Dossier
Draufhalten
Beiträge zur Gesellschaft des Fußballs
„Fußball ist immer noch wichtig“, haben die Hamburger Musiker von Fettes Brot vor einiger Zeit gesungen. Das gilt wohl immer noch, erst recht in den Wochen der Herreneuropameisterschaft 2024 in Deutschland. Sie sichert dem Spiel größte Aufmerksamkeit. Punktestände, Aufstellungsformationen, Ereignisse in und rund um die Stadien – all das wird während des Turniers mehr als ohnehin schon Thema in Privatgesprächen, auf Zeitungsseiten, in Radio, Fernsehen, und Onlinefeeds. Angesichts zahlreicher (oft autobiografisch angelegter) Bücher von public intellectuals und hobbymäßigen Fußballrezipienten einerseits, sozialwissenschaftlichen Fachzeitschriften wie Fußball und Gesellschaft sowie Forschungsprojekten andererseits, lässt sich die einst populäre Behauptung von der akademischen Vernachlässigung des Gesellschaftsspiels nicht aufrechterhalten. Klaus Theweleit schrieb 2004: „Schönes Wort: das Rasen der (Fußball)kunst – als Tor zu anderen Wirklichkeiten“ (ders., Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell, Köln 2017, S. 233). Längst erkunden auch Vetreter:innen der Geistes- und Sozialwissenschaften, zu welchen anderen Wirklichkeiten uns der Fußball Zugang verschafft.
Doch in der disziplinären Ausdifferenzierung durch Sportsoziologie und der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Fußball als einem spezifischen Phänomen bleibt immer wieder neu zu klären, ob die anderen Fußballwirklichkeiten, von denen bei Theweleit die Rede ist, in den Geltungsbereich allgemeinerer Sozialtheorien fallen oder ob sie ganz eigene Theoretisierungen verlangen? Bildet der Fußball gesellschaftliche Entwicklungen ab, bietet er ein Reservat für längst Vergangenes oder kündigt er vielmehr mögliche Zukünfte an? Wir nutzen die Gelegenheit der turnierbedingten öffentlichen Aufmerksamkeit, um in einem Dossier einige Aspekte der Wandlungen des Fußballs herauszuarbeiten und sozialwissenschaftlich einzuordnen.
Pavel Brunssen und Andrei Markovits berichten von dem erneuten Versuch, den Fußball auch in Nordamerika endlich als populäre Sportart zu etablieren und aus der fußballerischen Peripherie herauszutreten. Den Wandel der Eigentumsstrukturen im Fußball, seine Folgen für das Geschäft und den Sport zeichnet Florian Schmidt nach. In einem Essay beschreibt Angelika Schnell, wie sich die Mediatisierung des Fußballspektakels und die eigenartigen Rezeptionsweisen seiner Zuschauer:innen wechselseitig beeinflussen. Im Gespräch mit Francesca Barp gewährt Judith von der Heyde schließlich Einblicke in ihre Forschung zu Geschlechterdifferenzierung in der Ultrafankultur und ihre Arbeit als Herausgeberin der Zeitschrift Fußball und Gesellschaft.
Francesca Barp & Florian Schmidt
Francesca Barp, Judith von der Heyde | Interview
„Der Prototyp Ultra ist ein Mann“
Judith von der Heyde im Gespräch über ihre Forschungen zur Fankultur