Friederike Bahl, Tine Haubner | Essay |

Im Zwielicht

Streifzüge durch das Forschungsfeld der Schattenökonomie

[1. Etappe: Freiwilliges Engagement in Bereichen von Care und Unterstützung]

[2. Etappe: Von Steueroasen, Schmuggel und Schattenmärkten]

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Seit ihren Anfängen hat sich die Soziologie immer wieder für ökonomische Fragestellungen und Zusammenhänge interessiert und dabei mit einer Vielzahl an Wirtschaftsfeldern und -aktivitäten befasst. In einer Hinsicht ist die Disziplin ihren Klassikern wie Max Weber, Karl Polanyi oder Joseph Schumpeter dabei trotz aller Unterschiede zwischen den Ansätzen bis heute treu geblieben: Sie konzentriert ihren forschenden Blick überwiegend auf die Ordnungsprinzipien und Funktionsweisen einer legalen Wirtschaftspraxis. Dass die weltweite Rentabilität von Steueroasen, Schattenmärkten oder Copyright-Piraterie jährlich schätzungsweise Summen in Milliardenhöhe freisetzt, gerät der Mehrzahl der soziologischen Arbeiten aus dem Blick. So führt eine Soziologie der Schattenökonomie als eigenständiges Forschungsfeld selbst ein Dasein im Schatten.

Mit dem vorliegenden Schwerpunkt wollen wir etwas mehr Licht auf die Sache werfen und ausgewählte Facetten der Thematik näher beleuchten. [3][233]=233tschwerpunktschattenkonomie" target="_blank">In einer mehrteiligen Reihe wollen wir sowohl die Reichweite des Themas umreißen als auch die damit verbundenen Potenziale und Impulse für eine an ökonomischen Zusammenhängen interessierte Sozialwissenschaft sondieren. Für dieses Vorhaben haben wir eine Reihe von Autorinnen und Autoren aus Sozialwissenschaft und -philosophie um Beiträge gebeten.

Entlang ihrer Antworten wird nicht nur die Vielfalt der Schauplätze und Theorieansätze sichtbar, die derzeit unter dem Begriff der „Schattenökonomie“ verhandelt werden. Die Beiträge nötigen auch zur kritischen Einsicht, dass die soziale Realität sehr viel komplexer ist, als es die verbreitete Redeweise von „schwarzen“ und „weißen“ Märkten suggeriert. Stattdessen werden im Licht der Analysen die Umrisse einer politischen Ökonomie mit fließenden Übergängen und zahlreichen Schnittstellen zwischen Legalität und Illegalität erkennbar, die von der gelegentlichen Übertretung von Vorschriften über die Unterwanderung staatlicher Kontrollen bis hin zur systematischen Nutzung regulatorischer Schlupflöcher – selbst durch staatliche Institutionen – reichen.

Wir werden mehrere Streifzüge durch das Forschungsfeld unternehmen, die verschiedene Formen ökonomisch relevanter Aktivitäten erhellen, mit denen zwar (auf legale oder illegale Weise) Einkommen erzielt und Profit erwirtschaftet wird, die jedoch keiner staatlichen Regulierung oder Besteuerung unterliegen. Von der Welt der Steueroasen bis hin zu klassischen Feldern wie etwa der Gang- und Drogenökonomie wollen wir schlaglichtartig ausgewählte Perspektiven gleichsam zusammen- wie gegenüberstellen.

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1. Etappe: Freiwilliges Engagement in Bereichen von Care und Unterstützung

Zum Auftakt nehmen wir die Schattenökonomie der Freiwilligenarbeit in den Blick. Dabei wird schnell klar: Auch das Lieblingskind der sozialpolitisch umworbenen Zivilgesellschaft hat seine dunklen Seiten. Die politische Ökonomie der Sorge, so zeigt Tine Haubner in ihrem Essay, stellt ebenfalls ein Feld der Schattenwirtschaft dar. Das gilt nicht nur für das Outsourcing staatlicher Sorgeleistungen an eine privatisierte Industrie professioneller Dienstleistungsanbieter, sondern für eine ganze informelle Ökonomie der Freiwilligenarbeit. Etwa wenn Ehrenamtliche „Demenzlotsen“ da einspringen, wo die Facharbeit im Stakkato der Minutenpflege Versorgungslücken hinterlässt. Als Ausfallbürgen einer konservativen Pflegepolitik gehen Freiwillige dabei nicht selten über die Grenzen ihrer körperlichen und seelischen Belastbarkeit hinaus.

Ganz ähnliche Entwicklungen lassen sich, wie Silke van Dyk und Emma Dowling in einem Interview berichten, auch in anderen Feldern bürgerschaftlichen Engagements beobachten. Erste Eindrücke aus ihrem Forschungsprojekt zu Engagement und Schattenwirtschaft weisen auf zunehmend durchlässige Grenzen zwischen monetarisiertem und quasi-professionalisiertem Engagement und Niedriglohnsektor hin. Eine Schattenökonomie des freiwilligen Engagements führt gerade in Bereichen wie der Pflege, der Kinderbetreuung oder der Unterstützung von Geflüchteten zu einer Informalisierung und Deprofessionalisierung von Dienstleistungen.

Im sozialstaatlichen Sorgekatalog sind Freiwillige für einige der bedeutsamsten und sensibelsten Aufgabenbereiche verantwortlich. Gleichzeitig stellen sie eine rentable Größe dar, ohne die eine erhebliche Lücke in der wohlfahrtsstaatlichen Fürsorge klaffte. Wer in diesem Zusammenhang an Ausbeutung denkt, für den ist die Besprechung des Buches Die Ausbeutung der sorgenden Gemeinschaft von Interesse, in dem sich Tine Haubner am Beispiel der informellen Laienpflege um eine sozialwissenschaftliche Rehabilitierung des Begriffs bemüht. In ihrer Rezension des Buches plädiert Barbara Thiessen für eine stärkere Berücksichtigung von Formen der Sorgearbeit im Feld der Arbeits- und Ungleichheitssoziologie, da sie zu einem besseren Verständnis gegenwärtiger Sozialverhältnisse beitragen könne. Darüber hinaus werde in der Analyse das analytische Potenzial feministischer Denktraditionen offenbar.

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[2. Etappe: Von Steueroasen, Schmuggel und Schattenmärkten]

Während sich die versteckten Ökonomien der Sorgearbeit vor allem um die Frage drehen, wo Schattenökonomie kostengünstig Versorgungslücken stopft und dadurch Geld einspart, gilt unsere zweite Etappe den vielfältigen Mitteln und Wegen, auf denen sie Geld aus dem regulären Wirtschaftskreislauf ab- und national ausführen kann. Silke Ötsch liefert dafür einen umfassenden Einblick in das Feld der noch wenig erforschten Steueroasen und deren stetig wachsendes Finanzvolumen. Ausgehend von einem historischen Rückblick auf die Entstehung der Steuerhinterziehung in der Antike bis hin zu aktuellen Daten aus der Finanzwelt zeigt sie auf, dass die Grenzen zwischen Steueroasen und regulären Finanzplätzen fließend sind und Steueroasen nicht nur in nationalen Kategorien als zwischenstaatliches Problem gesehen werden sollten. Denn gerade in den transnationalen Kapitalbewegungen der Gegenwart stellen sie für gesellschaftliche Machtgruppen profitable Regulierungsnischen bereit.

Visieren Steueroasen versteckte Umverteilungen aus der politischen Vogelperspektive an, so gewähren Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer in ihrem Beitrag zu den Notorious Markets dieser Welt einen Blick auf informelle Wirtschaftstransfers „von unten“. Nach einer fünfjährigen Studie berichten die Autoren nicht nur von den kreativen Strategien, mit denen Schattenproduktion und Schmuggel in großen Teilen der urbanen Welt die Existenz insbesondere der ärmsten Bevölkerungsgruppen sichern. Sie zeigen vor allem, wie die durch Markenschutzverletzungen und Urheberrechtsübertretungen aus formalen Wirtschaftszusammenhängen abgeführten Geldmengen auf internationaler Ebene zu einem weitreichenden Deutungskampf um die Kriminalisierung ihrer Profite geführt haben.

Dass Copyright-Piraterie und Schattenmärkte auch in den Sozialwissenschaften keineswegs einheitlich beschrieben werden, konstatiert schließlich Friederike Bahl in ihrer Sammelrezension zu Andere Märkte. Zur Architektur der informellen Ökonomie von Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer und The Architecture of Illegal Markets. Towards an Economic Sociology of Illegality in the Economy, herausgegeben von Jens Beckert und Matías Dewey. Beide Bände liefern nach Meinung der Rezensentin lesenswerte Einblicke in die terra incognita der Schattenökonomie. Bei allen Schnittmengen in den anvisierten Empirien zeugen sie allerdings auch von einer bestehenden Uneindeutigkeit beim begrifflichen Analyseinstrumentarium. Während Mörtenböck und Mooshammer im theoretischen Rekurs auf Michel Foucault die diskursiv verhandelten Machtstrukturen informeller Märkte freilegen, ziehen Beckert und Dewey den Begriff illegaler Märkte vor. Für die Theoriebildung wird, Bahl zufolge, auf diese Weise ein spannendes Feld künftiger Forschung abgesteckt, das der weiteren soziologischen Erkundung harrt.

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Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher, Karsten Malowitz.

Kategorien: Geld / Finanzen

Friederike Bahl

Dr. Friederike Bahl ist Soziologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen den Wandel der Arbeitswelt, die Soziologie sozialer Ungleichheit und die politische Soziologie.

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Tine Haubner

Dr. Tine Haubner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Politische Soziologie des Instituts für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Care-Forschung, soziale Ungleichheit und kritische Arbeitssoziologie sowie kritische Gesellschaftstheorien und qualitative Sozialforschung. Sie promovierte mit einer Arbeit zur sozialpolitischen Regulierung der gegenwärtigen Altenpflegekrise in Deutschland.

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