Alexandra Keiner | Rezension |

Eine neue Internet-Ära?

Rezension zu „Regulating Platforms“ von Terry Flew

Abbildung Buchcover Regulating Platforms von Flew

Terry Flew:
Regulating Platforms
Vereinigtes Königreich
Cambridge 2022: Polity Press
256 S., $ 64.95
ISBN 978-1-509-53708-2

Ende April 2022 einigten sich das Europäische Parlament und der Europäische Rat auf das Gesetz über digitale Dienste – besser bekannt unter dem englischen Titel Digital Service Act. Die finale Textfassung wurde zwar noch nicht veröffentlicht, es ist jedoch bereits klar, dass das Gesetz weitreichende Regulierungen digitaler Unternehmen, insbesondere großer digitaler Plattformen, vorsieht. Demnach müssen sie sich in Zukunft verpflichten, illegale und falsche Inhalte zu löschen, und ihre Empfehlungsalgorithmen offenlegen. Das Gesetzesvorhaben sei, so heißt es in der Pressemitteilung des Europäischen Rats, „ein weltweites Novum im Bereich der Regulierung des digitalen Raums“.[1]

Folgen wir Terry Flews Argumentation, ist der Digital Service Act Teil einer größeren weltweiten Entwicklung hin zu einer strengeren Regulierung digitaler Plattformen. In seinem neuesten Buch Regulating Platforms stellt der australische Medien- und Kommunikationswissenschaftler die These auf, dass die Plattformisierung des Internets zu einer Reihe von Problemen und Gefahren für die Öffentlichkeit geführt hat. Als Reaktion darauf fordern, so Flew weiter, Politik und Öffentlichkeit nun eine stärkere Kontrolle und mehr Verantwortung der Plattformunternehmen. Gesetze wie der Digital Service Act oder der Digital Markets Act seien daher keine Zäsur, sondern vielmehr die Vorboten einer neuen Ära des „regulated internet“ (S. x), in der digitale Plattformen – ähnlich wie bereits der Finanz- und Bankensektor – von staatlichen, suprastaatlichen und gesellschaftlichen Akteuren reguliert würden.

Regulating Platforms ist im Kern ein kommunikationswissenschaftliches Buch, da vor allem Kommunikationsplattformen im Fokus der Analyse stehen, zugleich liefert es jedoch wichtige Erkenntnisse und Perspektiven für Forscher:innen aus unterschiedlichen Disziplinen, die sich dem Thema Plattformregulierung widmen. Denn es handelt sich um eine umfangreiche Einführung in ein aktuell viel diskutiertes Thema, darüber hinaus geht Flew der Frage nach, warum gerade jetzt der Ruf nach einer stärkeren Regulierung digitaler Plattformen so laut wird – nachdem man sich über zwei Jahrzehnte lang einig war, dass das Internet ein free and open space sein und bleiben sollte.

Das Ende des libertären Internets

Bereits im Vorwort teilt Flew die Geschichte des Internets in drei Phasen ein, auf die er seine Argumentation aufbaut: Die ersten 15 Jahre, die er als „libertarian internet“ (S. ix) bezeichnet, seien stark von marktliberalen Ideologien geprägt gewesen. Man war überzeugt, dass technologische Innovationen nur durch „free minds and free markets“ (S. x) entstehen könnten, während staatliche Regulierung diese nur behindern würde. Das Aufkommen des Web 2.0 Anfang der 2000er-Jahre habe die zweite Phase des „platformized internet“ (S. x) eingeläutet. In dieser Zeit hätten sich einige wenige digitale Plattformen etabliert, die bis heute den Großteil der Angebote im Internet bereitstellten. Die Machtkonzentration und Oligopolisierung der Plattformen hat, so Flew, zum einen Zweifel am offenen und dezentralen Charakter des Internets geweckt; zum anderen sorgte dies für gesellschaftliche und politische Probleme, die eine diskursive Wende in den Debatten um Internet-Governance und Regulierung angestoßen haben. Laut Flew befinden wir uns aktuell noch in der genannten zweiten Phase der Plattformisierung, doch stehen wir bereits an der Schwelle zum „regulated internet“, der dritten Phase in seiner Internet-Chronologie. Die ersten drei Kapitel des Buches greifen diese Einteilung auf und gehen detailliert auf die Internetentwicklung bis heute – also auf Phase 1 und 2 – ein, indem sie nachzeichnen, wie die Idee eines offenen und libertären Internets von Forderungen nach Regulierung abgelöst wurde.

Die Ausführungen zum „libertarian internet“ der 1990er-Jahre im ersten Kapitel dürften dabei nicht nur für jene interessant sein, die sich dezidiert mit Fragen der Regulierung beschäftigen, sondern auch für alle, die Geschäftsmodelle sowie die gesellschaftliche Stellung und Legitimierungsversuche von Plattformen in den Blick nehmen. Flew identifiziert unterschiedliche „core structural priciples“ (S. 39): Beispielsweise sei das frühe Internet vom „communitarian ethos of social sharing, and romanticism“ (S. 39) der Neuen Linken geprägt gewesen. Daraus leitete man ein „primacy of freedom of speech“ (S. 9) für das Handeln im Internet ab und konstruierte einen Konflikt zwischen Internet-Nutzer:innen und dem Staat. Solche Kernnarrative des frühen Internets erklärten und rechtfertigten die fehlende oder nur partielle Regulierung von Internet-Unternehmen. So wurde 1996 in den USA die Section 230 des Communication Decency Act erlassen, die Nutzer:innen und Anbieter:innen von interaktiven Computerdiensten von einer Haftung weitestgehend befreite. Sie diente in den Folgejahren in anderen Ländern – beispielsweise Großbritannien mit seinem 2003 beschlossenen Communications Act – als Vorlage, um Computerdiensten und digitalen Plattformen einen rechtlichen Sonderstatus zu verschaffen.

Vor dem Hintergrund, dass wir uns aktuell in der Phase des „platformized internet“ befinden, stellt Flew im zweiten Kapitel die Frage, welche spezifischen Eigenschaften Plattformen haben und welche Konsequenzen sich dadurch für ihre Regulierung ergeben. Nach einer kurzen definitorischen Einleitung zeigt der Autor, wie Plattformen von anderen Geschäftsmodellen und Organisationsformen abgegrenzt werden können, und vergleicht die unterschiedlichen Kategorisierungsmodelle miteinander. Dabei identifiziert er spezifische Merkmale von Plattformen, die für ihre Regulierung eine entsprechend große Rolle spielen (sollten). Beispielsweise agieren Plattformen – im Vergleich etwa zu anderen Medienunternehmen – in „multisided markets“ (S. 63), das heißt, es sind Nutzer:innen, Content-Produzent:innen und Werbetreibende involviert.[2] Darüber hinaus hat die Relevanz von Plattformen nicht nur durch die rasant steigende Anzahl an Nutzer:innen zugenommen, sondern auch dadurch, dass sie mittlerweile wichtige Teile der digitalen Infrastruktur stellen oder kontrollieren.

Im dritten Kapitel stellt Flew sieben zentrale „Issues of Concern“ (S. 72) vor, die maßgeblich zu der Forderung nach einer strengeren Regulierung von digitalen Plattformen führten: „privacy and security; data rights and protections; governance of algorithms; disinformation and fake news; hate speech and online abuse; impacts on other media and on the creative industries; and the rise of information monopolies“ (S. 103). Dabei handelt es sich nicht um eine vollständige Liste von Problembereichen, dennoch bietet das Kapitel eine hilfreiche Übersicht der wichtigsten und schwierigsten Dimensionen der Plattformregulierung.

Wer soll digitale Plattformen regulieren?

Während man sich in der ersten Phase des Internets noch hauptsächlich fragte, ob es überhaupt reguliert werden soll, geht es laut Flew mittlerweile darum, wer das Internet reguliert und zu wessen Gunsten. Damit beschäftigten sich die Kapitel 4 und 5 sowohl theoretisch als auch empirisch. Flew zufolge herrscht seit den 1990er-Jahren ein weit verbreiteter Konsens darüber, dass digitale Plattformen aufgrund ihrer individuellen, interaktiven und dezentralen Kommunikationsstruktur keine Telekommunikations- oder Medienunternehmen seien. Sie bildeten stattdessen eine eigene neue Branche, die die Kommunikations- und Medienpolitik (allein) nicht erfassen könne.[3] Diese Annahme habe unter anderem den rasanten Aufstieg und die Machtkonzentration der Plattformen unterstützt. Flew hingegen sieht neben den vielen Unterschieden zu klassischen Medienunternehmen auch einige Gemeinsamkeiten. So seien Plattformen in Bezug auf die Anzahl der Nutzer:innen und Inhalte „mass in their nature“ (S. 133), woraus sich bereits bekannte Probleme – etwa Medienmanipulation und Medienkompetenz – ergeben.

Durch die Dreiecksbeziehung der Akteure (Staaten, Unternehmen und NGOs) lassen sich unterschiedliche Formen der Regulierung identifizieren, die sich in ihrer Verbindlichkeit und Kooperationsform unterscheiden.

Im Zusammenhang mit der Frage nach der Kontrolle und Eingrenzung von Plattformmacht wird in der Wissenschaft üblicherweise von „Governance“ und seltener von „Regulierung“ gesprochen. Im fünften Kapitel setzt Flew diese zwei Konzepte in Relation zueinander und zeigt, dass es sich nicht zwingend um konkurrierende Begriffe handeln muss. Anhand des von Robert Gorwa entwickelten „Platform Governance Triangle“ verdeutlicht Flew, dass das Konzept der „Governance“ – das von netzwerkartigen Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren ausgeht – neue Perspektiven in der Regulierungsdebatte ermöglicht. Durch die Dreiecksbeziehung der Akteure (Staaten, Unternehmen und NGOs) lassen sich unterschiedliche Formen der Regulierung identifizieren, die sich in ihrer Verbindlichkeit und Kooperationsform unterscheiden. Darauf aufbauend stellt Flew sechs Fallbeispiele für „regulatory actions“ (S. 145) vor, die die Überschneidungen von Regulierung und Governance belegen und aufzeigen, dass Kontrolle und Regulierung von digitalen Plattformen auf unterschiedlichen Ebenen bereits möglich sind.

Das siebte Kapitel widmet sich in einer Art Exkurs der Entwicklung der Internet-Ökonomie in China. Flew verfolgt damit drei Ziele: Erstens möchte er zeigen, dass eine globale Internet-Governance nur bedingt möglich ist, wenn autoritäre Staaten wie China große Teile des Internets kontrollieren und dabei – und im Sinne eines Technonationalismus – ihre nationalstaatlichen Interessen verfolgen. Zweitens soll das Kapitel einen Überblick über die Entwicklung des chinesischen Internets geben, der sich nicht nur auf den viel diskutierten Aspekt der staatlichen Zensur beschränkt. Drittens identifiziert Flew „distinctive features“ (S. 186), in denen sich das chinesische vom ‚westlichen‘ Internet unterscheidet, aber auch Parallelen und Wechselwirkungen.

Die Zukunft der Plattformregulierung

In den letzten beiden Kapiteln des Buches fasst Flew schließlich die wichtigsten Erkenntnisse seiner Arbeit zusammen und wagt einen Blick in die Zukunft: auf die anfangs angekündigte dritte Phase des „regulated internet“. Dabei diskutiert er mögliche Schwerpunkte und Herausforderungen einer zukünftigen Plattformregulierung, etwa die Berücksichtigung der vielfältigen Machtdimensionen von Plattformen, die neben ökonomischer Macht auch über „communications power“ (S. 205) verfügen. Weiterhin stellt sich die Frage, wer für eine zukünftige Regulierung verantwortlich sein sollte, woraus sich wiederum Fragen nach der Legitimität und der Ebene der Regulierungsakteure ergeben. Der Politikwissenschaftler Blayne Haggart hält eine Internetregulierung für unmöglich, da es keine transnationalen Körperschaften gibt, die über die nötige Legitimität und Macht verfügen. Flew stimmt Haggart in Bezug auf eine globale Governance und Regulierung zwar zu, meint jedoch, in seinem Buch gezeigt zu haben, dass insbesondere staatliche Akteure durchaus und auch schon jetzt in der Lage seien, Regulierungen umzusetzen, die weitreichende Konsequenzen für Plattformen haben.

Gegen Ende der Lektüre von Regulating Platforms hat man den Eindruck, einen Einblick in fast alle relevanten Felder der Plattformregulierung gewonnen zu haben. Trotz der Komplexität des Gegenstands gelingt es Flew, das Thema differenziert und verständlich wiederzugeben. Aufgrund seines eher deskriptiven und einführenden Charakters eignet sich das Buch vor allem als Einstieg in das Thema, etwa als Seminarlektüre. Bei der Fülle und Vielschichtigkeit der bearbeiteten Bereiche erfahren aber auch Expert:innen der Plattformregulierung noch Neues. Leider führt die thematische Vielzahl dazu, dass einige Aspekte nur vage angerissen werden. Der Aufbau könnte zudem etwas stringenter sein: Die einzelnen Kapitel und Unterkapitel sind für sich alleine genommen zwar interessant, jedoch ist nicht immer nachvollziehbar, welche Rolle sie für die übergeordnete Argumentation spielen. Die Konklusionen am Ende jedes Kapitels fangen dieses Problem zumindest ein wenig auf. Sie bieten eine hilfreiche Orientierung im Buch, führen aber oft auch neue Themen und Argumente ein, was wiederum verwirrt.

Mit dem Fokus auf staatliche oder suprastaatliche Regulierung beleuchtet Flew einen bedeutenden Aspekt der Plattformregulierung und Governance. Vor dem Hintergrund, dass staatliche Regulierung in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat, liefert das Buch deshalb nicht nur einen wichtigen Beitrag, sondern kann auch als Impuls für weitere sozialwissenschaftliche Forschung in diesem Feld dienen. Darüber hinaus zeigt Flew, dass die Debatten zur Plattform-Governance und -regulierung auch zusammen betrachtet werden können und dass dabei fruchtbare Synergien entstehen.

Flews Prognose, dass wir uns auf eine Phase des „regulated internet“ zubewegen, die sich in erster Linie durch die Regulierung von Plattformen auszeichnet, scheint verfrüht.

Flew will die Frage beantworten, warum gerade jetzt eine (staatliche) Regulierung von Plattformen international gefordert wird. Plausibel legt er dar, warum die (staatliche) Regulierung auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Seine Prognose, dass wir uns auf eine Phase des „regulated internet“ zubewegen, die sich in erster Linie durch die Regulierung von Plattformen auszeichnet, scheint jedoch verfrüht. Auch wenn Gesetze wie das NetzDG und die Datenschutzgrundverordnung bereits weitreichende Folgen für Plattformen hatten, lassen sich die Auswirkungen neuerer Regulierungsbemühungen, wie der Digital Service Act, noch gar nicht beurteilen. Darüber hinaus könnten Regulierungsversuche und -forderungen auch zu einer Stabilisierung oder Steigerung der ökonomischen, politischen und kommunikativen Macht von Plattformen führen, was Flew nur am Rande thematisiert.[4] So gesehen befinden sich Plattformen, Gesellschaft und Politik gerade in einem Aushandlungsprozess, dessen Ausgang noch nicht wirklich abzusehen ist.

  1. Europäischer Rat / Rat der Europäischen Union (Hg.), Gesetz über digitale Dienste. Vorläufige Einigung zwischen Rat und Europäischem Parlament, um das Internet zu einem sichereren Raum für Menschen in Europa zu machen [27.7.2022].
  2. Hinzu kommt, dass Plattformen selbst Produzent:innen sein können, Beispiele hierfür sind etwa YouTube oder Netflix, was zu einer noch komplexeren Regulierungssituation führt.
  3. So basiert die bereits erwähnte Section 230 des Communication Decency Act von 1996 auf der Annahme, dass mit der Internettechnologie das Ende der Massenmedien erreicht und eine gesonderte Regulierung notwendig sei.
  4. Dabei lassen sich solche Tendenzen bereits jetzt beobachten: So beschreibt der Kommunikationswissenschaftler Christian Katzenbach, wie die Forderung, Plattformen müssten mehr Verantwortung für ihre Inhalte übernehmen, diesen paradoxerweise zu noch mehr Entscheidungsmacht verholfen hat. Grund dafür sei die „zunehmenden Positionierung von automatisierten Verfahren zur Adressierung dieser Governance-Fragen“, die Katzenbach als „algorithmic turn“ bezeichnet. Plattformen würden demnach aufgrund der Haftungsansprüche, die mit Gesetzen wie dem NetzDG einhergehen, algorithmische Systeme zur Moderation von Online-Inhalten einsetzen. Weil die Informationen über die Funktionsweise und Auswirkungen dieser Systeme für gesellschaftliche und politische Akteure nicht zugänglich seien, bliebe die eigentliche Ausgestaltung und Durchsetzung der Regulierungen in der Hand der Plattformen. Ders., Der „Algorithmic turn“ in der Plattform-Governance. Die diskursive, politische und technische Positionierung von Algorithmen und KI als „technological fix“ für komplexe Herausforderungen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 74 (2022), 1, S. 283–305, hier S. 283.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Wibke Liebhart.

Kategorien: Daten / Datenverarbeitung Digitalisierung Kommunikation Medien

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Alexandra Keiner

Alexandra Keiner ist Doktorandin in der Forschungsgruppe „Verlagerungen in der Normsetzung“ am Weizenbaum-Institut. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Plattformökonomie, Regulierung von Internetpornografie, Algorithmische Governance sowie Organisations- und Arbeitssoziologie.

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