Gisela Mackenroth | Rezension |

Authentizität Partizipation Spektakel

Elisabeth Fritz über mediale Experimente mit „echten Menschen“ in der zeitgenössischen Kunst

Elisabeth Fritz:
Authentizität Partizipation Spektakel. Mediale Experimente mit „echten Menschen“ in der zeitgenössischen Kunst
Deutschland
Köln u.a. 2014: Böhlau
336 S., EUR 49,90
ISBN 9783412221645

Die Frage nach der gesellschaftlichen Einbindung und Abgrenzung von Kunst stellt sich einerseits empirisch vor dem Hintergrund von Ästhetisierungen des Alltags[1], andererseits kann sie auch theoretisch formuliert werden. Der Sozialphilosoph Jacques Rancière[2] etwa erklärt das Ästhetische zu einer Strukturkategorie des Politischen und, damit verbunden, von sozialem Handeln und Subjektivierungsprozessen. Daran anknüpfend lässt sich in beiden Fällen die Möglichkeit einer Kritik mithilfe der Kunst diskutieren, z.B. im Anschluss an Theodor W. Adorno oder Walter Benjamin, was zuweilen mit der Frage nach ihrer Tauglichkeit als sozialkritisches Medium zusammenhängt. Lassen sich Vereinnahmungen durch andere Bereiche der Gesellschaft beobachten, oder ist die Kunst mit kritischem Potenzial in soziale Zusammenhänge involviert?

Diesen Zusammenhang diskutiert die Studie Authentizität Partizipation Spektakel. Mediale Experimente mit „Echten Menschen“ in der zeitgenössischen Kunst, in der sich Elisabeth Fritz mit dem Feld medial strukturierter Partizipationskunst befasst. Die Kunsthistorikerin und Soziologin untersucht, inwiefern eine eigenständige politische Haltung der Kunst vor dem Hintergrund populärkultureller Formate noch möglich ist. Vor allem konzentriert sich Fritz auf filmische Strategien des Reality-TV (11ff.), das verschiedene Fernsehformate, wie die Versteckte Kamera oder An American Family, als ‚Vorläufer‘ von Sendungen wie Big Brother, sowie Casting-Shows beinhaltet. Für die Kunst ergibt sich daraus das Problem, so argumentiert Fritz, dass die Populärkultur sich ästhetische Strategien der Kunst zu Eigen mache, mit anderer politischer Intention und gesellschaftlicher Folge. Konkret zeigt Fritz nun, wie die Kunst sich in dieser Krise der Vereinnahmung um eine neue Positionierung bemüht. Darüber hinaus setzt sich die Arbeit mit dem „Spektakel“ im Sinne Guy Debords auseinander und stellt eine methodisch interessante interdisziplinäre Verbindung von Soziologie und Kunstgeschichte dar: In ihrer Untersuchung verdeutlicht Fritz, dass sich die ästhetischen Verschiebungen im Feld partizipativer Kunst nur angesichts der gleichzeitigen Verschiebung der darin impliziten oder expliziten Begriffe von Sozialität verstehen lassen. Zudem weist sie nach, dass der Nachvollzug dieser Verschiebung auf eine ästhetische Analyse angewiesen ist.

Die „medialen Experimente mit ‚echten Menschen‘“ fasst Fritz als soziale Situationen, indem sie die darin zum Ausdruck kommenden Vorstellungen von „Gemeinschaft“ und „Identität“ herausarbeitet. Darüber hinaus zeigt sie Verflechtungen von Kunst und Populärkultur mit wissenschaftlichen, insbesondere psychologischen und sozialwissenschaftlichen Theorien und populärkulturellen Entwicklungen auf. Eine Verknüpfung von soziologischen mit ästhetischen Kategorien erkennt sie vor allem im Authentizitätsanspruch, der „medialen Experimenten mit ‚echten Menschen‘“ innewohnt. Diesen Anspruch versteht sie als Streben nach einer kontextuell gebundenen, dynamischen Zuschreibung von „Echtheit“, die entweder in Bezug zu „Normalität“ bzw. „Abweichung“ oder aber im Spannungsfeld zwischen „Authentizitätsbehauptung und einer „Beglaubigungsinstanz“ zu verorten sei. (19)

Methodisch unterscheidet Fritz folgende Authentizitätszuschreibungen und -reflexionen innerhalb der in den Blick genommenen Situationen und gliedert anhand dieser Unterscheidung ihre Untersuchung: Erstens den Status der gezeigten Personen als ‚echte Menschen‘ bzw. „nonactors“ (Kapitel I), zweitens das Setting der ‚experimentellen Anordnung‘ („nonscripted“, Kapitel II), drittens die „Echtheit“ der durch mediale Techniken, spezifisch durch Kameraführung hervorgerufenen Handlungen („nonfiction“, Kapitel III), viertens die Rezeptionserfahrung („spectacular reality“, Kapitel IV). Anhand dieser Dimensionen arbeitet Fritz Entwicklungslinien in zeitgenössischer Kunst heraus, die mediale Techniken einbezieht, und setzt Erstere ins Verhältnis zu Entwicklungen anderer gesellschaftlicher Teilbereiche, um die genannten Dimensionen in einem sozialgeschichtlichen Kontext zu verorten. In dieser Anordnung können Authentizitätsdimensionen auch als Resultat einer Neupositionierung der Kunst gelesen werden, welche in der Form des Spektakels mündet, die aktiv die ästhetische Nähe zu populärkulturellen Äquivalenten sucht. Dabei setzt sie jedoch, wie Fritz zeigt, den Zuschauer einer emotional ambivalenten Rezeptionssituation aus.

Die eingangs erwähnte Verknüpfung von ästhetischen und sozialwissenschaftlichen Theorien formuliert Fritz methodisch für ihre Untersuchung mittels des von ihr gewählten Medienbegriffs: Dieser ist „einerseits [...] in Bezug auf die technischen Mittel der massenmedialen Reproduktion und Distribution durch Fotografie, Film, Video und Fernsehen zu verstehen. Andererseits bezeichnet er aber auch Zeichensysteme und Instrumente gesellschaftlicher Kommunikation im Allgemeinen. Medialität schließt also auch Prozesse der Verkörperung, Materialisierung und der Präsenz ein.“ (16) Fritz knüpft damit an Michel Foucaults Begriff des Dispositivs an, mit dem Medien als ein „Zusammenspiel von Wissensordnungen, gesellschaftlichen Normen, Handlungspraktiken und Subjektivierungsformen“ aufgefasst werden können. (17)

Die von Fritz in den Blick genommenen medialen Experimente, verstanden als Prozesse des „Sichtbarmachens“ von Realität und Subjektivität, machen beides beobachtbar: „das Ereignis selbst“ und das „Verfahren der Vermittlung“ (16). Sie sind (künstlerisch) intendierte Anordnungen, aber auch von sozialen Strukturierungen geprägt. Mit dieser Herangehensweise hält Fritz für die Soziologie interessante Interaktionen zwischen Kunst, Wissenschaft und Populärkultur fest. Diese sollen im Folgenden mit dem Fokus auf die darin enthaltenen Bezüge zu soziologischen Kategorien – der Identität in ihrer gesellschaftlichen Konstitution, dem Wissen und der Kritik – zusammengefasst werden.

Objektivierung I – Das Problem der Objektivierung von Identität

Elisabeth Fritz zeigt, dass sich künstlerische Darstellungen von Menschen immer mit deren Sozialität auseinandersetzen, z.B. mit der Wahrnehmung bestimmter Gruppen als „Opfer“, woran sich das Problem festmacht, ob man zum Objekt gemachte Partizipierende in Kunst und Popkultur zur Schau stellen kann und soll. (66f.) Fritz stellt verschiedene Techniken des Umgangs mit solchen Problemen vor, die sich allesamt kritisch zur vermeintlichen Authentizität des Gezeigten positionieren. Mittels fiktionaler Elemente, der Verwendung von Masken u. a., würden verschiedene Dimensionen von Rollenzuweisungen vielmehr dekonstruiert und neu reflektiert. Eine weitere Technik besteht darin, einerseits eine freiwillige Selbstdarstellung der „Subjekte“ anzuregen, andererseits deren konstitutive Unvollständigkeit zu verdeutlichen. Im Beispiel der Masken bestünde Letztere darin, dass dem Publikum das Gesicht zum Narrativ im Hier und Jetzt der Aufzeichnung vorenthalten wird. (40) Andere künstlerische Strategien umfassen die Isolation der Beteiligten bzw. Abgebildeten von einem größeren Zusammenhang (z.B. in den Fotografien und Videoaufnahmen von Rineke Dijkstra (70f.) oder den expliziten Bezug auf populärkulturelle Formate. Bei dem US-amerikanisch-israelischen Künstler Omer Fast etwa werden Narrative auf ihr populärkulturelles Spannungspotenzial hin geprüft. (248) In diesen Strategien wird jeweils ein unterschiedlich reflexiver bzw. kritischer Bezug darauf erkennbar, wie der / die Künstler*in soziale Vorstrukturierungen der künstlerischen Darstellung ausmacht.

Wissensgenerierung in experimentellen Situationen

Eine besonders ambivalente Beziehung von Wissenschaft, Kunst und Populärkultur findet Fritz in Fällen, in denen ein „künstlerisches Experiment“ durch die „Schaffung von […] künstlichen Umgebungen zur Hervorbringung und Beobachtung von menschlichen Handlungen und Erfahrungen“ teilweise den Charakter eines „sozialen Experiments“ annimmt. (84) In ihm treffen somit wissenschaftlich kontrollierte und spielerisch offene Elemente aufeinander – u.a. wenn in einem theatralen Moment Rollen verteilt werden. Als Paradigma und spezifische Technik wissenschaftlicher Erfahrung wie auch als künstlerische Strategie lässt sich das Experiment durch seinen paradoxalen Anspruch auf „reine Objektivität“ bei gleichzeitiger „situationaler Kontingenz“ (89) beschreiben, weshalb sich darin „intellektuelle, sinnliche und emotionale Komponenten“ der Wissensgenerierung miteinander verbinden. (ebd.)

Wie diese Dimensionen der Wissensgenerierung zusammenspielen, verdeutlicht Fritz auch am Beispiel der „Funk Lessons. A Collaborative Experiment in Cross Cultural Transfusion“ der Künstlerin Adrian Piper: Mit der erkenntnistheoretischen These „Listening by Dancing“ hat Piper u. a. an Universitäten analytisch-intellektuelle Vorträge über Funkmusik und den entsprechenden Tanzstil gehalten. Sodann lud sie dazu ein, über den Weg sinnlich-körperlicher Erfahrung den im „weißen“ Kontext als fremd empfundenen Tanzstil zu erlernen. (100ff.) Das Experiment, so Fritz, lädt zur Selbsterfahrung ein, die im Prozess der Wissensgenerierung dazu beitragen soll, „die soziale Identität der beteiligten Personen neu zu strukturieren“. (ebd.)

Objektivierung II – Authentizitätskonstruktionen als performativer medialer Prozess

Bei populärkulturellen Formaten im Fernsehen lasse sich dagegen eine Verschiebung des partizipativen Moments hin zum Live-Publikum bzw. den Fernsehzuschauern feststellen, sodass die Bedeutung direkt ins Geschehen eingebundener Akteure schwinde. (165ff.) Von einer emanzipatorischen Intention im Interesse der involvierten Teilnehmer könne somit weniger die Rede sein. (86) Zudem seien die angesprochenen Formate des Reality-TV von einer Selbstreflexivität des medialen Einsatzes und des experimentellen Arrangements geprägt, die als zusätzliche Authentizität durch die Produzenten umgedeutet werde. In der „medialen Produktionsform“ werde, so Fritz, „[…] das Schwanken zwischen Künstlichkeit und Inszenierung [...] permanent thematisiert und für die Zuschauerinnen und Zuschauer zur Disposition gestellt […].“ (207)

Längst findet auch eine kritische künstlerische Auseinandersetzung mit dieser populärkulturellen Tendenz statt. Entsprechend diskutiert Elisabeth Fritz Experimente mit dem Authentizitäts- und Realitätsversprechen einer performativen Kamera, wie sie z.B. Andy Warhol in Screen Tests (1964–1966) und Outer and Inner Space (1966) durchgeführt hat. In Outer and Inner Space filmt Warhol die Protagonisten dabei, wie sie eine Aufnahme von sich (also ihrem medialen Selbst) beobachten. (184) Wie sich die Rezipienten einbinden lassen, veranschaulichen wiederum die Filme Sleep (1963) und Eat (1964), in denen Warhol die Zuschauer zu einer stundenlangen, unkommentierten Beobachtung Essender und Schlafender einlädt. Indem er sie auf das „Ereignis der Wahrnehmung im Kino als ‚echte‘ Situation zurückwirft provoziert er deren Irritation. (187) Fritz führt aus, dass Warhol (wie übrigens auch andere Künstler*innen) mit dieser „observatorisch-performativen“ medialen Strategie des Films ein „mediales Subjekt“ hervorbringt: „Authentische Subjektivität wird bei Warhol nicht als medientreue Selbstpräsenz im Sinne eines primären Kerns im Gegensatz zur Verstellung und Künstlichkeit, die erst später dazukommen, verstanden. Das Subjekt kann in seiner konstitutiven Medialität überhaupt erst ‚livehaft‘ bzw. leibhaftig präsent werden, unter dem Blick des Anderen sich selbst gestalten und als ein solches medial vermitteltes Wesen reflektieren.“ (191)

Das kritische Spektakel als Gegenstrategie

Ihre oben dargestellten Analysen zum Verhältnis der Kunst zu Populärkultur und Wissenschaft integriert Elisabeth Fritz im Begriff des „Spektakels“. Damit geht sie schließlich auf eine für die Positionierung der Kunst nun entscheidende Frage ein, wodurch sich „mediale Experimente mit ‚echten Menschen‘“ von zur Selbstreflexion einladenden populärkulturellen Äquivalenten eigentlich unterscheiden. Fritz schlägt den Begriff des „kritischen Spektakels“ vor und veranschaulicht dessen Tragweite anhand von Kunstprojekten, die explizit Bezug zu populärkulturellen „Experimenten mit ‚echten Menschen‘“ suchen. Als Beispiele nennt sie Christoph Schlingensiefs Doku-Soap Freakstars 3000 oder das Videointerview The Casting von Omer Fast.

Fritz zufolge erzeugt das kritische Spektakel eine spezifische Rezeptionssituation, die durch ambivalente Affekte gestaltet und durch eine spezifische mediale Erfahrung „von ‚Echtheit’, durch Künstlichkeit und Medialität bzw. von Wissen durch Unterhaltung und Affekt“ hervorgerufen wird. (265) Damit muss die Autorin über Debords Spektakelbegriff hinausgehen, der lediglich affektive, zerstreuende, vereinzelnde und unkritische Situationen beschreibt. Mit Bezug auf Jean-Luc Nancy und Jaques Rancière definiert sie also zwei Situationen der Gemeinschaftlichkeit neu, wobei sie das Publikum als Kollektiv versteht. Sie erklärt erstens mit Nancy, dass es „einen genuinen Zusammenhang von Spektakularität und Partizipation im Sinne einer grundsätzlichen Bestimmung von Soziabilität als eine Konstellation der gegenseitigen Zurschaustellung“ (265) bzw. ein „gegenseitiges Sich-Aufführen“ gebe. Zweitens argumentiert sie mit Rancière, die Zuschauer hätten die Möglichkeit, durch „kritisch-distanzierte Betrachtung ohne endgültige inhaltliche Bestimmung“ daran teilzuhaben (265), statt in der kulturellen Praxis ständig belehrt zu werden. Der Typus des kritischen Spektakels nehme aus strategischen Gründen eine „Unernsthaftigkeit“ (266) in Bezug auf die Möglichkeit der Dokumentation von Authentizität und Partizipation in Kauf. Sein kritischer Charakter geht somit auf die Spannung zwischen Unterhaltung und ambivalenter Zuschauerposition zurück.

Als Ergebnis ihrer Analysen innerhalb der oben genannten vier Authentizitätsdimensionen formuliert Fritz schließlich fünf Strategien einer Positionierung der partizipativen Kunst in Bezug auf Authentizität, Partizipation und Spektakel. Erstens würden fiktionale Elemente angesichts eines „Zwangs zur Authentizität“ Spielräume eröffnen, in denen die Gezeigten „sich selbst aufführen“ und gegen „eine künstlerische Beobachtungssituation“ behaupten könnten. Diese Verflechtung von Fiktionalem und Realem liest Fritz als Wechselwirkung zwischen „Kunst“ und „Leben“. (272) Zweitens erlaubt die Rezeptionsposition des kritischen Spektakels eine Koexistenz von Erkenntnis, Affekt und der Unterhaltsamkeit, womit die Rezeptionsposition ambivalent bzw. für die Zuschauenden problematisch wird. (273) Drittens nennt die Autorin die angesprochene „performative Observation“ mittels einer für die Situation konstitutiven und diese strukturierenden Kamera, die zur Hinterfragung des produzierten Bildes beiträgt. (275) Viertens fasst Fritz die Strategie des Zusammendenkens von Sein und Spiel als „Bruch“ mit einem „‚echten Selbst als einer Rolle“ auf. Daran schließt fünftens das kritische Anerkennen der Rezeption des Publikums im Ausstellungsraum an, mit der, etwa durch das Aufzeigen einer konstitutiven Unvollständigkeit der Gemeinschaft, durch den Betrachtenden vorgenommene Vervollständigungen, Kontextualisierungen oder Stereotypisierungen des Gesehenen ästhetisch verunsichert werden. (278).

Mit diesen Strategien fasst Fritz die angesprochene ambivalente Verflechtung der Kunst mit der Populärkultur zusammen. Die Möglichkeit einer kritischen künstlerischen Positionierung als ein Aufgreifen und Spürbarmachen der realhistorischen Bedingungen der Produktion wird so zum spektakulären Paradox, in dem das kritische Moment „dort zu finden [ist], wo Mechanismen der Authentizitätsproduktion, die sonst zur Kommerzialisierung der populärkulturellen Formen beitragen, zwar eingesetzt bzw. ausgeführt, aber eben nicht endgültig erfüllt werden.“ (278) Das Affirmative wird zur Quelle der Verunsicherung.

Das Zusammendenken von ästhetischen und soziologischen Theorien bietet weitreichende Einsichten, da Fritz die untersuchten Kunstwerke als soziale Situationen betrachtet, indem sie alle beteiligten Akteur*innen, Künstler*innen, Partizipierende und Rezipierende und gleichzeitig die ästhetische Dimension der Situation in ihrer jeweiligen Komplexität in den Blick nimmt. Damit, und diese interdisziplinäre Perspektive ist sicherlich selten sowie für gegenwärtige kunstsoziologische Strömungen wertvoll, kann Fritz einerseits kunsthistorisch die Entwicklung medialer partizipativer Kunst rekonstruieren. Andererseits nimmt sie, indem sie die gesellschaftliche Einbindung von Kunst ernst nimmt und als gleichberechtigen Erkenntnisstrang verfolgt, Einflüsse von jenseits der Kunst auf ebendiese zur Kenntnis. Gleichzeitig – für die Soziologie interessant – zeigt sie im Anschluss an die kunsthistorische Analyse auf, wie künstlerische Entwicklungen andere gesellschaftliche Bereiche prägen. Eine solche Erkenntnis ist grundsätzlich nicht neu, wird von Elisabeth Fritz jedoch anhand von Sozial- und Humanwissenschaft und Fernsehen untermauert.

Die Beispiele, die sie als Populärkultur fasst, stammen vor allem aus dem Bereich des linearen Fernsehens, was vor dem Hintergrund ihres Untersuchungsziels, Verschränkungen und Abgrenzungsbewegungen von Kunst, Wissenschaft und Populärkultur aufzuzeigen sinnvoll ist, da darin diese Bezüge vorzufinden sind. Anknüpfend an Fritz‘ Analyse könnte man allerdings weiterfragen, wie mediale Darstellungsweisen in sozialen Medien – z.B. Tweets oder Memes – oder auf Youtube-Channels einzuordnen sind und ob hier ähnliche diskursive Vergesellschaftungen von Kunst zu beobachten sind.

Ihre Arbeit kann zudem belegen, dass eine Weiterentwicklung des „Spektakelbegriffs“ im kritischen Anschluss an Debord fruchtbar ist. Theoretisch mag dessen Konzept attraktiv sein, seine Erprobung im kulturellen Geschehen erfordert aber, wie gesehen, eine fortlaufende Umdeutung. In den von Elisabeth Fritz aufgezeigten ambivalenten Bezügen zu anderen Dimensionen des Sozialen und insbesondere zum Bereich der Populärkultur könnte darüber hinaus ein interessanter Impuls für die gegenwärtige Debatte um die „Autonomie der Kunst“ und deren neue Formen der Vergesellschaftung liegen.[3] Auf diese Frage antwortet die Studie mit Beispielen künstlerischer Strategien einer eigenständigen kritischen Vergesellschaftung der Kunst – in einer Randzone zwischen TV-Event und politischem Aktivismus. Nicht zuletzt deshalb verdient die Studie von Elisabeth Fritz sowohl von Soziolog*innen als auch von Kunsthistoriker*innen Anerkennung. Zu guter Letzt dürfte die dargestellte Problematik der Vereinnahmung medialer Kunst und deren Erarbeitung einer neuen kritischen Position, als Ambivalenzen erzeugende ‚Gegenvereinnahmung‘, auch für die Diskussion der Vereinnahmung von Gesellschaftskritik insgesamt von Interesse sein.[4]

  1. Vgl. Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität – Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Frankfurt am Main 1995; Michael Kauppert / Heidrun Eberl (Hrsg), Ästhetische Praxis, Wiesbaden 2016.
  2. Jacques Rancière, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Frankfurt am Main 2002; ders., Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien, Frankfurt am Main 2006.
  3. Derartige Forschungsansätze wurden z.B. auf den jüngsten Tagungen des Arbeitskreises „Soziologie der Künste“ in der DGS-Sektion Kultursoziologie vorgestellt: in Leipzig „Autonomie der Kunst? Zur Aktualität eines gesellschaftlichen Leitbildes“ (2013), sowie in Hildesheim „Ästhetische Praxis: Selbsteingrenzung der Künste oder Entkunstung der Kunst?“ (2014). Vgl auch Kauppert / Eberl (Hrsg.), Ästhetische Praxis.
  4. Silke van Dyk, Grenzüberschreitung als Norm? Zur »Vereinnahmung« von Gegenstrategien im Kapitalismus und den Konsequenzen für eine Soziologie des Widerständigen, in: Karina Becker / Lars Gertenbach / Henning Laux / Tilman Reitz (Hrsg.), Grenzverschiebungen des Kapitalismus. Umkämpfte Räume und Orte des Widerstands, Frankfurt am Main / New York 2010, S. 33–54.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Tilman Reitz.

Kategorien: Kultur Medien

Gisela Mackenroth

Gisela Mackenroth hat Soziologie und Humangeographie an der Universität Jena studiert und spezialisiert sich im Soziologie-Master auf dem Gebiet „Sozialer Wandel und Zeitdiagnose“. Sie ist als studentische Hilfskraft im Arbeitsbereich „Wissenssoziologie und Sozialtheorie“ der Universität Jena tätig. Ihr Interesse an der soziologischen Analyse des Films hat sie 2010 bis 2014 gemeinsam mit anderen filmbegeisterten Studierenden in einer Filmreihe verfolgt. Ihre Schwerpunkte im Studium liegen bisher auf der Verknüpfung von Gesellschaftstheorie und qualitativer Sozialforschung, poststrukturalistischen Demokratietheorien sowie Raumsoziologie.

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