Thomas Hoebel, Stefan Kühl | Essay |

Hausarbeiten schreiben – oder: Der wissenschaftliche Fachartikel

Hausarbeiten schreiben ist ein Handwerk. Wenige Szenen zeugen so eindrücklich davon wie das konzentrierte Tippen von Studierenden in wissenschaftlichen Bibliotheken. Es ist sicher kein einfaches Handwerk, müssen viele doch erst einmal lernen, sich vom spontanen Verfassen eines Textes, das nur wenige Minuten oder Stunden andauert – die Klausur ist ein klassisches Beispiel – auf ein elaboriertes Schreiben umzustellen, das sich über mehrere Tage, Wochen, manchmal sogar Monate erstreckt. Immer wieder gilt es, sich zu vergegenwärtigen, an welcher Stelle der Erzählung, die man gerade fabriziert, man sich befindet. Jeden Tag aufs Neue besteht die Aufgabe darin, wieder einen Einstieg in die Textarbeit zu finden. Die Unsicherheit, ob Geplantes und bereits Geschriebenes taugen, ist vielleicht kein permanenter Begleiter, lauert aber an jedem Punkt, an dem Entscheidungen darüber zu treffen sind, wie der Text nun weitergehen soll.

Um eine Hausarbeit zu schreiben, muss man sich weder für ein Genie halten noch eines sein. Die Kunst besteht vielmehr darin, sich immer wieder selbst daran zu erinnern, was man da eigentlich gerade tut, wenn man eine Hausarbeit schreibt. Damit verbunden geht es darum, reflektieren zu können, welche Richtung das eigene Schreiben gerade nimmt.

Wenn Sie eine schriftliche Hausarbeit vorlegen, lernen Sie nicht nur ein Thema gründlich kennen. Sie trainieren auch Ihre Fähigkeit, ein Problem und seine Lösung zu strukturieren und ihre Gedankengänge und Argumentationsketten anderen Menschen mitzuteilen. Die Fähigkeit der strukturierten Darstellung ist sowohl für die weitere wissenschaftliche Karriere als auch für viele berufliche Aufgaben außerhalb der Wissenschaft mindestens genauso wichtig wie Ihre Sachkompetenz.

Inhaltliche Anforderungen an eine Hausarbeit[1]

Die inhaltlichen und formalen Anforderungen an Hausarbeiten orientieren sich dabei am Modell des Artikels in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift. Sie finden Vorbilder in soziologischen Fachzeitschriften wie die Zeitschrift für Soziologie, die Kölner Zeitschrift für Soziologe und Sozialpsychologie, das Berliner Journal für Soziologie oder die Soziale Welt. Beiträge in wissenschaftlichen Sammelbänden haben ein vergleichbares Format.

Ein wegen seiner empirischen Analyse beeindruckendes Beispiel für einen Fachartikel, der als Vorbild gelten kann, ist Stefan Hirschauer, Die Praxis der Fremdheit und die Minimierung der Anwesenheit. Eine Fahrstuhlfahrt, in: Soziale Welt 50 (1999), 3, S. 221–246. Ein wegen seiner vorbildlichen Theoriediskussion empfehlenswertes Beispiel ist Hartmann Tyrell, Anfragen an die Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung, in: Zeitschrift für Soziologie 7 (1978), 2, S. 175–193.

Umberto Eco hat die zentralen Anforderungen an Fachartikel treffend beschrieben.

  • Abgrenzung beziehungsweise Spezifikation: Ein Fachartikel behandelt idealerweise einen Gegenstand, der so genau umrissen ist, dass er auch für Dritte erkennbar ist.
  • Neuheit: Hier werden entweder Aussagen über dieses Phänomen beziehungsweise diesen Gegenstand getroffen, die noch nicht gesagt wurden.
  • Lücke: Oder es werden Dinge, die schon gesagt wurden, unter einem neuen Gesichtspunkt präsentiert.
  • Belege beziehungsweise Zitate: Der Text enthält alle Angaben, die es ermöglichen, nachzuprüfen, ob die Aussagen falsch oder richtig sind.[2]

Mit dem Schreiben einer Hausarbeit versuchen Sie also, sich bestmöglich dem Ideal eines wissenschaftlichen Artikels anzunähern – wobei die konkreten Erwartungen an Sie natürlich auch davon abhängen, wie weit Sie mit Ihrem Studium fortgeschritten sind. Als Bachelorstudent:in müssen Sie nicht die gleichen Erwartungen erfüllen wie ein:e Masterstudent:in kurz vor seinem/ihrem Abschluss.

Das Ziel ist es, im Rahmen der Hausarbeit ein begründetes Problem aufzuwerfen, eigenständig zu bearbeiten und die Überlegungen in schriftlicher Form einem wissenschaftlich interessierten Publikum mitzuteilen. Zu den Minimalanforderungen an die Arbeit gehören daher:

  • die Formulierung einer wissenschaftlichen Fragestellung,
  • die Begründung der Fragestellung im weiteren Kontext allgemeiner (sozial-)wissenschaftlicher Problemstellungen,
  • die Begründung der Gliederung des Textes (in der Einleitung),
  • eine wissenschaftliche Argumentation,
  • die Nutzung der Seminarliteratur, insofern sie sich für das untersuchte Phänomen anbietet, und die eigenständige Verarbeitung weiterer relevanter wissenschaftlicher Literatur,
  • die Zusammenfassung und methodische Reflexion der präsentierten Untersuchung.

Falls Sie in Ihrem Studium weiter fortgeschritten sind, kommen weitere Anforderungen dazu:

  • die Formulierung einer eigenen Position,
  • die überzeugende Begründung der eigenen Position anhand relevanter Literatur,
  • die Darstellung von Gegenposition(en) zu den eigenen Argumenten,
  • die Entkräftung der Hauptargumente der Gegenposition(en),
  • das Ziehen nachvollziehbarer Schlussfolgerungen.

Der wichtigste Nachweis, den Sie führen müssen, besteht in der eigenständigen Durchdringung und Verarbeitung der Texte, Materialien und Daten, auf die sich ihre Argumentation stützt. Nacherzählungen und zu viele Textzitate sind daher zu vermeiden. Die Eigenständigkeit der Literaturverarbeitung ist nur möglich (und damit nachweisbar), wenn Sie eine Fragestellung oder ein Problem formuliert und wissenschaftlich begründet haben.

Eigenständige Literaturrecherche
Die Formulierung eines Problemformulierung und die Suche von Literatur sind grundsätzlich ein zusammenhängender Prozess, das heißt, die Konkretisierung der Fragestellung ist oft erst nach der intensiven Sichtung von zuvor selbstständig recherchierter Literatur möglich. In der Regel geben die betreuenden Lehrenden gern Literaturempfehlungen. Außerdem beraten die Mitarbeiter:innen von wissenschaftlichen Bibliotheken bei der Literatursuche. Voraussetzung dafür ist, dass man das gewählte Thema bereits über geeignete Schlüsselwörter eingegrenzt hat.

Analytischer Anspruch
Bedenken Sie bei der Konkretisierung Ihrer Fragestellung bitte, dass der Schwerpunkt einer wissenschaftlichen Arbeit nicht in der schieren Darstellung von Sachverhalten liegt, sondern in ihrer Untersuchung. Eine wissenschaftliche Arbeit ist analytisch angelegt, was sie aber nur sein kann, wenn sie eine abgegrenzte Fragestellung hat, die unter unterschiedlichen Gesichtspunkten bearbeitet wird. Die Problemstellung einer wissenschaftlichen Arbeit ist daher nicht lediglich ein Thema, für das man sich interessiert und zu dem man einmal einen Text schreiben möchte. Vielmehr muss eine klare Fragestellung erkennbar sein.

Die besondere Herausforderung liegt folglich darin, die Fragestellung in einer Weise zuzuschneiden, dass Sie sie mit den notwendigerweise begrenzten Mitteln (Zeit, Konzentrationsfähigkeit, vorhandene Literatur u.v.m.) bearbeiten können. Stellen Sie sich daher mindestens drei Fragen:

  1. Ist die Fragestellung in zweifacher Weise verständlich formuliert: Bietet sie zum einen mir beim Verfassen der Hausarbeit genügend Orientierung und ist sie zum anderen für Leser:innen des Textes eindeutig erkennbar und verständlich?
  2. Ist die Fragestellung angemessen formuliert: Ist sie ausreichend begrenzt, um sie im formalen Rahmen einer Hausarbeit bearbeiten zu können?
  3. Welchen Bezug hat die Fragestellung zu den Inhalten der Lehrveranstaltung, in der ich die Hausarbeit schreiben soll?

Roter Faden
Wenn Sie sich zur Bearbeitung eines spezifischen Problems entschlossen haben, dann sind Sie nicht mehr frei, alles aufzuschreiben, was Sie zu dem Thema wissen. Sie sollten die Disziplin und Konsequenz besitzen, nur das zu behandeln, was zur Lösung Ihres Problems notwendig ist. Verlieren Sie sich nicht in abwegigen Diskussionen, deren Zusammenhang mit Ihrer Fragestellung nicht mehr erkennbar ist. Das Problem bestimmt den roten Faden Ihrer Arbeit! Alles andere können Sie allenfalls am Rande oder in einer informativen Fußnote erwähnen.

Logische Gliederung
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es ist zentral, eine Problemstellung zu formulieren und diese mit soziologischen Argumenten – das heißt unter Rückgriff auf soziologische Literatur – zu begründen. Daraus ergibt sich in der Regel der Argumentationsgang und somit die Gliederung der Arbeit. Letztere zeigt somit auf, in welcher Weise Sie das Thema verstanden haben und ob die Arbeit einen logischen Aufbau mit erkennbarem, themenbezogenem rotem Faden hat. Der Schluss der Arbeit greift die Problemstellung und den roten Faden in aller Kürze auf, fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen, zum Beispiel in Form knapp gehaltener Thesen, und erörtert eventuell offene Fragen oder ungelöste Probleme.

Wenn Sie Fachzeitschriften wie die Soziale Welt durchblättern, um nach möglichen Vorbildern für den eigenen wissenschaftlichen Text zu fahnden, wird Ihnen auffallen, dass die Artikel sich in Bezug auf Ihre Gliederung recht stark unterscheiden. Die Frage, wie Sie Ihre Arbeit am besten gliedern, ist daher gar nicht so einfach. Letztlich hängt der Aufbau des Textes davon ab, welche argumentative „Story“ sie erzählen möchten. Der Soziologe Fred Davis hat das unnachahmlich auf den Punkt gebracht:

„Ich denke, das ist die Frage, mit der wir angesichts der uns vorliegenden Daten konfrontiert sind. Was ist die Story? Was steckt drin in den Daten? Die Soziologie hat ihre eigene Art von Geschichten, und wir müssen herausfinden, welche Geschichten im Hinblick auf die gesammelten Daten, unseren Wahrheitsgehalt und so weiter funktionieren und welche nicht. Ich bin der Meinung, dass es in der Soziologie einige wunderbare Geschichten gibt. Da ist zum Beispiel die Geschichte darüber, was passiert, wenn man zu schnell zu viel Erfolg hat: die ‚Durkheim-Selbstmordgeschichte‘. Es gibt die tragische Weber-Geschichte über die ‚Routinisierung des Charismas‘. Es gibt auch die wunderbare Geschichte von William Lloyd Warner über alle Voraussetzungen und Kosten der sozialen Mobilität. Und wir sollten nicht die großartige Geschichte von Malinowski darüber vergessen, dass es an der Zeit ist, Magie einzusetzen, wenn alles andere versagt.“[3]

Es ist daher gar nicht so einfach für Lehrende, eine hilfreiche Antwort zu geben, wenn Studierende sie fragen, wie sie ihre Hausarbeit aufbauen könnten. Doch nehmen wir die folgende E-Mail, die Veronika Tacke vor einiger Zeit an Teilnehmende einer Übung zur Organisationssoziologie sandte. Sie bietet ein hohes Maß an Orientierung:

Betreff: Hilfen bei der Vorbereitung / Anfertigung von Hausarbeiten

Liebe TeilnehmerInnen der Übung Organisationssoziologie,

im Nachgang zur gestrigen Sitzung möchte ich Sie zum einen noch mal auf die Standardgliederung einer Hausarbeit nach IMRAD aufmerksam machen:

https://tu-dresden.de/karriere/weiterbildung/ressourcen/dateien/schreibzentrum/infothek/strukturieren/methode-imrad?lang=de

Zum anderen und zugleich möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich eine – jedenfalls eine wichtige – Sache an IMRAD nicht überzeugend finde. Diese Gliederungsform ist – insbesondere im Kontext sozialwissenschaftlicher (Forschungs-)Arbeiten – keineswegs so generell, wie es auf den ersten Blick scheint! Plausibel und typisch ist sie allenfalls, wo man hypothesentestende Studien auf der Grundlage quantitativer Methodologie durchführt.

Typischer für Arbeiten in der Organisationssoziologie ist jedenfalls das folgende Gliederungsschema. Es muss ggf. variiert werden, je nachdem, welche Punkte – gemäß Fragestellung – zwischen Einleitung und eigentlicher Analyse erforderlich oder verzichtbar sind. Ihre Arbeit kann somit bis zu sechs Hauptgliederungspunkte haben!

1. EINLEITUNG

Darin sollte enthalten sein:

a.) Intro zum Thema (das kann ein eigenes und idiosynkratisches Interesse sein, aber es sollte auch ‚da draußen...‘ relevant sein)

b.) eine Verortung des Themas im Kontext der Organisationssoziologie, ihren Annahmen oder (das aber ist nicht von Ihnen verlangt!) ihren Forschungsständen (es geht um eine fachliche Frage, damit um Kontextuierung des Interesses ‚im Rahmen der Wissenschaft‘, hier: Organisationssoziologie)

c.) ganz wichtig: Die eingeschränkte Forschungsfrage!

Eine fachliche Forschungsfrage gibt es einerseits letztlich nicht, ohne Referenz auf die Punkte a) und b). Man muss etwas seltsam, relevant, interessant finden, schon damit es einen antreibt. Aber eine Fragestellung muss man dann auch noch (jedenfalls im Studium) in einem fachlichen Rahmen formulieren. Das ist das Schwerste - und das selbst noch für Profis! Will sagen: Nur Mut und nicht verzagen!

d.) Nennung der Mittel, die zur Beantwortung der Frage beitragen sollen (das sind im Grunde immer: gewählter Theorie- oder Begriffsrahmen und Methoden der Analyse)

e.) Darstellung des Vorgehens (Gliederung), das sich daraus ergibt.

2. Der zweite Hauptgliederungspunkt kann NICHT für alle Formen möglicher Arbeiten generell genannt werden. Denn er hängt faktisch vom Typ der Fragestellung ab. Er kann sich in mehrere, aber doch nicht ganz beliebige Gliederungspunkte aufspalten. Diese werden dann zu eigenen Hauptgliederungspunkten (! im Extrem also dann: 2. bis 4.), aber nur, wenn und sofern sie qua Fragestellung im Einzelnen nötig sind.

A (wäre dann 2.): EINFÜHRENDES zum speziellen Gegenstand bzw. zum Feld

Das ist (nur) dann nötig, wenn man nicht voraussetzen kann, dass Lesende mit dem Gegenstand, seinen Besonderheiten oder Entwicklungen vertraut sind. Es handelt sich nicht direkt um eine Analyse, sondern um gewissermaßen ‚Vorausgeschicktes‘.

Ein Beispiel: Eine Arbeit hat eine organisationssoziologische Frage, die sich z.B. auf Informalität bezieht und am Fall der öffentlichen Vergabe von Aufträgen untersucht werden soll. Dann wird in diesem Teil kurz erläutert, was öffentliche Auftragsvergabe ist und wie Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe in Verwaltungen formal geregelt sind (und zwar so weit und nur so weit, wie es für die Frage relevant ist).

B (wäre ggf. dann 3.): THEORETISCHER RAHMEN, d.h. konkret: Darstellung und Erläuterung der für die eigene Fragestellung relevanten Konzepte (es sind immer wenige!).

Zwei Hinweise: a.) Hier geht es (gerade bei Hausarbeiten und zumal bei Hausarbeiten, die empirisch sehr konkrete Fragen haben) NICHT darum, Theoriewissen an und für sich zu präsentieren oder Theorien (zumal ‚große‘ Theorien) in all ihren Hinsichten darzustellen. Es geht darum, die für die eigene Fragestellung relevanten Begriffe darzulegen und diese (wenigen) Konzepte im notwendigen Umfang auch im Rahmen von gewählten Theorien/Ansätzen zu erläutern.

b.) Ein häufig zu beobachtendes Problem bei Hausarbeiten ist, dass mit „Definitionen“ des Gegenstandes (hier: von Organisationen) angefangen wird, die dabei (wohl aus der Not geboren...) Wörterbüchern oder Einführungsbüchern entnommen werden.

Dabei wird oft nicht darauf geachtet, dass - bzw. ob und inwiefern - diese „Definitionen“ sich schon untereinander widersprechen bzw. ob und inwieweit sie mit den Annahmen (hier: über Organisationen) vereinbar ist, mit denen dann im Weiteren in der Hausarbeit gearbeitet wird.

Kurzum: Beachten Sie, dass weder Wörterbuchdefinitionen noch Einführungsbücher einfach Wahrheit im Sinne von Richtigkeit sprechen, sondern auch sie stets (!) selektive Sichtweisen auf den Gegenstand einnehmen und transportieren! Mein Tipp: Vergessen Sie Definitionen und zumal Wörterbuchdefinitionen! Halten Sie sich, sofern Sie den Gegenstand unbedingt (im Sinne einer Vorverständigung, mehr wäre es nicht...) „definieren“ wollen, an die Texte, mit denen sie tatsächlich arbeiten und die Sie Ihrer Fragestellung zugrunde legen. Wie wird der Gegenstand (erneut: Organisation) dort eigentlich bestimmt und aufgefasst?!

Zur Erläuterung: Es wäre ein Widerspruch, Organisationen und ihre formalen Strukturen zunächst (qua Wörterbuchdefinition) über Zwecke oder gar effiziente Zweckverfolgung und Koordination zu definieren, dann aber etwa mit Meyer/Rowan davon auszugehen, dass formale Strukturen nur der Darstellung von Legitimität dienen.

C (ggf. 3. oder 4.): METHODEN

Hausarbeiten sollten etwas zur Methode sagen, enthalten aber nicht zwangsläufig einen eigenen Methodenteil. Es genügt häufig, in der Einleitung kurz etwas dazu zu sagen, worauf sich die Analyse (jenseits von Theorie - sofern sie nicht Theorievergleich ist - und jenseits von ‚Gut und Glauben‘) stützt. In jedem Falle aber: Welches Material liegt ihr zugrunde - und wie wurde es ausgewählt? Das können selbst- oder fremderhobene Daten sein, das können aber auch Studien sein, die es zum Thema gibt. Und es können letztlich auch Theorietexte sein, wenn es um Theorievergleiche geht (für die man aber auch Fragen braucht).

3. (ggf. 4. oder 5.) ANALYS/ERGEBNISSE

Dies ist – immer – der HAUPTTEIL des Textes! Und hier geht es jetzt ‚ans Eingemachte‘, ganz egal, ob es um empirische, literaturgestützte oder gar theoretische Arbeiten geht. Hier werden sach- oder fallbezogene Analysen mit ihren Interpretationen/Ergebnissen dargelegt, in sich sinnvoll untergegliedert (wobei die Untergliederung zwar nicht aus der Fragestellung ‚ableitbar‘ ist, aber es doch eigentümlich wäre, wenn sie ihr ganz fern lägen...). Bei längeren Arbeiten hat die Analyse eine eigene Zusammenfassung.

4. (...) SCHLUSS (Zusammenfassung und Fazit/Reflexion bzgl. weiterer Forschung)

Noch ein wichtiger Hinweis: Die Kapitel haben – mit Ausnahme von „Einleitung“ und „Schluss“ oder „Fazit“ – inhaltlich aussagekräftige, also keine bloß formalen Titel – wie „Hauptteil“!

Soviel für den Moment. Ich hoffe, es hilft weiter...

Begriffliche Klarheit
Bei der Einführung wichtiger Begriffe ist es notwendig, sie zu bestimmen, das heißt zu erläutern, wie Sie den fraglichen Begriff zu nutzen beabsichtigen. Der Begriff muss logisch in den gewählten theoretischen Rahmen eingefügt werden, und seine Erörterung soll im Hinblick auf die eigene Problemstellung von Nutzen sein. Liegen zu einem verwendeten Begriff schon mehrere verschiedene Definitionen vor, sollten Sie auf die Herkunft Ihrer eigenen Definition hinweisen und Ihre Wahl begründen.

Anforderungen an die äußere Form der schriftlichen Arbeit

Die Hausarbeit umfasst circa 20 bis 30 Seiten in einem konventionellen Textverarbeitungsprogramm (Vorschlag: Schrifttyp Times New Roman/Arial, Schriftgrad 12/11, Zeilenabstand 1,5, je 2,5 cm Rand, kein Blocksatz).

Erstellen Sie ein Deckblatt. Das Deckblatt sollte folgende Informationen enthalten: Vor- und Nachname des Referenten beziehungsweise der Referentin, Thema, Lehrveranstaltung, Dozent:in, Matrikelnummer des Verfassers oder der Verfasserin, Studiengang, Fachsemesterzahl, Art der Leistung.

Danach folgt das Inhaltsverzeichnis der Arbeit. Wir empfehlen Ihnen eine dezimale Nummerierung der Abschnitte (1, 1.1, 1.2 usw.). Der Text gliedert sich in Einleitung (Thema, Fragestellung, möglichst begründete Gliederung der Arbeit), Hauptteil und Schlusswort (Kurzfassung der Fragestellung der Hausarbeit, Lösungsweg, Ergebnis und Fazit).

Soweit erforderlich, kommen hinzu: Literaturverzeichnis, Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder, Abkürzungsverzeichnis, Anhänge, Fußnoten (können als Kurzbelege auch im laufenden Text erscheinen). Unmittelbar unter Tabellen und Schaubilder kommen der Titel, die Quelle und zum Verständnis notwendige Anmerkungen. Abkürzungen werden so sparsam wie möglich verwendet.

Zitate und ihr Quellennachweis

Es ist ein generelles Gebot wissenschaftlichen Arbeitens und ein Gebot der Redlichkeit schlechthin, Quellen so eindeutig kenntlich zu machen, dass Lesende die Möglichkeit haben, diese nachzuvollziehen. Jede zitierte Quelle muss im Literaturverzeichnis wiederzufinden sein: Alle im Text und in den Fußnoten verwendeten Werke gehören ins Literaturverzeichnis am Ende der Hausarbeit.

Wörtlich übernommene Zitate (nicht nur ganze Sätze) sind in Anführungszeichen kenntlich zu machen. Sie müssen originalgetreu wiedergegeben werden. Auslassungen sind mit drei Punkten kenntlich zu machen. Danach ist entweder in einer Fußnote oder in Kurzform im Fließtext die Literaturangabe anzugeben: Geiger 1932: 45. Quellen, die Sie nicht wörtlich übernehmen, sondern die wesentlich Ihren Gedankengang bestimmt haben, machen Sie ebenfalls deutlich. Möglich ist folgendes:

Weber definiert Soziologie mit den Worten „Soziologie [...] soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und in seinen Wirkungen ursächlich erklären will“ (Weber 1922: 1).

Boudon nimmt darauf in seinem Einführungswerk Bezug (Boudon 1980: 13).

Haben Sie Zitate aus Quellen übernommen, wo diese bereits als Zitate auftauchen, so muss auch das kenntlich sein: Weber 1922: 22, zitiert nach Schluchter 1980: 345.

Zitierregeln gibt es wie Sand am Meer. Fast jede Fachzeitschrift pflegt ihren eigenen Zitierstil. Wenn Ihre Lehrenden Ihnen keine konkreten Vorgaben machen, wählen Sie ein Format aus, das Ihnen gefällt. Entscheidend ist nur, dass Sie die gewählte Zitierweise durchgängig verwenden und das Literaturverzeichnis nach einem einheitlichen Muster erstellen.

Hausarbeit abgeben

Prüfen Sie die Hausarbeit vor der Abgabe noch einmal sowohl inhaltlich als auch unter formalen und orthografischen Gesichtspunkten. Dringend erforderlich ist, Tippfehler und Rechtschreibfehler zu korrigieren. Gründliches Korrekturlesen ist daher unerlässlich! Dazu zwei Empfehlungen:

1. Oftmals lohnt es sich, zunächst eine erste Version des Textes zu verfassen, ihn dann einige Tage liegen zu lassen und erst nach dieser Distanzierung noch einmal auf seine Qualität zu prüfen. Man sieht dann häufig Ungereimtheiten und formale oder orthografische Fehler, die zunächst unentdeckt geblieben sind. Denn nach einer längeren Schreibphase sieht man zwar noch den Wald, den man mühsam gepflanzt hat, aber nicht mehr die einzelnen Bäume.

2. Geben Sie den Text einem/einer guten Bekannten, dem/der Sie vertrauen, und fragen Sie danach, wie er/sie die Qualität des Textes einschätzt. Ist das Geschriebene verständlich? Gibt es einen roten Faden? Ist eine Passage überflüssig, zu knapp oder zu lang geraten? Leuchtet die erarbeitete Lösung ein? Aus der gemeinsamen Diskussion dieser Fragen ergibt sich häufig noch die eine oder andere Verbesserungsmöglichkeit.

Theorie oder Empirie? Über typische Ausrichtungen von Hausarbeiten[4]

Wenn Sie eine Hausarbeit schreiben stellt sich für gewöhnlich die Frage, welche grundsätzliche Ausrichtung Ihr Text haben soll. Gleiches gilt für Abschlussarbeiten. Ganz basal lässt sich dafür zwischen primär theoretischen Arbeiten und solchen mit empirischem Bezug unterscheiden; darüber hinaus lassen sich Letztere noch einmal in zwei Kategorien differenzieren. Sie können a) einen Text konzipieren, in dem Sie sich mit bereits erzielten empirischen Forschungsergebnissen auseinandersetzen, sodass der Text den Charakter einer Literaturarbeit annimmt. Davon unterscheiden sich b) Arbeiten, in denen Sie das empirische Material beispielsweise mittels Interviews, Beobachtungen oder Archivarbeiten selbst erheben oder sich auf archiviertes empirisches Material stützen.

Wegweisend für die Entscheidung, welcher Variante Sie letztendlich folgen wollen, sind Ihr Erkenntnisinteresse, eine geeignete Fragestellung, das dafür benötigte Material und entsprechende Methodenkenntnis. Über all dies müssen Sie sich vor Beginn der folgenden Arbeitsschritte klar werden. Dabei ist es unerlässlich, dass Aufwand und Nutzen stets zu den Ansprüchen und Anforderungen Ihres jeweiligen Studienfortschritts passen. Sie müssen nicht sofort zu Beginn Ihres Studiums eigenes empirisches Material erheben oder unbedingt den Anspruch haben, etwas ganz Neues zu kreieren.

Soll heißen: Sie schlagen einen guten Weg ein, wenn Sie Möglichkeiten und Methoden während Ihrer Studienzeit unverzagt und kreativ, aber eben auch systematisch aufeinander aufbauend ausprobieren. Es könnte sich als hilfreich erweisen, zu Beginn Ihres Studiums dank einer Theoriearbeit einen ersten Einstieg in Ihr Fach zu finden. Im nächsten Schritt könnten Sie vermehrt auf empirische Arbeiten zurückgreifen, um schlussendlich – bestens gewappnet – eigene Empirie zu betreiben, nicht zuletzt bei einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit für den Bachelor- oder Mastertitel.

Theoretische Arbeiten
Arbeiten über und mit Theorie(n) mögen gerade auf viele Studienanfänger:innen abstrakt, unzugänglich, vielleicht sogar abschreckend wirken. Sicherlich begegnet uns „Theorie“ als sehr weit gefasster Begriff, der auf unterschiedlichste Art und Weise verstanden wird. Aber keine Angst: Erste Zugänge können Sie etwa bei den Begründer:innen der jeweiligen Theorierichtung finden.[5]

Theoriearbeiten können eine große Spannweite haben. Es kann sich um Arbeiten handeln, bei denen Sie eine:n Autor:in oder eine Theorie detailliert vorstellen und diskutieren. Sie können unterschiedliche Theorien oder Ansätze zu einer Fragestellung miteinander vergleichen und jeweilige Stärken und Schwächen herausarbeiten. Und selbstverständlich können Sie auch eigene Theorien kreieren; jedoch geht es gerade am Anfang – insbesondere bei Hausarbeiten – weniger darum, eigene hochkomplexe Theoriegebilde aufzubauen. Zuvorderst lohnt es sich, bestehende Theorien und Theoriebausteine kennenzulernen und ihnen gegenüber eine so kritische wie konstruktive Haltung einzunehmen. In unserem Kontext zählt es nicht zuletzt, sich begriffliche und argumentative Genauigkeit anzueignen. Befassen Sie sich mit einzelnen, problemlos eingrenzbaren Gedanken, Argumenten oder Erklärungen. Wichtig ist dabei, sowohl die auftauchenden Begriffe als auch deren Zusammenhänge innerhalb und außerhalb der jeweiligen Theorie so präzise wie möglich herzuleiten und zu verstehen. Dieses gewissenhafte Einüben bildet einen nicht zu unterschätzenden, anhaltenden Ertrag Ihrer Hausarbeit. Theorien bleiben entscheidend, sie sind das Herz der Wissenschaften.[6]

Arbeiten mit empirischem Bezug
Ein geeignetes Thema finden, Material erheben, es auswerten sowie die daraus gewonnenen Erkenntnisse verständlich verschriftlichen – dieser knapp skizzierte Ablauf führt den anspruchsvollen Umfang empirischen Arbeitens vor Augen. Nicht jede empirische Arbeit muss jedoch diesem Muster folgen, und nicht immer müssen Sie selbst das empirische Material erheben.

Entscheidenden Anteil an Wohl und Wehe Ihres Projekts trägt die gründliche Vorarbeit. Was will ich herausfinden, wie will ich es herausfinden, welches Material könnte dafür geeignet sein und wie komme ich an Letzteres heran? Der Übergang von einem anfänglich spannenden, allerdings noch lose formulierten Thema hin zu einer klaren und bearbeitbaren Forschungsfrage ist für Ihre erfolgreiche Arbeit essenziell. Je weiter Sie auf dieser Arbeitsetappe voranschreiten und je klarer sich Ihr Interesse herauskristallisiert, umso besser wird sich Ihre Forschungsarbeit später durchführen lassen.[7]

In Bezug auf das empirische Material sind viele Arbeiten von einer Mischung aus Darstellung der Forschungsliteratur und eigens erhobenen Daten gekennzeichnet. Das Lehrangebot sozialwissenschaftlicher Studiengänge umfasst sowohl für Bachelor- als auch für Masterstudierende spezielle Methodenseminare, insbesondere zur interpretativen und rekonstruktiven Sozialforschung, damit Ihnen der Einstieg ins empirische Arbeiten bestmöglich gelingt. Am meisten lernen Sie in jedem Fall durch eigenes Anwenden und Ausprobieren.

Arbeiten mit empirischem Bezug auf Grundlage von Literatur
Wie bereits angedeutet, wird bei Arbeiten mit empirischem Bezug auf der Grundlage von Literatur auf die eigene Materialerhebung verzichtet und stattdessen auf die Bearbeitung empirischer Daten in bereits zugänglicher Forschungsliteratur zurückgegriffen. Das erleichtert zwar erheblich den Arbeitsaufwand im Zuge der anzufertigenden Arbeit, befreit Sie jedoch nicht davon, wissenschaftliche Standards zu beherzigen. Diese beinhalten vor allem eine ausführliche Recherche, damit Sie Ihre Arbeit mit dem aktuellsten Literaturstand des jeweiligen Themas und Forschungsfelds versehen und inhaltlich daraus schöpfen können. Ebenso notwendig: Gerade bei Seminar‐ oder Hausarbeiten sollten Sie die Devise beherzigen, sich nicht in überbordenden Konvoluten von Büchern und Studien zu verlieren, sondern lieber auf weniger Material vertrauen, dafür aber die wichtigste aktuelle beziehungsweise Standardliteratur gewissenhaft bearbeiten. Besonders interessant, teils gar unumgänglich sind Literaturarbeiten, wenn eher historische Fragen bearbeitet werden sollen.

Bei solchen Arbeiten ist es natürlich wichtig, das verwendete empirische Material kritisch unter die Lupe zu nehmen: Woher kommen die Materialien und Ergebnisse der Studien? Welchen (unterschiedlichen) Fokusse richten die Autor:innen auf das Thema? Welche Unterschiede in der Herangehensweise lassen sich ausmachen? Treten Interpretationslücken oder unvollständige Schlussfolgerungen auf? Ein Vergleich bietet genügend Raum für derartige Fragen und Betrachtungen. Doch auch hier sollten Sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass Sie sich nicht im oftmals schier endlosen Material verlieren dürfen. Halten Sie sich stattdessen strikt an Ihre Fragestellung!

Überdies leistet die Auseinandersetzung mit empirischer Literatur im Hinblick auf zukünftige eigene Erhebungen enorme Unterstützung, um Ihre empirischen Fähigkeiten auszubauen. Es wird für Sie nachvollziehbar, wonach andere Soziolog:innen gesucht haben, wie diese ihre Fragestellungen entworfen und entwickelt haben, wie sie komplexe und ausschweifende Phänomene klar eingegrenzt und definiert haben.[8]

Empirische Arbeiten auf Grundlage eigener Erhebungen
Die Konzeption und Ausarbeitung von wissenschaftlichen Texten, deren Hauptaugenmerk auf eigene empirische Erhebungen gerichtet ist, klingt im ersten Moment möglicherweise aufwendig und anspruchsvoll – das ist es auch. Jedoch bedeutet es nicht, dass daraus ein nicht zu bewältigendes Unterfangen werden muss. Verstehen Sie dies als Möglichkeit, Ihrer Begeisterung und Ihre Neugier mithilfe solcher Arbeiten mehr Raum zu geben.

Empirische Forschung wird häufig in quantitative Forschung und qualitative Forschung unterschieden. Kurz erklärt fragen quantitativ orientierte Arbeiten vor allem nach der jeweiligen statistischen Verbreitung von Einstellungen oder Handlungsweisen, deren wechselseitiger Beziehung oder ihrer Verbindung zur sozialstrukturellen Lage der Befragten. Klassisch hierfür sind Fragebogenforschungen, bei denen die Befragten auf Basis einer vorher festgelegten Anzahl und Auswahl an Antwortmöglichkeiten Auskunft geben. Natürlich erbringen solche Forschungen wichtige Ergebnisse, allerdings weitestgehend im Rahmen vorher erstellter Kategorien.

Qualitativ Forschende hingegen fragen – offener – nach Weltsichten, Biografien, Orientierungen oder eigenem Handeln. Bisweilen werden dabei gar keine eigentlichen Interviews geführt, sondern die Forscher:innen nehmen an Orten des sozialen Geschehens teil und beobachten, was dort geschieht. Finden Interviews oder Gruppendiskussionen statt, setzen die Forschenden darauf, dass die Befragten aus einer offenen Atmosphäre heraus und ohne vorgegebene Antwortmöglichkeiten ihre Haltungen, Handlungen oder Vorlieben offenbaren.

Womöglich klingt es abgedroschen, aber: Übung macht den/die Meister:in. Je aufmerksamer und aktiver Sie die angebotenen Methodenseminare besuchen, je tiefer Sie sich in die soziologische Methodenliteratur einarbeiten, je unermüdlicher Sie mit kleinen Versuchen bis hin zu größeren Proben in Hausarbeiten experimentieren, desto größer sind Ihre Chancen, interessante, gehaltvolle, nachvollziehbare, schön zu lesende, also gute eigene empirische Arbeiten zu schreiben.

Empirisches Material lässt sich auf vielfache Weise erheben. Dazu zählen Beobachtungen, Interviews, Fragebögen, Gruppendiskussionen, aber auch die Zusammenstellung von Bilddokumenten. Welche Variante letztendlich die sinnvollste für die jeweilige Arbeit ist, hängt zum einen von Ihrem (wichtig: klar umgrenzten!) Forschungsinteresse ab, zum anderen aber auch von der Ihnen gegebenen Zeit und den zur Verfügung stehenden Ressourcen. Gerade für Ihre ersten Erhebungsversuche kann es sich als gewinnbringender erweisen, lieber mit weniger Daten, etwa einem Interview, anstelle überbordenden Materials zu arbeiten, das Sie am Ende nicht auswerten können. Auch wenn dadurch nur eine begrenzte Analyse Ihres Themas möglich ist, heißt es noch lange nicht, dass Sie keine sehr gute Arbeit schreiben können. Und natürlich können Sie auch eine Arbeit auf der Grundlage empirischen Materials schreiben, das Sie nicht selbst erhoben haben, sondern das bereits mehr oder minder ‚fertig‘ vorliegt. Dies können Reden, Filme, Fotografien, Musik(texte) oder auch Interviews, die in Archiven gespeichert sind, sein.

Beachten Sie bei Ihrer Beschäftigung mit empirischem Material, dass die empirische Erhebung allein noch keine fertige Arbeit bedeutet. An eine Erhebung muss sich stets die Interpretation des gewonnenen Materials anschließen, um daraus Thesen und Ergebnisse ableiten zu können. Der ergiebigste Wegweiser dafür bleibt, dass Sie sowohl die zuvor ausformulierte, eindeutige und klar abgrenzbare Definition Ihres Phänomens als auch Ihre Fragestellung nie aus den Augen verlieren.

Die eigene Hausarbeit als Fallstudie anlegen
Eine mögliche Strategie hin zu einer empirisch ausgerichteten Hausarbeit besteht darin, den geplanten Text als Fallstudie anzulegen. Fallstudien sind ein fester Bestandteil soziologischen Forschens. Es handelt sich jedoch nicht um eine eigene Textgattung im engeren Sinne, sondern um eine Forschungsstrategie, die sich primär an den Standards qualitativer Sozialforschung orientiert und dazu dient, einen möglichst multiperspektivischen Blick auf einen Fall zu werfen. Ziel ist es, den betrachteten Fall in seinen Eigenarten zu verstehen und gegebenenfalls zu erklären. Dafür können Sie sich – wie oben beschrieben – ganz unterschiedlicher Methoden und Materialien bedienen.

Die konkrete Umsetzung einer Fallstudie ist im Grunde ein Zweischritt. Dabei lohnt es sich, einen Vortrag von Niklas Luhmann unter dem Titel „Was ist der Fall und was steckt dahinter?“ im Hinterkopf zu haben.[9] Luhmann zielt hier zwar nicht auf die Methodik von Fallstudien ab. Der Titel wirft jedoch Licht auf die dafür typische Vorgehensweise:

  1. Fallkonstruktion: Was ist der Fall?
  2. Deutung und/oder Erklärung des zuvor konstruierten Falls mit Theoriebezug: Was steckt dahinter?[10]

In formaler Hinsicht orientiert sich eine Fallstudie, die Sie während Ihres Studiums schreiben, an konventionellen Formaten von Qualifizierungsarbeiten:

  • Die Einleitung dient dazu, die Erwartungen zu klären, die eine Leserschaft haben darf (Problemstellung, Vorgehensweise).
  • Das Fazit fasst die Ergebnisse der Fallstudie zusammen, wirft aber inhaltlich keinen neuen Punkt mehr auf (Ausnahme: weitere Forschungsoptionen, die sich aus der Studie ergeben).

Der Umfang hängt von der wissenschaftlichen Fragestellung ab, die Sie mit der Fallstudie verfolgen.[11]

Insbesondere die Industrie- und die Organisationssoziologie sind seit ihren Anfangsjahren stark durch Fallstudien geprägt. Sie dienen dazu, allgemeine Theorien der Organisation und des Organisierens zu nutzen, um empirische Sachverhalte zu erklären. Gleichzeitig führten die betreffenden Fallstudien zu theoretischen Weiterentwicklungen.[12]

Verwechseln Sie Fallstudien als Forschungsstrategie aber bitte nicht mit einem Texttyp, der ebenfalls als Fallstudie bezeichnet wird, jedoch primär managementorientiert und aus der Perspektive einer Führungskraft geschrieben ist. Diese case studies sind vor allem ein organisationswissenschaftliches Handwerkszeug, um Führungskräfte zu beraten, und dienen nicht in erster Linie dazu, soziale Phänomene zu erforschen. Ihre Autor:innen arbeiten vielmehr heraus, welche Optionen Führungskräfte in einer konkreten Entscheidungssituationen haben, die hier als Fall fungiert. Typisch sind case studies beispielsweise im Kontext der Harvard Business School.

  1. Die folgenden Passagen basieren ursprünglich auf einem Text von Petra Hiller, den Stefan Kühl und Thomas Hoebel weiterentwickelt haben.
  2. Umberto Eco, Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt. Doktor-, Diplom- und Magisterarbeiten in den Geistes- und Sozialwissenschaften [1988], übers. von Walter Schick, Heidelberg 2005.
  3. Fred Davis, Stories and Sociology, in: Urban Life and Culture 3 (1974), 3, S. 310–316, hier S. 310 f. (meine Übersetzung, T.H.).
  4. Bei den folgenden Passagen handelt es sich um leicht überarbeitete und gekürzte Auszüge aus dem lesenswerten Leitfaden „schöne wissenschaftliche texte“, den Johanna Häring, Maximilian Hendel, Roman Kreusch, Wibke Liebhart, Thomas Schmidt-­‐Lux und Monika Wohlrab-­‐Sahr für Leipziger Kultursoziologie-Studierende zusammengestellt haben (Stand: Januar 2015). Autoren und Redaktion danken dafür, die Auszüge hier übernehmen zu dürfen.
  5. Jeffrey C. Alexander, Twenty Lectures. Sociological Theory since World War II, New York 1987, S. 1; Hans Joas / Wolfgang Knöbl, Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen, aktual. Aufl., Frankfurt am Main 2004.
  6. Alexander, Twenty Lectures, S. 3.
  7. Aglaja Przyborski / Monika Wohlrab-Sahr, Qualitative Sozialforschung: Ein Arbeitsbuch [2008], München 2014, S. 1–10.
  8. Ebd., S. 1.
  9. Niklas Luhmann, „Was ist der Fall?“ und „Was steckt dahinter?“. Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie, in: Zeitschrift für Soziologie 22 (1993), 4, S. 245–260.
  10. Jessica Pflüger / Hans J. Pongratz / Rainer Trinczek, Methodische Herausforderungen arbeits- und industriesoziologischer Fallstudienforschung, in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien 3 (2010), 1, S. 5–13.
  11. Um sich vertiefender mit dem Schreiben von Fallstudien zu beschäftigen, sollte man sich ein wenig in diese Forschungsstrategie einlesen. Einige Tipps sind Howard S. Becker, What about Mozart? What about Murder? Reasoning from Cases, Chicago, IL 2014; Bent Flyvbjerg, Five Misunderstandings about Case-Study Research, in: Qualitative Inquiry 12 (2006), 2, S. 219–245; Pflüger/Pongratz/Trinczek, Methodische Herausforderungen arbeits- und industriesoziologischer Fallstudienforschung, insbes. die Abschnitte 2 und 3; Charles C. Ragin, Introduction. Cases of „What is a case?“, in: ders. / Howard S. Becker (Hg.), What Is a Case? Exploring the Foundations of Social Inquiry, Cambridge / New York 1992, S. 1–17.
  12. Berühmte Beispiele sind Philip Selznick über die Tennessee Valley Authority (TVA): ders., TVA and the Grass Roots. A Study of Politics and Organization, New York 1949; Alvin Gouldner über eine Gipsfabrik mit angeschlossener Mine: ders., Patterns of Industrial Bureaucracy. A Case Study of Modern Factory Administration, New York 1954; Seymor M. Lipset et al. über eine US-amerikanische Gewerkschaft der Drucker, die International Typographical Union (ITU): ders. / Martin A. Trow / James S. Coleman, Union Democracy. The Internal Politics of the International Typographical Union, Glencoe, IL 1956.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Wibke Liebhart.

Kategorien: Universität Wissenschaft

Thomas Hoebel

Thomas Hoebel, Soziologe, arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er forscht zu organisierter Gewalt, schreibt an einer Methodologie prozessualen Erklärens und befasst sich mit dem Rätsel, wie gute wissenschaftliche Texte entstehen.

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Stefan Kühl

Professor Dr. Stefan Kühl ist Soziologe und Historiker. Er ist Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld und arbeitet als Organisationsberater der Firma Metaplan für Unternehmen, Verwaltungen, Ministerien und Nichtregierungsorganisationen.

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