Julian Pietzko | Rezension |

Die Personifizierung der Krise

Rezension zu „Die konformistische Revolte. Zur Mythologie des Rechtspopulismus“ von Leo Roepert

Leo Roepert:
Die konformistische Revolte. Zur Mythologie des Rechtspopulismus
Deutschland
Bielefeld 2022: Transcript
256 S., 39,00 EUR
ISBN 978-3-8376-6272-6

Seit einigen Jahren feiern rechtspopulistische Bewegungen und Parteien rund um den Globus zunehmend Erfolge, gerade auch in liberalen Demokratien. Von Beginn an wird diese Entwicklung von sozialwissenschaftlicher Forschung begleitet. Sie kreist um zwei Kernfragen: Was genau kennzeichnet Rechtspopulismus? Und wie lässt sich sein Aufstieg in den Gegenwartsgesellschaften erklären? Diesen Fragen nimmt sich nun auch Leo Roepert in seiner Studie „Die konformistische Revolte. Zur Mythologie des Rechtspopulismus“ an. Angetrieben ist er dabei von der Diagnose, dass gängige akademische Debatten die wesentlichen Inhalte des Rechtspopulismus verkennen und dessen Erfolg nicht zufriedenstellend erklären können. Viele Analysen beschränkten sich auf das „populistische“ Motiv der neuen Bewegungen, würden aber ihre explizit „rechten“ Elemente zu wenig beachten. Damit verharmlose der akademische Diskurs das Problem in Teilen, da er dem „rassistischen, antisemitischen und sexistischen Kern des Rechtspopulismus“ (S. 8) zu wenig Beachtung schenke. Zeitgleich fehle der Ursachenforschung häufig eine kritische Gesellschaftstheorie, die über die grundlegenden Bedingungen des Rechtspopulismus aufkläre. Mit seiner Arbeit möchte Roepert beide Lücken schließen.

Dafür rekonstruiert er zunächst pointiert die einschlägige akademische Debatte zum Rechtspopulismus und unterzieht diese einer ausführlichen Kritik. Er arbeitet zentrale Begriffe – Volk, Elite, Fremde – des rechtspopulistischen Diskurses heraus und identifiziert anschließend drei unterschiedliche Erklärungsmuster, mit denen der Erfolg rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen begründet werden soll. Ökonomische Erklärungen verstünden den Rechtspopulismus vor allem als Reaktion auf langfristige makroökonomische Entwicklungen und sähen in ihm den (fehlgeleiteten) Protest von „Modernisierungsverlierer*innen“ gegen den Neoliberalismus. Politische Erklärungen deuteten den Rechtspopulismus oftmals als Reaktion auf die postdemokratischen Zustände und machen in ihm im Gegenteil einen Protest für mehr Demokratie aus. Kulturelle Erklärungen hingegen betonten den stark affektgeladenen Kampf um Identität und Kultur der Rechtspopulist*innen. Alle Deutungen scheinen Roepert unbefriedigend: Vor allem ökonomische und politische Erklärungen thematisierten das Feindbild des Fremden im Rechtspopulismus nicht in gebotenem Maße und sprächen kaum von Rassismus. Kulturelle Erklärungen würden die Feindbildkonstruktionen zwar berücksichtigen und wären sich somit prinzipiell „näher am Gegenstand“ (S. 84), sie könnten jedoch auch keine Erklärungen dafür liefern, warum genau bestimmte Feindbilder vorherrschten und die politische Mobilisierung von rechts gerade jetzt vorangetrieben werde.

Sich von diesen Erklärungen abgrenzend rückt Roepert im Folgenden die wahnhafte und menschenfeindliche Dimension des Rechtspopulismus in den Fokus. Überzeugend arbeitet er heraus, dass rechtspopulistische Diskurse um die Fremden und die Elite von rassistischen und strukturell antisemitischen Deutungsmustern durchdrungen sind, die immer auch ein bedrohtes Eigenes im Sinne einer Kollektividentität implizierten. Diese Bedrohung des Eigenen (von den Rechtspopulist*innen wahlweise als aufgeklärte Gesellschaft oder als homogene Gemeinschaft verklärt) komme von außen und in Gestalt von vor allem Migrant*innen, Geflüchteten, kulturellen Minderheiten und Muslim*innen. Von innen sei es hingegen die Elite (insbesondere Politiker*innen, aber auch Medienschaffende und Wissenschaftler*innen) die das Eigene existenziell bedrohen würde, weil sie das Eindringen der Fremden ermögliche oder befördere. Dabei wird diese Elite von rechtspopulistischer Seite aus wahlweise als ohnmächtig und schwach (sie sei unfähig, um das Eindringen der Fremden zu verhindern) oder als übermächtig (sie wolle das Eigene gezielt zerstören und das homogene Volk ersetzen beziehungsweise abschaffen) imaginiert. Insbesondere der letzten Interpretation geht Roepert nach und zeigt anhand einschlägiger Literatur aus der Antisemitismusforschung auf, dass sich rechtspopulistische Elitendiskurse zumeist antisemitischer Denkmuster bedienen, ohne jedoch offene Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden zu artikulieren. Deswegen spricht Roepert von einem „strukturellen Antisemitismus“ (S. 140), der zusammen mit dem Rassismus den Kern des rechtspopulistischen Weltbildes ausmache.

Anschließend an diese überzeugende Rekonstruktion des rechtspopulistischen Weltbildes entwickelt Roepert eine gesellschaftstheoretische Erklärung zu dessen Aufstieg. Dabei schließt er an die Kritische Theorie der Frankfurter Schule an, indem er den Rechtspopulismus aus den Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft erklärt. Er interpretiert ihn als eine „mythologische Form der Krisendeutung und Krisenverarbeitung“ (S. 151; H.i.O.), die den Leuten falsche Lösungen in einer umfassenden gesellschaftlichen Krisensituation anbiete. Dabei bezieht er sich auf die von Adorno und Horkheimer diagnostizierte Verstrickung von Mythos und Aufklärung in der bürgerlichen Gesellschaft, die er mit Marx und Foucault als eine „heteronorme Ordnung“ (S. 158 ff.) beschreibt, welche das mythologische Denken selbst hervorbringe. Diese Charakterisierung verbindet er mit einer psychoanalytischen Perspektive auf die bürgerliche Subjektivität, die in Krisenzeiten besonders anfällig für rechte Politikangebote sei.

Roepert konkretisiert diese Bestimmung unter Zuhilfenahme eines Ausdrucks von Max Horkheimer und beschreibt den Rechtspopulismus als „konformistische Revolte“: Er thematisiere nicht die eigentlichen gesellschaftlichen Bedingungen der Krise, die sich eben nicht so leicht in eine verschwörerische Geschichte von im Verborgenen agierenden Mächten und getäuschtem Volk packen lassen, sondern die aus den Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft und der kapitalistischen Ökonomie hervorgehen. Stattdessen mache er konkrete Gruppen verantwortlich, personifiziere so die Krise und vermeide es letztlich, die Systemfrage zu stellen. Statt einer rationalen Analyse der bürgerlichen, kapitalistisch organisierten Gesellschaft liefere der Rechtspopulismus so eine einfache, leicht greifbare Geschichte vom Kampf Gut gegen Böse. Zugleich verharre er jedoch nicht im Status Quo, sondern ziele auf die Wiederherstellung einer vermeintlich besseren Ordnung auf Grundlage nationaler Homogenität und patriarchaler Geschlechterverhältnisse. Dafür würde aktiv zum Widerstand aufgerufen, was „im äußersten Fall Gewalt gegen andere und das Selbstopfer für das eigene Kollektiv“ (S. 212) einschließe.

Nach der Lektüre dieses theoretischen Teils der Arbeit hat man einen sehr guten Überblick über die aktuelle und andauernde (zumindest deutschsprachige) wissenschaftliche Debatte zum Rechtspopulismus, kennt verschiedene Erklärungsansätze und ihre Schwächen und weiß, was den Kern rechtspopulistischer Programmatik ausmacht. Auch führt Roepert vor Augen, wie Aspekte klassischer kritischer Gesellschafts- und Subjekttheorien von Marx über Freud zu Adorno/Horkheimer auch heute noch herangezogen werden können, um zeitgenössische Phänomene in einen theoretischen Gesamtzusammenhang zu stellen. Wer allerdings mit der Debatte rund um Rechtspopulismus, Autoritarismus und Kritische Theorie bekannt ist, wird in der Arbeit nicht viel Neues Erfahren. Statt genuin mit neuen Erkenntnissen zum Thema Rechtspopulismus oder neuen Impulsen für eine Ausarbeitung kritischer Gesellschaftstheorie, besticht die Arbeit vor allem dadurch, dass sie die Perspektiven der Kritischen Theorie, des Marx‘schen Materialismus und der Psychoanalyse in die gegenwärtige Debatte trägt.

Eine weitere Stärke ließe sich auch als ein Manko interpretieren: Es ist eine explizit theoretische und eben keine empirische Arbeit zum Rechtspopulismus. Roepert analysiert also nicht auf einen oder mehrere klar konturierte Fälle, sondern legt eine Theoriearbeit vor, deren Gegenstand die vorhandene Forschungsliteratur zum Thema ist. Hin und wieder zitiert er zwar aus rechtspopulistischen Veröffentlichungen oder Reden entsprechender Akteur*innen. Diese empirischen Verweise dienen jedoch eher der Illustration des zuvor theoretisch Herausgearbeiteten und sind kein Gegenstand einer methodisch geleiteten Analyse. Inwiefern das von ihm rekonstruierte rechtspopulistische Weltbildtatsächlich verallgemeinerbar ist, bleibt eine Frage, die letztlich empirisch zu klären ist. Und doch überzeugt Roeperts Ansatz, den Rechtspopulismus als „Gesamtphänomen“ (S. 19) zu begreifen und nach seinen „allgemeinen Ursachen“ (ebd.) zu fragen, da er so, statt sich in Einzelfallstudien zu verlieren, die Gemeinsamkeiten verschiedener Phänomene in den Blick bekommt. Roepert geht explizit „aufs Ganze“, ordnet die bereits vorhandene (empirische) Forschungsliteratur souverän wie kenntnisreich und liefert so eine überzeugende Wesensbestimmung des Rechtspopulismus.

Hervorzuheben ist schließlich, dass Roepert darauf insistiert, die menschenfeindlichen Motive ins Zentrum des Verständnis vom Rechtspopulismus zu stellen und sie nicht als eines von mehreren Elementen zu behandeln. Damit setzt er einen klaren Punkt in der laufenden Debatte, wenngleich er nicht der Einzige ist, der so argumentiert.[1] Dezidiert grenzt er sich von Erklärungen ab, die im Rechtspopulismus eine Art Notwehr von Abgehängten oder Modernisierungsverlierer*innen sehen, die eigentlich berechtigte Anliegen hätten. Stattdessen identifiziert er das rassistische und strukturell antisemitische Weltbild von Rechtspopulist*innen als Kern der Sache. Gerade die gesellschaftliche und akademische Linke sollte diese Überzeugungen so ernst nehmen, wie sie rechtspopulistischen Akteur*innen nun einmal ist, und keine „versteckten“ progressiven Anliegen vermuten. Roepert bringt es wie folgt auf den Punkt: „Die Tendenz, im Rassismus, im Antisemitismus und im Hass auf Frauen[2] den lediglich fehlgeleiteten Ausdruck einer eigentlich berechtigten sozialen Unzufriedenheit sehen zu wollen, ist fatal.“ (S. 225) Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen.

Das wirft einerseits die Frage nach politischen Gegenstrategien auf, die Roepert nachvollziehbarerweise nicht en détail verhandelt. Andererseits steht aber auch zur Debatte, ob, wenn die menschenfeindlichen Impulse so stark sind und der paranoide Wahn sowie der Hass auf Fremde und Eliten letztlich sogar in Gewalt zu kippen vermögen, das Phänomen mit „Rechtspopulismus“ eigentlich treffend bezeichnet ist. Denn vor diesem Hintergrund könnte selbst die Bezeichnung an sich schon Teil des Problems, weil verharmlosend, sein. Roepert problematisiert den Begriff am Ende seiner Arbeit und setzt die aktuellen rechten Umtriebe ins Verhältnis zum historischen Faschismus. Zwar sei der gegenwärtige Rechtspopulismus „(noch) nicht faschistisch“, seine Grundstruktur jedoch weise „mehr [Ähnlichkeit] mit dem Faschismus auf als mit dem bürgerlichen Nachkriegskonservatismus“ (S. 222). Diese These wird nicht weiter expliziert, allerdings lässt sich daran anschließend über alternative Bezeichnungen für das Phänomen diskutieren, die die aktuellen Entwicklungen in einen Kontext mit ihren historischen Vorläufern stellen. Vorschläge gibt es bereits einige, etwa „Neofaschismus“,[3] „autoritärer Nationalradikalismus“[4] oder „Postfaschismus“.[5] Die Arbeit von Roepert lädt so am Ende auch dazu ein, darüber nachzudenken, wie man den zeitgenössischen rechten Kräften wenigstens begrifflich beikommen könnte.

  1. Etwa: Stefanie Graefe, Die Macht der Sekundäreffekte. Zur Entproblematisierung von Rassismus in der Debatte um Rechtspopulismus, in: Marvin Chlada / Peter Höhmann / Wolfgang Kastrup / Helmut Kellershohn (Hg.), Entfremdung – Identität – Utopie, Münster 2020, S. 92–117.
  2. Roepert weist öfter auf die Zentralität der überholten Geschlechterbilder im Rechtspopulismus hin. Eine systematische Entfaltung des Antifeminismus im Rechtspopulismus, vergleichbar mit seinen Ausführungen zum Rassismus und zum (strukturellen) Antisemitismus, entwickelt er aber nicht.
  3. Eric Fassin, Revolte oder Ressentiment. Über den Populismus, Berlin 2019.
  4. Wilhelm Heitmeyer, Autoritäre Versuchungen, Berlin 2019.
  5. Federico Finchelstein, From Fascism to Populism in History, Berkel 2017; Enzo Traverso, Die neuen Gesichter des Faschismus. Postfaschismus, Identitätspolitik, Antisemitismus und Islamophobie, Köln 2019.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Hannah Schmidt-Ott.

Kategorien: Gesellschaft Gesellschaftstheorie Kritische Theorie Politik Psychologie / Psychoanalyse

Julian Pietzko

Julian Pietzko ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er forscht zu Sozialpolitik und zivilgesellschaftlicher Solidarität und interessiert sich insbesondere für politische Soziologie und Gesellschaftstheorie.

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