Tatjana Thelen | Rezension | 16.02.2021
Entfesselte Verwandtschaft
Rezension zu „Relations. An Anthropological Account“ von Marilyn Strathern
Marilyn Stratherns neues Buch Relations. An Anthropological Account ist ein Spätwerk im besten Sinne. Zum Abschluss einer langen Karriere als eine der wichtigsten Anthropologinnen ihrer Zeit macht sich die bald achtzigjährige emeritierte Professorin der Cambridge University daran, die grundbegrifflichen Selbstverständlichkeiten der westlich geprägten Sozialwissenschaften bis in ihre Grundfesten zu erschüttern.[1] Strathern spürt den Entstehungskontexten und Wandlungen von „Relation“ als generischem Konzept und Basis für zentrale sozialwissenschaftliche Begriffe wie Individuum und Gesellschaft hinterher. Dabei berührt sie unvermeidlich die Frage nach den Grenzen der Sprache und lotet aus, wie sich menschliches Zusammenleben jenseits einer allgegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Begrifflichkeit von Relationalität erfassen ließe.
Was über weite Strecken wie eine ausschweifende Reflexion von rein fachwissenschaftlichem Interesse anmutet, schließt aber eine politische Dimension mit ein. Bezüglich der Herausforderungen angesichts der ökologischen Krise gehen Strathern viele Kritiker*innen nicht weit genug. Statt lediglich auf die Überwindung menschzentrierter Ansätze in den Sozialwissenschaften zu pochen – Strathern zitiert hier Autor*innen des Neo- und Postmaterialismus, der Multispecies Ethnography sowie der sogenannten ontologischen Wende –, bedürfe es einer radikaleren Reflexion des konzeptuellen Inventars politischer Kritik.[2] Grundlegender als die bisher ausführlich diskutierten Dichotomien von Natur vs. Kultur, Körper vs. Bewusstsein, Mensch vs. Tier erscheint Strathern der (wissenschaftlich wie umgangssprachlich diffus positiv konnotierte) Begriff der Relation. Mit dieser Beobachtung eröffnet sie ihre historische Dekonstruktion, die das ehrgeizige Ziel verfolgt, den Zusammenhang zwischen sozialwissenschaftlichen und alltagssprachlichen Begriffspraktiken zu problematisieren und damit zugleich neuartige kritische Zugänge zu eröffnen.
Durch das Prisma der Relation entfaltet Strathern in ihrem Buch und seinen drei Teilen mit je zwei Kapiteln nicht nur eine beeindruckende Konzeptgeschichte, sondern es gelingt ihr auch, sehr unterschiedliche intellektuelle Denkrichtungen überraschend neu zu gruppieren. Das oft reproduzierte Gemälde An Experiment on a Bird in the Air Pump von Joseph Wright aus dem 18. Jahrhundert, das in Ausschnitten auf dem Buchcover und noch einmal vollständig vor dem eigentlichen Text abgebildet wird, kann dabei als eine Art implizites Leitmotiv angesehen werden. Dargestellt ist ein vor Publikum durchgeführtes Experiment, in dessen Verlauf dem Vogel im Inneren einer Glasapparatur allmählich die Luft entzogen wird.
Erst ganz am Ende des Buches, in der Coda zum dritten Teil, lenkt Strathern ihre Aufmerksamkeit schon fast nur en passant auf das Bild. Sie erläutert diese Darstellung der Innovation einer Relation als Hinweis auf die Parallelen zwischen persönlichen und wissenschaftlichen Beziehungen und deren Produktivität. So wie das Gemälde die Beziehungen zwischen Wissensproduktion und Publikum (Freund*innen? Verwandte?) ebenso wie zwischen anderen dargestellten Elementen (Luft, Vogel) darstellt, nimmt die Autorin spielerisch immer neue Aspekte der (Wieder-) Entdeckung von Beziehungen in spezifischen Momenten der Wissensproduktion in den Fokus, die gesellschaftliche Realität nicht nur beschreiben, sondern hervorbringen. Zugleich spielt Wrights Darstellung aus dem 18. Jahrhundert auf den historischen Zeitraum im ausgehenden 17. Jahrhundert an, den Strathern als Ausgangspunkt für die steile Karriere von „Relation“ als generischem Konzept veranschlagt (S. 166).
Mit dieser zeitlichen Verortung folgt sie einem Trend in der Geschichtswissenschaft, die in den letzten Jahren zunehmend das Augenmerk auf zentrale Verschiebungen in der frühen Moderne gelegt hat. Speziell im Englischen verschmilzt relation/relative in dieser Zeit zunehmend mit dem Begriff der Verwandtschaft (kinship). Hier deutet sich bereits eine Schwierigkeit mit Stratherns Vorgehensweise an, die auch schon in ihren früheren Arbeiten ausgemacht wurde, nämlich die Problematik, auf der englischen Sprache und ihrer Semantik gültige Interpretationen des gesamten „westlichen Denkens“ aufzubauen. Sie berücksichtigt zwar kritische Stimmen gegen diese Vorgehensweise, kann aber ihr Unbehagen letztlich nicht gänzlich zerstreuen. Denn im Deutschen (wie auch in anderen europäischen Sprachen) haben die semantische Nähe von relation und relative im Englischen sowie die Verwendung von relating im Sinne von „eine Geschichte erzählen“ keine ähnlich offenkundigen und übergreifenden Pendants.[3]
Neben der zeitlichen Verortung der Erfolgsgeschichte des Relationenbegriffs situiert der erste Teil des Buches ihn im Umfeld weiterer zentraler Themen der Humanwissenschaften wie Vergleich, Verwandtschaft, Freundschaft und Individuum. Diese werden in den folgenden Kapiteln immer wieder neu aufgegriffen und von verschiedenen Seiten beleuchtet. Von größter Bedeutung ist für Strathern die parallele Entwicklung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen (etwa zur Affinität der Elemente) und dem Wandel der Bedeutungs- und Sinndimensionen menschlicher Beziehungspraktiken. Zunächst belegt sie mithilfe historischer Studien, dass Bezeichnungen für Verwandte und Freund*innen lange weitgehend austauschbar waren. Der Begriff der Verwandtschaft umfasste zudem alle möglichen Personen, die in einem Haushalt zusammenlebten und/oder durch Abstammung oder Heirat oder gefühlte Nähe miteinander verbunden waren.[4] Ab dem 17. Jahrhundert trennen sich die Wege von Verwandtschaft und Freundschaft dann zunehmend, bis sie sich auf dem Spielfeld der Begriffe als konträre, ja einander wechselseitig ausschließende Beziehungstypen gegenüberstehen: entweder man ist befreundet oder verwandt. Im Gefolge dieser Entwicklungen wurde Verwandtschaft als Begriff zunehmend „ausgedünnt“ und seiner strukturellen Bedeutung beraubt. Familie wird fortan zur „Privatangelegenheit“ und damit das „kleine“ Gegenstück zu einer darüberstehenden „größeren“ Öffentlichkeit oder Gesellschaft.[5] Zugleich wird Relation zum allumfassenden Konzept erhoben, das sich von nun an sowohl auf Verwandtschaftsverhältnisse als auch auf Wissensproduktion anwenden lässt. Diesen Prozess und seine nicht ohne Weiteres zugänglichen Zusammenhänge will die Autorin mit ihrer Studie wieder freilegen.
In diesem Sinne verortet Strathern die Ersetzung der Analogie durch den Vergleich als neuem dominanten Typus epistemischer Relation als Teil dieses historischen Prozesses. Im zweiten Kapitel wendet sie sich dieser Entwicklung anhand von Routinen der Materialordnung zu, die die wissenschaftliche Modellbildung prägen. Durch solche selbstverständlichen hilfswissenschaftlichen Praktiken werde der Vergleich zum „Avatar“ der Relation (S. 45), denn erst jene Praktiken schaffen die Entitäten, die in der Folge verglichen werden können. Unmittelbar daran schließt sich die zweite wiederkehrende Figur des Buches an: das westliche Individuum. Dieses zeichnet sich im Gegensatz zu den in ihrem Frühwerk entwickelten Dividuen durch Eindeutigkeit und Abgeschlossenheit aus.[6] Erst die Vorstellung von Identität als etwas, was sich selbst gleichbleibt und zugleich einzigartig ist, schafft die Bedingungen für Vergleiche zwischen vorgängig abgeschlossenen und separierten Einheiten sowie deren Relationen als rein externe Verknüpfungen zu verstehen.
Teil 2 fokussiert auf den zweiten Gegenspieler der begrifflich immer stärker ausgedünnten Verwandtschaft: die Gesellschaft. Strathern versteht den Gesellschaftsbegriff in der Tradition der britischen Sozialanthropologie als einen Fokus auf Strukturen, den sie hier wie bereits in früheren Publikationen kritisiert.[7] Nicht alle sozialwissenschaftliche Traditionen folgen einer solchen verengten Sichtweise, allerdings werden auch sonst Gesellschaften tendenziell als in sich geschlossene Einheiten behandelt, um sie vergleichbar zu machen. Daher geht Strathern in Kapitel 3 zunächst auf die angeblich neutrale (wissenschaftliche) Beschreibung von Gesellschaft ein und legt sie als Intervention offen.
Das vierte Kapitel kehrt explizit zum Vergleich zurück und widmet sich einer konzentrierteren Entfaltung des Themas Ähnlichkeit als generalisierter Basis für Beziehungen und deren positiver Konnotation. Im Kern geht es Strathern um die Unterscheidung zwischen Unähnlichkeit (dissimilarity) und radikaler, unüberbrückbarer Differenz. Anhand der Auseinandersetzung mit den Nachkommen der Verstorbenen aus nicht-europäischen Regionen in Debatten über den Umgang mit menschlichen Überresten in europäischen Museen zeigt sie auf, welche Fallstricke in Konstruktionen lauern, die unkritisch von symmetrischen und dialogischen Beziehungen auf Augenhöhe zwischen den Parteien ausgehen. Während die beteiligten Wissenschaftler*innen zwar zur Restitution der umkämpften Objekte bereit sind, setzen sie dennoch ihre Vorstellungen von Wissen als absolut voraus. Diese Symmetrisierung eigentlich inkommensurabler Diskurse und Positionen ermögliche und verlängere letzten Endes ausbeuterische Strukturen der neoliberalen Weltordnung. Mit der Betonung der radikalen Alterität eines Wissens, das sich seiner Objektivierung widersetzt, skizziert sie ihr Projekt in diesem Teil am deutlichsten in Nähe zum Perspektivismus der sogenannten ontologischen Wende.
Ausgehend von der Analyse naturalistischer Abbildungspraktiken als integralem Bestandteil wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung kehrt Strathern im dritten Teil des Buches zur Frage zurück, wie erst durch die Abstraktion von Prozess und Kontext Vergleich (im europäischen Sinne) möglich wird. In diesem Teil werden die zuvor dargestellten Entwicklungslinien der Begriffs- und Ideengeschichte des Relationenbegriffs nicht nur als naturalisierte Konstruktion, sondern darüber hinaus in ihrer geradezu kosmologischen Funktion für das westliche Denken, Erkennen und Handeln entlarvt.
Ungeduldige Leser*innen könnten mit Kapitel 6 (dem letzten) beginnen, einer zugespitzten Zusammenfassung von Stratherns Argument der Relation als privilegiertem Kernelement der westlichen Vorstellungswelt. Ihr „unbescheidener Vorschlag“ (S. 144 ff.) lässt sich wie folgt resümieren: Die umfassende Bedeutung von Verwandtschaft kann nicht gesehen werden, weil sie größtenteils unter einem anderen Namen verhandelt wird: Freundschaft. Die konzeptuelle Trennung von „Freundschaft“ ermöglichte die Naturalisierung von Verwandtschaft als gleichzeitig miteinbegriffen von „Gesellschaft“ und ihrem kleinen konzeptuellen Gegenpol, „Familie“. Mit diesem Schritt wurde die Sozialanthropologie mit der Möglichkeit versorgt, in allen Gesellschaften der Welt gleichartig Verwandtschaftsphänomene vorzufinden und diese durch Vergleiche zu objektivieren. Zu Anfang des Kapitels illustriert Strathern die Unsichtbarkeit der umfassenden Bedeutung von Verwandtschaft mit der Unfähigkeit der Europäer*innen, angesichts der schieren Größe die Landschaft Australiens als menschlich gestaltete zu erkennen. Im Verlauf des Kapitels wird dann zunehmend deutlich, dass alle vorherigen Ausführungen zur historischen Trennung der Begriffe, zum Vergleich, zur Beschreibung etc. letztlich darauf hinauslaufen, eine umgangssprachliche wie wissenschaftliche Blockade aufzulösen. Ein zentrales Ziel der Entthronung von Relation als allumfassendem Begriff westlicher Epistemologie liegt somit in der Entfesselung des Verwandtschaftskonzepts aus dem begrifflichen Korsett, das es auf seine Rolle als „kleines“ Gegenüber von Staat und Gesellschaft festlegt.
Während Strathern-Leser*innen viele der Stoffe und Argumente des Buches bereits aus früheren Publikationen bekannt sind, versammelt Relations dieses Material in einem neuen, übergreifenden Bogen. Bei ihrer tour de force durch die europäische Geistesgeschichte seit dem 17. Jahrhundert arrangiert sie Studien aus verschiedensten Forschungsfeldern und Weltgegenden zu ungewöhnlichen Konstellationen. Anstatt auf ihre eigenen Publikationen zurückzugreifen, die fast durchgängig auffällig abwesend bleiben, baut sie eklektisch und mit kollegialer Generosität auf historischen und ethnographischen Studien anderer Autor*innen auf. Die Auswahl der Fallbeispiele reicht von Wissenspraktiken in Melanesien über Organtransplantations- und Restitutionsdebatten in Europa zu Reproduktionstechnologien in Südamerika. Sie diskutiert Autor*innen der sogenannten ontologischen Wende zusammen mit Vertreter*innen der frühen Netzwerkanalyse und strukturalistischen Ansätzen der Verwandtschaftsanthropologie. Sie greift ausführlich auf Locke und Hume zurück, zitiert aber auch Luhmann, während sie beispielsweise Foucault nur ganz am Rande erwähnt. Während ihre Sympathien für Leser*innen, die mit ihrem Werk vertraut sind, durchscheinen, begegnet sie auch Vertreter*innen anderer theoretischer Ausrichtungen mit ungewöhnlichem Respekt. Die Auslassungen und Nicht-Beachtung etablierter Hierarchien sowie die überraschenden Umgruppierungen des wissensgeschichtlichen Feldes erzeugen dabei neue Sichtbarkeiten, durch die der diffuse Begriff der Relation in seinen unterschiedlichsten Verästelungen greifbar wird. Gemäß ihrem eigenen Verständnis von Beschreibung als Intervention lässt sich so die Absicht einer Überwindung oder zumindest Auflockerung gewohnter Kategorien durch Anerkennung und Beförderung theoretischer Heterogenität herauslesen.
Auch die beobachteten Bedeutungsverschiebungen beschreibt Strathern – was bereits an früheren Arbeiten beanstandet wurde – weitgehend frei von direkten Bezügen auf Machtkonstellationen, wie sie sich durch Kapitalismus, Kolonialismus oder Klassendynamiken ergeben. Selten spricht sie explizit konkrete Veränderungen politischer und ökonomischer Art in dem von ihr behandelten Zeitraum an. Lediglich die Verschiebung von der Macht der Frauen als Schwestern hin zu jener als Ehefrauen und Töchter wird explizit angeführt. Auch ihre Grundannahme, dass sich interpersonelle Relationen immer auch auf der materiellen Seite niederschlagen, bleibt durchgängig implizit. Im freien Fluss ihres Essays geht es vor allem um diskursive Macht, die vermittels der Hegemonie westlicher Konzepte wirkt. Damit zusammenhängende und diese diskursive Macht unterstützende oder konturierende konkrete, materielle Ungleichheiten bleiben im Text unsichtbar oder zumindest in dessen Hintergrund.
Allerdings räumt Strathern in ihrer um interkulturelle Symmetrie bemühten Darstellung den Argumentationslinien der Seite der Nachkommen den gleichen Stellenwert wie den Diskursen europäischer Wissenschaftler*innen ein, etwa dort, wo es um den Verbleib und den Umgang mit menschlichen Überresten geht. In diesem Sinn enthält ihr assoziativer Schreibstil auch ein politisches Versprechen. Wo es grundsätzlich nicht verwundert, dass aus Gründen der Logik und Form ethnographischer Wissensproduktion die komplizierte Beziehung der Ethnolog*innen zum Wissen der „anderen“ immer wieder als kontroverses Thema in Fachdebatten aufscheint, will Strathern dieses ethnologische Dauerthema am Ende noch einmal im Bezug auf damit zusammenhängende politische Ambitionen diskutieren. Oft wird nicht zuletzt unter dem Druck öffentlicher Diskurse entweder eine radikale „Andersheit“ betont oder ein vermuteter Unterschied zugunsten universaler Vergleichbarkeit heruntergespielt. Tatsächlich jedoch wird letztlich immer ein Mittelweg zwischen grundsätzlicher Alterität und universeller Menschlichkeit beschritten.[8]
Strathern selbst sucht einen Neubeginn, indem sie in kritischer Distanz zu Metapher und Vergleich ihren eigenen analogischen Schreibstil radikalisiert. In Schleifen kreist sie um dieselben Themen, um immer neue Facetten des Konzeptes der relations aufzuzeigen und somit eine möglichst bewegliche Position des „Dazwischen“ zu entwickeln. Das erlaubt interessante Einzelbeobachtungen, die übergreifenden Argumentationslinien verschwinden jedoch häufig hinter den vielen Drehungen und Wendungen. Da Strathern auf zahlreiche Debatten, nicht nur aus der Anthropologie, sondern auch aus näher und ferner verwandten Sozialwissenschaften nur implizit verweist, ohne sie zu erläutern, ist die Lektüre an vielen Stellen mühsam. Im gezielten Unterlaufen wissenschaftlicher „Klarheit“ und Konvention bietet Strathern letztlich keine Lösung der aufgedeckten epistemologischen Probleme. Zugleich ist es diese Selbstverpflichtung auf Unschärfe und ausufernde Analogie, mit der sie immer wieder neue Denkanstöße gibt und Herausforderungen an die allzu häufig epistemologisch naiv agierenden Sozialwissenschaften formuliert.
Fußnoten
- Meine hier dargelegten Überlegungen haben deutlich profitiert von der Gelegenheit den vorliegenden Band sowohl an der Universität Wien innerhalb der CaSt Forschungsgruppe (https://www.univie.ac.at/cast/) als auch in einem von Erdmute Alber initiierten Lesekreis an der Universität Bayreuth zu diskutieren. In den vorliegenden Text sind wertvolle Anregungen aus Diskussionsbeiträgen von Erdmute Alber, Jeannett Martin, Lukas Milo Strauss und Tyler Zoanni eingeflossen. Mein besonderer Dank gilt Erdmute Alber, Tabea Häberlein und Claudia Liebelt für Anmerkungen zu einer ersten Fassung dieses Textes.
- Strathern hegt durchaus Sympathien für Autor*innen wie Eben Kirksey und Stefan Helmreich (The Emergence of Multispecies Ethnography, in: Cultural Anthropology 25 (2010), 4, S. 545–576), Donna Haraway (When Species Meet, Minneapolis, MI 2008) oder Eduardo Viveiros de Castro (The Relative Native. Essays on Indegenous Conceptual Worlds, übers. von Martin Holbraad, David Rodgers und Julia Sauma, Chicago, IL 2015), merkt aber an, dass deren relationales Vokabular an anglophone Notwendigkeiten politischer Natur angepasst bleibt.
- Anfänglich bezieht Strathern sich auf das von Isabelle Stengers bevorzugte französische „rapport“ (siehe dies.: Comparison as a Matter of Concern, in: Common Knowledge 17, 2011, 1: S. 48–65), später im historischen Teil auf das italienische „relazione“ aus dem 14. Jahrhundert. Dies kann als Verweis auf europäische Gemeinsamkeiten im Relationsbegriff gegen die anglophone Eigenständigkeit gelten.
- Strathern bezieht sich hier insbesondere auf die Arbeiten der Historiker David Warren Sabean und Simon Teuscher. Siehe David Warren Sabean / Simon Teuscher / Jon Mathieu (Hg.), Kinship in Europe. Approaches to Long-Term Development (1300–1900), New York, NY / Oxford 2007; Simon Teuscher, Flesh and Blood in the Treatises on the Arbor Consanguinitatis (Thirteenth to Sixteenth Centuries), in: Christopher H. Johnson u.a. (Hg.), Blood and Kinship. Matter for Metaphor from Ancient Rome to the Present, New York, NY / Oxford 2013, S. 83–104.
- Strathern nennt die beiden Autoren nicht, aber ihre Argumentation ähnelt hier derjenigen von James Ferguson und Akhil Gupta, die allerdings die umgekehrte Perspektive des Staates einnehmen. Siehe James Ferguson / Akhil Gupta, Spatializing States. Toward an Ethnography of Neoliberal Governmentality, in: American Ethnologist 29 (2002), 4, S. 981–1002.
- Die Kritik an der westlichen Vorstellung des Individuums findet sich bereits in Stratherns früher Monographie (The Gender of the Gift. Problems with Women and Problems with Society in Melanesia, Berkeley, CA 1988), in der sie die Existenz des melanesischen Dividuums als Gegenpol zum westlichen Individuum postulierte. Bereits hier kritisierte sie die Übertragung westlicher Konzepte auf andere Kulturen, was sie zu einer der Vordenkerinnen der ontologischen Wende macht. Siehe Eduardo Viveiros de Castro, Who is Afraid of the Ontological Wolf?, in: The Cambridge Journal of Anthropology 33 (2015), 1, S. 2–17.
- Den Gesellschaftsbegriff kritisiert Strathern zum Beispiel in The Concept of Society Is Theoretically Obsolete. For the Motion, in: Tim Ingold (Hg.), Key Debates in Anthropology, London / New York, NY 1996, S. 50–55.
- Richard Rottenburg, Crossing Gaps of Indeterminacy. Some Theoretical Remarks, in: Tullio Maranhao / Bernhard Streck (Hg.), Translation and Ethnography. The Anthropological Challenge of Intercultural Understanding, Tucson, AZ 2003, S. 30–43.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Samir Sellami.
Kategorien: Familie / Jugend / Alter Anthropologie / Ethnologie Kritische Theorie
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