Jan-Felix Schrape | Rezension |

Ein loses Kompendium zur Digitalisierung der Arbeit

Rezension zu „Gutes Arbeiten im digitalen Zeitalter“ von Christiane Schnell, Sabine Pfeiffer und Roland Hardenberg (Hg.)

Abbildung Buchcover Gutes Arbeiten im digitalen Zeitalter von Schnell/Pfeiffer/Hardenberg (Hg.)

Christiane Schnell / Sabine Pfeiffer / Roland Hardenberg (Hg.):
Gutes Arbeiten im digitalen Zeitalter
Deutschland / USA
Frankfurt am Main / New York 2021: Campus
275 S., 29,95 EUR
ISBN 978-3-593-51384-3

Claus Offe hat vor 14 Jahren in einer Rezension die Ausarbeitung einer „politischen Ökonomie des sozialwissenschaftlichen Sammelbandes“ angeregt, um „die Akteure, die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen und Anreizstrukturen zu untersuchen, aus denen themenbezogene Kompilationen sozialwissenschaftlicher Texte hervorgehen, die in aller Regel für eine Konferenz angefertigt worden sind“. Denn in der Tat: Solche inhaltlich oft nur lose zusammengehaltenen Sammelbände erscheinen in hoher Frequenz – nicht zuletzt deshalb, weil es die jeweiligen Geldgeber und Organisatorinnen äußerst gerne sehen, wenn, so erneut Offe, „ihr Aufwand schließlich von einem vorzeigbaren Verlagsprodukt gekrönt wird“.[1]

Zweifelsohne lässt sich der vorliegende Sammelband, Gutes Arbeiten im digitalen Zeitalter, der angesprochenen Gattung zurechnen: Er ist entstanden im Nachgang der Konferenz „Zukunft der Arbeit“, die Anfang 2020 – kurz vor der pandemiebedingten Volldigitalisierung des akademischen Tagungslebens – für das neu eröffnete House of Labour an der Goethe-Universität Frankfurt am Main veranstaltet wurde. Das Fahnenwort „Gute Arbeit“ verweist – in leicht abgewandelter Form – direkt im Titel auf die unter anderem dahinterstehenden gewerkschaftlichen Einrichtungen. Wie sich der Einleitung entnehmen lässt, versammelt das Buch „Beiträge aus unterschiedlichen theoretischen und praktischen Hintergründen“ und möchte diese „miteinander ins Gespräch bringen“ (S. 8). Bezüge zwischen den einzelnen Aufsätzen finden sich allerdings fast nur in impliziter Form. In dieser Hinsicht unterscheidet sich diese Zusammenstellung nicht von vielen anderen sozialwissenschaftlichen Sammelbänden.

Diese Einschränkung vorweggeschickt, kann ich den von Christiane Schnell, Sabine Pfeiffer und Roland Hardenberg herausgegebenen Konferenzband insbesondere für ein eher themenfernes Publikum als ein einleitendes Kompendium zum Stand der Debatte durchaus empfehlen. Als eine Art Reader hält er für aufmerksam Lesende Einsichten darüber bereit, was mit Schlagworten wie „digitale Arbeit“, „algorithmische Steuerung“ oder „qualifizierte Mitbestimmung“ benannt wird und welche Potenziale und Herausforderungen der digitalen Transformation in der Arbeitsforschung zuvorderst diskutiert werden.

Nach zwei bündigen Vorworten und einer deskriptiven Einleitung nähert sich der erste Teil des Buches den bandentscheidenden Fragen an, was mit ‚guter‘ digitaler Arbeit gemeint sein kann und welche normativen Herausforderungen damit einhergehen. Der Beitrag von Roland Hardenberg betrachtet Arbeit als ein fundamentales „Phänomen von Kultur“ (S. 61) und diskutiert die generelle gesellschaftliche Einbettung von Arbeit. Er verfolgt dabei die These, dass „instrumentell-gegenstandsbezogenes Handeln, also Arbeit, in erster Linie soziales Handeln zur Gestaltung des menschlichen Daseins unter Berücksichtigung kultureller Werte und Ideen ist“ (S. 47). Es wäre lohnenswert gewesen, Hardenbergs Aufsatz an den Anfang dieses Teils zu setzen und die weitere Diskussion auf seinen allgemeinen ethnografischen Verortungen aufzubauen, zumal sein Text vielfach Bezüge zu einschlägigen Einsichten der Arbeitssoziologie aufzeigt. Dies geschieht allerdings leider nicht einmal ansatzweise.

Stattdessen findet sich an vorgeordneter Position ein das Forschungsfeld kartierender Beitrag von Hartmut Hirsch-Kreinsen, der digitale Arbeit als „Gestaltungsobjekt“ konturiert (S. 21). Hirsch-Kreinsen streicht heraus, dass die Digitalisierung von Arbeit und die damit verknüpften sozioökonomischen Veränderungen „keinesfalls als technologisch getriebene Selbstläufer zu verstehen sind“, sondern das Ergebnis vielfältiger sozialer Adaptions- und Gestaltungsprozesse darstellen (S. 22). Insofern lasse sich „bislang kein technologiegetriebener und als disruptiv zu charakterisierender Strukturwandel“ erkennen, vielmehr würden „digitale Technologien“ stets in bestehende betriebliche Strukturen eingebettet (S. 27). Angesichts der dortigen Reorganisationsprozesse, die für Beschäftigte „zum Teil auch widersprüchliche Anforderungen“ bergen, sieht Hirsch-Kreinsen die Notwendigkeit für systematische Verfahren der Mitbestimmung bei der Einführung neuer Technologien, für einen „Wandel von Managementfunktionen“ (S. 40), für adäquate Regulierungsformen sowie für einen „neuen arbeits- und sozialpolitischen Interessenkompromiss“ gegeben (S. 42). Die letztgenannte Forderung lässt sich ebenfalls aus Axel Honneths Aufsatz herauslesen, der – nach einer Rekonstruktion der normativen Ansprüche an eine faire Arbeitsteilung in modernen Gesellschaften – auch die unter anderem durch Claus Offe angestoßene Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen kritisch einordnet.

Der zweite und dritte Teil des Bandes widmen sich zusammengenommen der Frage, was eigentlich das tatsächlich Neue ist, das mit der fortschreitenden Digitalisierung von Arbeit einhergeht. In diesen beiden Teilen finden sich zum einen eine Reihe an eher essayistischen Beiträgen, die sich von der eigentlichen Thematik des Bandes mitunter weit entfernen. Sie eruieren beispielsweise, wie algorithmische Systeme die öffentliche Kommunikation verändern, welche kulturellen Transformationsprozesse mit der Digitalisierung sowie der datenbasierten Lebensvermessung verknüpft sind und welche heterogenen sozioökonomischen Effekte mit mobilen Kommunikationstechnologien insbesondere im globalen Süden einhergehen. Ihre Lektüre ist fallweise anregend; die Bezüge zu der Frage nach guter Arbeit im digitalen Zeitalter muss die Leserschaft allerdings zumeist selbst herstellen.

Zum anderen finden sich hier drei instruktive Textstücke zur fortschreitenden Automatisierung von Arbeit und Arbeitskoordination, die von den vielfältigen themenbezogenen Forschungsarbeiten ihrer Autoren profitieren. Philipp Staab diskutiert auf empirisch informierter Basis, was sich hinter der Idee des „algorithmischen Managements“ von Arbeit verbirgt, wie sich diese von vorangegangenen Formen der Arbeitskoordination abhebt und inwiefern sich algorithmisches Management künftig „als ein mögliches neues Leitmotiv der Arbeitskontrolle“ erweisen könnte (S. 138). Dafür sieht Staab nach dem gegenwärtigen Stand der Beobachtung deutliche Hinweise, die künftig jedoch erst noch übergreifende Bestätigung finden müssten. Insgesamt sei „eine Lesart naheliegend, die diese Entwicklungen eher als Kontinuitäten indirekter Steuerung, Subjektivierung und marktzentrierter Kontrolle beschreibt“ (S. 140). Nichtsdestoweniger „prämiert [...] das algorithmische Management letztlich einen Blick auf den Arbeitsprozess, der Versuche der digitalen Steuerung von Arbeit nützlich erscheinen lässt und damit geeignet ist, das bestehende Paradigma der Autonomie zu erschüttern“ (ebd.).

Nach den Kontinuitäten und Brüchen im Prozess der Digitalisierung fragt auch Florian Butollo in seinem Beitrag zum Wandel der internationalen Arbeitsteilung. Butollo untersucht die mit der COVID-19-Pandemie erstarkte Erwartung, dass sich Fertigungsstätten aus Schwellenländern in kapitalistische Kernstaaten zurückverlagern (reshoring). Er hebt dabei insbesondere die politische Dimension der seiner Ansicht nach einseitigen Debatten hervor. So werde etwa oft „übersehen, dass die Vereinfachung der Lieferketten und das reshoring nur eine mögliche Antwort auf die Vulnerabilität globaler Lieferketten sind“ (S. 155).

Ulrich Jürgens schließlich betrachtet am Beispiel der Automobilindustrie die fortschreitende Automatisierung als historische Verlaufsdynamik und beleuchtet danach, welche Auswirkungen die gegenwärtige digitale Automatisierung auf den Wandel der Tätigkeitsstrukturen hat. Eine „Panikmache vor den Auswirkungen von Industrie-4.0-Techniken auf Arbeit und Beschäftigung“ stuft er auf Basis seiner Langzeitbetrachtung als „unangebracht“ ein (S. 214).

Der vierte Teil des Bandes nimmt arbeits- und sozialpolitische Problemstellungen in den Blick. Die ersten beiden Beiträge von Fabian Langenbruch (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) und Mathias Möreke (Betriebsrat Volkswagen) halten interessante Einsichten darüber bereit, welche Aspekte der laufenden Transformation von Arbeitszusammenhängen aus ministerialer Perspektive sowie auf betrieblicher Ebene derzeit als vordergründig markiert werden. Marius R. Busemeyer arbeitet im den Band abschließenden Aufsatz die in dieser Hinsicht zentralen Herausforderungen für den Sozialstaat heraus, der „auch im digitalen Zeitalter [...] eine wichtige Ressource“ darstellt, die die „Individuen befähigt, aktiv am Erwerbs- und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“ (S. 271). Ähnlich wie andere einschlägige Arbeiten zu diesem Thema diagnostiziert Busemeyer, dass „die Zersplitterung und Zerfaserung von Beschäftigungsverhältnissen“, die auch viele Ausprägungen der Plattformarbeit kennzeichnet, „die effektive Organisation und Mobilisierung“ von Arbeitnehmenden erschwert. Dementsprechend sollten aus seiner Sicht künftig jene Positionen intensiver erörtert werden, „die stärker auf eine ‚universalistische‘ Absicherung der Arbeits- und Lebensbedingungen der weniger Wohlhabenden zielen“ (S. 270).

Insgesamt bietet der besprochene Sammelband aufschlussreiche Annäherungen an das Themenfeld Gutes Arbeiten im digitalen Zeitalter aus vielen Diskursperspektiven, die allerdings weitgehend unverbunden nebeneinanderstehen. Als Textsammlung zum Stand der Debatte hat der Band damit durchaus seine Berechtigung. Eine systematischere Kuratierung der Beiträge sowie eine orientierende Einleitung oder eine verortende Bilanz wären indes zuträglich gewesen, um das Buch zu einer inhaltlich stimmigen Kompilation zu machen, die deutlich über die von Claus Offe beklagte Sammelbandgattung als Konferenzsouvenir hinausgeht.

  1. Claus Offe, Rezension zu: Verantwortung in der Zivilgesellschaft. Zur Konjunktur eines widersprüchlichen Prinzips, in: Soziologische Revue 31 (2008), 4, S. 403–410, hier S. 403 und S. 404.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Wibke Liebhart.

Kategorien: Arbeit / Industrie Digitalisierung Sozialer Wandel Technik

Jan-Felix Schrape

PD Dr. Jan-Felix Schrape forscht und lehrt seit 2010 am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart und nimmt im Sommersemester 2021 und Wintersemester 2021/22 eine Gastprofessur am Lehrstuhl für Technik und Gesellschaft wahr. Seine Forschungsschwerpunkte sind Technik-, Innovations-, Medien- und Organisationssoziologie.

Alle Artikel

PDF

Zur PDF-Datei dieses Artikels im Social Science Open Access Repository (SSOAR) der GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften gelangen Sie hier.

Empfehlungen

Thomas Hardwig

Under Construction

Bericht zur Tagung Work in Progress VI “Überbordende Erwartungen – gezähmte Praktiken? Arbeit in und an der Digitalisierung“ am 28. und 29. November 2019 am Soziologischen Forschungsinstitut der Universität Göttingen (SOFI)

Artikel lesen

Jonathan Kropf

Schleichender Wandel mit ambivalenten Folgen

Rezension zu „Digitale Transformation“ von Jan-Felix Schrape

Artikel lesen

Newsletter