Nina Tessa Zahner | Rezension |

Museen als Experimentallabore

Rezension zu „Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum“ von Nicole Burzan und Jennifer Eickelmann

Abbildung Buchcover Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum von Burzan/Eickelmann

Nicole Burzan / Jennifer Eickelmann:
Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum
Deutschland / USA
Frankfurt am Main / New York 2022: Campus
231 S., 49,95 EUR
ISBN 978-3-593-51452-9

Museen verstehen Nicole Burzan und Jennifer Eickelmann in ihrem Buch Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum als soziale Räume. Dabei fokussieren sie sich auf „die ungleiche Verteilung von Handlungsoptionen und Repräsentationen“ (S. 7) und gehen der Frage nach, „inwiefern Museen gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse reproduzieren, stabilisieren oder ggf. auch Impulse für deren Wandel geben“ (S. 9). Die Autorinnen untersuchen erstens die Rolle von Museen hinsichtlich globaler Ungleichheiten, auch unter Bezugnahme auf die aktuelle Debatte um Restitution. Zweitens geraten Museen als Vermittlungsinstitutionen beziehungsweise -organisationen bei der (Re-)Produktion nationaler sozialer Ungleichheiten und symbolischer Ordnungen in den Blick. Drittens werden sie als kleine soziale Einheiten analysiert, die regulieren, wie Besucher*innen miteinander und mit den Exponaten interagieren. Die Publikation präsentiert die Ergebnisse zweier Forschungsprojekte mit DFG- und BMBF-Förderung, die Beobachtungen, Interviews, Ethnografien und Dokumentanalysen kombinierten. Auf die Einleitung (Kap. 1) folgen fünf inhaltliche Teile und ein Ausblick. Zu Kapitel 2 („Machtsensibler Prolog“) und 3 („Zur Dramaturgie des ‚erlebnisorientierten‘ Museums“) gehört jeweils ein Exkurs.

Die Autorinnen setzen sich im zweiten Kapitel zunächst mit dem historischen Wandel der Deutungshoheit des Museums auseinander und untersuchen vor diesem Hintergrund den Umgang mit kolonialer Vergangenheit und Rassismus. Das Kapitel stellt die Transformation des Museums vor: von einem identitätsstiftenden Repräsentationsort nationaler Kultur des 19. Jahrhunderts über die Inklusionsbestrebungen einer „Kultur für alle“ der 1970er-Jahre hin zu einem ausdifferenzierten Funktionsverständnis im Sinne eines Lern- und Aufklärungsortes beziehungsweise Laboratoriums. Der Ritt durch die Geschichte endet mit der Diagnose einer „Multiplizierung der Museumsobjekte“ (S. 22) im gegenwärtigen digitalen Zeitalter.

Burzan und Eickelmann zeigen, dass und wie es im Rahmen der beschriebenen Transformationsprozesse zu einem zunehmend reflexiven und transparenten Umgang mit Deutungshoheiten kam, der heute als legitimatorische Basis des „postfaktischen Museums“ (S. 31) fungiert. Letzteres reflektiere sich selbst in seinem situierten Wahrnehmen und versuche auf diesem Weg, herrschaftsfreie Diskurse zu fördern. Heutige Museen, dies macht der erste Exkurs zu „kolonial geprägte[n] Museen“ deutlich, etablieren angesichts von Fragen der Restitution, der kolonialen Vergangenheit, des Eurozentrismus und des Rassismus entweder Strategien der Multiperspektivität oder sie machen die von ihnen gewählte Perspektive transparent (S. 45).

Insgesamt sind die Ausführungen in diesem so bezeichneten „Machtsensiblen Prolog“ nicht uninteressant, referieren jedoch weitgehend Bekanntes und bleiben in ihrer machtanalytischen Ausrichtung eher vage. Hier wäre eine stärkere machttheoretische Rahmung wünschenswert gewesen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil das Kapitel die Situiertheit des eigenen Blicks nicht reflektiert und die in der Darstellung implizierten Deutungspräferenzen nicht ausweist. Eine konkrete machttheoretische Verortung hätte dabei helfen können, dieses Defizit zu beheben. Die Konklusion zum Ende des Kapitels, dass „die Frage nach den Grenzen der Repräsentation […] in der praktischen Museumsarbeit ein fortgesetztes Thema“ (S. 46 f.) bleibt, scheint für eine machtkritisch operierende Studie etwas banal.

Das folgende Kapitel untersucht den Trend hin zu erlebnisorientierten Ausstellungskonzepten und überlegt, inwieweit Museen den eigenen Anspruch erfüllen, sich einem möglichst breiten Publikum zu öffnen. Operationalisiert wird dies anhand der Frage, ob „der Museumsbesuch in einem erlebnisorientierten Museum Schauplätze für Statusmarkierungen und Ungleichheitsreproduktion“ bietet (S. 82). Dabei verweisen Burzan und Eickelmann auf Richard A. Petersons Omnivor-These, auf Bettina Heinzes Diagnose der abnehmenden Bedeutung von Lebensstilen als soziale Erkennungszeichen und auf Michèle Lamonts Feststellung einer zunehmenden Unschärfe von sozialen Grenzziehungen (S. 83 f.).

Zur Untersuchung des Museums als Ort der Ungleichheitsreproduktion wurden standardisierte Publikumsbefragungen am Ende der Ausstellung durchgeführt. Dabei bleibt unklar, wie das in dieser Studie zur Anwendung gebrachte Begriffsverständnis von „Distinktion“ – eine Synthese von Pierre Bourdieu und Erving Goffman, nach der Distinktion die Inszenierung vor anderen im Rahmen eines Museumsbesuchs bedeutet – im Rahmen einer standardisierten Befragung am Ausstellungsausgang überhaupt operationalisiert hätte werden können: Wie soll die Inszenierungsleistung vor Ort mit einem quantitativen Fragebogen am Ende der Ausstellung zu messen sein? Hier passen allem Anschein nach theoretische Modellierung und gewählte Methode nicht zusammen. Für eine derartige Fragestellung wären, wie die Autorinnen auch anmerken (S. 176), Go-Along-Interviews deutlich passender gewesen.[1]

Wenig überraschend kommt die Untersuchung dann auch zu dem Ergebnis, dass sich „generalisierte Aussagen über die Wirkung von Museumsgenres und Ausstellungsweisen auf Distinktionsverhalten kaum treffen lassen“, da „zu viele Differenzierungen, situationsspezifische Aspekte und subtile Indikatoren […] von Bedeutung“ (S. 95) sind. Zur Erfassung ebendieser

„ambivalenten Distinktionseffekte in der musealen Praxis [… müsse man] möglichst nicht individuelle Besucher*innen, sondern Besucher*innen in (Interaktions-)Situationen in den Blick“ (S. 96)

nehmen. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Arbeiten Gunnar Ottes zum kulturellen Statuskonsum wäre für die Studie gerade hinsichtlich der Fragebogengestaltung sicherlich instruktiv gewesen,[2] wäre dadurch eventuell die Inkonsistenz zwischen Theorie und Methode sichtbar geworden.

Demgegenüber ist der hier anschließende zweite Exkurs, der sich mit der Digitalisierung des Museums befasst, sehr interessant zu lesen. Er argumentiert, dass sich aufgrund der Datafizierung und Algorithmisierung des Kuratorischen die musealen Existenzweisen pluralisieren: Museumsobjekte werden im Zuge der digitalen Transformation nun „gleichzeitig an ganz unterschiedlichen Orten belebt […]: Die Dinge, ihre Orte, ihre Geschichten sowie die mit ihnen verbundenen Praktiken multiplizieren sich.“ (S. 99) Dies bedeutet auch, dass die Diskussionen darüber, was Museen leisten können und sollen, zunehmend in digitalen Öffentlichkeiten stattfinden. „Die Dinge [verlassen] nun die Expert*innensysteme“ und sind der „ökonomischen, ästhetischen und praktischen Normierung digitaler Plattformen“ (S. 107 f.) ausgesetzt. Die Digitalisierung sei dabei keine weitgehende Demokratisierung des Museums, sondern eröffne vielmehr unterschiedliche Realitätsdimensionen, die „eher von einer Zunahme an Ambivalenzen und Veruneinigungen zeugen“ (S. 109). Durchweg spannende Einsichten, die man gerne noch etwas ausführlicher beleuchtet und weitgehender machtanalytisch interpretiert sowie methodologisch reflektiert gesehen hätte.

Kapitel 4 sieht das Aufsichts- und Servicepersonals in einer Scharnierfunktion zum Publikum. Es fasst das Museum als Sozialraum und fragt, „welche Funktionen das Aufsichts- und Servicepersonal in Museen innerhalb musealer Machtgefüge […] heutzutage erfüllen darf, kann und soll“ (S. 113). Die Autorinnen zeichnen zunächst die historische Entwicklung nach – von der reinen Aufsicht zum Besuchsservice – und setzen dann auf der Grundlage der empirischen Ergebnisse Aufsichten, Kunst und Kultur sowie die Besucher in Bezug zueinander. Dabei betonen sie die von den Museen marginalisierte Wichtigkeit der Aufsichten für die Kunst- und Kulturvermittlung. Eine fundierte Auseinandersetzung mit der Rolle der Aufsichten könne unter Umständen eine Reflexion der Deutungshoheiten und eine mögliche Relativierung des Expertenwissens innerhalb des Museums anstoßen. Hier führt die machttheoretische Perspektive des Buches zu durchweg interessanten Diagnosen, auch wenn sie sich an verschiedenen Stellen allzu sehr im Detail verliert. Mitunter scheint die Zielgruppe des Textes nicht ganz klar. Allem Anschein nach richtet sich der Teil an Museumsverantwortliche, die hier detaillierte und umfassende Informationen zur Professionsgruppe der Aufsichten erhalten können, für den am Museum als Sozialort interessierten Leser ist der Part eher weniger interessant.

Das methodische Vorgehen der dem Buch zugrundeliegenden Studien ist Gegenstand des fünften Kapitels. Die umfangreichen Ausführungen scheinen sich vor allem an sozialwissenschaftlich Forschende und Studierende zu wenden und erinnern teilweise an eine Einführung ins empirische Forschen im Rahmen eines Forschungsworkshops. Burzan und Eickelmann weisen so beispielsweise darauf hin, dass die gewählten „Methoden […] zur Forschungsfrage ebenso passen [müssen], wie zu den personellen und zeitlichen Ressourcen“ und sie betonen, dass sich das „Material nicht ohne theoretische Einbettungen und Reflexionen in Information übersetzen“ lässt und hierfür „theoretische Positionierungen“ unablässig sind (S. 201). Sie üben sich hierbei auch durchaus in Selbstkritik, was positiv hervorzuheben ist.

Im abschließenden Kapitel 6 weisen die Autorinnen darauf hin, dass Museen als „Experimentallabor der Verhandlung grundlegender gesellschaftlicher Verhältnisse“ (S. 205) gegenwärtig vor allem mit der „Irritation von Deutungshoheit“ experimentieren und in diesem Sinne versuchen

„ein idealerweise heterogenes Publikum an Deutungen zu beteiligen und es aktiv zu involvieren, Deutungsangebote zu differenzieren und entsprechend reflexive, partizipative Formate zu entwickeln“ (S. 205).

Wie die Studie gezeigt habe, verliefen diese Experimente nicht reibungsfrei, ebenso sei „die Wirkung der verschränkten Wandlungsprozesse auf museale Machtstrukturen nicht im Vorhinein absehbar“, sondern vom spezifischen Kontext abhängig (S. 207).

Zielgruppe des Buches soll „eine breite Leserschaft über das universitäre Forschungsfeld hinaus“ (S. 202) sein. Beim Lesen drängt sich jedoch an mehreren Stellen eher der Eindruck auf, die Publikation ziele vielmehr darauf ab, „die Kommunikation mit dem Feld aufrecht zu erhalten und weiter zu intensivieren“ (S. 202). Sie scheint sich über weite Teile vor allem an Vertreter der Museumsforschung beziehungsweise der Museumspraxis zu wenden. Allerdings wäre auch für diese Zielgruppe eine stärkere theoretische und methodologische Einordnung als zentraler Bestandteil guter wissenschaftlicher Praxis wesentlich.

Die Untersuchung, so bleibt abschließend festzuhalten, stellt die soziologisch spannende und relevante Frage nach der Verteilung von Handlungsoptionen und Repräsentationen im Museum. Um dieses Erkenntnisinteresse auf gewinnbringende Art und Weise zu bearbeiten, wäre jedoch mehr theoretische und methodologische Vorortung, Einbettung und Reflexion nötig gewesen. Die Arbeit lässt leider eine klare theoretische Positionierung vermissen und verliert sich allzu oft im Detail. Zudem nutzt sie Methoden, die sich zur Beantwortung der Fragestellung zum Teil als wenig geeignet erweisen. Bemerkenswert bleibt, dass die Publikation ihre methodischen Schwächen in einem eigens dafür reservierten Kapitel umfassend reflektiert. Der Teil zur Digitalisierung des Museums eröffnet zudem wirklich spannende Einsichten und regt weitergehende Fragestellungen an, die eine Soziologie des Museums nicht unbearbeitet lassen sollte.

  1. Nina T. Zahner, Kunstwahrnehmen im Ausstellungskontext. Das Go-Along Interview als Instrument zur Rekonstruktion des perceptual space in Kunstausstellungen, in: Cornelia Escher / Nina T. Zahner (Hg.), Begegnung mit dem Materiellen. Perspektiven aus Architekturgeschichte und Soziologie, Bielefeld 2021.
  2. Gunnar Otte, Was ist Kultur und wie sollen wir sie untersuchen? Entwurf einer sozialwissenschaftlichen Sozialstruktur- und Kulturanalyse, in: Julia Böcker et al. (Hg.), Zum Verhältnis von Empirie und kultursoziologischer Theoriebildung. Stand und Perspektiven, Weinheim 2018, S. 74–104; Katharina Kunißen / Debora Eicher / Gunnar Otte, Sozialer Status und kultureller Geschmack. Ein methodenkritischer Vergleich empirischer Überprüfungen der Omnivore-Univore These, in: Böcker et al. (Hg.), Zum Verhältnis von Empirie und kultursoziologischer Theoriebildung, S. 209–235; Gunnar Otte, Richard A. Peterson (1932–2010) und Paul J. DiMaggio (*1951). Organisationale Kulturproduktion und kultureller Statuskonsum, in: Christian Steuerwald (Hg.), Klassiker der Soziologie der Künste. Prominente und bedeutende Ansätze, Wiesbaden 2017, S. 799–829.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Wibke Liebhart.

Kategorien: Digitalisierung Interaktion Kunst / Ästhetik Macht Sozialer Wandel

Nina Tessa Zahner

Nina Tessa Zahner ist Professorin für Soziologie an der Kunstakademie Düsseldorf. Sie studierte Soziologie und Anthropologie in Bamberg und London und promovierte zur Transformation des Kunstfeldes in den 1960er und 1970er Jahren in den USA bei Richard Münch. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Historisch-rekonstruktive Kunstfeldforschung, Soziologie der Sinne und des Wahrnehmens sowie Soziologie des Publikums und des Kunstmarktes.

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