Blick auf einen Brief Baudelaires an Maxime Du Camp argumentiert, Anfang der 1850er-Jahre.[9] Einige Jahre später verteidigt er den Gegenaufklärer bereits in einem Brief an Alphonse Toussenel, seines Zeichens Begründer des linken Antisemitismus in Frankreich,[10] gegen dessen „Beleidigungen de Maistres, einem Genie unserer Zeit – einem Propheten (voyant)!“[11] Neben produktionsästhetischen Parallelen[12] verbindet die beiden Autoren biografisch wie ideologisch vor allem die Erfahrung bzw. die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Revolution: in de Maistres Fall die des Jahres 1789, bei Baudelaire der Juni-Aufstand von 1848.

Ein Schlüsselbegriff de Maistres, der ab den Considérations sur la France im Zusammenhang mit der Revolution immer wieder auftaucht, ist der des Abgrunds (gouffre). So wird bereits in den Briefen eines savoyischen Royalisten an seine Landsleute von 1793, ebenso wie mit einem Hamlet-Zitat in den Considérations, ein an die vakante Stelle des Souveräns tretender, alles verschlingender Abgrund beschworen[13] – ein Begriff, der Jahre später bei Baudelaire zur Signatur der Moderne-Erfahrung in toto werden sollte.[14]

Zugleich verbindet beide Autoren eine bestimmte ambivalente Lesart der Revolution: Sie ist gleichermaßen Beleg für die fundamentale Ordnungskrise der Moderne wie die negative Anthropologie, die bei beiden Autoren aus einem katholischen Menschenbild und der Zentralfigur der Sündhaftigkeit erwächst. Insbesondere liefert de Maistre Baudelaire (und dem antimodernen Denken überhaupt) in der Denkfigur der réversibilité ein ideologisches und narratives Werkzeug, das sich im Kampf gegen die vermeintlich unidirektionale geschichtsphilosophische Fortschrittslogik der Moderne als folgenreich erweisen wird.

So bemüht sich de Maistre in den Considérations um eine heilsgeschichtliche Einordnung der revolutionären Ereignisse, indem er sie gerade nicht als Zeitenwende anzuerkennen sucht, sondern sie vielmehr als göttliche Bewährungsprobe auffasst und sie als lediglich eine Episode innerhalb einer weit in die Vergangenheit und in die Zukunft ausgreifenden Erzählung einer theologisch begründeten Welt- bzw. Gesellschaftsordnung einbettet.[15] Die Revolution wird in dieser Lesart nicht zu dem Ermächtigungsmoment der Moderne schlechthin, sondern zu einer göttlichen Intervention: „Nie zuvor hat sich die Vorsehung in einem weltlichen Ereignis so deutlich gezeigt wie hier. Wo sie die schändlichsten Mittel benutzt, straft sie, um zu erneuern.“[16]

Strafe als Bedingung der Regeneration – in dieser Idee, welche bei de Maistre immer wieder in der rhetorischen Figur der reversio[17] aufscheint, ist ein zentrales Moment des Opfer-Denkens der antimodernen Reaktion und ihrer Hoffnung auf die Umkehrbarkeit der Dinge benannt. Antoine Compagnon hat unter Verweis auf die „provokante Dialektik“[18] dieser ideologischen wie rhetorischen Figur die Verbindung zwischen de Maistre und Baudelaire betont und auch Guyaux spricht mit Blick auf die réversibilité von Baudelaires „absolut treuer Übersetzung“[19] der maistreschen Idee. Die Revolutionen und ihre immanente Logik des Exzessiven, so wird in Baudelaires retrospektiven Notizen über seine nur kurz anhaltende Begeisterung für den Aufstand von 1848 deutlich, konzentrieren gleichermaßen die vitalistische wie abgründige Dimension der Moderne: „Meine Trunkenheit von 1848. Was war Ursprung und Art dieser Trunkenheit? Der Geschmack von Rache. Die natürliche Freude an der Zerstörung. […] Die Schrecken der Junirevolution. Wahnsinn des Volkes und Wahnsinn des Bürgertums. Natürliche Liebe des Verbrechens.“ Genau diese Janusköpfigkeit des Umsturzes, in dem stets „etwas Niederträchtiges und Wohltuendes zugleich“ am Werk sei, projiziert Baudelaire ebenda auf das Jahr 1789: „Cela suffit à expliquer la Révolution française“, „das reicht aus, um die Französische Revolution zu erklären.“[20]

Die revolutionäre Opferlogik, so Baudelaire weiter, legitimiert nicht nur die sie leitende Irrationalität („Im Opfer bekräftigt die Revolution den Aberglauben“[21]), sondern ist ganz wie bei de Maistre vor allem Ausweis einer negativen Anthropologie, also der Beleg der unüberwindbaren Neigung des Menschen zum Bösen. Gegen diese perpetuierte Form der Erbsünde, so schon die bei de Maistre auf die augustinische Idee der Konkupiszenz zurückgehende Kernbotschaft,[22] sind alle aufklärerischen Vorstellungen von der verstandesgeleiteten Autonomie und der Unschuld des Menschen wirkungslos. Gegen das aus ihr erwachsende geschichtsphilosophische Fortschrittsparadigma wendet sich dann folgerichtig auch der Großteil von Baudelaires Energien: „Was könnte widersinniger sein als der Fortschritt, da der Mensch, wie tagein, tagaus zu erfahren ist, immerzu dem Menschen gleicht, und daher auf ewig im wilden Naturzustand verbleiben wird! Was sind schon die Gefahren des Waldes und der Wildnis im Vergleich zu den täglichen Schocks und Konflikten der Zivilisation?“[23]

Die Idee bzw. die Ideologie des Fortschritts ist also nichts anderes als eine Camouflage des ewig in seinem Naturzustand verharrenden Menschen – und dieser Typus ist eben nicht wie in dem von de Maistre wie Baudelaire gleichermaßen verachteten Imaginarium Rousseaus der des guten und glücklichen Menschen, sondern vielmehr der des immer schon sündigen und abjekten Menschenwesens. Die maistresche Filiation Baudelaires wird dabei einmal mehr in dem zitierten Brief an Alphonse Toussenel ersichtlich: „Was wäre unendlicher Fortschritt, was eine Gesellschaft ohne Aristokratie? Überhaupt keine Gesellschaft, wie mir scheint. Und was wäre ein Mensch, der von Natur aus gut ist? Wo hätte man ihn je gekannt? Der von Natur aus gute Mensch wäre ein Monster, ein Gott.“[24]

Die rousseausche Vorstellung des Naturzustandes im Sinne eines noch nicht von der Gesellschaft korrumpierten und guten Menschen weist Baudelaire unter Verweis auf die die historische Haltlosigkeit dieser Fiktion – „où l’a-t-on connu?“ – zurück und nimmt damit explizit eine Argumentation auf, wie sie von de Maistre etwa in seinem Essai sur le principie génerateur des constitutions politiques von 1814 oder in der 1794 verfassten, aber erst posthum veröffentlichten Schrift De la souveraineté du peuple. Un anti-contrat social immer wieder artikuliert wird. Die Vorstellung des Naturzustands (état de nature) wird dort als Chimäre und Schuljungentraum abgetan, im Verweis auf die simple Tatsache, dass sich dem Menschen jegliches Wissen über eine vermeintlich vorgesellschaftliche Zeit unabdingbar entzieht.[25]

Der Mensch, so die Logik de Maistres, ist nur da ganz Mensch, wo er gehorcht und seinen Platz innerhalb historisch gewachsener Ordnungen einnimmt. Diese gehen in letzter Instanz stets auf den Schöpfer selbst zurück, da Geschichte in de Maistres Lesart nichts als die Summe akkumulierter Belege für eine überzeitliche gesellschaftliche Ordnung göttlicher Provenienz ist.[26] Wenn de Maistre damit zugleich die aus seiner Sicht absurde Idee Rousseaus vom Gesellschaftsvertrag unter Verweis auf das Fehlen historischer Belege kritisiert, da sich in der Geschichte keine überzeugenden Erzählungen von „ursprünglichen Verträgen, freiwilligen Zusammenschlüssen und echten Volksentscheiden“[27] fänden, dann ist die politische Stoßrichtung evident: Es gilt, die verheerende Vorstellung der Modernen zu widerlegen, wonach die politische und soziale Ordnung grundsätzlich disponibel und gestaltbar sei. Eine solche Vorstellung muss – und die Revolution ist der schlagende Beweis dieser These – zwangsläufig ins Chaos führen, da eine Ordnung ohne „mystischen Grund“[28] niemals über die Erhabenheit der Autorität verfügt, die es zur einer angemessenen Regierung des Menschen braucht.

„Les hommes ne respectent jamais ce qu’ils ont fait“, „die Menschen respektieren nie, was sie selbst geschaffen haben“, notiert de Maistre in seiner Studie über die Souveränität und benennt damit einmal mehr einen zentralen Aspekt, der sich auch bei Baudelaire finden wird: die Ineinssetzung von Autorität und Größe.[29] „Die Nationen“, schreibt Baudelaire, „bringen große Männer nur gegen ihren Willen hervor – ganz wie die Familien. Um das zu verhindern, tun sie alles, was in ihrer Macht steht. Aus diesem Grund muss der große Mann, um bestehen und überleben zu können, eine Angriffsstärke besitzen, die größer ist als die Widerstandskraft von Millionen.“[30] Der Verweis auf die Notwendigkeit des „großen Mannes“, die schon de Maistres Schriften durchherrscht, ist hier einmal mehr Beleg für jenes dominante Phänomen nicht nur des 19. Jahrhunderts, wonach nur dem „‚großen Mann‘ nach den Erschütterungen der Französischen Revolution zugetraut wurde, in einer Welt, in der die sozialen Bindungskräfte des im Untergang begriffenen Ancien Régime schwanden, Ordnung herzustellen.“[31]

Der ‚große Mann‘ ist in erster Linie derjenige, der von göttlicher Vorsehung geleitet scheint – was Baudelaire etwa mit Blick auf Napoleon III. postuliert, den er mit dem bei de Maistre am prominentesten in den Soirées de Saint-Pétersbourg verhandelten Schlüsselbegriff der „providentialité“[32] versieht. Ebenso unverkennbar ist der Einfluss des maistreschen Denkens in der Erweiterung dieser Ordnungspfeiler der autoritären Gesellschaft um zwei Figuren, wie sie der Gegenaufklärer ebenfalls in seinen Soirées bzw. notorischen Schriften wie Vom Papste aus dem Jahr 1819 oder seinen Elogen auf die spanische Inquisition skizziert hat: der Priester und der Henker.

„Der Priester ist gewaltig, denn er bringt die Menge dazu, die erstaunlichsten Dinge zu glauben. Dass die Kirche alles zu tun und alles zu sein vermag, ist doch ein Gesetz des menschlichen Geistes. Die Menschen vergöttern die Autorität. Die Priester sind die Diener und Sekretäre der Einbildungskraft. Thron und Altar, Maxime der Revolution“,[33] notiert Baudelaire zur Rolle der Kirche in einer Art Paraphrase maistrescher Formeln. Und auch seine Ausführungen zur Todesstrafe als „Folge einer mystischen Idee, die heutzutage gänzlich unverstanden ist“,[34] gemahnen an die grundlegende gemeinschaftserzeugende Funktion des öffentlich vollzogenen Opfers, wie sie de Maistre in den Soirées bezüglich des Henkers als „außergewöhnlichen Wesen“ postuliert.[35]

Diese Apologie der Trinität von Kaiser, Priester und Henker speist sich bei de Maistre und Baudelaire freilich nicht bloß aus einer nüchternen ‚Funktionsanalyse‘ der alten bzw. neuen Gesellschaft, sondern entspringt letztlich einem für die Antimodernen typischen Affektleiden an der Moderne: Die bürgerliche Gesellschaft ist eine Welt ohne Größe und Aura, deren Zentrierung auf die Ökonomie die (vermeintlich) heroischen Erfahrungsformen und Verhaltensnormen der vorbürgerlichen Zeit getilgt hat. Die Sehnsucht nach einer Restituierung solcher Formen von Erfahrungshaftigkeit ist bei de Maistre wie Baudelaire denn auch mit bestimmten Schlüsselbegriffen behaftet, etwa wenn der Dichter in einer auf Max Weber vorausdeutenden Kritik am kühlen Geist des Protestantismus notiert: „Den protestantischen Völkern mangelt es an zwei für den kultivierten Menschen unentbehrlichen Elementen: Galanterie und Hingabe.“[36]

In der Sehnsucht nach dem auratischen Leben drückt sich bei Baudelaire die tiefe Problematik einer Moderne-Erfahrung aus, die nicht an ein bestimmtes Staatsmodell geknüpft wird, sondern der eine viel profundere Entfremdung des Menschen zugrunde liegt. „Die menschliche Vorstellungskraft kann ohne große Anstrengung Republiken oder andere kommunitäre Staaten ersinnen, die eines gewissen Ruhms würdig sind, solange sie von heiligen Männern, von einer gewissen Aristokratie regiert werden“, bemerkt Baudelaire einmal mehr mit Blick auf die politische Dimension dessen, was sich ebenfalls mit Weber gesprochen als „charismatische Herrschaft“ bezeichnen ließe. Nicht das politische System von Demokratie und Republik sei das Problem, sondern, wie es direkt im Anschluss heißt, „l’avilissement des cœurs“.[37]

Auf diese „Erniedrigung des Herzens“ ist die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft als eine phantasmagorische Ordnung (fantôme d’ordre) gebaut, was Baudelaire im gleichen Fragment anhand des Beispiels eines seine Familie verlassenden jungen Mannes beschreibt: „Er verlässt sie nicht der heldenhaften Abenteuer wegen, nicht, um eine schöne Gefangene aus ihrem Turm zu befreien, nicht, um einer Bruchbude durch seine erhabenen Gedanken Unsterblichkeit zu verleihen, sondern um ein Gewerbe zu gründen, um reich zu werden, um seinem dummen Papa Konkurrenz zu machen, dem Gründer und Aktionär einer Zeitung, die die Ideale der Aufklärung verbreitet und so ihr Jahrhundert einmal als Handlangerin des Aberglaubens ausweisen wird.“[38]

Der Heroismus der vormodernen Aventiure ist in der modernen Welt vollumfänglich durch das Konkurrenzprinzip der Krämergesellschaft ersetzt worden, die bar jeglicher Erfahrungsmöglichkeit im emphatischen Sinne ist. Aus dieser Unmöglichkeit der Erfahrung aber entspringt, wie Walter Benjamin scharfsinnig bemerkt hat, „das eigentliche Wesen des Zornes“[39] – und auch für diesen Zentralaffekt seines Denkens und Schreibens wird Baudelaire auf das Vorbild von Joseph de Maistres thymotisch aufgeladenem Antimoderne-Komplex zurückgreifen können.

Heiliger Zorn, satanisches Lachen

Baudelaire, so hat es der französische Pamphletist Philippe Muray einmal formuliert, sei der Autor gewesen, „der die exakte Methode erfand, das ganze 19. Jahrhundert in voller Höhe, Länge und Breite zu beschimpfen.“[40] Tatsächlich aber hat Baudelaires Hass auf die moderne Gesellschaft bedeutende Vorläufer in der Ranküne der Reaktionäre vom Schlage de Maistres oder Gobineaus, in denen sich eine verwandte Verachtung der egalitären Postulate von Revolution und Republik beobachten lässt. Auch wenn die Kritik sich hier um eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen gesellschaftspolitischen Implikationen dieses Hasses auf die Moderne bei Baudelaire im Unterschied etwa zu einem Rassentheoretiker wie Gobineau bemüht hat,[41] ist die Frage nach den Formen der Kanalisierung jenes „wilden Hasses gegen alle Menschen“[42] bei Baudelaire eine fundamentale.

Eine womöglich etwas überraschende Antwort darauf ist, dass der Dichter gerade in Über das Wesen des Lachens dem Gegenaufklärer de Maistre gleich zu Beginn seines Essays einen prominenten Platz zuweist: „Der Weise lacht nur erschaudernd. Von welchen autoritätsgesättigten Lippen, aus welcher unnachahmlich orthodoxen Feder floss diese eigenartige und schnittige Maxime heraus? Kommt sie zu uns vom Philosophenkönig aus Judäa? Oder sollte man sie Joseph de Maistre zuschreiben, jenem Seelenkrieger des Heiligen Geistes? Ich meine, mich vage zu erinnern, den Satz in einem seiner Bücher gelesen zu haben, vermutlich als Zitat aus einem anderen Werk.“[43]

Der Sinn der Aussage – und die Verbindung zum Denken de Maistres – wird im Folgenden ersichtlich, wenn Baudelaire das menschliche Lachen als „eng verbunden mit einem uralten Unglücksfall, einer körperlichen und moralischen Herabsetzung“[44] begreift: Das Lachen ist die ambivalente und widersprüchliche Reaktion des Gläubigen auf den Sündenfall und das Böse.[45]

Das Lachen bei Baudelaire entspringt jener bereits für Pascals negative Anthropologie[46] kennzeichnenden Position des Menschen zwischen zwei Unendlichkeiten und lässt sich in seiner Widersprüchlichkeit gleichermaßen als Ausdruck einer (satanischen) Hybris und – das wäre die für Baudelaire wie für de Maistre geltende Perspektive des gläubigen Weisen (sage) – eines selbstreflexiven Bewusstseins der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts lesen. Als solches wird das Lachen zu einem grundlegenden Affekt, der den Moderne-Hass der beiden Autoren nicht nur flankiert, sondern gerade in ihren pamphletistischen Texten ein Vehikel und eine (Ent-)Äußerungsform dieser Ranküne ist.

Diese Vorliebe für die Invektive weist Baudelaire und de Maistre wiederum als Antimoderne im Sinne Compagnons aus, indem sie aus einer modernekritischen Perspektive eben an jenen für die Moderne charakteristischen Thymos-Politiken partizipieren: Wenn, wie Sloterdijk bemerkt, der „aktivierte Thymos […] durch sein Verlangen nach Genugtuung die Welt als Spielraum für Entwürfe nach vorn [entdeckt] – Entwürfe, die aus dem Gewesenen Schwung holen für den späteren Schlag“, dann lässt sich die Bedeutung des Zorns als jenes für die Moderne kennzeichnende „momentum einer Bewegung in die Zukunft, die man schlechthin als Rohstoff geschichtlicher Bewegtheit verstehen kann“,[47] auch mit der Ranküne der Reaktionäre vom Schlage Baudelaires und de Maistres und ihren Hoffnungen auf eine andere Zeit und Welt in Verbindung bringen.

Ziel der Polemiken de Maistres und Baudelaires sind wenig überraschend die kernaufklärerischen Verfechter des Fortschritts und ihre ideengeschichtlichen Gewährsmänner mit Voltaire und Rousseau an der Spitze. „Je m’ennuie en France, surtout parce que tout le monde y ressemble à Voltaire“, „ich langweile mich in Frankreich vor allem, weil alle Welt dort Ähnlichkeit mit Voltaire hat“, ätzt Baudelaire.[48] Während sich de Maistre vor allem über die Philosophen der Aufklärung mokiert und dabei von Beginn seiner Tätigkeit als royalistischer Agitator an bewusst auf die Gattung des Pamphlets und eine Ad-hominem-Rhetorik der Ridikülisierung zurückgreift,[49] attackiert Baudelaire vor allem den fortschrittsgläubigen Bourgeois, den er als derart „durch seine zookratischen und industriellen Philosophen amerikanisiert, daß er die Vorstellung dessen verloren hat, was die Erscheinungen der physischen Welt von denen der geistigen, was das Natürliche von dem Übernatürlichen unterscheidet.“[50] Im erzürnten Verlachen wird die Hybris der Moderne und ihres kapitalistischen Projekts ein ums andere Mal offengelegt, ohne dass dieser Spott bei Baudelaire – und hier besteht womöglich ein profunder Unterschied zwischen de Maistre als Mann des Ancien Régime und Baudelaire als Kind der Moderne – noch eine konkrete soziale Gegen-Utopie zu offerieren hätte.

„Baudelaires Verweigerung ist die tiefste Verweigerung, da sie in keinster Weise die Bejahung eines gegenteiligen Prinzips mit einschließt“, wie Bataille diese Beobachtung mit Blick auf Baudelaires Poesie formuliert, wobei die aus den Invektiven gegen den Fortschritt erwachsende Verweigerung vor allem als „Ablehnung des Primats von übermorgen“ zu verstehen sei.[51] „Aber, ich bitte Sie, worin soll denn die Garantie für den Fortschritt von übermorgen liegen? Denn so denken es ja die Nachkommen der Dampfplauderer und Streichholzphilosophen: Der Fortschritt erscheint ihnen immerzu als unendliche Reihe. Wo liegt da die Garantie?“, fragt Baudelaire und benennt damit Maßlosigkeit und Unendlichkeitsstreben als die prinzipiellen Makel der Moderne (und des Kapitalismus im Speziellen).

„Den Weltlauf zu unterbrechen – das war der tiefste Wille in Baudelaire. Der Wille Josuas“,[52] hat Walter Benjamin hierzu bemerkt und damit (unfreiwillig) eine entscheidende Parallele zwischen Baudelaire und einem Autor wie de Maistre benannt, nämlich die für beide entscheidende Frage, wie diese entfesselte Moderne wieder einzuhegen sei. Es mag paradox anmuten, dass beide Denker dabei auch und gerade die Imaginationskraft selbst als Motor der Transgressionsdynamik der Moderne problematisieren: Während de Maistre vor allem die aufklärerischen und nicht durch historische Evidenz verbürgten ‚Fiktionen‘ von Naturrecht und Vertragstheorie ins Visier nimmt,[53] beschreibt Baudelaire bekanntlich sowohl im Auftakt als auch im Schlussgedicht der Fleurs du Mal die moderne Malaise des ennui als unmittelbare Konsequenz aus einer übersteigerten Imaginationstätigkeit. Diese kann im Zusammenprall mit der Banalität der Wirklichkeit – wie etwa die Erfahrungen der Reisenden im Gedicht Le voyage zeigen – nur zur Desillusionierung führen. Dies tut jedoch weiteren Träumereien von Schafotten, wie es in den berühmten Schlussversen von Au lecteur heißt, keinen Abbruch.

Die aus der Dialektik von Imagination und Ernüchterung geborene Gewalt der Moderne ist hier eindrücklich benannt und sie steht im schroffen Gegensatz zu jener „herrlichen Ruhe“,[54] mit der de Maistre das harmonische Ideal der politischen Verfasstheit der alten und göttlich fundamentierten Ordnung zeichnet. Die Sehnsucht nach einer Stillstellung der Verhältnisse ist ein weiterer entscheidender Punkt, der de Maistre und Baudelaire nicht nur auf einer ideologischen Ebene verbindet, sondern auch ihre Suche nach Möglichkeiten alternativer Modelle einer kontingenzentlastenden Weltdeutung in der Moderne beeinflusst.

Sprachmystik als Krisensicherung

„Was Baudelaire mit den correspondances im Sinn hatte, kann als eine Erfahrung bezeichnet werden, die sich krisensicher zu etablieren sucht. Möglich ist sie nur im Bereich des Kultischen“, hat Walter Benjamin bekanntlich über diesen Kern der baudelaireschen Poetik notiert, die er im Kontrast zur Erfahrung des spleen liest, welche „[k]ein Hauch von Vorgeschichte umwittert […]. Keine Aura.“[55] Angesichts der umfassenden Kontingenzerfahrung in der Moderne folgen diese Modelle einer ästhetischen und ideologischen „Krisensicherung“ insbesondere bei Antimodernen wie de Maistre und Baudelaire einer spezifischen Ausformung, die in einer sie verbindenden mystischen Tradition verankert ist. So hat etwa Ulrich Baer darauf verwiesen, dass Baudelaire „sein Wissen über die zutiefst empfundene, authentische Erfahrung aus den Schilderungen anderer [bezieht] – insbesondere den Schriften Swedenborgs, De Quinceys und Fouriers.“[56]

Auch Joseph de Maistres Denken ist ohne den Verweis auf seine Rezeption mystischer und illuministischer Schriften von Autoren wie Joachim Martínez de Pasqually, Louis Claude de Saint-Martin und Jean-Baptiste Willermoz, aber auch von Emanuel Swedenborg und Jakob Böhme nicht zu verstehen.[57] Diese mystischen Einflüsse haben insbesondere die impliziten Sprachtheorien beider Autoren geprägt: de Maistre versucht in seinen Schriften permanent, den ‚Nachweis‘ gegen den aufklärerischen Sprachkonstruktivismus zu führen, dass die Sprache unmittelbare Quelle der Offenbarung ist, das heißt, „daß die Sprache unmittelbar – also ohne Vermittlung durch irgendeinen Gesellschaftsvertrag oder eine Anpassung an die materiellen Notwendigkeiten des Daseins – das Verhältnis zwischen Mensch und Heiligem ausdrücke.“[58] Die Insistenz auf die göttliche Fundierung der Sprache ist deswegen so zentral, weil aus ihrer postulierten Überzeitlichkeit (bzw. Heiligkeit) sich auch die Existenz überzeitlicher Ideen und sozialer Ordnungen legitimieren lässt, oder wie es Jürgen Trabant einmal formuliert hat:

„Wenn jemand im 18. Jahrhundert an angeborenen Ideen zweifelt und statt dessen die Ideen als von den Menschen gemacht auffaßt, dann verstehen seine Zeitgenossen, daß er auch die politischen Zustände nicht unbedingt für von Gott gegeben und damit unveränderlich hält. Die Parallelität von Ideen und Regierungen wird im ganzen Jahrhundert deutlich gespürt. Wenn es von Gott gegebene Ideen gibt, dann gibt es auch Könige und Regierungen von Gottes Gnaden: par la grâce de Dieu. Wenn die Menschen die Ideen selber machen, dann ist die Revolution sozusagen nicht mehr weit.“[59]

Baudelaires correspondances partizipieren an dieser Suche nach Überzeitlichkeit von Sprache und Idee und überschreiten sie doch zugleich. Der symbolistische Dichter versucht bekanntlich, diese Überzeitlichkeit hinter der sichtbaren (und banalen) Wirklichkeit liegende Symbolik der Welt zu offenbaren und eine „universale Analogie oder das, was die Mystik correspondance nennt“,[60] freizulegen. Allerdings werden die göttlichen Ursprünge, wie sie de Maistre seiner Theorie (schon aus konkreten ideologischen Motivation heraus) zugrunde legt, bei Baudelaire nur mehr implizit lesbar, versteht er doch Sprache und poetisches Schreiben unspezifischer als „magische Operationen, beschwörende Zauberkunst“.[61] Beide bilden sie Mittel zur Schaffung einer gesteigerten Realitätserfahrung, welche sich explizit der mimetischen Mission einer an der banalen Wirklichkeit leidenden Literatur zu entledigen sucht und ihre eigene ästhetisierte Wahrnehmungstheorie entwirft, oder wie es Bohrer formuliert: „Die Natur, das Universum enthüllt sich dem Künstler als eine Symbolsprache von Bildern und Zeichen, die es angemessen zu ordnen gilt. Aber nicht kraft Nachahmung, sondern kraft der Phantasie. Der Objektivismus der realistischen Theorie wird also einerseits durch den Objektivismus der höheren ‚Correspondances‘ überboten, andererseits durch das Bekenntnis zur Phantasie gebrochen.“[62]

Wo bei de Maistre bisweilen die Sehnsucht nach einer Aufhebung der babylonischen Sprachverwirrung aufscheint und seine Sprachtheorie gänzlich von seiner theologischen Ordnungslogik bestimmt ist, tritt Baudelaire seinen Weg als Begründer der modernen Poesie an, indem er sich, wie es in Hugo Friedrichs Klassiker der Literaturwissenschaft heißt, in jene „Zone des Geheimnishaften [begibt], jedoch so, daß die zivilisatorischen Reizstoffe der Wirklichkeit in diese Zone mit einbezogen, poetisch schwingungsfähig gemacht werden. Das ist der Auftakt zur modernen Lyrik und ihrer ebenso ätzenden wie magischen Substanz.“[63]

Die aus dieser (anti-)modernen Immersion ins Mystische resultierenden Bewertungen der aufgeklärten Exegeten sind in der Rezeptionsgeschichte der beiden Autoren teils harsch ausgefallen, bedenkt man etwa mit Blick auf de Maistre Isaiah Berlins Urteil, es handele sich bei seinem Irrationalismus um die Begründung jenes „great counter-revolutionary movement that culminated in Fascism.“[64] Von ähnlich eindeutigen Verurteilungen und schiefen Teleologien ist Baudelaire trotz der hier diskutierten und unleugbaren Nähe zum Denken Joseph de Maistres weitgehend verschont geblieben, was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass die diagnostische Kraft seiner Modernekritik in einer ästhetisch vollkommen differenten Form zum Ausdruck gelangte. Gleichwohl scheint die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass – neben all den anderen ‚Inkorrektheiten‘ seines Werks – auch diese verfemte Filiation Baudelaires im Zuge der großen Überprüfungen des Kanons der Moderne auf die moralische Tauglichkeit für und durch die Nachgeborenen letztlich gegen ihn verwendet werden könnte. Die in Frankreich insgesamt eher verhaltene Reaktion auf den bicentenaire des Dichters scheint ein weiteres Indiz für die Zunahme einer schon von Karl Heinz Bohrer kritisierten Tendenz zu sein, wonach die „Bösartigkeit, die ein zentrales Element der Kunst selbst ist, […] zu leicht von einer geistesgeschichtlich-akademisch aufgeräumten Exegese weginterpretiert [wird].“[65]

Seine mangelnde moralische Adäquatheit war freilich schon dem zeitgenössischen Baudelaire nur allzu bewusst, was ihm im gegenwärtigen diskursiven Klima eine nachgerade unheimliche Relevanz verschafft. Eine der zahlreichen Invektiven des Dichters gegen die bürgerliche Moralisierungswut der Kunst im neunzehnten Jahrhundert mag daher auch dem Leser des einundzwanzigsten als Kommentar von geradezu prophetischem Wert gelten: „Sämtliche Dummköpfe der Bourgeoisie, die ständig die Wörter unmoralisch, das Unmoralische, das Moralische in der Kunst und ähnlichen Schwachsinn im Munde führen, erinnern mich an Louise Villedieu, eine Dirne, die keine Fünf Francs kostet und die, als sie mich einmal in den Louvre begleitete, wo sie zuvor nie gewesen ist, auf einmal rot anlief, sich das Gesicht bedeckte und mich vor den unsterblichen Gemälden und Statuen unter beständigem Zerren am Hemdsärmel fragte, wie es möglich ist, derartige Unanständigkeiten vor den Augen der Öffentlichkeit auszubreiten.“[66]

  1. Charles Baudelaire, Fusées. Mon cœur mis à nu. La Belgique déshabillé, hg. von André Guyaux, Paris 1975, S. 86. (Alle Übersetzungen stammen, soweit nicht anders vermerkt, vom Verf., B. L.) Insbesondere diese von Guyaux besorgte Edition der Texte arbeitet in Einleitung und Apparat die zahlreichen Bezüge zu Joseph de Maistre heraus, wobei sie primär auf zwei der wenigen Arbeiten zum Thema Bezug nimmt, nämlich Georges Blin, Baudelaire, Paris 1939 sowie Daniel Vouga, Baudelaire et Joseph de Maistre, Paris 1957. Antoine Compagnon hat mit Blick auf die Werkgeschichte Baudelaires jüngst noch einmal darauf hingewiesen, dass gerade Baudelaires Verweise auf seine vermeintliche „Depolitisierung“ nach 1851 und den ihn als Folge seiner Syphilis-Erkrankung zunehmend überkommenden Wahnsinn (vgl. den bekannten Eintrag vom 23. Januar 1862 in: Baudelaire, Mon cœur, S. 85) bestimmten Exegeten einen Vorwand zur Ausblendung dieser manifesten antimodernen Dimension des späten Baudelaire geliefert haben (vgl. Antoine Compagnon: Baudelaire. L’irréductible, Paris 2021, S. 23-28). Für eine differenzierte Betrachtung des Motivs des Wahnsinns bei Baudelaire vgl. auch die Ausführungen von Karin Westerwelle, Ästhetisches Interesse und nervöse Krankheit. Balzac, Baudelaire, Flaubert, Stuttgart 1993.
  2. Walter Benjamin, Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, hg. und mit einem Nachw. vers. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1997, S. 70 f. Benjamin begründet dies an gleicher Stelle mit dem Argument, Baudelaire habe „[w]enig von dem, was zu den gegenständlichen Bedingungen geistiger Arbeit gehört, […] besessen: von einer Bibliothek bis zu einer Wohnung gab es nichts, worauf er im Laufe seines Daseins, das gleich unstet in wie außerhalb von Paris verlief, nicht hätte verzichten müssen.“ Ebenso vielsagend für Benjamins bewusste Ausblendung einer bestimmten gegenaufklärerischen Traditionslinie ist die Tatsache, dass er sich offensichtlich bemüßigt fühlt, in diesem Zusammenhang explizit die Publikation des späteren Nazi-Diplomaten Peter Klassen zu kritisieren als ein „in der depravierenden Terminologie des Georgekreises verfaßte[s] Buch, das Baudelaire gleichsam unter dem Stahlhelm darstellt“, und dabei Klassens Perspektive auf Baudelaire, welche „in dessen Lebenszentrum die ultramontane Restauration stellt“, mit dem ironischen Verweis auf die biografische Dimension abtut, Baudelaire sei zum Zeitpunkt der reaktionären Regentschaft Karls X. noch ein Kind gewesen (vgl. S. 71). Klassen bezeichnet Baudelaire in seinem tatsächlich recht „abstoßenden“ Werk, wie es Benjamin nennt, zwar als „Schüler des Joseph de Maistre“, kommt aber im Folgenden auf diese Verbindung nicht mehr zurück (Peter Klassen, Baudelaire. Welt und Gegenwelt, Weimar 1931, S. 10).
  3. Jean-Paul Sartre, Baudelaire, Paris 1947, S. 64 ff.
  4. Georges Bataille, La littérature et le mal (1957), Paris 1990, S. 163. Ähnlich spottet der französische Schriftsteller Philippe Muray in Le XIXe siècle à travers les âges (Paris 1999, S. 657), wenn er Sartres Essay beschreibt als eine „Art Moskauer Prozess im Namen derer, die zu Baudelaires Zeiten an der Befreiung des Menschen arbeiteten – um mit Sartre zu sprechen, der Hugo, Sand, Michelet, Proudhon und Konsorten herbeizitierte“.
  5. Der Adorno-Schüler Dolf Oehler liest Baudelaires Werk in diesem Sinne als eine gleichsam in Selbstverschleierung die Machtübernahme des Proletariats vorbereitende Ästhetik: „Solange die Vielen noch nicht kunstmündig waren, mußte er versuchen, ein bürgerlicher Klassiker zu werden, allerdings ein Klassiker, der nur zum Schein die Verklärungsarbeit leistete, die von ihm erwartet wurde, der mit subversiver Zweideutigkeit operierte, indem er sich an die Stelle der zu Denunzierenden setzte und deren Praktiken und Wünsche für seine eigenen exzentrischen Einfälle ausgab, indem er ihr Bild mit seinen Zügen ausstattete.“ Dazu habe Baudelaire eine „rhetorische Doppelstrategie [entwickelt]: mit der Bourgeoisie gemeinsame Sache zu machen gegen die Massen, um diese aufzubringen gegen jene“ (Dolf Oehler, Pariser Bilder I (1830-1848), Antibourgeoise Ästhetik bei Baudelaire, Daumier und Heine, Frankfurt am Main 1979, S. 95 f.). Hier klingt einmal mehr in der Baudelaire-Rezeption Benjamins These vom Dichter als proletarischem „Geheimagenten“ innerhalb der bürgerlichen Klasse nach.
  6. Antoine Compagnon (Baudelaire. L’irréductible, S. 30) betont ebenfalls die internationale (und vor allem innerdeutsche) Wirkmächtigkeit dieser benjaminschen Lektüre und ihres Versuchs, Baudelaire für die „Seite der politischen Avantgarde, d.h. als Revolutionär“ zu vereinnahmen.
  7. Vgl. zudem die Bemerkung von André Guyaux, dass eine weitere bedeutende Interpretationstradition einer apolitischen Lektüre vor allem der Lyrik Baudelaires und einer Verhüllung der maistreschen Traditionslinie Vorschub geleistet habe: „Die Ökonomie des Ideologischen leistet es sich, auf den politischen Baudelaire zu verzichten, sie spielt seine Bedeutung herunter, unterschlägt die innere Solidarität seines Werks und entzieht dem Poetischen seine politische Dimension. Wer wie Sartre über die Ausrede des unpolitischen Charakters der Dichtung den von de Maistre geprägten Baudelaire vom anderen ablöst, missversteht nicht nur das baudelairesche Denkens mitsamt seiner reaktiven Methode, seinen polemischen Verzweigungen und seiner inhärenten Gewalt. Nein, er spricht auch dem maistreschen Denken ein Nachleben ab, das sich in seinem poetischen Schicksal äußert, das wohlverdiente Schicksal eines Denkens, das selbst ein poetisches ist.“ (André Guyaux, Préface, in: Charles Baudelaire, Fusées. Mon cœur mis à nu. La Belgique déshabillé, hg. von André Guyaux, Paris 1975, S. 7–46, hier: S. 30 f.).
  8. Antoine Compagnon, Les antimodernes de Joseph de Maistre à Roland Barthes, Paris 2005, S. 30.
  9. Vgl. André Guyaux, Baudelaire dans les ,ténèbres‘ du siècle des Lumières, in: L’Année Baudelaire, 2014–5, 18/19, S. 105–122, hier: S. 116.
  10. Vgl. dazu etwa den Eintrag zu Toussenels Hetzschrift Les juifs, rois de l’époque von 1845 in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Bd. 6, Berlin 2013, S. 386.
  11. Der Brief vom 21. Januar 1856 ist abgedruckt in Baudelaire, Fusées, S. 526–527.
  12. Compagnon (Les antimodernes, S. 35 f.) verweist auf das bei beiden Autoren zu beobachtende Phänomen der Schreibschwierigkeiten (le mal à composer) und die von fragmentarischen Formen und unstetem Publizieren geprägten Gesamtwerke. Zu Baudelaires charakteristischer „Suche nach Praktiken zur Beherrschung der fragilen schreibenden Ordnung“ vgl. auch die Überlegungen in Cornelia Wild, Später Baudelaire. Praxis poetischer Zustände, München 2008, S. 128 bzw. spezifisch zur Fragmentarität der Fusées S. 30–36.
  13. Vgl. den Brief vom 5. Mai 1793, wo es über die Revolution heißt: „Sie hat euch gnadenlos totgetrampelt, sie hat euren Glauben vernichtet, eure Tempel geschändet, eure Reichtümer in die Nähe jenes unersättlichen Abgrunds getrieben, der von den Tyrannen dieses freien Volkes ausgehoben wurde“ (Joseph de Maistre, Œuvres complètes VIII, Lyon 1891, S. 407 f.) sowie die Stelle aus den Considérations: „Kann ein Verbrechen die königliche Majestät verschwinden machen? An der leeren Stelle, die sie hinterlässt, wächst ein schreckenerregender Abgrund, und alles, was ihn umgibt, wird zu ihm hin getrieben“ (Joseph de Maistre, Œuvres complètes I, Lyon 1891, S. 43) (Herv. v. Verf.).
  14. Vgl. etwa den Eintrag aus den Fusées (S. 85): „Was die Moral wie den Körper betrifft, fühlte ich schon immer einen Abgrund, nicht nur den Abgrund des Schlafes, sondern auch den der Tat, des Traums, der Erinnerung, des Verlangens, der Reue, der Schuld, des Schönen, der Zahl usw.“; sowie das berühmte Sonnett Le Gouffre (Nr. CLVIII) aus den Fleurs du Mal.
  15. Vgl. zu einer ausführlichen Analyse dieses Aspekts sowie von de Maistres autoritärem Denken die Überlegungen in: Benjamin Loy, Phantasmen der Divergenz und Apologien des Autoritären. Zur Imagination des Sozialen bei Joseph de Maistre, in: Benjamin Loy / Simona Oberto / Paul Strohmaier (Hg.), Imaginationen des Sozialen. Narrative Verhandlungen zwischen Integration und Divergenz (1750–1945), Heidelberg 2020, S. 131–154.
  16. de Maistre, Considérations, S. 7.
  17. Vgl. dazu de Maistres wohl berühmteste Formel aus den Considérations (S. 157), wonach die Gegenrevolution „keine entgegengesetzte Revolution, sondern das Gegenteil einer Revolution“ (ne point une révolution contraire, mais le contraire d'une révolution) sein werde.
  18. Compagnon, Les antimodernes, S. 37.
  19. Guyaux, Préface, S. 27.
  20. Baudelaire, Fusées, S. 92. Bohrer hat diesbezüglich – ebenfalls ohne auf de Maistre einzugehen – notiert: „Nach dem Prozeß dreier bürgerlich-sozialer Revolutionen in Frankreich, 1789, 1830 und 1848, hat Baudelaire, ähnlich wie Heinrich Heine, die Historizität der Idee von 1789, d.h. aber ihre Erstarrung in Ideologien, reflektiert“ (Karl Heinz Bohrer, Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne, Frankfurt am Main 1989, S. 81).
  21. Baudelaire, Fusées, S. 93.
  22. Vgl. dazu ausführlich einmal mehr Compagnon, Les antimodernes, S. 121–127.
  23. Baudelaire, Fusées, S. 79.
  24. Baudelaire, Fusées, S. 527.
  25. Vgl. de Maistre, Œuvres complètes I, S. 317.
  26. Vgl. auch dazu ausführlich die Überlegungen in: Loy, Apologien des Autoritären, S. 141–147.
  27. de Maistre, Œuvres complètes I, S. 111.
  28. Vgl. ausführlich zu diesem Aspekt auch die Ausführungen von Jacques Derrida, Force de loi. Le ,fondement mystique de l’autorité‘, Paris 1994.
  29. de Maistre, Œuvres complètes I, S. 128.
  30. Baudelaire, Fusées, S. 70.
  31. Michael Gamper, Der große Mann. Geschichte eines politischen Phantasmas, Göttingen 2016, S. 12 f.
  32. Baudelaire, Fusées, S. 93.
  33. Ebd., S. 66 f.
  34. Baudelaire, Mon cœur, S. 96.
  35. Joseph de Maistre, Œuvres complètes IV, Lyon 1884, S. 32.
  36. Baudelaire, Fusées, S. 78.
  37. Ebd., S. 83.
  38. Ebd. „[I]l la fuira, non pas pour chercher des aventures héroïques, non pas pour délivrer une beauté prisonnière dans une tour, non pas pour immortaliser un galetas par de sublimes pensées, mais pour fonder un commerce, pour s’enrichir, et pour faire concurrence à son infâme papa, fondateur et actionnaire d’un journal qui répandra les lumières et qui ferait considérer le Siècle d’alors comme un suppôt de la superstition.“
  39. Benjamin, Baudelaire, S. 138.
  40. Muray, Le XIXe siècle, S. 659. Vgl. zu Murays Polemiken auch Benjamin Loy, Das Lachen ist eine gefährliche Zone der Freiheit, in: Die Zeit, 22.4.2020, S. 49.
  41. Markus Messling leistet in seinen Ausführungen zu Adelsranküne und Rassismus bei Gobineau die wichtige Differenzierung, dass Baudelaire zwar „gezielt die katholische Adelsrestauration ansprach“, zugleich aber „sein kunstreligiöser Anwurf gegen den Materialismus der Moderne auf eine andere Weise elitär [ist] als Gobineaus Gesellschaftsprojekt“, und zwar insofern als Baudelaire immer wieder mit dem Proletariat sympathisiere und sein Programm im Unterschied zu Gobineaus revolutionär-reaktionärem ein kompensatorisches sei: „Insofern besteht Gobineaus Auseinandersetzung mit dem Materialismus der Moderne gerade nicht wie bei Baudelaire in der Verteidigung des absoluten Idealen – etwa in Form des Kunstschönen –, sondern folgt der Logik des Überlebenskampfes physischer, materialer Kräfte“, in: Markus Messling, Von der Adelsranküne zur Rassentheorie. Gobineaus Sprach- und Kulturanthropologie, in: Philipp Krämer / Markus A. Lenz / Markus Messling (Hg.), Rassedenken in der Sprach- und Textreflexion. Kommentierte Grundlagentexte des langen 19. Jahrhunderts, Paderborn 2015, S. 189–209, hier S. 193 f.
  42. Baudelaire in einem Brief an seine Mutter vom 23. Dezember 1865, in: ders., Correspondance II, hg. und komm. von Jean Bruneau, Paris 1973, S. 95–96.
  43. Charles Baudelaire, De l’essence du rire et généralement du comique dans les arts plastiques, Paris 1925, S. 23. Eine digitale Durchsicht der Werke de Maistres gibt keinen Hinweis auf ein solches Zitat, weshalb es sich mutmaßlich um eine Zuschreibung Baudelaires handelt.
  44. Ebd., S. 24.
  45. Vgl. ebd., S. 33.
  46. Vgl. dazu ausführlich die einschlägigen Überlegungen in: Karlheinz Stierle, Die Modernität der französischen Klassik. Negative Anthropologie und funktionaler Stil, in: Fritz Nies / Karlheinz Stierle (Hg.), Französische Klassik. Theorie, Literatur, Malerei, München 1985, S. 81–136.
  47. Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit. Politisch-psychologischer Versuch, Frankfurt am Main 2006.
  48. Baudelaire, Mon cœur, S. 100. Während de Maistre sich bevorzugt auch an Bacon und Montesquieu abarbeitet, sind für Baudelaire bekanntlich seine „engagierten“ Zeitgenossen wie Victor Hugo und insbesondere George Sand die Zielscheiben seiner Schmähungen.
  49. Vgl. zur Analyse von de Maistres rhetorischem Schmäh- und Parodierungsarsenal die detaillierte Studie von Margit Finger: Studien zur literarischen Technik Joseph de Maistres. Marburg: Univer.-Dissertation 1972, insbesondere S. 89-117. Ein weiterer Berührungspunkt zwischen de Maistre und Baudelaire, der hier nicht weiter vertieft werden kann, wären zudem die auffälligen Parallelen im Inventar jener Allegorien und drastischen Bilder, welche (ähnlich wie bei de Maistre) bei Baudelaire „die Verhässlichung des inneren und äußeren Menschen und die Resignation der Willenskraft gegenüber dem Bösen zeigen“ (Karin Westerwelle: Baudelaire und Paris. Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie, Paderborn 2020, S. 151).
  50. Charles Baudelaire, Weltausstellung, 1855, Beaux-Arts, in: ders., Sämtliche Werke und Briefe, Band 2, hg. von Wolfgang Drost und Claude Pichois, München 1983, hier: S. 233.
  51. Bataille, La littérature et le mal, S. 46.
  52. Benjamin, Baudelaire, S. 165.
  53. Vgl. auch dazu ausführlich Benjamin Loy: „Apologien des Autoritären“, insbesondere S. 136–145.
  54. de Maistre, Œuvres complètes I, S. 232.
  55. Benjamin, Baudelaire, S. 134 bzw. 139.
  56. Ulrich Baer, Traumadeutung. Die Erfahrung der Moderne bei Charles Baudelaire und Paul Celan, Frankfurt am Main 2002, S. 74.
  57. Vgl. zu diesen Lektüren die Ausführungen in der großen Maistre-Biografie von Claude Boncompain / François Vermale, Joseph de Maistre, Paris 2004, S. 31; sowie ausführlich zur illuministischen Tradition in Frankreich die grundlegende Arbeit von Florian Mehltretter, Der Text unserer Natur. Studien zu Illuminismus und Aufklärung in Frankreich in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, Tübingen 2009.
  58. Umberto Eco, Die Suche nach der vollkommenen Sprache, München 1994, S. 124.
  59. Jürgen Trabant, Artikulationen. Historische Anthropologie der Sprache, Frankfurt am Main 1998, S. 160 f.
  60. So Baudelaire einmal mehr in dem zitierten Brief an Toussenel, in: ders., Fusées, S. 527.
  61. Ebd., S. 75. Vgl. dazu auch die Überlegungen zum „Postgöttlichen“ in: Wild, Später Baudelaire, S. 119.
  62. Bohrer, Kritik der Romantik, S. 79.
  63. Hugo Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik. Von der Mitte des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, Reinbek 2006, S. 35.
  64. Isaiah Berlin, Joseph de Maistre and the Origins of Fascism, in: ders., The Crooked Timber of Humanity. Chapters in the History of Ideas, London 2003, S. 91–174, hier: S. 119.
  65. Karl Heinz Bohrer, Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk, München 1978, S. 491.
  66. „Tous les imbéciles de la Bourgeoisie qui prononcent sans cesse les mots : immoral, immoralité, moralité dans l’art et autres bêtises me font penser à Louise Villedieu, putain à cinq francs, qui, m’accompagnant une fois au Louvre, où elle n’était jamais allée, se mit à rougir, à se couvrir le visage, et, me tirant à chaque instant par la manche, me demandait devant les statues et les tableaux immortels comment on pouvait étaler publiquement de pareilles indécences.“ (Baudelaire, Mon cœur, S. 120.)

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Samir Sellami.

Kategorien: Kultur Kunst / Ästhetik Moderne / Postmoderne Politische Theorie und Ideengeschichte

Benjamin Loy

Dr. Benjamin Loy ist Romanist und derzeit Universitätsassistent für französische und spanische Literaturwissenschaft an der Universität Wien. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen u.a. ästhetische und soziologische Diskurse der Moderne, Konservatismus und Reaktion in Literatur- und Ideengeschichte sowie Weltliteratur und globale Buchmärkte.

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