Mechthild Bereswill | Rezension |

Gelegenheitsfenster rechter Politik

Rezension zu „Konjunktur der Männlichkeit. Affektive Strategien der autoritären Rechten“ von Birgit Sauer und Otto Penz

Birgit Sauer, Otto Penz:
Konjunktur der Männlichkeit. Affektive Strategien der autoritären Rechten
Deutschland
Frankfurt am Main 2023: Campus
198 S., 30,00 EUR
ISBN 9783593516042

Die Tatsache, dass die zur Neuen Rechten in Deutschland zählende Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) bei den bayrischen und hessischen Landtagswahlen am 8. Oktober 2023 hohe Wahlgewinne verzeichnen konnte, verweist auf die seit gut zwanzig Jahren zu beobachtenden Zugewinne autoritärer antidemokratischer politischer Kräfte in der deutschen Gesellschaft. Solche Entwicklungen zeigen sich auch in einigen anderen Demokratien in Europa und weltweit. Dass die AfD in Hessen nach der CDU mit 18,4 % der Stimmen als zweitstärkste Partei aus der Landtagswahl gehen konnte, steht demnach im Kontext einer international zu beobachtenden „Gegenwart, in der sich eine äußerste Rechte erneut zur einflussreichen politischen Kraft entwickelt“.[1] Diese Feststellung trifft der Historiker Volker Weiß im Nachwort zu einem 2019 publizierten Vortrag, den Theodor W. Adorno 1967 in Wien über „Aspekte des neuen Rechtsextremismus“ gehalten hat.[2] Adornos Rede besticht durch differenzierte Hinweise auf den „historischen Zeitkern“[3] politischer Entwicklungen, verbunden mit der Vermeidung einfacher Analogien zwischen vergangenen und aktuellen Ausprägungen autoritärer rechter Bewegungen.[4] Gleichwohl ist Volker Weiß zuzustimmen, dass Adornos Vortrag „sich passagenweise wie ein Kommentar zu aktuellen Entwicklungen liest“,[5] insbesondere im Hinblick auf das dialektische Wechselspiel zwischen Mechanismen rechtspopulistischer „Propaganda“ (Adorno) und subjektiven Affektdynamiken, die sich zu Ressentiments einer „Zornpolitik“[6] verdichten. Im Fokus der Ausführungen Adornos stehen die verdeckten Wechselwirkungen zwischen ökonomischen, ideologischen und subjektiven Dynamiken, deren Komplexität und Widersprüchlichkeit unter Rückgriff auf autoritäre und Affekt geladene Ressentiments gegen „designierte Feinde“[7] in der Gesellschaft eingehegt werden sollen.

Mit ihrer theoretisch pointierten und empirisch fundierten Studie Konjunktur der Männlichkeit. Affektive Strategien der autoritären Rechten stellen die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer und der Wiener Soziologe Otto Penz sich in die Tradition Adornos, wenn sie in ihrer Einleitung schreiben: “Die Theorieperspektive der Verbindung von Ökonomie und Subjekt [...] soll uns erlauben, die Geschlechter- und Sexualitätsdimension des rechtsautoritären Phänomens gesellschaftstheoretisch zu fundieren.“ (S.17) Diese Konstellation loten sie im Folgenden hegemonietheoretisch unter Bezug auf Ansätze von Antonio Gramsci, Stuart Hall und Lawrence Grossberg sowie im Hinblick auf feministische und männlichkeitskritische Analysen von Herrschaft aus. Dabei rücken Sauer und Penz das Konzept der „Konjunktur“ (S. 17) in den Fokus ihrer eigenen Überlegungen zum Zusammenhang von gesellschaftlichen Transformationsprozessen und erstarkenden „rechtsextremen, rechtspopulistischen, nationalistischen und autoritären Bewegungen“ (S. 9). Dieses Konzept erlaube es, verschiedene Dimensionen gesellschaftlichen Wandels nicht deterministisch als „>Ursachen< der Entstehung und des Erstarkens der autoritären Rechten zu begreifen“ (S. 17). Analysiert werden vielmehr historische Momente, in denen es Akteur:innen der Neuen Rechten gelingt, „gesellschaftliche Transformationen zu deuten und damit öffentliche Aufmerksamkeit und Wählerschaft zu gewinnen“ (ebd.). Solche Deutungen zielen direkt auf den Affekthaushalt ihrer Adressat:innen. Deshalb greifen Sauer und Penz auch auf emotions- und affekttheoretische Theorieperspektiven zurück (Hochschild, Williams), um die Strategien der autoritären Rechten zu analysieren. Damit gehen sie der Frage nach, wie rechte Gruppierungen und Parteien Affekte „bündeln“ und ins Bewusstsein „heben“, wie sie Emotionen mobilisieren und auf diese Weise „ein rechtes antidemokratisches Projekt zusammenfügen und plausibilisieren“ (S. 22). Die Affekt geladene Demagogie rechtspopulistischer Akteur:innen kann somit als strategischer Einsatz rekonstruiert werden, der die Gefühlstrukturen einer Gesellschaft verändert, indem „das verkörperte praktische Bewusstsein der Menschen“ (S. 23) politisch gewendet wird. Wie im Titel der Studie bereits anklingt, fragen die Autor:innen nach dem systematischen Zusammenhang zwischen dem Wandel von Geschlechterverhältnissen und Geschlechterordnungen auf der einen sowie männlich konnotierten autoritären politischen Strategien auf der anderen Seite. Geschlecht und Sexualität sind demnach von zentraler Bedeutung für die demagogischen Strategien und die Mobilisierungserfolge der autoritären Rechten. Eine geschlechtertheoretische Analyse ist nach Ansicht der Autor:innen unverzichtbar, weil sie davon überzeugt sind, dass es der „identitätsbedrohende Individualismus der westlichen Moderne“ (S. 16) und die damit einhergehenden Emanzipationsbewegungen sind, gegen die sich die populistische Mobilisierung autoritärer Kräfte richtet, „weil die Emanzipationsbewegungen feste Identitätszuschreibungen ablehnen und sie aufzulösen suchen“ (ebd.). Mit dieser Diagnose rücken die latenten Mechanismen autoritärer Affektpolitiken in den Blick, wobei Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse eine besonders prominente Rolle im Kampf um kulturelle Hegemonie einnehmen. Dabei betonen Sauer und Penz – ganz im Sinne einer kritischen Dekonstruktion von Geschlecht –, dass gesellschaftliche Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen nicht an Frauen oder Männer gebunden sind. Maskulinismus als Herrschaftsform und als Herrschaftspraxis ist unabhängig vom biologisch zugeschriebenen Geschlecht und kann insofern durch alle Geschlechter verkörpert werden.

Um die skizzierte gesellschaftliche Konstellation empirisch zu untersuchen, konzentrieren die beiden Autor:innen sich auf zentrale Entwicklungen in Deutschland und Österreich.[8] Beide Länder weisen starke Sozialstaatsmodelle mit einer konservativen Sozialpolitik auf, die seit den 1990er-Jahren einem „neoliberalen Umbau“ unterliegen, jedoch „ohne dass der starke Staat verschwunden wäre“ (S. 13). Dabei gehen Sauer und Penz davon aus, dass verschiedene Transformationsprozesse wie etwa die Herausbildung ‚neu-rechter’ Parteien, die „Transition realsozialistischer Staaten in Parteiendemokratien“ (S. 11), Prozesse der Globalisierung, der Abbau anderer europäischer Sozialstaaten sowie globale Migrationsdynamiken „ein Gelegenheitsfenster für die Wahlerfolge rechtspopulistischer und -autoritärer Parteien“ (ebd.) geöffnet hätten. Diese komplexen Entwicklungen zeichnen die Autor:innen in ihrer Untersuchung der „Komponenten einer rechtsautoritären Konjunktur“ (S. 63 ff.) nach und fokussieren dabei die Frage, welche Bedeutung Transformationen in Geschlechterverhältnissen für autoritäre politische Interventionen haben.

Die Monografie ist in sieben Kapitel gegliedert. Bereits die Einleitung gibt einen dichten, differenzierten Einblick in die theoretischen Konzepte, die im Folgenden für die Analyse des Zusammenhangs von gesellschaftlichen Transformationsprozessen und Strategien der Rechten angewandt werden. Alle in den folgenden Kapiteln weiter ausgeführten Konzepte werden an dieser Stelle kurz erklärt und mit den gesellschaftstheoretischen Ausgangsdiagnosen der Autor:innen verknüpft. Das zweite Kapitel „Affektive Konjunktur: Ein gesellschaftstheoretischer Interpretationsrahmen“ (S. 27 ff.) vertieft das bereits skizzierte Schlüsselkonzept der „Konjunktur“ und konkretisiert es anhand von Ausführungen zu gesellschaftlichen Krisen. Dabei plädieren Sauer und Penz im Anschluss an Grossberg für eine „radikale Kontextualisierung“ (S. 30) des konjunkturellen Aufstiegs von politischen Akteur:innen (was sie in ihren späteren Analysen zu Deutschland und Österreich auch überzeugend einlösen). Schließlich erläutern sie ihr Verständnis von Affekten als „Gefühlslandschaft einer Gesellschaft“ (ebd.), deren affektive Strukturen durch Formen des Regierens beeinflusst und verändert werden. Vor diesem Hintergrund begründen die Autor:innen ausführlich, warum sie die „Konjunktur der Männlichkeit“ fokussieren (S. 31). Dies erfolgt in mehreren Argumentationsschritten: von der Bedeutung der Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse für die Herausbildung der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft und deren Wandel über Heteronormativitätskritik, die Diffundierung des Trennungsdispositivs öffentlich/privat und damit einhergehenden, durchlässig gewordenen Gefühlsgrenzen, dem aktuellen Erstarken eines aggressiven Maskulinismus und nicht zuletzt der Tatsache, dass rechts-autoritäre Parteien „Geschlecht als Mobilisierungselement“ (S. 32) für sich entdeckt haben. Schließlich bestimmen Sauer und Penz die Geschlechterperspektive als „Leitthema“ (S. 32) ihrer Untersuchung und den Aufstieg der autoritären Rechten sowie dessen bedrohliche Auswirkungen als „kontextuellen Untersuchungsgegenstand der Analyse“ (ebd.). Für diese an den Widersprüchen und Konflikten einer Konjunktur ansetzende Analyse wird zunächst eine Kartierung der historischen Ausgangslage der untersuchten Konjunktur vorgenommen, wobei der „voll entfaltete Neoliberalismus“ (S. 33) in Deutschland und Österreich wie auch die damit einhergehende Herausbildung einer überdeterminierten Gefühlsstruktur im Kontext von Prekarisierungsprozessen hervorgehoben werden.

Diese Diagnose wird im dritten Kapitel weiter ausgearbeitet und konkretisiert, indem die Entwicklungen in Deutschland und Österreich unter den folgenden Perspektiven zusammengefasst werden: neoliberale Entgrenzungsdynamiken, der neoliberale Staat und neoliberale Subjektivierung. Damit werden die anschließend untersuchten Mechanismen affektiver Mobilisierung grundiert. Die abschließende Diagnose dieser teilweise etwas pauschal formulierten Analyse lautet, „dass dem Neoliberalismus autoritäre Strukturen inhärent sind“ und die Globalisierung, verbunden mit der Befürchtung eines „nationalstaatlichen Kontrollverlusts“ (S. 61), individuelle Gefühle von Unsicherheit und schwindender Kontrolle befördern würde. Vor diesem Hintergrund sprechen Sauer und Penz von einem autoritären Kapitalismus im Zusammenspiel mit der gesteigerten Bedeutung von Affekten.

Im anschließenden vierten Kapitel werden die zuvor untersuchten Dynamiken in Bezug zur „Transformation von Männlichkeit“ und deren „Komponenten einer rechts-autoritären Konjunktur“ (S. 61 ff.) gesetzt. Durch die Geschlechterforschung bereits vielfach erbrachte Befunde eines Wandels von Geschlechterverhältnissen und Geschlechterordnungen werden im Hinblick auf deren Bedeutung für die eigene Fragestellung und Diagnose gebündelt: der Wandel von Erwerbsarbeit (vom male breadwinner zum adult worker), die widersprüchlichen Entwicklungen im Bereich der Sorgearbeit und die Erosion der heterosexuellen Kleinfamilie, das „Kampffeld Gewaltschutz“ (S. 73 ff.), Entwicklungen von der Frauen- zur Gleichstellungspolitik und die mit den widersprüchlichen gesellschaftlichen Veränderungen verbundene „Herausforderung von Männlichkeit“ (S. 79). Die Autor:innen konstatieren einen „Strukturwandel der Männlichkeit“ (S. 80), der die unhinterfragte Überlegenheit von Männlichkeit und damit verbundene, als selbstverständlich erachtete Geschlechterhierarchien brüchig werden lässt. „Genau diese Machtverschiebungen problematisieren die Diskurse und Praktiken der autoritären Rechten zur Resouveränisierung von Männlichkeit“ (ebd.). Eine „Neubestimmung der Geschlechterverhältnisse“ (S. 81) sehen Sauer und Penz allerdings nicht allein durch ökonomischen Wandel in Gang gesetzt, sondern auch durch feministische und queere Bewegungen. Entsprechend wenden sie sich dem Wandel von sexuellen sowie geschlechtlichen Identitäten zu und kommen zu dem Schluss, dass das „Bild dominanter Männlichkeit“ angesichts sich vervielfältigender sexueller und geschlechtlicher Identitäten „unscharf“ geworden sei (S. 84). Im abschließenden Abschnitt des Kapitels resümieren sie ambivalente Transformationen der Geschlechterverhältnisse, die Männlichkeit beeinflussen. Darin sehen sie die Basis für das Wiedererstarken von starker und souveräner Männlichkeit in der autoritären Rechten (und angrenzenden misogynen Strömungen).

In diesem Fokus werden in den folgenden beiden Kapiteln die „Anti-Gender-Mobilisierung der autoritären Rechten“ (Kapitel 5, S. 89 ff.) und deren Vorschläge für eine „Maskulinistische Identitätspolitik“ (Kapitel 6, S. 129 ff.) analysiert. Diese beiden Kapitel überzeugen aufgrund von zwei, miteinander korrespondierenden Aspekten: Zum einen sind die Analysen materialreich angelegt und sehr gut kontextualisiert, womit die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der politischen Konstellationen in Deutschland und Österreich sehr gut greifbar werden. Zum anderen wird deutlich, dass die zuvor entwickelte theoretische Perspektive gut geeignet ist, um die Analysen zu strukturieren. So erweisen sich Geschlechterforschung und Geschlechterpolitik als „designierter Feind“ (Adorno), den die autoritäre Rechte mit hoher Affektladung und antagonistischen Entwürfen einer vermeintlich natürlichen, homogenen, heterosexuellen ‚Normalität’ im Gegensatz zu einer als Abweichung und Bedrohung konstruierten Geschlechtervielfalt und heterogenen Gesellschaft bekämpft. Hinzu kommt ein profunder „Antielitismus und Antiintellektualismus“ (S. 111 ff.), der Geschlechter-, Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitiken als Ausdruck von diktatorischen und antidemokratischen Ideologien diffamiert. Diese Ressentiments korrespondieren mit der affektiven Anrufung einer „Krise der Männlichkeit“ (S. 115 ff.), die Sauer und Penz in Anlehnung an Stuart Hall als „moralische Panik“ bezeichnen. Ob die im Folgenden vorgestellten fünf Bedrohungsszenarien tatsächlich auf eine moralische Panik im engeren Sinne verweisen, wäre weiter zu untersuchen. Gleichwohl verdeutlicht die Analyse des Krisendiskurses, wie stark der strategische Einsatz von Katastrophenszenarien rigide Affekte mobilisiert. Damit verbunden ist die Neuverhandlung „heroisch-aggressiver Männlichkeit“ (S. 127) als Ausdruck einer maskulinistischen Identitätspolitik, die Sauer und Penz im sechsten Kapitel pointiert herausarbeiten.

Fazit und Ausblick im siebten Kapitel tragen den Titel „Dystopie einer männlich autoritären Konjunktur“. Gebündelt werden hier die Merkmale dieser Konjunktur im Kontext eines marktkonformen Umbaus der Demokratie, dem die Autor:innen „selbst autoritäre Züge“ (S. 154) bescheinigen. Erneut betonen sie, dass die neoliberale Vermarktlichung aller Lebensbereiche „eine exzessive Produktion von Affekten“ (ebd.) zur Folge habe, die sich die autoritäre Rechte für ihre Ziele zunutze machen kann. In ihrem Kampf gegen Gleichstellung und sexuelle Vielfalt „verdichtet sich eine umfängliche autoritäre Utopie – oder besser Dystopie“ (S. 155). Diese Einschätzung fundieren Sauer und Penz in ihrer Studie mit Hilfe eines erkenntnisreichen theoretischen Untersuchungsfokus und durch sorgfältige Analysen „am Material“, dessen latente Bedeutungsstrukturen ausgezeichnet herausgearbeitet und gebündelt werden. Im Ausblick ordnen die Autor:innen ihre Befunde noch einmal abschließend ein und heben hervor, dass konservative sowie autoritär-rechte Ideologien nicht von den Rändern, sondern aus der Mitte der Gesellschaft stammen und stellen die offene Frage nach dem „Charisma der politischen Proponenten“ (S. 164) eines Versprechens, das autoritäre Führung und souveräne Männlichkeit verknüpft und als Machtgewinn in Aussicht stellt. Damit weisen sie auch den Weg für zukünftige Forschungsarbeiten zu den Ausprägungen von „Führer:innengestalten und Männlichkeits-, freilich auch Weiblichkeitsbildern“ (S. 165) und zum Zusammenhang von Charisma und Affekten.

Die letzten Seiten ihres Ausblicks widmen Sauer und Penz der Frage nach den Alternativen zur zuvor diskutierten Dystopie. Dabei betonen sie zunächst, dass Strategien gegen rechts nicht ohne eine grundsätzliche Kritik an der liberalen Demokratie und kapitalistisch-patriarchalen Produktionsweisen auskommen. Die Autor:innen plädieren für einen „materiellen Kompromiss von Gleichheit und Solidarität“ (S. 176) sowie für eine „radikale Neuimagination des Demokratischen“ (ebd.). Vor diesem Hintergrund greifen Sauer und Penz queer-theoretische Ansätze zur Politisierung von Sorgearbeit auf und sehen die wechselseitige Pflege von solidarischen Beziehungen im Alltag wie auch in sozialen Bewegungen als Ausgangsszenarien für die Herausbildung eines politischen Sorgeprojekts, das allerdings nicht konfliktlos, sondern „stets umkämpft“ (S. 169) sei. Die Autor:innen sprechen sich für „offene Räume des Politischen“ aus, in denen die von Rechten abgewehrten Ambivalenzen und Unsicherheiten zur Sprache kommen. Anzustreben sei, die „Hegemonie der Affekte“ (S. 170) anzugehen, um Letztere als das anzuerkennen, „was sie sind: ein notwendiges Element des Politischen“ (ebd.). In diesem Sinne schlagen Sauer und Penz abschließend vor, eine ‚affektive Demokratie’ anzustreben, deren Ausgangspunkt die kritische Auseinandersetzung mit der Trennung zwischen privat und öffentlich ist, um auf diese Weise eine solidarische und egalitäre Konjunktur auf den Weg zu bringen.

Der Ansatz von Sauer und Penz beeindruckt durch die Verknüpfung einer breit angelegten Perspektive auf politische Entwicklungen, gesellschaftliche Umbrüche und Kämpfe um Hegemonie mit dem Fokus auf die Bedeutung von Geschlecht und Sexualität, genauer gesagt: auf Männlichkeitskonflikte im Kontext tiefgreifender gesellschaftlicher Transformationen. Das Konzept der „Konjunktur“ öffnet den Blick für komplexe gesellschaftliche Dynamiken und politische Gelegenheitsstrukturen. Der Fokus auf Geschlecht und Sexualität erlaubt grundlegende Einsichten, insbesondere in Verknüpfung mit der Frage nach Affekten und affektiven Strategien. Hervorzuheben ist die genaue Beobachtung und Analyse dieser Strategien der autoritären Rechten in Deutschland und Österreich, deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten nicht durch einen (tatsächlich nur schwer möglichen) Vergleich, sondern durch eine kluge Bündelung und Kontextualisierung der jeweiligen Aspekte greifbar werden. Die Verschränkung von hegemonie-, geschlechter- und affekttheoretischen Perspektiven auf Rechtspopulismus und Autoritarismus wird nicht über alle Passagen des Buches hinweg gleichermaßen nachvollziehbar. Die Publikation verdeutlicht aber insgesamt, dass und auf welche Weise politische Strategien und Affekte ineinandergreifen. Die Studie von Birgit Sauer und Otto Penz klärt im besten Sinne über die affektiven Tiefenstrukturen rechter Strategien und deren Verankerung in gesellschafts- wie demokratiefeindlichen Zielsetzungen auf. Inwieweit die recht vage bleibende Utopie einer zärtlichen, fürsorglichen und im positiven Sinne „affektiven Demokratie“ (S. 171) trägt, ist eine offene Frage, die hoffentlich in vielen, auch politisch-konkreten Debatten aufgegriffen und weitergedacht wird. Dabei sollten zugleich die, zugegebenermaßen geringen Handlungsspielräume derjenigen, die sich in der vielfach kritisierten liberalen Demokratie engagieren und abmühen, nicht aus den Augen verloren werden.

  1. Volker Weiß, Nachwort, in: Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ein Vortrag, Berlin 2019, S. 59–78, hier S. 61.
  2. Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ein Vortrag, Berlin 2019.
  3. Volker Weiß, Nachwort, in: Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, Ein Vortrag, Berlin 2019, S. 59–78, hier S. 62.
  4. Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ein Vortrag, Berlin 2019, S. 27.
  5. Ebd., S. 59.
  6. Uffa Jensen, Zornpolitik, Frankfurt am Main 2017.
  7. Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ein Vortrag, Berlin 2019, S. 30.
  8. Ausführliche Angaben zum methodischen Vorgehen der qualitativ ausgerichteten Dokumentenanalysen eines umfangreichen Textkorpus sind ab Seite 22 f. zu finden.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher.

Kategorien: Demokratie Gender Kritische Theorie Politik Politische Theorie und Ideengeschichte Rassismus / Diskriminierung

Mechthild Bereswill

Prof. Dr. Mechthild Bereswill ist Professorin für die Soziologie sozialer Differenzierung und Soziokultur an der Universität Kassel. Ihre Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre sind feministische Geschlechterforschung, soziale Probleme und soziale Kontrolle, qualitative Methodologien.

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