Heike Trappe | Rezension |

Leistungsberechtigung als Privileg

Rezension zu „Elternschaft im Kapitalismus. Staatliche Einflussfaktoren auf die Arbeitsteilung junger Eltern“ von Lisa Yashodhara Haller

Lisa Yashodhara Haller:
Elternschaft im Kapitalismus. Staatliche Einflussfaktoren auf die Arbeitsteilung junger Eltern
Deutschland
Frankfurt am Main 2018: Campus
250 S., EUR 39,95
ISBN 9783593507774

Die schon 2015 von Lisa Yashodhara Haller an der Universität Kassel abgeschlossene Dissertation zu den Deutungsmustern der nach der Familiengründung praktizierten Arbeitsteilung liegt nun in überarbeiteter Form als Buch vor. Es reiht sich in eine große Zahl überwiegend soziologischer Publikationen ein, die die weitgehende Persistenz einer stark geschlechtsspezifisch geprägten innerfamilialen Arbeitsteilung konstatieren und deren Bedingungsfaktoren untersuchen. In international vergleichenden Studien steht das Zusammenspiel von Familie, bezahlter und unbezahlter Arbeit sowie von Geschlecht und Sozialpolitik im Zentrum des Interesses. Deutschland wird in diesem Kontext üblicherweise als konservativer Wohlfahrtsstaat charakterisiert, der bis zum Beginn der 2000er-Jahre sozialpolitisch überwiegend eine modernisierte Variante des Alleinverdienermodells (eine Person in Vollzeit und eine weitere maximal in Teilzeit im Gegensatz zum früheren traditionellen Alleinverdienermodell) unterstützt hat. In empirischen Untersuchungen wurde dementsprechend auch immer wieder herausgearbeitet, dass die Aufteilung von Erwerbsarbeit und häuslicher Arbeit bei heterosexuellen Paaren noch immer stark geschlechtsspezifisch geprägt ist und dass insbesondere mit der Geburt des ersten Kindes ein nachhaltiger Traditionalisierungsschub einsetzt.[1]

Nun haben sich die arbeitsmarkt- und familienpolitischen Rahmenbedingungen seit der Jahrtausendwende deutlich gewandelt. Zum einen ist hier an die im Volksmund als „Hartz-Reformen“ bezeichneten Regelungen zu denken, die unter anderem infolge der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eine geringere Bezugsdauer sowie reduzierte Ansprüche begründeten und gleichzeitig auf eine Erwerbsaktivierung der Betroffenen zielen. Zum anderen sind familienpolitische Regelungen zu nennen, die auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zielen, wie etwa der verstärkte Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung (seit 2005), die Neuausrichtung von Elterngeld und Elternzeit (seit 2007) sowie die aus der Unterhaltsreform (2008) resultierenden reduzierten Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt. Tendenziell begünstigen all diese Regelungen ein Zweiverdienermodell, sodass mancherorts sowohl eine Sozialdemokratisierung der Familienpolitik[2] wie auch insgesamt ein Paradigmenwechsel vom fürsorgenden zum aktivierenden Sozialstaat postuliert wird.[3]

Genau hier setzt die Studie von Haller an, und zwar indem sie der Frage nachgeht, welche Bedeutungen junge Eltern den staatlichen Steuerungsinstrumenten zuschreiben, die für ihre im Anschluss an die Familiengründung praktizierte Arbeitsteilung relevant sind. Dabei legt die Autorin den Fokus auf einkommensschwache Familien, weil gerade für diese ein starker Einfluss von sozial- und familienpolitischen Regelungen im Zusammenwirken mit einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik angenommen werden kann (S. 15). Methodologisch bedient sie sich eines Mehrebenenmodells der Politikfeldanalyse, das auf der Makroebene durch eine systematische Dokumentenanalyse relevanter Gesetzestexte und auf der Mikroebene durch angeleitete Paardiskussionen umgesetzt wird. Theoretisch ist die Arbeit ihrem Titel gemäß dezidiert kapitalismuskritisch, weil ihre Grundprämisse lautet, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem sowie dessen wertförmige Ausrichtung gleichstellungspolitische Auseinandersetzungen infolge von Elternschaft (S. 9) prinzipiell beschränken und ein nicht auflösbares Dilemma zwischen Kapitallogik und Sorgetätigkeit besteht. Theoretische Anleihen werden sowohl bei Marx, Adorno, dem Sozialkonstruktivismus als auch bei der interaktionstheoretisch fundierten Geschlechterforschung (Mead, Garfinkel, Goffman) genommen. Insgesamt wird nachvollziehbar begründet, wie die Vergeschlechtlichung von Tätigkeitsbereichen im Rahmen der Arbeitsteilung als personenbezogene Erfahrung auf die Subjekte zurückwirkt (S. 52). Die Autorin nimmt eine sehr detaillierte Analyse der unterhaltsrechtlichen und steuerlichen Grundlagen der Geschlechterdifferenz vor. Dabei zeigt sie auf, dass durch den Grundsatz einer Verteilung der elterlichen Unterhaltsbeiträge in Bar- und Naturalunterhalt eine komplementäre Arbeitsteilung nahegelegt wird, die paradoxerweise aus rechtlicher Perspektive als ökonomische Gleichwertigkeit von Fürsorge- und Erwerbsarbeit angesehen wird (S. 100).

Die Vermittlung von familienpolitischen Gegebenheiten und Regelungen in das Alltagswissen ihrer Zielgruppen wird als komplexer Wirkungszusammenhang verstanden. Leistungen jeglicher Art können überhaupt erst dann eine Wirkung entfalten, wenn Adressat/-innen um sie wissen, sie außerdem als sinnvoll erachten und einen Zugang dazu haben. Umso erstaunlicher ist es, dass zu diesem Problemzusammenhang existierende Veröffentlichungen kaum reflektiert wurden.[4] Die Wirkungsweise familienpolitischer Leistungen wird auf mehreren Ebenen verortet. Die von Haller vorgenommene Dokumentenanalyse familienpolitischer Gesetze, die im Untersuchungszeitraum von 2003 bis 2009 relevant waren, führt zu dem Ergebnis, dass die Handlungsspielräume für die Ausgestaltung der Arbeitsteilung entlang einer Einkommenshierarchie variieren: Während einkommensstarken Eltern durchaus eine gewisse Wahlfreiheit zugestanden wird, nimmt die Autorin für einkommensschwache Eltern aufgrund verschärfter Zumutbarkeitsregeln für Arbeitsangebote eine geringe Relevanz[5] von familienpolitischen Leistungen für die paarinterne Arbeitsteilung an. Vielmehr geht sie davon aus, dass finanzielle Restriktionen eine Erwerbsbeteiligung beider Elternteile erfordern (S. 139 f.).

Die empirische Untersuchung dieser These erfolgt mittels angeleiteter Paardiskussionen, deren Tonmaterial anschließend transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet wurde. Haller rekrutiert die Elternpaare für ihre Studie über pro familia. Um diese – in groß angelegten sozialwissenschaftlichen Surveys häufig schwer zu erreichenden und damit unterrepräsentierten – Paare dazu zu bewegen, über ihre Unterstützung durch Familien- und Sozialleistungen miteinander zu diskutieren, wird die Autorin ausgesprochen kreativ: Sie entwickelt ein Brettspiel, welches die Reflexion über die paarinterne Arbeitsteilung anregt. Die Untersuchungsgruppe besteht aus zehn heterosexuellen, miteinander verheirateten Elternpaaren aus verschiedenen Regionen Deutschlands, die alle die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Zum Zeitpunkt der Studie waren sie unter 30 Jahre alt und hatten seit der Neuausrichtung des Elterngeldes 2007 mindestens ein Kind bekommen. Darüber hinaus waren sie zum Erhalt möglichst vieler der folgenden Leistungen berechtigt: Elterngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, steuerliche Entlastungen, Kinderbetreuung, Arbeitslosengeld I und II. Dieses sehr spezifische Sample markiert gleichzeitig ein Problem der Studie, wirft es doch die Frage auf, welche Aussagekraft die Ergebnisse jenseits der Einzelfälle haben. Diese Problematik wird etwa darin deutlich, dass die im Jahr 2009 erfolgte Streichung des Elterngeldes für Bezieher/-innen von Arbeitslosengeld II dazu führte, dass davon betroffene Eltern aufgrund einer mangelnden Vergleichbarkeit ihrer Ausgangssituation aus der Analyse ausgeschlossen werden mussten (S. 143). Eine Reflexion der Untersuchungsergebnisse im Hinblick auf die Spezifik des Samples bleibt im Band leider aus.

Für die Ergebnisdarstellung wurden nach dem Kriterium der maximalen Kontrastierung der Ausgangsbedingungen für die Arbeitsteilung vier Elternpaare ausgewählt, die entsprechend ihres Einkommens als armutsgefährdet gelten. Anhand der klug eingesetzten Fallbeispiele fördert die Autorin eine Fülle interessanter Einzelergebnisse zu den Deutungen der genutzten Leistungen zutage und eröffnet interessante Einblicke in paarinterne Aushandlungsprozesse. So zeigt sie nachdrücklich, wie etwa die Fürsorge für Kinder bereits während der Schwangerschaft von beteiligten Akteuren in Jobcentern oder in Firmen an die Frauen delegiert wird. Mütter und Väter orientieren sich jeweils auf ihre Weise (bewusst oder unbewusst) an den durch Geschlechternormen vorgegebenen Strukturen. In Phasen nachhaltiger Veränderungen wird auf Vertrautes aus dem sozialen Umfeld zurückgegriffen und damit der Koordinationsaufwand verringert. Auf diese Weise wird die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zu einer populären Handlungsstrategie, um Vereinbarkeitskonflikte einzudämmen. Entgegen der ursprünglichen These Hallers sprechen Eltern den familienpolitischen Leistungen trotz ihres reduzierten Umfangs eine große Bedeutung im Hinblick auf die Verwirklichung eines männlichen Familienernährermodells zu (S. 195). Während beide Elternteile darin eine Erfüllung ihrer jeweiligen Fürsorgefunktion sehen, legitimieren Mütter ihren (zeitweiligen) Rückzug aus der Erwerbstätigkeit durch negative Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt und durch die Aneignung familienpolitischer Leistungen. Die Fallbeispiele illustrieren anschaulich, wie die Leistungsberechtigung zu einem favorisierten Status und einem umkämpften Privileg innerhalb der Partnerschaft wird. Darüber hinaus wird in den Äußerungen der Betroffenen zuweilen ein Beratungsdefizit im Dschungel der familienpolitischen Leistungen sowie der Wunsch nach einer Vereinfachung des Systems im Sinne einer Art Kindergrundsicherung deutlich. Die Autorin konstatiert mehrfach, dass die interviewten Elternpaare ausgesprochen gut über ihre Leistungsberechtigung informiert seien (S. 215, 224). In Bezug auf steuerliche Entlastungen und den Kinderzuschlag hinterlassen die Interviewpassagen jedoch einen ambivalenten Eindruck.

Insgesamt bietet Haller mit ihrer Studie eine gut lesbare und anregende Lektüre zur Deutung der innerfamilialen Arbeitsteilung von einkommensschwachen Paaren, indem sie deren eigenen Anteil an der Reproduktion von Geschlechterungleichheit unter den vorgefundenen strukturellen Bedingungen aufzeigt. Theoretisch hätte die Arbeit aus meiner Sicht von einer weniger abstrakten und stärker auf den konkreten Umbau des konservativen Wohlfahrtsstaates in Deutschland bezogenen Rahmung profitiert. Damit würde auch der Blick für die Variabilität des gegenwärtigen Kapitalismus in seinen Auswirkungen auf Geschlechterverhältnisse geweitet. Zu kurz greift meines Erachtens die Annahme, dass sich Arbeitsteilungsarrangements erst im Zuge der Familiengründung herausbilden (S. 17, 133, 150). Zweifellos ist die Familiengründung ein erheblicher Einschnitt, doch wirken auch schon zuvor bereits strukturelle Rahmenbedingungen (etwa durch das Ehegattensplitting vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Entlohnung frauen- und männerdominierter Tätigkeiten, eines häufig vorhandenen geschlechtstypischen Altersunterschieds und einer eingespielten häuslichen Arbeitsteilung), welche in die hier untersuchte Ausgangssituation eingehen. Prinzipiell wäre es sehr interessant, die in dieser Studie herausgearbeiteten Deutungsmuster mit denen von einkommensstarken Paaren oder auch von unverheirateten einkommensschwachen Paaren zu kontrastieren. Dann könnten neue Einsichten darüber gewonnen werden, ob und für wen eine gleichstellungsorientierte Familienpolitik andere soziale Ungleichheiten verstärkt.[6]

  1. A. Dechant / H. Rost / F. Schulz, Die Veränderung der Hausarbeitsteilung in Paarbeziehungen. Ein Überblick über die Längsschnittforschung und neue empirische Befunde auf Basis der pairfam-Daten, in: Zeitschrift für Familienforschung 26 (2014), 2, S. 144–168.
  2. I. Gerlach, Familienpolitik in der Bundesrepublik. Kleine Politikfeldgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 67 (2017), 30-31, S. 16–21.
  3. S. Bothfeld / P. Rosenthal, Paradigmenwechsel durch inkrementellen Wandel: Was bleibt von der Arbeitslosenversicherung? WSI-Mitteilungen 67 (2014), 3, S. 199–206.
  4. Beispielsweise G. Neyer / G. Andersson, Consequences of Family Policies on Childbearing Behavior: Effects or Artifacts?, in: Population and Development Review 34 (2008), 4, S. 699–724; K. P. Strohmeier, Familie und Familienpolitik in Europa, in: N. F. Schneider (Hg.), Lehrbuch Moderne Familiensoziologie: Theorien, Methoden, empirische Befunde, Opladen / Farmington Hills 2008, S. 237–252.
  5. Merkwürdigerweise schreibt Haller wiederholt von einem Bedeutungsverlust familienpolitischer Leistungen für die Arbeitsteilung einkommensschwacher Paare, den sie jedoch gar nicht untersuchen kann, da ihre Studie weder einen Zeit- noch einen Gruppenvergleich beinhaltet.
  6. K. Menke / U. Klammer, Mehr Geschlechtergerechtigkeit – weniger soziale Gerechtigkeit? Familienpolitische Reformprozesse in Deutschland aus intersektionaler Perspektive, in: Sozialer Fortschritt 66 (2017), 3–4, S. 213–228.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher.

Kategorien: Sozialpolitik Kapitalismus / Postkapitalismus Familie / Jugend / Alter

Heike Trappe

Heike Trappe ist Professorin für Soziologie an der Universität Rostock. Zu ihren Fachgebieten zählen Familien- und Geschlechterforschung.

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