Cornelia Koppetsch | Essay |

In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause?

Alte Privilegien und neue Spaltungen

Was ist Heimat? Und warum reden plötzlich alle über sie? Sowohl in der Rede des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit als auch bei den Grünen oder in den Verhandlungen zur Jamaika-Koalition, wo sogar über ein Heimatministerium diskutiert wurde, ist das Thema allgegenwärtig: Der populäre Diskurs über die Heimat boomt,[1] sichtbar nicht nur an der gesteigerten Produktion von literarischen[2] oder soziologischen Heimaterzählungen,[3] sondern auch am Aufschwung des Handels mit regionalen Produkten und Trachten, der zu einer wahren Selbstvergewisserungsindustrie geworden ist.[4] Aus soziologischer Sicht ist die für viele unheimliche Konjunktur des Heimatbegriffs allerdings nicht so verwunderlich, wie es zunächst scheint. Die Idee der Heimat befindet sich gewissermaßen am mentalen Verkehrsknotenpunkt von Globalisierung, romantischem Neo-Konservatismus und neuen politischen und gesellschaftlichen Konfliktlinien. Im Wort „Heimat“ schwingen zarte Erinnerungen an Kirchturmglocken und gemähtes Gras aus Kindheitstagen mit; zugleich sind darin die drängendsten Probleme der Gegenwart kurzgeschlossen: Herkunft, Bleiberecht, Wanderung und vor allem das Streben nach Zugehörigkeit, Stabilität und Vertrautheit.

Versuchen wir die gesellschaftlichen Hintergründe des aktuellen Heimatdiskurses systematisch zu erfassen, so lassen sich zunächst zwei unterschiedliche Aspekte identifizieren: Zum einen stellt die wachsende Relevanz von Heimat schlichtweg eine Konsequenz gesteigerter Mobilitäts- und Migrationserfahrungen dar. Zum anderen, und das ist der interessantere Aspekt, ist die diskursive Konjunktur von „Heimat“ Ausdruck einer wachsenden Territorialisierung sozialer Lagen und neuartiger Ungleichheitskonflikte, die um Fragen der sozial-räumlichen Zugehörigkeit kreisen. Im Heimatbegriff werden territoriale Ansprüche spezifischer Gruppen geltend gemacht – oder eben auch zurückgewiesen.

Betrachten wir zunächst den ersten Aspekt, der sich phänomenologisch unmittelbar aufdrängt: Heimat erscheint vielen heute als die Grundlage für das, was der Soziologe Anthony Giddens einmal als „Seinsgewissheit“ beschrieben hat.[5] Das Vertrauen in die Kontinuität der eigenen Identität, das eine stabile und als sinnhaft empfundene Bindung ermöglicht. Diese Seinsgewissheit entsteht immer dann, wenn das Subjekt in Übereinstimmung mit sich und seinen Erwartungen leben kann. Aus dieser Perspektive kann der neuere Diskurs über Heimat als ein thematisches Zentrum der gesellschaftlichen Selbstverständigung über Mobilitäts- und Fremdheitserfahrungen identifiziert werden. Mobilität und Migration beinhalten ja nicht nur Freiheitsgewinne, sondern auch Verlusterfahrungen, die dem Heimatbegriff von jeher eingeschrieben sind. Anders als in progressiven Kreisen kolportiert, sind die jüngeren Debatten um Heimat somit keineswegs rückwärtsgewandt. Schon die Vorstellung, an einem spezifischen Ort verwurzelt zu sein, ist ja eine genuin moderne Erfahrung. Diese und die entsprechenden Heimatbindungen konnten sich nämlich erst entwickeln, als der Einzelne nicht mehr selbstverständlich mit seinem Herkunftsort verwachsen war. Im Zuge globalisierungsbedingter Erfahrungen von Grenzverschiebung, Grenzerweiterung und Entgrenzung erfährt die Heimaterfahrung noch eine zusätzliche Intensivierung: Je mehr Orte potenziell erreichbar sind oder tatsächlich auch durchwandert werden und je größer der Umfang zurückgelegter Distanzen desto salienter die Differenz zwischen dem Herkunftsort und allen anderen, beliebigen Orten. Heimat tritt im Rück- und im Fernblick besonders prägnant in Erscheinung, manchmal dann auch als Phantomschmerz, weil es die Sehnsucht nach einem Ort umfasst, den es so, wie wir ihn in Erinnerung haben, vielleicht gar nicht mehr gibt oder nie gab.

1.      Die Heimat der Eingeborenen und die Heimat der Zugewanderten

Doch wäre „Heimat“ im neueren Diskurs kein umstrittener Begriff, wenn sich sein Bedeutungsgehalt darin erschöpfen würde. Seine gesellschaftliche Brisanz erschließt sich erst dann vollständig, wenn man die gegenwärtig innerhalb der Mittelschicht aufbrechenden Konfliktfelder um die Frage, was Heimat überhaupt bedeuten soll, genauer auf ihre gesellschaftlichen Hintergründe und ihre Standortbedingungen untersucht. Hier zeigt sich, dass der Heimatbegriff im Zentrum neuer politischer Konflikte um Transnationalisierung, Migration und territorialer Autonomie befindet.

Die Rollen in diesen Konflikten sind wie folgt verteilt: Auf der einen Seite stehen die Fortschrittlichen und Beweglichen, jene also, die unermüdlich behaupten, dass Heimat auch Zuwanderern offenstehe und niemals etwas sei, was man für immer haben oder besitzen könne, sondern stets nur das Ergebnis eines „gelungenen Heimischwerdens in der Welt“ und der „tätigen Auseinandersetzung mit der Umwelt“;[6] auf der anderen Seite stehen jene, die zumeist weniger mobil sind, deutlich weniger Wahlmöglichkeiten hinsichtlich ihres Wohn-, Arbeits- oder Urlaubsortes haben und deren Identität auf Zugehörigkeit zu einem spezifischen Territorium, sei es eine Region, eine Nation oder ein spezifischer Ort beruht. Hier existiert häufig die Vorstellung einer schicksalhaften Verbindung mit dem eigenen Ursprung, der zufolge der Mensch seine primäre Heimat nicht wählen kann, weil sie ihm zugefallen ist und er sie folglich immer schon besitzt. Heimat in diesem Sinne verbürgt unhintergehbare Zugehörigkeit und Identität, und die kann es aus Sicht der Anhänger und Fürsprecher dieses Konzepts nur im Singular geben. In dieser Perspektive muss die „unbegrenzte Flexibilität“ einer offenen Selbstverortung dazu führen, dass am Ende niemand mehr eine Heimat hat.

Der erstgenannten Heimatvorstellung liegt demgegenüber ein kosmopolitisches Selbstverständnis zugrunde, dem zufolge fremde Orte und Menschen stets auch neue Möglichkeiten kultureller Aneignung und Identitätsbildung eröffnen. Heimat dürfe demnach nicht exklusiv verstanden werden und zum Ausschluss anderer, nicht zu Differenz und Abgrenzung führen, da das Aufnehmen des Anderen, des Neuen Chancen für „mehr Kompetenz“ berge. In exemplarischer Weise wird diese Auffassung etwa von dem Kulturtheoretiker und Schriftsteller Klaus Theweleit artikuliert: „Ich bin ein Flüchtlingskind aus Ostpreußen und hatte dann meine neue, meine zweite schleswig-holsteinische Heimat. Als Jugendlicher wurde dann englische Beat-Musik meine kulturelle Heimat – inklusive plattdüütsch schnacken. Ich kenne also mindestens drei verschiedene Heimaten. Das hat mich natürlich viel beweglicher gemacht als die Einheimischen drumherum.“[7] Die Identität, welche die Heimat stiftet, wird in dieser Vorstellung als Patchwork-Zugehörigkeit entworfen, die ihre Wurzeln in unterschiedlichen Gemeinschaften findet und in der die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden, zwischen Orten und Zeiten, zwischen Vergangenheit und Zukunft durchlässig sind. Die verschiedenen Herkünfte werden als Ressourcen für die biografische Arbeit an der eigenen Identität behandelt. Kosmopolitisch mutet diese Vorstellung deshalb an, weil das Prinzip der unverbrüchlichen Verwurzelung von Mensch und Herkunft aufgehoben scheint.

Demgegenüber liegt dem Heimat-als-Schicksal-Modell die Überzeugung zugrunde, Heimat sei in erster Linie etwas für Eingeborene und nicht für Zuwanderer. Nach dieser Logik gilt: Es gibt nur eine einzige Heimat, die man sich nicht aussuchen kann, weshalb Migration und Flexibilität auf beiden Seiten unweigerlich zum Heimatverlust führen müssen. In neueren politischen Diskursen wird dieses Verständnis von Heimat häufig dann artikuliert, wenn Autonomieverluste abgewendet werden sollen. Dabei geht es zumeist um zwei Formen der Angst vor Entfremdung: Einerseits um die Befürchtung der Fremdbestimmung der eigenen kleinen „heilen Welt“ durch Einmischung von als mächtig beziehungsweise bedrohlich empfundenen anderen, andererseits um die Angst vor kultureller Überfremdung durch (massenhafte) Zuwanderung. Die Abwehr von Fremdbestimmung durch Einmischung anderer zeigt sich etwa im neu erwachten Heimatbewusstsein peripherer, oftmals auch ländlicher Regionen, die um ihren Status kämpfen und sich durch die Mehrheitsgesellschaft in eine marginale Position gebracht sehen.[8] Sie ist aber kein exklusives Konstrukt wirtschaftlich schwacher oder abgehängter Regionen; auch ökonomisch starke Regionen können unter bestimmten Bedingungen dazu tendieren, drohende Autonomieverluste durch Abschottung zu kompensieren. Das zeigt sich nicht zuletzt auch an separatistischen Bewegungen, wie sie etwa in Norditalien, im Baskenland, in Irland oder aktuell in Katalonien zu beobachten sind. Der Traum vom eigenen Ministaat, von der autarken, autonomen Heimat bringt den Wunsch der regionalen Bürger nach Selbstbestimmung in Stellung gegen die vermeintliche Fremdbestimmung durch die eigene Nation oder etwa den „Suprastaat“ Europa.[9]

Als zweite Form des durch Schicksalsgemeinschaften abzuwehrenden Autonomieverlustes wird die vermeintlich drohende Gefahr einer „Überfremdung“ durch Zuwanderer ausgegeben. Seitens der Kosmopoliten wird dieser Aspekt zumeist als Fremdenfeindlichkeit gedeutet. Doch geht es dabei gar nicht primär um die Frage, wo fremde Menschen leben dürfen, sondern vor allem um die Befürchtung einer kulturellen Enteignung, einer gesellschaftlichen Usurpation des eigenen Lebensraums und der eigenen Lebensweise durch die Kultur der Zugewanderten. So glauben etwa viele ,heimatverbundene‘ Deutsche, dass Einwanderung und die im Vergleich zum bundesdeutschen Durchschnitt höhere Geburtenrate der Muslime mittelfristig dazu führten, dass Deutschland seine kulturelle Identität verliere und ein durch Muslime beherrschtes Land werde. Der Schriftsteller Michel Houllebecq hat ein solches Szenario in seinem dystopischen Roman Unterwerfung am fiktiven Beispiel eines durch die Partei der Muslim-Bruderschaft beherrschten Frankreichs entfaltet.

Am aktuellen öffentlichen Diskurs über „Heimat“ wird offenbar, das jedes der beiden Modelle für sich moralische Überlegenheit reklamiert. Äußerungen eines nationalen, regionalen oder separatistischen Heimatbewusstseins ziehen stets eine wahre Bekenntnisflut zur Weltoffenheit seitens der Kosmopoliten nach sich. Hinter dem Kampf um die Deutungshoheit im Heimatdiskurs verbergen sich daher nicht nur unterschiedliche Begriffe, sondern konkurrierende Gesellschafts- und Lebensauffassungen. Die Protagonisten des Heimat-als-Schicksal-Modells, wie sie etwa prominent durch separatistische oder populistische Bewegungen vertreten werden, sehen sich dabei häufig in moralischer und politischer Opposition zur urbanen akademischen Mittelklasse, der primären Trägergruppe des Heimat-Kosmopolitismus.

Die Kosmopoliten weisen die Vorstellung von Heimat als Schicksalsgemeinschaft scharf zurück. Kritisiert wird, dass unter dem Vorwand des ,Heimatschutzes‘ die Ausgrenzung zahlreicher Menschengruppen betrieben oder zumindest begünstigt werde. Dagegen werden die Ideale der Freizügigkeit und der Weltbürgerschaft, die es jedem Menschen ermöglichen sollen, dort zu wohnen, wo er oder sie es möchte, gehalten. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass Migration die Heimat für beide Seiten bereichere: Für die Einheimischen, weil der ,bunte Mix‘ der Kulturen und die Erfahrung des Fremden zu einer Horizonterweiterung führten, welche die Rückbesinnung auf eigene lokale oder nationale Traditionen umso attraktiver werden lasse; und für die Zugewanderten, weil der Schritt in die Fremde „die Chance verheißt, sich neu zu erfinden“.[10] In diesem Zusammenhang wird von den Kosmopoliten auch gerne darauf verwiesen, dass es sich bei der Heimat, ähnlich wie bei der Nation, um ein soziales Konstrukt handele und sie daher keine natürliche Grundlage besitze.[11]

Zwar sind die beiden Heimatvorstellungen konträr, doch erfüllen sie durchaus vergleichbare Funktionen im Lebenszusammenhang ihrer Trägermilieus. In beiden Modellen geht es um kulturelle Selbstvergewisserung, soziale Exklusivität und Zugehörigkeit. Heimat, auch die kosmopolitisch verstandene, wird niemals nur von einem Einzelnen besessen, sondern ist Ausdruck eines in spezifischen Räumen beheimateten „Wir“, das durch Grenzen aufrechterhalten wird. Die Gegensätzlichkeit der beiden Lebensauffassungen sollte daher nicht den Blick dafür verstellen, dass auch Kosmopoliten keineswegs uneingeschränkt ,offen‘ sind, sondern spezifische soziale Räume bewohnen, die sie gegenüber anderen Gruppen abschließen.[12]

Zwar zeichnet die urbane akademische Mittelklasse sich durch einen hohen Grad an räumlicher – teilweise auch transnationaler Mobilität – aus. Dass man den räumlichen Lebensmittelpunkt gezielt auswählt, etwa indem man den Ort, an dem man geboren wurde und aufgewachsen ist, mit Beginn des Studiums oder aber spätestens mit dem Eintritt ins Berufsleben verlässt, erscheint für die Subjekte der akademischen Klasse eine Selbstverständlichkeit.[13] Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Das urbane Umfeld bietet Ausbildungsorte, vor allem Universitäten und hochqualifizierte Arbeitsplätze. Zugleich hält es zahlreiche Angebote für einen kosmopolitischen Lebensstil bereit: Kinos, Museen, Galerien, Restaurants und exklusive Life-Style-Geschäfte bieten nicht nur zahllose Möglichkeiten für anspruchsvolle Formen der Unterhaltung und des Konsums, sondern auch soziale Netzwerke und Inspirationen. Wie sozialgeografische Studien zeigen,[14] ballen sich die entsprechenden Milieus vor allem in den Großstädten und Metropolregionen und ihrem jeweiligen Umland.[15] Der Regisseur Edgar Reitz hat das mit dieser Form der Wanderung verbundene Lebensgefühl in lokalkolierter Feinarbeit bereits in den 1990er-Jahren in seiner epochalen Film-Trilogie „Die zweite Heimat – Chronik einer Jugend“ eingefangen. Das Epos schildert die Geschichte der Wanderung einer Gruppe junger Erwachsener, die aus der im Hunsrück gelegenen provinziellen ersten Heimat zum Studium in die urban-alternative Wahlheimat München-Schwabing aufbrechen. Die meisterhaft dargestellte Essenz des kosmopolitischen Heimatgefühls besteht in einem biografischen Spannungsverhältnis: Man kehrt der ersten Heimat den Rücken und kommt doch nicht ganz von ihr los.

Doch folgt aus der Fähigkeit zur Anverwandlung einer zweiten oder mitunter sogar dritten Heimat tatsächlich mehr Offenheit, in dem Sinne, dass man an beliebigen Orten heimisch werden kann, Fremde nicht ausgrenzt und kulturelle Vielfalt erlebt und praktiziert? Wohl kaum.

Wenn eine Kultur nicht durchmischt, sondern nahezu vollständig homogen ist, dann ist es die kosmopolitische Kultur der urbanen akademischen Mittelklasse mit ihrem körper- und gesundheitsbewussten, auf Selbstverwirklichung und Wissensaneignung hin orientierten Lebensstil. Diese Homogenität erweist sich gerade im Gebot der „Vielfalt“ und basiert darauf, dass die spätmoderne Kultur der Selbstverwirklichung zum Teil eines Klassenethos geworden ist, zu dem auch eine spezifische Weise des Umgangs mit kulturellen Gütern gehört. Das Gebot der Vielfalt markiert die Trennlinie, entlang derer gegenwärtig eine kulturell grundierte und häufig auch sichtbare Klassenspaltung zwischen der akademischen und der traditionellen Mittelschicht verläuft. Kultur umreißt im kosmopolitischen Bewusstsein und im Gegensatz zum Heimat-als-Schicksal-Modell nicht mehr den Bereich einer normativ verbindlichen Ordnung, sie wird vielmehr als eine Ressource verstanden, als vielgestaltiges Material, das in unterschiedlichster Weise geformt und zur Bereicherung des eigenen Selbst beitragen soll.[16] Diese richtet sich auf die reichhaltigen, heterogenen Kultur- und Erlebnisofferten der globalen Welt.

Kulturkosmopolitismus, wie er etwa im Anschluss an klassische Gegenwartsdiagnosen zur postindustriellen Gesellschaft von Daniel Bell, Mike Featherstone, David Brooks, Richard Florida oder jüngst auch von Andreas Reckwitz detailliert beschrieben wurde,[17] ist allerdings mehr als ein selbstverwirklichungsorientierter Life-Style, er ist eine zum Habitus geronnene Haltung der investiven Statusarbeit.[18] Bildung oder der Erwerb von Kompetenzen erscheinen dabei gleichsam als Nebenprodukte der Selbstverwirklichung, werden intrinsisch angestrebt, sollen affektive Befriedigung verschaffen, mit Erlebnissen und Erfahrungen angereichert sein. „Berufe mit dem größten Prestige sind solche, in denen künstlerischer Ausdruck und dicke Knete miteinander verbunden sind“, so David Brooks in seiner Ethnografie des hybriden Lebensstils der „Bobos“, der bourgeoisen Bohèmiens.[19] Deshalb muss die Aneignung von Kultur stets einer doppelten Anforderung genügen: Kulturelle Güter sollen zwar primär dem selbstzweckhaften Genuss dienen, aber eben auch dem individuellen Fortkommen, das heißt der Akkumulation von kulturellem Kapital. Diese Haltung ist nicht nur charakteristisch für das Erleben fremder Kulturen und Orte, sondern wird prinzipiell auf alle Wissens- und Bildungsobjekte übertragen. Deren Aneignung findet überall und nicht nur in den Bildungsinstitutionen statt, sie durchdringt Freizeitaktivitäten und auch die Sphäre des Konsums. Konsum ist in der urbanen akademischen Mittelklasse im wesentlichen Kulturkonsum, dient der Horizonterweiterung und der persönlichen Selbstverwirklichung. Und weil prinzipiell kein Objekt von dieser Form der Aneignung ausgeschlossen ist, weil prinzipiell von jedem Kulturgut eine Erweiterung der individuellen Kompetenzen oder eine Steigerung des Genusses ausgehen kann, ist der akademische Kulturkonsument ein Allesfresser,[20] der die Grenzen zwischen Hochkultur und Populärkultur, zwischen dem Historischen und dem Gegenwärtigen, dem Eigenen und dem Fremden, zwischen Kulturkreisen, Nationen oder Regionen im Dienste der Erweiterung seines Wissens und seines Horizontes aufhebt. Jeder Ort, einschließlich der Heimat, kann als Ort der Aneignung von Kultur betrachtet werden. Mit anderen Worten: Kosmopolitismus ist Teil einer umfassenden De-kontextualisierung kultureller Bedeutungen.

Die Subjekte der urbanen akademischen Mittelklasse sehen sich als Träger einer zukunftsweisenden Lebensform, die sie zum gesellschaftlichen Maßstab gelingenden und erfolgreichen Lebens insgesamt erheben.[21] Auf dieser Basis verteidigen und legitimieren sie Privilegien gegenüber untergeordneten Sozialklassen. Sozio-ökonomische Ungleichheiten werden dann nicht auf kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse, sondern auf Unterschiede in Geschmack, Kompetenzen und Differenzen in der Lebensführung insgesamt zurückgeführt. Die Lebensformen anderer Milieus erscheinen vor diesem Hintergrund als weniger differenziert und damit auch weniger wertvoll: Aus kosmopolitischer Sicht offenbart sich in der Vorstellung von Heimat als Schicksal eine kultur-konformistische Haltung. Denn nicht nur die Heimat, auch das betreffende Wissen und die zugehörige Kultur werden von den Trägern des Schicksalsmodells zumeist als gegeben, das heißt als ein durch Sitten, Traditionen oder Autoritäten verbürgter Ordnungsrahmen begriffen, in den man sich einfügt. Aus kulturkosmopolitischer Perspektive erscheint diese Auffassung als unvereinbar mit einer in erster Linie kulturunternehmerisch verstandenen Intelligenz, da eine ,ehrfürchtige‘ Sichtweise auf Wissens- und Kulturbestände als Kreativitätshindernis wahrgenommen wird.

Der kulturkosmopolitische Lebensstil ist zugleich der Motor wachsender sozialstruktureller und kultureller Polarisierung auch innerhalb der Mittelschicht.[22] Die Kultursoziologin Elizabeth Currid-Halkett zeigt in ihrer Studie The Sum of Small Things auf welche Weise der wissensorientierte und kulturinvestive Lebens- und Konsumstil mittlerweile alle Lebensbereiche der urbanen akademischen Mittelklasse durchdringt und zur Herausbildung eines neuen Klassenbewusstseins geführt hat.[23] Denn der gesellschaftliche Umbau zur postindustriellen Ökonomie bedeutet eine rapide Erosion der klassischen Angestelltenkultur und der Industriearbeiterschaft mit ihren nivelliert-mittelschichtsorientierten Lebensstilen. Dagegen profiliert sich die urbane akademische Mittelschicht als neue, hochqualifizierte Kulturoberschicht, die ihre Bildungs- und Wissensanstrengungen durch die Wahrnehmung exklusiver Bildungsangebote immer weiter intensiviert, ein unternehmerisches Gespür für kulturelle Investitionen ausbildet und ihre Virtuosität im Umgang mit disparaten Kultur- und Konsumgütern weiter verfeinert,[24] was auch die Kluft zu den Gruppen der alten Mittelschicht, die sich traditionell-industriemodernen oder konservativen Lebensformen verpflichtet fühlt,[25] immer größer werden lässt.

Schließlich ist der kosmopolitische Lebensstil der urbanen akademischen Mitte weit über die Gestaltung des privaten Lebens hinaus für die Entfaltung des wissensbasierten, globalen Kapitalismus relevant geworden.[26] Dieser basiert darauf, dass die strikte Trennung zwischen Arbeit und Freizeit aufgehoben und neue Formen des Selbst-Managements, der Projektarbeit und der soft control traditionelle Aufteilungen verdrängt haben, wodurch es zu einer strukturellen Angleichung von Arbeit und Leben kommt.[27] Denn in den hochqualifizierten Arbeitsformen sind vor allem kommunikative, interpretative und auch kreative Kompetenzen und Praktiken gefragt, wie sie ähnlich auch im Freizeitbereich und im Kulturkonsum zum Tragen kommen. Andererseits ist auch das Privatleben durch kulturunternehmerische Praktiken geprägt und von dem Wunsch des Einzelnen durchdrungen, die persönliche Kreativität zu steigern und Horizonte zu erweitern. Die prämierte Fähigkeit besteht darin, die Selbstzweckhaftigkeit der Kulturaneignung mit ihrer ökonomischen Ausbeute zu verbinden.

Ähnlich wie die Vertreter des Heimat-als-Schicksal-Modells verteidigen auch die Kulturkosmopoliten einen exklusiven Lebensraum. Es sind die urbanen Zentren, die mit der Reproduktion historischer Stadtarchitekturen zu privilegierten Erlebnisräumen für Kultur- und Life-Style-Konsum, Freizeit und Tourismus geworden sind. Die Möglichkeit, sich wiederholt in diesen Räumen aufzuhalten oder gar dauerhaft in ihnen zu leben bildet vielerorts mittlerweile ein Privileg. Mit zunehmender Privatisierung und Touristisierung zentraler öffentlicher Räume werden Straßen und Plätze auf neue Weise kontrolliert,[28] wodurch Zugangsrechte unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zu Straßen, Plätzen und anderen ehemals öffentlichen Räumen neu verhandelt werden. Generell gilt: Wer sich die teuren Mieten der attraktiven Stadtquartiere nicht leisten kann und in den Restaurants auf den öffentlichen Plätzen nicht konsumiert, findet in den historischen Kulissen der europäischen Großstädte keine günstigen Verweilmöglichkeiten mehr.

Ursprünglich entstand die neue Urbanität mit dem historischen Aufstieg der „zweiten Heimat“ im Zuge der Landflucht der gebildeten Mittelschichtjugend seit den 1970er-Jahren. Angeführt von der Alternativbewegung und der städtischen Bohème hat in Deutschland ausgehend von der Besiedlung bestimmter Altbau-Quartiere in den Großstädten eine Re-Urbanisierung der Innenstädte eingesetzt. [29] Die in diesen Szenen kultivierten Werte wie Autonomie, Selbstverwirklichung, Authentizität und Kreativität sind später, in den 1990er Jahren dann, durch die postindustriellen Life-Styles und die urbanen Kultur- und Wissensökonomien aufgesogen worden.. Diese entstanden auch in Reaktion auf die wachsende Unzufriedenheit mit der „Unwirtlichkeit unserer Städte“ (Alexander Mitscherlich), das heißt mit der Monotonie der Vorstadtsiedlungen und dem Verfall des urbanen Lebens in der als provinziell und erstarrt empfundenen Nachkriegsära.[30] Der neue Urbanismus ist seit der Jahrtausendwende zunehmend ins Visier neoliberaler Investoren und ambitionierter Städteplaner geraten, die auf die Herausbildung von Metropolen zielen, die sich mittels ihrer architektonischen und städtebaulichen Besonderheiten, ihrer besonderen Geschichtsbilder und Mythologien und ihrer spezifischen Alltagspraktiken, das heißt in ihrer „Eigenlogik“ vermarkten sollen.[31] Seine soziale Exklusivität gewinnt dieser Lebensstil jedoch erst durch die wachsende sozialräumliche Polarisierung zwischen den von der urbanen akademischen Mittelschicht bewohnten postindustriellen Großstädten als Zentren und den übrigen Siedlungsgebieten (alte Industriestädte, Kleinstädte, Dörfer) als Peripherien. Von dort wandern die Hochqualifizierten in die Großstädte.

Gleichwohl ist Heimat auch in ihrer kosmopolitischen Spielart keineswegs beliebig, sondern wird der persönlichen Geschichte anverwandelt. Die Initiation in den urbanen, wissens- und selbstverwirklichungsorientierten Lebensstil ist prägend für die individuelle Biografie. Sie wird dadurch erleichtert, dass die Bewohner der entsprechenden Künstler- oder Szenequartiere über ähnliche Dispositionen, Wahrnehmungs- und Klassifikationsprinzipien, das heißt über einen gemeinsamen Habitus verfügen und über ein gemeinsames Klassenethos miteinander verbunden sind.[32]

Versucht man vor diesem Hintergrund nun eine allgemeine, beide Lebensformen umfassende, Bestimmung des Begriffes „Heimat“, so stößt man auf insgesamt drei essenzielle Bestandteile: Singularitität, Vertrautheit und sozial-räumliche Exklusivität beziehungsweise Schließung. Im Unterschied zum Nicht-Ort[33] oder auch zum beliebigen Ort, zum space, ist Heimat ein place, das heißt ein einmaliger, herausgehobener Ort, der in seiner Eigensinnigkeit angeeignet wird.[34] Die Eigensinnigkeit zeigt sich sowohl im regional geprägten Heimatgefühl der Schicksalsfraktion wie auch in der Anverwandlung der zweiten Heimat im urbanen Raum. Auch diese ist nicht auf eine kulturindustrielle Schablone reduzierbar, sondern unterliegt idiosynkratischen Aneignungsprozessen. Die zweite Heimat wird durch das Leben in Kiezen und Szenequartieren zu einem einzigartigen, mit der individuellen Biografie verwobenen Ort.[35] Auch wenn Konsum eine zentrale Dimension des kulturkosmopolitischen Urbanismus darstellt, wird eine von oben aufoktroyierte Kommerzialisierung als Entfremdung erlebt. Vor diesem Hintergrund wird auch die exzessive Zunahme des Städtetourismus als Verfälschung und Bedrohung des authentischen Lebensraums wahrgenommen, da sie die Authentizität der heimatlichen Anverwandlung insbesondere der ihrerseits Zugezogenen in Frage stellt.

Auch das zweite Merkmal, die Vertrautheit, ist in beiden Heimatvorstellungen anzutreffen. Heimaten bilden ,Wohlfühl-Zonen‘, sie sind Orte, die „Seinsgewissheit“ dadurch vermitteln, dass sie eine habituelle, präreflexive Verwurzelung in Alltagsroutinen und im sozialen Leben ermöglichen. Diese Vertrautheit ist das subjektive Korrelat einer Passung zwischen dem sozialen Ort und den persönlichen Dispositionen. Das Gegenteil ist das Gefühl der Entfremdung, das sich einstellt, wenn Seinsgewissheiten – etwa durch den Zuzug Fremder oder auch durch veränderte Machtverhältnisse oder gesellschaftliche Spielregeln – erschüttert werden. In der Heimat-als-Schicksal-Fraktion wird Vertrautheit durch Identifikation mit den Eigenheiten der Herkunftsgemeinschaft, etwa auch durch die Beherrschung des heimatlichen Dialektes, hergestellt. In der kosmopolitischen Heimat hingegen wird Vertrautheit nicht zuletzt durch die urbanen Kieze und durch „die Kultur“, das heißt durch das Ensemble der gemeinsam geteilten Praktiken des wissens- und selbstverwirklichungsorientierten Lebensstils gestiftet.

Schließlich ist das dritte gemeinsame Merkmal beider Heimatvorstellungen die sozial-räumliche Exklusivität, also die Schließung des Lebensraums gegenüber unerwünschten Zuwanderern. Unterschiedlich sind lediglich die Formen der Grenzziehung wie auch die Gruppen, die jeweils als unerwünscht betrachtet werden – Touristen, Asylanten oder Städter. Die Verfechter des Heimat-als-Schicksal-Modells verteidigen Heimat im Modus politischer Grenzen. Begründet wird die soziale Exklusivität mit der Notwendigkeit, Zusammenhalt und Identität der Gemeinschaft gegenüber Zuwanderern aus fremden Kulturen zu schützen. Die Beziehung zwischen Gemeinschaft und Territorium wird dabei gleichsam naturalisiert. Nur die eingeborene Gemeinschaft, nicht die Zugewanderten haben in diesem Modell Anspruch auf die gemeinschaftlichen Ressourcen.

Nichts liegt den Kosmopoliten ferner. Weltoffenheit und die Ausgestaltung einer historisch und kulturell gleichermaßen gesättigten wie vielfältigen Urbanität stehen ja im Zentrum des Heimatgefühls der akademischen Mittelklasse. Allerdings verfügen auch die vermeintlich offenen Kulturkosmopoliten über ihre ganz spezifischen Grenzanlagen. Die Raumaneignung der urbanen akademischen Mittelklasse beinhaltet zwar transnationale Bewegungen und öffnet die angestammten Territorien auch für die (kosmopolitischen) Bewohner anderer Länder, doch spielen sich diese Öffnungen stets innerhalb desselben soziokulturellen und geografischen Rahmens urbaner Lebensräume ab. Zu den wirkungsvollsten Grenzanlagen gehört die kapitalistische Ausrichtung des Lebensstils, denn das eigene Territorium wird primär im Modus ökonomischer Grenzen verteidigt. Kulturelle Offenheit wird somit kompensiert durch ein hochgradig effektives Grenzregime, das über Immobilienpreise und Mieten, über ein sozial und ethnisch hoch selektives Bildungswesen sowie über den Zugang zu exklusiven Freizeiteinrichtungen und Clubs gesteuert wird. Die Abgrenzung erfolgt nicht nach außen, sondern nach unten. Es sind vor allem die ökonomischen Privilegien, die wirkungsvolle Schutzzäune gegenüber unteren Schichten und Migranten darstellen. Gut situierte und gebildete Migranten werden von den einheimischen Kosmopoliten als unproblematisch empfunden, sozial schwache und gering qualifizierte Migranten hingegen kommen in den privilegierten Quartieren gar nicht erst vor. Deshalb werden sie von den Bewohnern der kulturell homogenen Milieus auch nicht als Konkurrenten um begehrte Güter wie gesellschaftliche Machtpositionen, Arbeitsplätze, günstigen Wohnraum, Sexualpartner, Sozialleistungen oder staatliche Zuwendungen wahrgenommen.

Das erklärt auch, warum sich Kosmopoliten für gewöhnlich nicht von Migranten irritieren lassen. Für Kosmopoliten in Berliner Bezirken wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, die zumeist über exklusive Lebensräume und höhere Gehälter verfügen, besitzen fremdenfeindliche Anwandlungen schlicht keine lebensweltliche Grundlage. Migranten – sofern sie nicht auch zur gehobenen Mittelschicht gehören – kommen in dieser Welt zumeist als „Diener“,[36] das heißt als Wachschützer, Verkäuferin, Paketfahrer, Kellnerin oder Hilfsarbeiter vor – oder eben in der Rolle hilfsbedürftiger „Flüchtlinge“. Als Angehörige eines neuen Dienstleistungsproletaria[37] haben Migranten zwar ihren Arbeits-, aber eben nicht ihren Lebensmittelpunkt in den Vierteln der kosmopolitischen Mittelschicht. Sollten Zuwanderer dennoch einmal Anlass zu Irritationen geben, etwa weil Migrantenkinder mit Sprachschwierigkeiten aus dem globalen Süden oder aus „Gastarbeiterfamilien“ in die gleiche Schule gehen wie der hoffnungsvolle Nachwuchs der gebildeten Besserverdiener, reagieren die betroffenen Eltern nicht selten mit der stillschweigenden Wiederherstellung der räumlichen Trennung, indem sie ihre Kinder von den betreffenden Einrichtungen abmelden und sie in exklusive oder gleich in private Schulen schicken.[38] Für zukünftige Familien wird das vermutlich gar nicht mehr nötig sein, da die polarisierende sozial-räumliche Segregation in attraktive Wohngegenden und problematische Stadtteile mit hohen Migrantenanteilen mittel- bis langfristig ohnehin für weitgehend homogene Schülerschaften sorgen wird. Schulen in unterprivilegierten Quartieren besitzen schon heute Migrantenanteile von bis zu 80% während die Schulen in den Quartieren der akademischen Mittelschicht nahezu migrantenfrei sind.

2.      Zur Transnationalisierung von Klassenstrukturen

Worauf kann die Unterschiedlichkeit der Heimatvorstellungen in den beiden Klassenfraktionen der Mittelschicht zurückgeführt werden? Sichtbar wird, dass der Streit um die Heimat keine Marginalie darstellt, sondern im Zentrum klassenspezifischer Konflikte um Lebensformen und gesellschaftliche Deutungshoheiten steht. Die unterschiedlichen Konzepte von „Heimat“ sind, anders als zumeist geglaubt, keine bloßen Glaubensgrundsätze, sondern sind Ausdruck neuartiger Spaltungen innerhalb einer sich transnationalisierenden Gesellschaft, die sich an der Trennungslinie zwischen Globalisten und Nativisten oder Kosmopoliten und Heimatverbundenen entzündet. Sie verläuft dabei zwischen solchen Menschen, die alle Vorteile der Freizügigkeit genießen, ihrerseits problemlos überall hin migrieren können, die Nachteile der Zuwanderung in die eigene Region/Nation jedoch für gewöhnlich nicht zu spüren bekommen, und solchen Menschen, deren Existenz auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Region basiert, die über geringe oder keine Ausweichmöglichkeiten verfügen und die sich den negativen Folgen von Zuwanderung, wie etwa Lohnkonkurrenz, Integrationsproblemen oder nachlassender kultureller Homogenität und Vertrautheit ausgesetzt sehen.

Daraus resultieren neuartige Ungleichheitskonflikte, wie sie gegenwärtig prominent in den von populistischen Rechtsparteien angestoßenen beziehungsweise instrumentalisierten Konflikten um Migration und Asyl ebenso aufbrechen wie in den Debatten um die Bedeutung nationaler Souveränität und Identität:[39] Drehte sich der politische Konflikt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch um die Forderung, den produzierten Reichtum innerhalb der Nationalstaaten gerechter zu verteilen und die Ungleichheit der Chancen zwischen den sozialen Klassen zu bekämpfen, so resultiert der zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufkeimende Konflikt aus der viel grundlegenderen Frage, welche gesellschaftlichen Kollektive, welche ethnischen, religiösen oder sozialen Gruppen im politischen Raum des Nationalstaates überhaupt noch repräsentiert werden. Die Brisanz dieser Frage ergibt sich daraus, dass sich Gesellschaften bereits sehr weitgehend aus der Klammer des Nationalstaates herausgelöst, und die Welt in globale, nationale und lokale Zonen aufgeteilt haben.

Der Nationalstaat ist schon längst kein souveräner Wirtschaftsraum mehr.[40] Dazu haben einerseits die Etablierung globaler Produktions- und Lieferketten und andererseits die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien und das Internet beigetragen.[41] Die Herausbildung eines europäischen Wirtschafts- und Währungsraums hat die ökonomische Souveränität der Nationalstaaten zusätzlich geschwächt. Aber nicht nur wirtschaftliche Wertschöpfungsketten, auch politische Steuerungskonzepte haben die nationalstaatlichen Grenzen in vielerlei Hinsicht transzendiert.[42] Während die Politik des Steuerungs- und Wohlfahrtsstaates der Industriemoderne eng an den Nationalstaat gekoppelt war, ist der Bedeutungsverlust nationaler Regulierung in der postindustriellen Gesellschaft einerseits mit dem Aufschwung supranationaler Steuerungsinstanzen und andererseits mit einem Bedeutungsgewinn politischer Akteure unterhalb der nationalen Ebene verbunden. Dabei spielen die Städte, vor allem die Großstädte und Metropolregionen als Brennpunkte globaler Investitionen eine Schlüsselrolle.

Die Zugehörigkeit zu sozialen Klassen entscheidet sich nun immer häufiger an der Frage, ob soziale Schicksale primär durch regionale, nationale oder transnationale Vergesellschaftungsprinzipien geprägt werden, es entstehen neue transnationale Klassen, wobei Transnationalisierung nicht immer ein Vorteil darstellt. Transnationalisierung ist auch nicht mit Migration oder Plurilokalität gleichzusetzen, da viele grenzüberschreitende Prozesse durch einzelne Nationen hindurchgreifen und somit regionale, nationale oder transnationalisierte Lagen unter dem Dach ein und desselben Nationalstaates beherbergt sind. Die hochqualifizierten und gut bezahlten Arbeitnehmer der urbanen akademischen Mittelschicht stellen gemeinsam mit den an der gesellschaftlichen Spitze angesiedelten globalen Eliten das transnationale Oben dar.[43] Sie verfügen über global einsetzbares kulturelles Kapital, transnational verwertbare Bildung und anerkannte Qualifikationen und sind in dem Maße eher lose mit dem nationalen Wirtschafts- und Gesellschaftsraum verbunden wie ihre transnationale Verflechtung in den globalen Metropolen zunimmt. Über ihre soziale Lage wird immer weniger allein im eigenen Land entschieden. Eine Unternehmensberaterin in Frankfurt am Main, ein Investmentbanker in London oder eine Architektin in Taiwan bewohnen einen gemeinsamen Verkehrs- und Transaktionsraum, selbst wenn sie sich nie persönlich begegnet sind und stets innerhalb ihrer Länder verbleiben. Häufig teilen die transnationalen Experten, die sich vorrangig in den Beratungs-, Finanz- und Kulturindustrien finden, nicht nur eine gemeinsame professionelle Identität, sondern eben auch einen gemeinsamen kosmopolitischen Lebensstil, der aus dem Leben in globalen Metropolen resultiert.[44] Die Global Cities stellen gewissermaßen kosmopolitische Enklaven dar, die in allen Ländern der Welt ähnliche Infrastrukturen und Konsumkulturen aufweisen. Zudem sind die unterschiedlichen Territorien durch ökonomische Austauschbeziehungen und durch das Internet miteinander verbunden. Dadurch werden sich ihre Lebensbedingungen zukünftig noch stärker international angleichen. Das Zugehörigkeitsgefühl der kosmopolitischen Mittelschicht zur eigenen Nation dürfte sich dabei in demselben Maße lockern, wie ihre transnationale Verflechtung innerhalb der Global Cities zunimmt. Auch der neue Urbanismus hat sich zunehmend transnationalisiert. Wer sich in die Metropolen anderer Länder, etwa nach Shanghai, Bangkok oder London begibt, findet überall eine vergleichbare urbane Geografie von In-Vierteln, gentrifizierten Stadtteilen, Museen, Theatern und Kulturdenkmälern.

Wie gesagt: Transnationalisierung ist nicht mit Migration gleichzusetzen. Auch ,sesshafte‘ Künstler, IT-Fachkräfte, Wissenschaftlerinnen, Architekten, Sportlerinnen oder politische Bewegungen bewegen sich auf transnationalen Märkten der Kulturgüter- und Aufmerksamkeitsindustrien und sind in multiple geografische und wirtschaftliche Kontexte eingebunden.[45] Zwar lebt aktuell nur eine Minderheit tatsächlich transnational in dem Sinne, dass sie sich geografisch flexibel über Grenzen hinwegbewegt und sowohl ihre Karrieren als auch ihre Beziehungen langfristig plurilokal gestaltet. Für viele Angehörige der urbanen Mittelschicht stellt eine internationale Berufstätigkeit jedoch schon heute zumindest eine Option dar. Weltläufigkeit ist zu einem Aspekt sozialer Lagen geworden, der die Identifikation mit dem Nationalstaat schwächt. Das zeigt sich nicht zuletzt an dem enormen Stellenwert, den die gehobene Mittelschicht internationalen Bildungsangeboten zuschreibt.[46] Das frühe Erlernen wichtiger Sprachen (in Deutschland nach wie vor Englisch, in den USA inzwischen Chinesisch), längere Auslandsaufenthalte während der Schul- oder Studienzeit sowie internationalisierte Bildungsabschlüsse dienen als Distinktionsmerkmale, in die Jahr für Jahr erhebliche Summen investiert werden.[47]

Entsprechende Wanderungsbewegungen sind kein Privileg der reichen Länder der Nordhalbkugel, sondern auch in den Ober- und Mittelschichten ärmerer Länder schon länger etabliert.[48] Ohnehin orientieren sich die Bildungssysteme in vielen Ländern des Globalen Südens an den Strukturen des kolonialen Mutterlandes und bieten so von vornherein eine mehrsprachige und international ausgerichtete Bildung. Vor allem unter den Eliten der ärmeren Länder hat eine transnationale Ausrichtung als Aufstiegsschneise eine lange Tradition. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Transnationalisierungsprozesse die sozial-räumliche Autonomie privilegierter Schichten erhöhen und die Bindungen an den Nationalstaat lockern. Den transnationalen Akteuren steht es frei, sich dort niederzulassen, wo sie die besten Arbeits- und Lebensbedingungen vorfinden. Folglich sind sie schwerer dazu zu motivieren, sich an der Produktion von Kollektivgütern innerhalb ihrer Nation zu beteiligen, etwa das politische und soziale Leben zu verbessern und allgemeine Wohlfahrtsinstitutionen herauszubilden. Ihr Leben spielt sich zumeist in städtischen Arealen ab, die an sich schon transnationale Räume darstellen und in denen sie dank privat finanzierter Bildungs- und Freizeiteinrichtungen und sozial homogener Stadtviertel zumeist unter sich bleiben. Die transnationalen Experten bewegen sich nicht länger in nationalen Wirtschafts- und Wohlfahrträumen, weshalb ihre Identifikation mit dem Nationalstaat und seinen Einrichtungen geschwächt wird.[49]

Auf der anderen Seite entsteht ebenfalls eine transnationale Klasse, ein ,transnationales Unten‘. Hier finden sich Geringverdiener aus unterschiedlichen Weltregionen, gering- und de-qualifizierte einheimische Arbeitnehmer und Migranten aus Entwicklungs- und Schwellenländern als modernes transnationales Dienstleistungsproletariat wieder. Für die einheimischen Arbeitnehmer in den Ländern des Globalen Nordens entstehen daraus teilweise gravierende Nachteile, weil ihre Löhne an die niedrigeren internationalen Maßstäbe angeglichen werden.[50] Für sie funktioniert die ,soziale Rolltreppe‘ in die Mittelschicht nun nicht mehr, da sie als Arbeitnehmer innerhalb eines transnationalen Wirtschaftsraums faktisch nicht mehr unter dem Dach ihrer heimischen Volkswirtschaft angesiedelt sind, selbst wenn sie als Staatsbürger weiterhin über alle politischen Rechte verfügen. Die Herausbildung des ,transnationalen Unten‘ wird durch zwei komplementäre Prozesse vorangetrieben: Einerseits werden geringqualifizierte Arbeitsplätze aus der Produktion in sogenannte Niedriglohnländer ausgelagert, wodurch Unternehmen ein Drohpotenzial in der Hand haben. Andererseits wandern Arbeitsmigranten aus ärmeren Ländern in Hochlohnländer ein und bieten die gleiche Arbeit günstiger an. Die polnische Altenpflegerin, der Wachschützer aus Sri Lanka oder die Haushaltshilfe aus Mexiko machen den einheimischen Arbeitnehmern Konkurrenz und setzen dabei nicht zuletzt die Gruppe der Geringqualifizierten verstärkt unter Druck.

Zwischen dem ,transnationalen Oben‘ aus Eliten und oberer Mittelschicht und dem ,transnationalen Unten‘ befindet sich nun die in den nationalen Wirtschafts- und Wohlfahrtsraum eingebundene untere Mittelschicht, deren Wohlstandsniveau vorläufig noch weitgehend von innerstaatlichen und nationalen Institutionen geprägt wird und für die die Staatsangehörigkeit in einem reichen nationalen Wohlfahrtsstaat ein erhebliches Privileg darstellt. Doch dieser Teil der Mittelschicht verliert zunehmend seinen Einfluss auf die Geschicke des Landes. Über Lebenschancen und Ressourcenzuteilungen entscheiden nun immer weniger die klassischen Anwälte der Mitte, wie etwa die Gewerkschaften oder die lange Zeit etablierten Volksparteien, sondern globale Wirtschaftsverflechtungen sowie supra- oder transnationale Einrichtungen. Es zeichnet sich somit immer deutlicher eine zentrale Spaltungsachse innerhalb der Mittelschicht ab: Die akademisch ausgebildete urbane Mittelschicht entwickelt sich zunehmend zu einer transnationalen Oberschicht, während die in den Regionen und Kleinstädten angesiedelt mittlere und untere Mittelschicht noch im nationalen Wirtschafts- und Wohlfahrtsraum angesiedelt ist und ein Interesse an dessen Stärkung, notfalls auch durch Abkopplung von der Globalisierung, hat. Heimat erscheint nicht wenigen von ihnen unter diesen Vorzeichen als etwas, das verteidigt werden muss – zur Not mit Klauen und Zähnen.

  1. Christian Schüle, Heimat. Ein Phantomschmerz, München 2017.
  2. Vgl. u.a. Juli Zeh, Unterleuten, München 2016; Thomas Wolfe (1978), Schau heimwärts, Engel!, Hamburg 2016.
  3. Didier Eribon, Rückkehr nach Reims, übers. v. Tobias Haberkorn, Berlin 2016.
  4. Siehe dazu etwa das Sonderheft aus der Reihe Spiegel Wissen zum Thema „Heimat“ (6/2016).
  5. Vgl. Anthony Giddens, Die Konstitution von Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung, m. e. Einf. v. Hans Joas, übers. v. Wolf-Hagen Krauth u. Wilfried Spohn, Frankfurt am Main / New York 1988.
  6. Nane Retzlaff / Gunter Weidenhaus, Heimat in der Fremde, in: Berliner Republik. Das Debattenmagazin 5 (2015), S.32–34; Patrick Gensing, Immer nur Vergangenheit. Einspruch: Die Debatte, wie der altdeutsche Begriff Heimat progressiv besetzt werden kann, löst kein einziges Problem, in: Berliner Republik. Das Debattenmagazin, 5 (2015), S. 38–40.
  7. Zitiert nach Gensing, Immer nur Vergangenheit, S. 40.
  8. Vgl. Katherine J. Cramer, The Politics of Resentment. Rural Consciousness in Wisconsin and the Rise of Scott Walker. Chicago, IL 2016.
  9. Schüle, Heimat, S. 111.
  10. Retzlaff / Weidenhaus, Heimat in der Fremde, S. 33.
  11. Auch Familie, Geschlecht, Aktienmärkte und Berufe sind bekanntlich soziale Konstruktionen. Abschaffen kann man sie deshalb noch lange nicht, denn sie stehen als „gesellschaftliche Tatsachen“ (Durkheim) außerhalb der individuellen Verfügbarkeit. Kosmopoliten unterschätzen die Mächtigkeit des Sozialen. Tatsächlich verliert man wesentliche Teile von sich, wenn man in ein anderes Land auswandert. Zunächst verliert man die eigene Sprache, dann die Identität: als Bürgerin oder als Tochter oder Sohn, als Angehörige einer ethnischen Gruppierung, als Eingeborene. Nach und nach jedoch kann dann der Verlust zur Bereicherung führen: Man lernt eine neue Sprache, nimmt eine neue Identität an und gewinnt eine neue Heimat – im Idealfall.
  12. Bei der Unterscheidung zwischen den beiden Heimatmodellen handelt es sich um eine idealtypische Zuspitzung. Wie ich weiter unten noch näher ausführen werde, sind die realen Lebenswirklichkeiten der jeweiligen Trägergruppen keineswegs so eindeutig voneinander geschieden, als hier bisweilen propagiert. Regional-heimatliche Bindungen oder ethno-nationale Zugehörigkeiten sind auch für Angehörige der urbanen kosmopolitischen Mittelschichten relevant; umgekehrt nehmen auch die Befürworter des Heimat-als-Schicksal-Modells ihre jeweiligen Milieus mitunter als ambivalent wahr und betrachten sie keineswegs als „heile Welten“.
  13. Siehe Cornelia Koppetsch / Günter Burkart, Die Illusion der Emanzipation. Zur Wirksamkeit latenter Geschlechtsnormen im Milieuvergleich, Konstanz 1999.
  14. Richard Florida, The Rise of the Creative Class, New York 2002.
  15. Vgl. dazu u.a. Sven Reichhardt, Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren, Frankfurt am Main 2014; Martina Löw / Helmuth Berking (Hg.), Die Eigenlogik der Städte – Neue Wege für die Stadtforschung, Frankfurt am Main / New York 2008.
  16. Kenneth J. Gergen, Das übersättigte Selbst. Identitätsprobleme im heutigen Leben, übers. v. Frauke May, Heidelberg 1996, S. 21ff.
  17. Andreas Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin 2017, S. 298ff.
  18. Olaf Groh-Samberg / Steffen Mau / Uwe Schimank, Investieren in den Status: Der voraussetzungsvolle Lebensführungsmodus der Mittelschichten, in: Leviathan 42 (2014), 2, S. 219–247.
  19. David Brooks, Die Bobos. Der Lebensstil der neuen Elite, übers. v. Martin Baltes, München 2001, S. 57.
  20. Richard A. Peterson / Roger M. Kern, Changing Highbrow Taste. From Snob to Omnivore, in: American Sociological Review 61 (1996), 5, S. 900–907.
  21. Vgl. Florida 2002, S. 8ff.
  22. Renate Köcher, Produzieren wir eine Schicht sozialer Verlierer? Allensbach-Umfrage für die FAZ.; Paul Nolte / Dagmar Hilpert, Wandel und Selbstbehauptung. Die gesellschaftliche Mitte in historischer Perspektive, in: Herbert-Quandt-Stiftung (Hg.): Zwischen Erosion und Erneuerung. Die gesellschaftliche Mitte in Deutschland. Ein Lagebericht, Frankfurt am Main 2007 S. 11–101.
  23. Vgl. Eilzabeth Currid-Halkett, The Sum of Small Things. A Theory of the Aspirational Class, Princeton, NJ 2017.
  24. So auch Brooks 2001.
  25. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Mobilisierung sozialer Milieus bei der Bundestagswahl 2017 hat die hier dargestellte Kluft zwischen den Gruppen der alten und der neuen Mittelschicht anhand von Wählerpräferenzen entlang der Sinusmilieus herausgearbeitet (vgl. Robert Vehrkamp / Klaudia Wegschaider, Populäre Wahlen. Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017, Gütersloh 2017, S. 29ff). Die Konfliktlinie zwischen alter und neuer Mittelschicht hat demnach die herkömmliche Links-Rechts-Unterscheidung weitgehend abgelöst und verläuft als diagonaler Riss durch die Gesellschaft. Dabei überlagern sich sozio-ökonomische und kulturelle Wertedimensionen entlang der Grundorientierungen von Traditionalisierung vs. Modernisierung/Individualisierung. Auf der linken Seite der Diagonale befinden sich tendenziell die ärmeren sowie die traditionellen Milieus der Modernisierungsskeptiker. Auf der rechten Seite der Diagonale finden sich tendenziell die gehobenen Milieus und die Milieus der Modernisierungsbefürworter. Zu den Mittelschichts-Milieus der Modernisierungsskeptiker gehören die Traditionellen, die bürgerliche Mitte und eine Hälfte der Konservativ-Etablierten. Zu den Mittelschichts-Milieus Modernisierungsbefürwortern zählen die Milieus der Liberal-Intellektuellen, die Sozialökologischen, die Performer, die Adaptiv-Pragmatischen, die Expeditiven und die andere Hälfte der Konservativ-Etablierten. Siehe dazu die folgende Grafik der SINUS-Milieustudie 2017.
  26. Siehe dazu die einschlägige Studie von Luc Boltanski / Eve Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, übers. v. Michael Tillmann, Konstanz 2003 und Florida 2002 S. 44f.
  27. Vgl. Arlie Russell Hochschild, Keine Zeit. Wenn die Firma zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet, übers. v. Hella Beister, Opladen 2002.
  28. Walter Prigge (Hg.), Peripherie ist überall, Frankfurt am Main / New York 1998, S. 79.
  29. Siehe dazu die Ausführungen bei Reichhardt 2014.
  30. Vgl. Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt am Main 1965.
  31. Ausführlich dazu Löw / Berking 2008.
  32. Siehe Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, übers. v. Bernd Schwibs u. Achim Russer, Frankfurt am Main 1982.
  33. Marc Augé, Nicht-Orte, übers. v. Michael Bischoff, München 2010.
  34. Zur Unterscheidung von „space“ und „place“ vgl. Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt am Main 2001.
  35. Cornelia Koppetsch, Die Wiederkehr der Konformität. Streifzüge durch die verunsicherte Mitte, Frankfurt am Main / New York 2013, S. 93ff.
  36. Vgl. Christoph Bartmann, Die Rückkehr der Diener. Das neue Bürgertum und sein Personal, München 2016.
  37. Siehe Philipp Staab, Macht und Herrschaft in der Servicewelt, Hamburg 2014.
  38. Vgl. Heinz Bude, Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet, Hamburg 2013.
  39. Dazu u.a. Arjun Appadurai, Die Geographie des Zorns, übers. v. Bettina Engels, Frankfurt am Main 2009; Ivan Krastev, Europadämmerung. Ein Essay, übers. v. Michael Bischoff, Berlin 2017.
  40. Vgl. u.a. Robert B. Reich, Die neue Weltwirtschaft. Das Ende der nationalen Ökonomie, übers. v. Hans-Ullrich Seebohm, Frankfurt am Main / Berlin 1993.
  41. Die alten Produktionssysteme des Konzernkapitalismus wurden in Einzelteile zerlegt und rund um den Erdball neu aufgebaut, wo immer sich Produkte am besten oder am billigsten fertigen lassen. Eine globale Kultur- und Wissensindustrie hat zur Erweiterung von Absatzmärkten für Kulturgüter beigetragen. Eine weltweite Konkurrenz um einerseits die billigsten und andererseits die fähigsten Arbeitskräfte ist entfacht worden.
  42. Von den 1940er- bis in die 1970er-Jahre galt der Nationalstaat als der Ort des gesellschaftlichen Allgemeinen und wurde als zentrale gesellschaftliche Planungs- und Steuerungsinstanz modelliert. Paradigmatisch für diese Politik war eine Form korporatistisch-sozialdemokratischer Regulierung, die eine kulturell vergleichsweise homogene, nationale Gesellschaft gleichermaßen voraussetzte wie förderte.
  43. Vgl. Leslie Sklair, The Transnational Capitalist Class, Oxford u.a. 2001.
  44. Saskia Sassen, Metropolen des Weltmarkts. Die neue Rolle der Global Cities, übers. v. Bodo Schulze, Frankfurt am Main / New York 1996.
  45. Anja Weiß, Soziologie globaler Ungleichheiten, Berlin 2017, S. 167.
  46. Ebd., S. 95.
  47. Jürgen Gerhards / Silke Hans / Sören Carlson, Klassenlagen und transnationales Humankapital. Wie Eltern der mittleren und oberen Klassen ihre Kinder auf die Globalisierung vorbereiten, Wiesbaden 2016.
  48. Weiß, Soziologie globaler Ungleichheiten, S. 95ff.
  49. Dazu u.a. schon Ralf Dahrendorf, Die globale Klasse und die neue Ungleichheit, in: Merkur 54 (2000), 11, S. 1057–1068; Richard Münch, Das Regime des liberalen Kapitalismus: Inklusion und Exklusion im neuen Wohlfahrtsstaat, Frankfurt am Main / New York.
  50. Siehe Martin Werding / Marianne Müller, Globalisierung und gesellschaftliche Mitte. Beobachtungen aus ökonomischer Sicht, in: Herbert-Quandt-Stiftung (Hg.), Zwischen Erosion und Erneuerung. Die gesellschaftliche Mitte in Deutschland. Ein Lagebericht, Frankfurt am Main, S. 103–161. Hier findet aktuell ein internationaler Unterbietungswettbewerb um die niedrigsten Löhne und die geringsten Arbeitnehmerrechte statt. Besiegelt wird der kollektive Ausschluss der Geringverdiener aus den Mittelschicht-Milieus durch die „Krise des Wohlfahrtsstaates“, der ihre Einkommens- und Statusverluste beziehungsweise ihr „Überflüssigwerden“ nicht mehr auffängt.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Karsten Malowitz.

Kategorien: Soziale Ungleichheit Kultur Globalisierung / Weltgesellschaft Gesellschaft

Cornelia Koppetsch

Dr. Cornelia Koppetsch ist Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Gegenwartsdiagnosen; Biografie und Lebensführung;  Geschlechterverhältnisse, Familie und soziale Ungleichheiten.

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