Axel T. Paul | Literaturessay |

Neue Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht

Literaturessay zu „Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit“ von David Graeber und David Wengrow

David Graeber und David Wengrow :
Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit
Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm, Henning Dedekind und Andreas Thomsen
Deutschland
Stuttgart 2022: Klett-Cotta
672 S., EUR 28,00
ISBN 978-3-608-98508-5

Geschichten der Menschheit haben Konjunktur. Nicht erst seit Yuval Noah Hariris Weltbestseller Eine kurze Geschichte der Menschheit[1] boomt das Geschäft mit für ein breites Publikum geschriebenen Sachbüchern, welche nicht bloß die Geschichte einzelner Epochen, Perioden oder Ereignisse, einzelner Regionen, Länder oder Orte oder auch, zeitlich und räumlich weiter ausgreifend, einzelner Gegenstände (wie etwa des Salzes) oder Abstrakta (wie des Kommunismus) erzählen,[2] sondern einen ganz breiten globalen, menschheitsgeschichtlichen Überblick geben und sich dabei nicht im Dickicht der Aspekte verlieren, sondern klare, große Linien zeichnen. Neben Harari beispielhaft genannt, weil gleich in der ersten Fußnote des hier zu besprechenden Buches in kritischer Abgrenzung erwähnt (S. 599, Anm. 1), sei hier Ian Morris’ Beute, Ernte, Öl.[3] Morris setzt mit seiner Geschichte lange vor der ‚Erfindung‘ der Landwirtschaft ab ca. 10.000 v. Chr. ein und spannt einen Bogen bis in die Gegenwart. Ebenso beginnt David Graebers und David Wengrows „neue Geschichte der Menschheit“ – im englischen Original The Dawn of Everything, ein Titel der im Grunde besser mit „Die Anfänge von allem“ als einfach mit „Anfänge“ übersetzt worden wäre, nur dass eben dieser reichlich großspurige Titel schon an ein gleichwohl exzellentes und gleichfalls universalhistorisches Buch von Jürgen Kaube aus dem Jahre 2017 vergeben war[4] –, vor gut 30.000 Jahren im sogenannten Jungpaläolithikum, also der jüngeren Altsteinzeit, und endet um 1800 mit der, wie wir erfahren, möglicherweise gar nicht so europäischen Aufklärung.

Der Fokus ihres Buches liegt auf eher unbekannten, ihres Erachtens jedoch für die längste Zeit der Geschichte typischen, nicht-hierarchischen, dennoch umfänglichen, oftmals Zehntausende von Menschen umfassenden, komplexen Gesellschaftsformationen. Plakativ gesprochen ist (Basis-)Demokratie für und in Großgesellschaften Graeber und Wengrow zufolge nicht nur ein wünschenswertes, politisches Projekt der Gegenwart. Vielmehr war sie ein rekurrentes, wenn nicht zeitlich dominantes Muster der Gesellung der letzten 30.000 Jahre. Kollektive Selbstbestimmung, Solidarität und allgemeiner Wohlstand in Großgesellschaften sind im Urteil der Autoren keine utopischen Zukunftsversprechen, sondern historische Realitäten, die nicht erst auf Grundlage landwirtschaftlicher Produktion und herrschaftlicher Organisation möglich, sondern schon vor und unabhängig von diesen überall auf der Welt immer wieder von freien Menschen ins Werk gesetzt wurden. Von Arbeiten wie derjenigen Morris’ wie überhaupt von universalhistorischen Fortschrittserzählungen und soziokulturellen Evolutionstheorien grenzen sie sich ab, weil die Geschichte für sie keiner Logik gehorcht, keiner Richtung folgt oder vorherbestimmt ist. Herrschaft im Allgemeinen und moderne Staatlichkeit im Besonderen, so ihre zentrale Botschaft, sind weder die einzigen noch notwendige Formen der sozialen Organisation. Nicht, dass sich die Menschheitsgeschichte keineswegs auf große Linien oder besser Muster herunterbrechen lasse, steht für sie zur Debatte, sondern dass Landwirtschaft und insbesondere staatliche Gebilde zivilisatorische oder auch nur unverzichtbare Errungenschaften seien, macht den Dissens aus.

Gleichwohl erheben Graeber und Wengrow den Anspruch, mit ihrem Buch „eine völlig neue Darstellung der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften in den vergangenen 30000 Jahren“ (S. 16) vorzulegen, die im Unterschied zu den vermeintlich veralteten wiewohl dominanten, ausdrücklich als unwahr, langweilig und politisch katastrophisch gescholtenen Standardnarrativen (ebd.) eine demgegenüber hoffnungsvolle, auch noch unterhaltsame Wahrheit verkünde: „Die Freiheit der Vielen ist möglich, weil sie immer schon möglich war.“ Flott geschrieben – an vielen Stellen freilich zu flott, dann nämlich, wenn forsche Behauptungen für differenzierte Argumente einstehen – und auch wohlübersetzt ist das Buch allemal. Insofern und auch deshalb, weil die ohne Frage außerordentlich belesenen und entsprechend kenntnisreichen Autoren zwar auf Berge von Literatur verweisen,[5] sich andererseits jedoch immer wieder vor theoretischen und konzeptionellen Diskussionen drücken, ist ihr 550 große Textseiten starker Schmöker nicht anders als der inkriminierte Titel von Morris oder die ‚irrigen‘ Weltgeschichten eines Harari (S. 111, 255, 536) oder Steven Pinker (S. 26–28, 30–32)[6] auch ‚nur‘ ein Sach- und kein Fachbuch. Wahr oder vielmehr belegt sind zwar viele, wenn nicht die allermeisten Gegebenheiten und Umstände, auf welche die Autoren sich stützen, nur sind es deshalb nicht auch schon die Interpretationen und Schlüsse, die sie ihren Daten abgewinnen.

Das Buch umfasst zwölf Kapitel, von denen zwei Jäger- und Sammlergesellschaften gewidmet sind (Kap. 3 u. 5), zwei der Entstehung und Durchsetzung der Landwirtschaft (Kap. 6–7), zwei mehr oder weniger herrschaftsfreien Großsiedlungen oder Städten (Kap. 8–9), und eines, das – mit rund 80 Seiten allerdings bei Weitem längste – den Ursprüngen des Staates (Kap. 10) nachspürt. Kapitel 11 enthält so etwas wie eine beispielhafte empirische Verdichtung der vorstehenden historischen Ausführungen. In Kapitel 12 ziehen die Autoren ihr theoretisch-normatives Resümee. Diese beiden Kapitel erübrigen keinesfalls die Lektüre zumindest ausgewählter Hauptkapitel, sie orientieren die Leser jedoch besser als die Einleitung (Kap. 1) oder auch das eher ‚lyrische‘ Inhaltsverzeichnis über das, was in der Sache, was historisch, zu erwarten steht. Zudem liefert das Kapitel 11 so etwas wie die Basis für das ‚Überbau‘-Kapitel 2. In diesem präsentieren Graeber und Wengrow scharfe indigene Beobachter der im 17./18. Jahrhundert auch nach Nordamerika ausgreifenden europäischen Kultur; in jenem rekonstruieren sie die historisch-politischen Grundlagen, welche besagte Beobachter über ihren Kolonialkontakt mit den Europäern hinaus zu ihren tiefschürfenden Analysen und Urteilen befähigten. Etwas in der Luft hängt das 4. Kapitel; ihm fehlt ein inhaltlicher Fokus. Wichtig ist es dennoch, da die Autoren in diesem Kapitel ihren „substanziellen“ (S. 152) Freiheitsbegriff einführen – gemeint ist damit die dreifache Freiheit, seine Herkunftsgemeinschaft zu verlassen, sich Befehlen zu widersetzen und in alternativen Ordnungen zu leben (S. 154) – und darüber Auskunft geben, historisch nach freiheitlichen statt in materieller Hinsicht egalitären Gesellschaften Ausschau halten zu wollen.

Interessanterweise halten Graeber und Wengrow materielle Ungleichheit(en) für nahezu unvermeidlich, nicht jedoch für entscheidend, was die Entstehung sozialer oder eher in einem weiteren Sinne politischer Ungleichheit angeht (ebd.). Die dauerhafte Herrschaft von Menschen über Menschen ist es, welche für die Autoren so etwas wie den historischen Sündenfall darstellt. Wohlgemerkt, ebenso wenig wie materielle Ungleichheit ist es Herrschaft oder – schwächer – Führung an sich, die ihrem politisch-moralischen Verdikt unterliegt, sondern deren Verstetigung. „[U]nsere[] Frage (…) lautet: Warum haben wir Menschen fast gänzlich die Flexibilität und Freiheit verloren, die früher offenbar für unsere sozialen Ordnungen kennzeichnend waren, und stecken in permanenten Beziehungen von Dominanz und Unterwerfung fest?“ (S. 162) Um es vorwegzunehmen: Eine klare, ausbuchstabierte Antwort bietet das Buch nicht. Doch natürlich verlangt auch ein solches Urteil eine ordentliche Begründung. Also der Reihe nach.

Nach einer konzeptionellen Vorbemerkung (1.) werde ich im Folgenden die vier historisch-‚materialen‘ Schwerpunkte des Buches – Jäger- und Sammlergesellschaften (2.), Landwirtschaft (3.), Städte (4.) und Staatlichkeit (5.) – der Reihe nach in Hinblick auf durchaus bemerkenswerte Einsichten oder Wissensbestände – positive Ergebnisse, wenn man so will –, auf die für das Generalargument der Autoren wichtigen Aspekte sowie mögliche und notwendige Einwände hin durchgehen. Ähnlich wie Graeber und Wengrow die indigene Kritik am neuzeitlich-europäischen Staat als vermeintlichen Gipfel der Zivilisation durch die nordamerikanische Geschichte von der Hopewell-Kultur bis zur Konföderation der Irokesen fundieren (6.), werde ich meine Kritik an ihrer „neuen“ oder besser: alternativen Geschichte der letzten 30.000 Jahre sukzessive aus einer eingehenderen Auseinandersetzung mit dem Buch selbst entwickeln und so munitioniert anhand eines ‚frühen‘ bei Graeber und Wengrow ausgesparten Beispiels mit einem Plädoyer dafür schließen, evolutionäre Konzepte nicht über Bord zu werfen (7.).

1. Von Typen und Sequenzen I

Es dürfte weithin bekannt sein, dass David Graeber seiner Ausbildung nach Ethnologe ist, sich in seinem großen Buch über die Geschichte des Geldes, allerdings auch als Historiker hervorgetan hat.[7] Er starb überraschend im September 2020, hatte das Manuskript der „Anfänge“ zuvor jedoch noch gemeinsam mit David Wengrow fertigstellen können. Wengrow hingegen ist Archäologe. Es ist längst kein Novum mehr (falls es überhaupt je eines war[8]), sehr wohl aber gleichermaßen verdienstvoll wie notwendig, dass Ethnologen und Archäologen kooperieren, dass Letztere sich bei der Deutung ihrer stummen, dinglichen Funde, aber auch bei der Interpretation naturwissenschaftlich, etwa archäogenetisch, gewonnener Daten von ethnographisch bezeugten und ethnologisch modellierten sozialen und kulturellen Praktiken rezenter, häufig schriftloser oder erst ‚kürzlich verschriftlichter‘, Gemeinschaften inspirieren lassen, so wie Ethnologen sich umgekehrt zusehends auf archäologische Daten und Modelle stützen, um den von ihnen studierten, häufig schrift- ‚und deshalb geschichtslosen‘ Gemeinschaften historische Tiefe zu verleihen.[9] Für eine solche Kooperation spricht nicht nur die ‚objektive‘ disziplinäre ‚Beschränktheit‘ der beiden (wie generell aller) Fächer, sondern auch und weit darüber hinaus die bei aller archäologisch-ethnographisch dokumentierten Vielfalt sehr wohl feststellbare und längst festgestellte Strukturverwandtschaft oder Familienähnlichkeit von nicht in einem direkten historisch-genealogischen Zusammenhang stehenden Formen der Vergesellschaftung. Zum Beispiel gibt es Ähnlichkeiten zwischen der sozialen Organisation von Wildbeutergemeinschaften in Afrika und denjenigen Nordamerikas, obwohl diese nie in Kontakt standen. Genauso wenig waren Reiche im Alten China und Alten Ägypten jeweils ‚ganz anders‘ verfasst; im Gegenteil, hier wie dort gab es Könige, Priester, eine Bürokratie und abgabepflichtige Bauern. Hernán Cortés war überrascht vom Reichtum Tenochtitláns, nicht aber darüber, dass die Azteken von Moctezuma regiert wurden. Das klingt banal, ist es aber nicht, weil damit belegt werden kann, dass Gesellschaften sich nicht beliebig entwickeln, sondern mit einem offenbar begrenzten, mindestens typisierbaren Formeninventar operieren und diese Formen, etwa Heiratspraktiken und Produktionsweisen, darüber hinaus in einem, wenn nicht notwendigen, so doch wahrscheinlichen Zusammenhang stehen.

Es versteht sich, dass kein Idealtyp eines Verwandtschaftssystems, einer Herrschaftsform oder von ‚Gesellschaft‘ alle empirische Varianz abdeckt, dass häufig und mit guten Gründen auch anders typisiert werden könnte, doch ändert dieser Umstand nichts daran, dass Gesellschaften oder Kulturen – anders als ein postmoderner Kulturrelativismus bisweilen glauben machen möchte[10] – keine leeren Leinwände sind, auf die gemalt werden könnte, was immer ihren ‚Schöpfern‘ beliebt. Auch Graeber und Wengrow weisen einen überzogenen Kulturalismus ausdrücklich zurück (S. 229); mehr noch, sie selbst legen im Staatskapitel ihres Buches so etwas wie eine politische Elementarlehre vor, mit deren Hilfe sie sowohl alltägliche Interaktionen als auch die daraus erwachsenden Verbände klassifizieren und sogar genetisch oder wenigstens ordinal reihen. Das heißt, bei allem Bemühen, mit ihrer Geschichte den „Möglichkeitssinn“ (S. 36) zu schärfen, konkret, darauf aufmerksam zu machen, dass es historisch mehr gab und geben kann als – ja, was eigentlich?; für die beiden Autoren auf jeden Fall zumindest – egalitäre, dafür jedoch einfache, kleine und, wenn auch nicht zwingend ärmliche, so doch materiell beschränkte Jäger- und Sammlergesellschaften einerseits und hierarchisierte oder herrschaftliche, agrarische und weiterhin staatlich verfasste Großgesellschaften andererseits, gelangen auch sie letztlich ‚nur‘ zu einer Korrektur schlichter Oppositionen und vor allem Sequenzen. Die Auskunft indes, welcher oder welche angeblich diskursdominanten Autoren, welche Fachleute heute behaupten, gleich und frei seien die Menschen nur als einfache Wildbeuter gewesen, sobald sie jedoch technologisch fortschrittlich Landwirtschaft betrieben und damit unweigerlich Überschüsse angelegt hätten, seien Ungleichheit und Herrschaft ein für alle Mal besiegelt gewesen, bleiben Graeber und Wengrow uns schuldig. Ich kenne ehrlich gesagt keine. Die Titel von Francis Fukuyama und Jared Diamond, auf die sie in diesem Zusammenhang verweisen (S. 22–24),[11] reichen, so gut sie sich verkaufen mögen, jedenfalls nicht hin, den Stand der Forschung oder auch nur die ‚herrschende Meinung‘ abzubilden. Derartige ‚rousseauistische‘ Kurzschlüsse finden sich zwar in den genannten wie sicherlich auch vielen anderen ‚kurzgefassten‘ Weltgeschichten, nur sind sie den massenhaften Daten zum Trotz, die Graeber und Wengrow ins Feld führen, um den historisch-evolutionären Zusammenhang von Gruppen- oder Gesellschaftsgröße, Produktionsweisen und politischer Organisation zu verkomplizieren, im Kern nicht einmal falsch. Die beiden Autoren schreiben selber, auch wenn sie es nur rhetorisch meinen: „Man könnte einwenden, der Ackerbau habe zwar nicht von heute auf morgen alles verändert, aber doch den Grundstein für spätere Herrschaftssysteme gelegt.“ (S. 473) Genau so ist es.

Staaten waren keine zwingende Folge der Landwirtschaft, wohl aber entstanden die ersten Hochkulturen oder Reiche auf deren Basis. Die Landwirtschaft war eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung für die Ausbildung von Staatlichkeit. Darin liegt keinerlei obsolete Teleologie. Staatliche Gebilde mussten nicht entstehen. Sie sind jedoch entstanden und haben sich zudem, wenn auch mancherorts nur oberflächlich und bruchstückhaft durchgesetzt, wie übrigens auch – dort, wo sie möglich waren – Ackerbau und Viehzucht. Die Geschichte hat eine Richtung, wenn auch kein Ziel. Sie verfolgt oder beschreibt keine gerade Linie, vielmehr experimentieren die Menschen, die sie machen – unter vorgefundenen Bedingungen, versteht sich –, durchaus mit alternativen Möglichkeiten, über die wir bei Graeber und Wengrow einiges lernen. Aber einige solcher Experimente setzen sich mit ihren Resultaten durch, andere scheiden aus. Das mag unter moralisch-politischen Vorzeichen vielleicht ein Unglück sein, aber unerklärlich ist es keinesfalls, selbst wenn es, wie die Autoren im Grunde selber annehmen, ‚nur‘ ‚die Macht‘ sein sollte, die von einigen erstrebt und anderen schließlich erfolgreich aufgezwungen wird, ‚nur‘ um langfristig durch ‚mehr Macht‘ Dritter abgelöst zu werden (S. 459, 524). Was nur waren die Alternativen?

2. Vom Pendeln der Jäger und Sammler

Das 3. Kapitel berichtet aus archäologischer Perspektive darüber, dass bereits für jungpaläolithische Gemeinschaften aus der Zeit von 50.000 bis 15.000 v. Chr. „fürstliche[] Bestattungen und großartige[] Bauwerke“ (S. 103) bezeugt seien. Die in den 28.000 bis 36.000 Jahre alten Gräbern von Sunghir in Nordrussland und Dolni Věstonice in Südmähren bestatteten Individuen – Kollektivgräber und dann Friedhöfe entstehen erst im frühen Neolithikum, in der Levante ab 15.000 v. Chr.[12] – waren reich geschmückt; gefunden wurden unter großem Arbeitsaufwand gefertigte Grabbeigaben aus exotischen und dementsprechend wohl auch damals bereits prestigeträchtigen Materialien. Mithin kannten diese Gemeinschaften aus welchen Gründen auch immer auch oder gerade als Tote ausgezeichnete Individuen, waren willens und imstande solche Menschen nicht zuletzt zeit- und ressourcenaufwendig zu verehren. Also können diese Gruppen weder in einem strengen Sinne arm und nur mit dem Überleben beschäftigt gewesen sein; und ganz offenbar waren sie auch nicht streng egalitär, denn aufwendig beerdigt wurden nur einzelne Personen.

Weiterhin berichten Graeber und Wengrow von bis zu 25.000 Jahre alten, entlang des damaligen, eiszeitlichen Gletscherrandes zwischen Krakau und Kiew gefundenen Bauwerken aus Mammutstoßzähnen und -knochen, die sie für „Denkmäler“ halten: „sorgfältig geplant und gebaut, um das Ende einer großen Mammutjagd (und der Solidarität der erweiterten Gruppe der Jäger) zu gedenken“ (S. 109). In einer Anmerkung (S. 608, Anm. 28) räumen sie zwar ein, dass derartige Mammuthäuser auch andere Funktionen gehabt haben könnten, ihrer entschiedenen Interpretation im Haupttext tut das jedoch keinen Abbruch; ein ‚Verfahren‘, dem sie an vielen Stellen ihres Buches treu bleiben: So mancher Schluss kommt als Datum daher, obwohl er bestenfalls eine Deutungsmöglichkeit darstellt, wenn nicht eine gewagte Spekulation. Doch selbst wenn es sich nicht um entsprechende Denkmäler handeln sollte, unzweifelhaft und für das Argument des Kapitels wichtig ist, dass diese Bauwerke nicht mal hier, mal dort von einzelnen mobilen und dementsprechend kleinen Jägergruppen, sondern über sehr lange Zeiträume hinweg an traditionellen Sammelplätzen mehrerer dieser Gruppen errichtet wurden. Es muss folglich ein über die einzelnen Gruppen hinausgehendes Zusammengehörigkeitsgefühl, eine kollektive Identität einer ‚ganzen‘ Jägerkultur gegeben haben. Die jungpaläolithischen Wildbeutergemeinschaften waren weder (notwendigerweise) arm, noch (zwingend) klein oder auf kleine, isoliert durch die Wildnis streifende Horden beschränkt.

Und das ist noch nicht alles. Die im 10. und 9. vorchristlichen Jahrtausend von Jägern und Sammlern gebaute, imposante, mit Steinwerkzeugen aus Stein gemeißelte, in Südostanatolien gelegene Ritualanlage Göbekli Tepe beweist, dass ihre Erbauer, was immer ihr eigentlicher Zweck gewesen sein mag, nicht nur in großem Maßstab und über Jahrhunderte hinweg gemeinsame ‚Feste‘ gefeiert haben, sondern auch und vor allem, dass sie zur Koordination gewaltiger Arbeitsmaßnahmen und das heißt auch zur ‚Freistellung‘ und Versorgung von Spezialisten in der Lage gewesen sein müssen. Göbekli Tepe bezeugt Graeber und Wengrow zufolge eine „komplexe soziale Hierarchie“ (S. 108).

Gemeinsam ist den vorstehend genannten Bauwerken, dass es sich nicht, jedenfalls nicht um dauerhaft bewohnte Behausungen handelt, sondern um periodisch genutzte Kongregations- oder Ritualzentren. Da eine ununterbrochene Versorgung von großen, Hunderte, wenn nicht Tausende von Personen umfassenden Gruppen um diese Zentren herum weder nachgewiesen werden konnte noch voragrarisch überhaupt möglich gewesen wäre, müssen ihre Erbauer und Nutzer sowie die berühmten, von Marcel Mauss beschriebenen, sozialstrukturell zwischen großen, stationären Winterlagern und vorübergehenden Sommercamps einzelner Familien oszillierenden Eskimo[13] zwischen Phasen einer räumlich zersprengten, mobilen und einer räumlich konzentrierten, temporär stationären Lebensweise hin und hergependelt sein. Ein ähnliches Schwanken oder Schwingen zwischen unterschiedlichen ‚politischen‘ Aggregatzuständen, zwischen Anarchie und Autoritarismus (S. 128), hat Robert Lowie für die indigenen Stammeskonföderationen der Great Plains beschrieben.[14] Für Graeber und Wengrow sind diese ethnographischen Beispiele einerseits der Schlüssel zur Interpretation auch des archäologischen Materials, andererseits belegen sie Langlebigkeit, ja die Allgemeinheit reversibler sozialstrukturell-politischer Metamorphosen. Die Geschichte, so ihre Folgerung, beginnt nicht mit Egalität oder Hierarchie, sondern mit politischer „Saisonalität“ (S. 123–125), einem angeblich nicht oder wenigstens nicht in erster Linie ökologisch bedingten (S. 127), sondern bewusst intendierten, politischer Experimentierfreude geschuldeten Wechsel zwischen „unterschiedliche[n] soziale[n] Möglichkeiten“ (S. 135).

Es ist durchaus richtig, dass die ab Ende der 1960er-Jahre zwar nicht erst entdeckten, wohl aber systematisch erforschten einfachen Jäger- und Sammlergesellschaften,[15] für die prototypisch etwa die in trockenen Savannengebieten lebenden San oder Buschmänner des südwestlichen Afrika stehen mögen, nicht einfach als Überlebende der Altsteinzeit behandelt werden können, so als wären Jahrzehntausende spurlos an ihnen vorübergezogen. Vielmehr sind viele, wenn nicht die meisten der rezenten Jäger- und Sammlerpopulationen ‚erst‘ im Zuge der Verbreitung der Landwirtschaft von ihren bäuerlichen und viehzüchtenden Nachbarn in unwirtliche oder schwer zugängliche Gebiete abgedrängt worden.[16] Vor der ‚Erfindung‘ der Landwirtschaft war die Welt in einem quantitativen und qualitativen Sinne leerer. Es gab weniger Menschen,[17] und es gab keine durch verschiedene Produktionsweisen bedingte Konkurrenz um das bessere Land. Darum ist es sehr wahrscheinlich und nicht erst durch Graeber und Wengrow gut belegt, dass komplexe Jäger- und Sammlergesellschaften, Gemeinschaften, die sich durch Vorratshaltung, eine eingeschränkte Mobilität, eine vergleichsweise hohe Bevölkerungsdichte, soziale Hierarchien, korporative Eigentumsrechte, eine reichhaltige materielle Kultur, differenzierte Rituale, häufige Kriegführung und bisweilen sogar Gartenbau auszeichnen,[18] global sehr viel weiter verbreitet waren als die aus der Ethnographie bekannten Fälle.[19]

Zwei (Gruppen) unter ihnen, die kalifornischen und ‚kanadischen‘ Küstenstämme (im Besonderen die Yurok und die Kwakiutl), werden von Graeber und Wengrow im 5. Kapitel beschrieben, dort allerdings nicht als Beispiele komplexer Jäger- und Sammlergesellschaften, sondern um einen – den für die Autoren weltgeschichtlich generell bedeutsamen – Prozess der „Schismogenese“ (S. 73) zu illustrieren. Die nördlichen Küstenanrainer lebten vor allem vom Fischfang und waren semisedentär. Sie siedelten im Winter in großen Küstendörfern, in denen sie ausschweifende Feste feierten und exzessive Überbietungsrituale, den sogenannten potlatch, zelebrierten. Des Weiteren beeindruckend ist ihre Schnitzkunst, die sich in aufwendig gearbeiteten Masken und Totempfählen sowie prächtig geschmückten Hausfassaden und Kanus manifestiert. Die Gemeinschaften waren stratifiziert mit Häuptlingen an der Spitze, es existierten edlere und reichere ‚Häuser‘, zu denen nicht nur die Verwandten einer Linie, sondern auch in Kriegszügen erbeutete Sklaven gehörten. Das Ethos der Nordwestküstenbewohner war aristokratisch, verschwenderisch, ehrerheischend und agonal. Die Yurok, ihre weiter südlich im Gebiet des Klamath River entlang der heutigen Grenzen zwischen Oregon und Kalifornien siedelnden Nachbarn, waren gleichfalls Fischer, Jäger und Sammler. Kalifornien ist allerdings anders als die Mündungsgebiete und Unterläufe des Columbia River und seiner Nebenflüsse eine ökologisch extrem abwechslungsreiche Zone; das Fischen spielte darum eine untergeordnete Rolle. Die Yurok lebten in Dörfern, deren Häuser jedoch vergleichsweise bescheiden waren. Prunkvolle Schnitzereien fehlten; typisch für ihre materielle Kultur waren vielmehr kunstvoll geflochtene, gemusterte Körbe. Anders als die Nordwestküstenbewohner führten die Yurok weder Kriege noch besaßen sie Sklaven. Auch und gerade ihr Ethos stand in diametralem Gegensatz zu dem der kanadischen Stämme. Hoch im Kurs standen Fleiß, Sparsamkeit und Askese. Erstrebt wurde die Vermehrung von Eigentum, das umgekehrt zwar auch veräußert werden konnte, keinesfalls jedoch in aufwendigen Überbietungswettbewerben verprasst wurde. Nicht von ungefähr kam ihr Ethnograph Walter Goldschmidt auf den Gedanken, den Yurok eine gewissermaßen puritanische Gesinnung zu attestieren.[20]

Graeber und Wengrow stellen die berechtigte Frage, wie eine derartige Gegensätzlichkeit erklärt werden könne und kündigen an, der Reihe nach zu überprüfen, ob die Institutionen das Ethos, das Ethos die Institutionen oder ökologische Faktoren sowohl das Ethos als auch die Institutionen zu erklären vermögen (S. 206). Wie so häufig wird dieses Vorhaben indes nicht sauber (gegliedert) abgearbeitet. Tatsächlich verläuft sich die Argumentation zunächst im Ungefähr, bevor die Autoren – bemerkenswerterweise erneut im Anschluss an Marcel Mauss[21] – zu dem Schluss kommen, dass keine der genannten Erklärungen, sondern die bewusste Ablehnung der Lebensweise der je anderen Kultur für ihre „schismogenetische“ (Auseinander-)Entwicklung verantwortlich zu machen sei (S. 221). Mir erscheint insbesondere die Abblendung der durchaus unterschiedlichen ‚Produktionsweisen‘, hier einer mehr oder weniger ganzjährigen Sammeltätigkeit, dort eines saisonalen ‚Abfischens‘ großer wandernder Fischschwärme, nicht überzeugend. Doch muss deswegen gar nicht in Frage stehen, dass auch und nicht zuletzt schismogenetische Prozesse kulturelle, sogar sozialstrukturell-politische Differenzen erzeugen. Eine Schismogenese sehen Graeber denn auch im Verhältnis von frühneolithischen Gemeinwesen oder Kultur(kreis)en in Südostanatolien einerseits und der südliche(re)n Levante andererseits am Werk (Kap. 6).[22]

Kritisch festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang, dass derartige Vorgänge des self-othering für die Autoren generell ein „wichtiger Faktor“ (S. 537) bei der Entstehung von Staatlichkeit sind sowie des ihr nicht nur in einem zeitlichen, sondern irgendwie auch strukturellen Sinne vorausliegenden Patriarchats. ‚Kritisch‘ nicht etwa deshalb, weil eine Herausstellung von Autorität und – ‚toxischer‘ – Männlichkeit nicht auch in Reaktion auf ‚weibliche‘, egalitäre(re) Lebensweisen erfolgen könnte, sondern weil die Idee, dass die Institutionalisierung von Herrschaft – denn darum geht es in dem Buch letztendlich –, wenn nicht immer, so doch regelmäßig in ostentativer Abgrenzung gegenüber freiheitsliebenden, geschlechtergerechte(re)n, wenn nicht weiblich geprägten Nachbarn ‚ausgeschwitzt‘ werde, zumindest ausbuchstabiert, im Grunde jedoch systematisch erörtert werden müsste. Wird sie aber nicht; weder im 5. noch im 6. noch im 10. (Staats-)Kapitel noch im Schluss. Was wir im 5. Kapitel erfahren, ist, dass Herrschaft stets „im eigenen Heim“ (S. 231) beginnt, da die Nordwestküstenbewohner zwar Sklavenhalter gewesen seien, allerdings im eigentlichen oder starken Sinne – es bleibt leider offen, was genau damit gemeint ist – keine Regierung besaßen. Ihre ‚Theorie‘ – die wie gesagt nirgends entfaltet, geschweige denn empirisch breit unterfüttert wird – lautet: Das Patriarchat geht dem Staat voraus, jenem wiederum die Haussklaverei, dies jedoch in einer eigentümlichen, noch für den modernen Staat typischen Weise, insofern sich mit der Sklaverei ein absolutes Herrschaftsverhältnis in Mitten einer Sphäre der Intimität und Fürsorge einnistet (S. 213 f., 438, 441, 543, 547 f.). Die Sklaverei selbst hat ihre Ursprünge im Krieg (S. 232). Versklavt werden Menschen, die im Kampf auf Leben und Tod besiegt, freilich nicht getötet, sondern als lebende Tote von den Siegern gehalten werden (S. 210). Dies, Graeber und Wengrow zufolge, jedoch nicht aus wirtschaftlichen oder auch demographischen Gründen, sondern aufgrund ‚politischer‘ oder besser ideeller Motive, aus „Vorstellungen von einer richtigen Gesellschaftsordnung“ (S. 221), die jedoch überhaupt erst Form annehmen in ‚bloßer‘, nicht primär normativer, sondern formaler, schismogenetischer Abgrenzung anderen gegenüber. Auf ein Schema gebracht: Wille zur Differenz → Sklaverei → Patriarchat → Staat. Man muss sich freilich erst durch den gesamten Text kämpfen, um die außerordentlich fragmentierte Argumentation freizulegen, um schließlich zu erkennen, dass das, was die Autoren anhand der Yurok und Kwakiutl entwickeln, keine auf das Fallbeispiel allein bezogene ethnologische Deutung, sondern ihre anthropologische oder historisch-soziologische Generalthese ist (von der überdies nicht klar ist, wie sie in das im 10. Kapitel skizzierte Modell passt – dazu unten mehr).

3. Von spielerischer Landwirtschaft

Die Kapitel 7 und 8 haben die Entwicklung und Durchsetzung der Landwirtschaft zum Thema. Das erste beleuchtet die Vorgänge im Fruchtbaren Halbmond, der Region, die sich halbkreisförmig von der mediterranen Levante über das südanatolische Hochland und die Hänge des Zagros-Gebirges bis ins mesopotamische Tiefland erstreckt, und damit die im globalen Vergleich frühesten Anfänge der Landwirtschaft. Das zweite greift weltweit aus und schildert den zeitlich langgestreckten, stockenden und häufig regelrecht abgeblockten Prozess ihres globalen ‚Siegeszugs‘. Wer es bis hierhin geschafft hat, sei es im Buch, sei es nur in dieser Besprechung, wird kaum überrascht sein, dass Graeber und Wengrow die Entstehung der Landwirtschaft für alles andere als zwangsläufig halten. Darüber hinaus ist es ihnen darum zu tun, die Entstehung von Ungleichheit und Hochkulturen, Reichen oder frühen Staaten aber nicht auf das Konto der Landwirtschaft zu schreiben. Ihre wichtigsten Argumente gegen diesen Zusammenhang sind zum einen die lange, bisweilen Jahrtausende währende Dauer, die schon in einzelnen, voneinander unabhängigen Ursprungsregionen zwischen ersten Kultivierungsanläufen und einer regelrechten Domestikation in erster Linie von Pflanzen, aber auch Tieren liegt (S. 259).[23] Zum anderen verweisen sie nicht nur auf die Widerstände oder wenigstens die Zurückhaltung einzelner Sozietäten und weiterer Kulturkreise wie etwa der Amazonasbeckenbewohner, die Nahrungsversorgung in der Hauptsache vom Pflanzenanbau abhängig zu machen (S. 294–296), sondern auch und vor allem auf den Umstand, dass nicht überall dort, wo selbst in einem umfänglicheren Sinne Landwirtschaft betrieben wurde, herrschaftliche oder staatliche Verbände entstehen.

Das alles ist richtig, wird allerdings auch von niemandem bestritten, der sich ernsthaft mit der Entwicklung der Landwirtschaft beschäftigt.[24] Man kann sogar noch weitergehen und selbst auf dem Boden der vorstehend erwähnten Tatsachen die ‚Erfindung‘ der Landwirtschaft für ein menschheitsgeschichtlich revolutionäres ‚Ereignis‘ erachten. Letztlich tun das auch Graeber und Wengrow, nur tun sie so, als täten sie es nicht. Zwar halten sie die Rede von der „neolithischen Revolution“, als welche Gordon Childe die Erfindung der Landwirtschaft in den 1930er-Jahren bezeichnet hatte,[25] für einen Mythos, doch sprechen sie in Hinblick auf Ackerbau und Viehzucht selbst von einem „paradigmatische[n] Phänomen“ (S. 270) mit „überaus große[m] Wachstumspotential“ (S. 302). Ausdrücklich erklären sie die Erschließung von Regionen, die ansonsten unerschlossen geblieben wären, „immer größere und dichtere Bevölkerungen“ wie auch die systematische Produktion von Überschüssen, von denen ein staatlicher Herrschaftsapparat zehren kann und muss, zu langfristigen Effekten der Landwirtschaft (S. 301). Ihr ‚Einspruch‘ besteht lediglich darin, dass diese Effekte sich nicht überall eingestellt haben und schon deswegen auch nicht zwingend haben einstellen müssen. Stattgegeben! Doch aus dem Befund, dass es sich beim Übergang von der agrarischen Produktion zu herrschaftlichen Gebilden – wie schon beim Übergang von „spielerische[r]“ (S. 293) zu auf Dauer gestellter Landwirtschaft – nicht um eine historische Gesetzmäßigkeit handelt, folgt, wie sie selber wissen und schreiben, eben nicht, dass die Landwirtschaft keine notwendige Bedingung für die Ausbildung von Hochkulturen gewesen wäre.

Ihre Karte auf S. 279 zeigt in der Tat weitaus mehr voneinander unabhängige Zentren der Pflanzen- und Tierdomestikation als es frühe Hochkulturen oder Reiche gab, doch all diese Reiche, ob in Mittelamerika, den Anden, im Nahen und Mittleren Osten, in Indien oder China entstanden allein und immer in landwirtschaftlichen Ursprungsgebieten. Nicht neben jedem Acker steht früher oder später ein Palast, wohl aber stehen alle Paläste am Rande ‚eines‘ Ackers. Ich wüsste nicht, welcher seriöse Autor mehr und anderes behauptet. Die neolithische Revolution ist im strengen Sinne natürlich keine Revolution, kein mehr oder weniger plötzlicher Umsturz vorher bestehender und für selbstverständlich gehaltener Verhältnisse und sie ist, auch darin haben Graeber und Wengrow Recht, kein rein oder bloß dominant wirtschaftlicher Umbruch, sondern „vielmehr (…) eine mediale Revolution, die auch eine gesellschaftliche Revolution war und vom Gartenbau bis zur Architektur, von der Mathematik bis zur Thermodynamik und von der Religion bis zur Neugestaltung der Geschlechterrollen alles umfasste“ (S. 266). Ob sie „vielmehr“, also in erster Linie eine mediale Revolution war, sei dahingestellt – wie vermutlich überhaupt keine Erklärung der neolithischen Revolution überzeugt, die einen einzigen Faktor zur Ursache oder lediglich zum Auslöser derselben erklärt[26] – vollkommen richtig aber ist – was schon Childe selbstverständlich war –, dass der Übergang zur Landwirtschaft kein rein technisch-ökonomisches Geschehen darstellt, sondern ebenso soziale und ideelle Dimensionen umfasste. Es ist alles andere als abseitig, aber eben auch nicht neu, wenn Graeber und Wengrow die Ritualanlagen von Göbki Tepe samt ihrer bedrohlichen Symbolik und mutmaßlichen Schädelkulte in den Kontext der ‚Erfindung‘ des Ackerbaus stellen (S. 267–270).[27] Auch wenn ihre Erbauer ‚noch‘ Jäger und Sammler waren, dürften sie Getreide zumindest schon kultiviert haben, lebten sie wie ihre levantinischen Nachbarn in einer postglazialen Welt des naturräumlichen Überflusses, welcher in Anatolien die ‚Umleitung‘ von Ressourcen in monumentale Bauprojekte und ebenso Festivitäten großen Maßstabs erlaubte, wohingegen weiter im Süden erstmalig Dörfer entstanden, in oder besser aus denen heraus zunächst Gelegenheitslandwirtschaft und Handel mit örtlichen kulinarischen wie handwerklichen Spezialitäten betrieben wurde.[28]

Die Durchschnittstemperaturen waren nach Ende der letzten Eiszeit erstmalig vor ca. 15.000 Jahren massiv nach oben geschnellt, bevor sie sich nach einem erneuten Kälteeinbruch vor rund 13.000 Jahre auf einem Niveau einpendelten, das – trotz des aktuellen Klimawandels – dem heutigen vergleichbar ist.[29] Flora und Fauna blühten buchstäblich auf. Sesshaftigkeit wurde erstmalig zu einer Option, weil die Jagd- und Sammelgründe nun sehr viel ertragreicher waren. Die mit diesem Temperaturanstieg einhergehende stabile(re) Periodisierung des Klimas – im Mittelmeerraum etablierte sich ein jährlicher Rhythmus von warmen trockenen Sommern und kühlen nassen Wintern – förderte zudem das Wachstum von einjährigen Gräsern, den Vorläufern unseres Getreides, die nun ‚punktuell‘ im Spätsommer geerntet und getrocknet auch noch Wochen und Monate später verzehrt oder weiterverarbeitet werden konnten. Selbstverständlich resultierte aus diesen Umständen und Möglichkeiten nicht sofort ein dominant bäuerliches Leben. Wie man aus Experimenten weiß, wäre eine Domestikation von Wildgetreide tatsächlich innerhalb einiger weniger Generationen möglich gewesen; archäobotanische Analysen zeigen jedoch, dass dieser Vorgang sich über annähernd 3.000 Jahre hinzog.[30] Darauf hinzuweisen, ja zu unterstreichen, dass mit der Landwirtschaft über sehr lange Zeiträume hinweg lediglich experimentiert wurde, ist mithin vollkommen berechtigt.

In Mesopotamien, so Graeber und Wengrow, setzte sich eine Agrikultur möglicherweise gerade deswegen durch, weil hier ertragreicher und vergleichsweise bequemer Überschwemmungsfeldbau in großem Maßstab auch ohne nur durch zentral koordinierte Kollektivarbeiten zu bewerkstelligende Kanalbauten möglich war. Mancherorts, auch und gerade außerhalb des Fruchtbaren Halbmonds, scheiterte die erstmalige Einführung der Landwirtschaft hingegen krachend – so etwa in Europa durch die Vertreter der Bandkeramikkultur –, mancherorts, wie in Amazonien oder Melanesien, wurde sie nie zur dominanten Produktionsweise. Korrekt und durchaus bemerkenswert ist weiter, dass nicht wenige Jäger- und Sammlergesellschaften naturräumlich und ‚technisch‘ durchaus in der Lage gewesen wären, zur Landwirtschaft überzugehen, dies aber nicht taten, mutmaßlich – denn selbstverständlich ist auch Jägern und Sammlern rationales Verhalten zu unterstellen, ohne sie deswegen gleich schon zu Utilitaristen avant la lettre zu stilisieren –, weil es eine einseitigere Nahrungsmittelversorgung und, langfristig zumindest, mehr Arbeit bedeutet hätte. Die von Graeber und Wengrow beschworene „Ökologie der Freiheit“ (S. 298) war insofern auch eine Ökologie der ‚Freizeit‘.[31] Nachweislich und sehr wohl in Gegensatz zu viktorianischen Vorurteilen von der grundsätzlichen Vorzüglichkeit einer landwirtschaftlichen vor einer Wildbeuterexistenz haben sich der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung von Bauern regelmäßig gegenüber der von Jägern und Sammlern verschlechtert.[32] Anstatt der Frage nachzugehen, warum die Landwirtschaft an etlichen Orten der Welt, wenn nicht auf autoritärem, gewalttätigem Wege durchgesetzt wurde,[33] so sich als grundlegende Produktionsweise einspielte, erscheint sie bei Graeber und Wengrow im Grunde nur als Erweiterung des materiell-reproduktiven Repertoires, das die historischen Akteure nach Gusto nutzen konnten oder eben auch nicht. Dass das der qualitativen Verschlechterung der Nahrungsmittelversorgung zum Trotz regelmäßig höhere Bevölkerungswachstum agrarischer Gemeinschaften diese, obwohl das Prinzip der Landwirtschaft ökonomisch gesehen in der Erhöhung des Ertrags pro Fläche liegt, strukturell expandieren lässt, ist den Autoren, wie gesehen, zwar bekannt. Ihr Augenmerk richten sie dennoch auf deren bisweilen verstolperte Anfänge und den häufig gar, gewiss ebenso oft aus ökologischen wie politischen Gründen, blockierten Übergang von additivem Garten- zu dominantem Ackerbau.

4. Unsere gar nicht so kleine Stadt

Es verwundert darum auch nicht, dass zwischen den frühen Städten, denen die Kapitel 8 und 9 gewidmet sind, und der Landwirtschaft kein näherer Zusammenhang hergestellt, ja sogar suggeriert wird, jene bedürften dieser gar nicht, zumindest nicht in „intensiver“ Form, so wie auch „fortgeschrittene Metallurgie“ und „soziale Technologien wie Verwaltungsakten“ keine Voraussetzungen für die ersten urbanen Gemeinwesen gewesen seien (S. 312). Das ist in einem strengen und zugleich lockeren Sinne zwar richtig; ‚streng‘, insofern es nicht erst und nur auf Basis der genannten Elemente zur Entstehung größerer Siedlungen kommt, und gleichzeitig ‚locker‘, insofern man größere Siedlungen immer schon als Städte zählt. Und genau das tun die Autoren: Sie bekennen sich zu einem „archäologischen“ Stadtbegriff, dem zufolge sie von einer Stadt sprechen, wenn eine Siedlung mehr als 150 ha umfasst (S. 628, Anm. 11). So sinnfällig eine solche Definition archäologisch sein mag, sie enthebt nicht der Frage, ob es allein die Größe ist oder auch eine bestimmte Einwohnerzahl, die eine Siedlung zur Stadt macht. Und sie verunklart, dass Städte sehr wohl auf landwirtschaftliche Überschussproduktion angewiesen sind, dass sie fast unweigerlich die handwerkliche (und nicht nur metallurgische) Spezialisierung forcieren und in einer Reihe von Fällen auch administrative (und mediale) Innovationen mit sich bringen.[34] Wiederum werden derartige Zusammenhänge von Graeber und Wengrow auch gar nicht geleugnet. Im Gegenteil, sie informieren darüber, dass im Umfeld aller von ihnen vorgestellten Städte – in Kapitel 8 sind dies vor allem die Großsiedlungen der Cucuteni-Tripolje-Kultur und die mesopotamischen Städte, in Kapitel 9 die mittelamerikanischen Städte Teotihuacán und Tlaxcala – Landwirtschaft betrieben wurde, dass es Handel und handwerkliche Spezialisten gab und Verwaltungsaufgaben gelöst werden mussten.

Doch sie scheuen generell davor zurück, historische beziehungsweise soziologische Kausalitäten oder auch nur Formzusammenhänge zu thematisieren, und speziell, technische, ökonomische, ökologische und sonstige ‚materielle‘ Faktoren für die Entstehung, (Aus-)Gestaltung und Entwicklung von sozialen Formationen verantwortlich zu machen. Graeber und Wengrow sind historische Idealisten. Ihnen geht es weniger um Determinationsverhältnisse als um Freiheitsspielräume. Natürlich kann man in einer historischen Darstellung wahlweise eher die Zwänge oder die Möglichkeiten der Akteure beleuchten (S. 230). Doch sind auch Spielräume naturgemäß begrenzt. Statt diese jedoch zu rekonstruieren, erwecken die Autoren ihrer Kritik an postmodern-kulturrelativistischen Positionen zum Trotz den Eindruck, als wäre ‚den Menschen‘ die längste Zeit der Geschichte immer schon fast alles möglich gewesen, zumindest, was die politische ‚Einrichtung‘ ihrer Gemeinwesen anbelangt (S. 21, 139).

In Hinblick auf Städte heißt dies, dass sie nach Graeber und Wengrow – anders als von Sozialwissenschaftlern behauptet, für die Hierarchie ein unausweichlicher Effekt, ja ein notwendiges Strukturmerkmal von Großgruppen ist[35] – sehr wohl ohne soziale Asymmetrierungen auskommen können und lange Zeit, in frühen Städten beispielsweise, ausgekommen sind. Gegen Robin Dunbar etwa, der davon ausgeht, dass Gruppen von mehr als 150 Personen nicht mehr durch bloße Interaktionen, den Kontakt und die wechselseitige Abstimmung zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern, stabilisiert werden können (S. 304, 306), führen sie als Theoretiker Maurice Bloch ins Feld, der gezeigt habe, dass es die „Fähigkeit, zwischen Gruppengrößen zu wechseln,“ sei, welche „die soziale Kognition des Menschen von der anderer Primaten unterscheidet“ (S. 308).[36] Empirisch sind es nicht nur, aber eben auch die bereits erwähnten Städte, in denen Zehntausende von Einwohnern sich scheinbar selbst verwalten, in deren Ruinen und Hinterlassenschaften es jedenfalls keine – wenigstens keine eindeutigen – archäologischen Hinweise auf institutionalisierte Herrschaft oder auch ‚nur‘ soziale Schichtung gibt. Das ist einerseits so wundersam nicht, denn ebenso wenig wie Städte der Landwirtschaft auf dem Fuße folgen – einige tun es freilich sehr wohl; das anatolische Çatalhöyük zum Beispiel ist bereits um 7000 v. Chr., also kurz nach der weltgeschichtlich erstmaligen Domestizierung von Pflanzen und Tieren, eine aus dichtgedrängten Lehmziegelhäusern bestehende Siedlung mit mehreren tausend Einwohnern (S. 236–238, 244–249) –, werden in den ersten Großsiedlungen gleich schon Paläste errichtet.

Andererseits – und das ist entscheidend – unterschlagen Graeber und Wengrow zwar nicht, dass die frühen Städte wohl auch religiöse Stätten waren oder zumindest bargen (S. 312, 327 f., 337), doch machen sie erneut nichts aus diesem Befund, ebenso wenig wie sie darauf eingehen, dass ihr Gewährsmann Bloch die spezifisch menschliche Fähigkeit, große Gruppen zu bilden, auf Religion zurückführt respektive für die praktische, rituelle Seite von Religion hält. Man muss gar nicht so weit gehen, frühe Städte generell für religiöse Zentren zu halten,[37] dass Religion oder allgemeiner Kulte in vielen von ihnen – und sicher auch für sie – eine zentrale Rolle gespielt haben, ist hingegen offenkundig. Jericho wäre nur ein Beispiel, und dies selbstverständlich nicht, weil das Alte Testament von ihm berichtet, sondern weil sein berühmter, im 9. vorchristlichen Jahrtausend errichteter Turm ein rituelles und nicht etwa militärisches Bauwerk war, kein Tempe, aber eben auch kein profanes Gebäude. Weiterhin anführen lässt sich, dass Göbekli Tepe zwar keine Stadt war, in welcher Tausende von Menschen wohnten, sehr wohl aber eine Ritualanlage, an der regelmäßig Tausende von Menschen zusammenkamen.

Und auch die Siedlung oder Wohnstadt Çatalhöyük war dominant religiös geprägt. Wohl fehlten zentrale Kultgebäude oder -plätze, dafür aber dürften die „Wohn“-Häuser allesamt im Prinzip gleichartige Kultstätten enthalten haben, wenn nicht gewesen sein.[38] Der stets fensterlose, vom Flachdach über eine Treppe zu erreichende Hauptraum besaß einen Ofen beziehungsweise eine Feuerstelle sowie in die Wände eingelassene Bänke und Podeste. In vielen, freilich aus einer bestimmten Grabungsschicht und damit Phase des Ortes stammenden Haupträumen fanden sich spektakuläre Bukranien, aus den Wänden hervorragende Stierschädel mit gewaltigen Hörnern, sowie Wandmalereien vornehmlich von Wildtieren. Ganz offensichtlich dienten diese Räume nicht zuletzt der Totenbestattung und -verehrung. Das wirtschaftliche Leben der Bewohner spielte sich indes vorwiegend auf den Dächern ab.[39]

Nicht überraschend, doch erneut nur en passant erwähnen Graeber und Wengrow „häusliche Rituale“ (S. 322) in den aus dem 4. Jahrtausend stammenden Großsiedlungen der Cucuteni-Tripolje-Kultur nördlich des Schwarzen Meeres. Welcher Art diese Rituale gewesen sein könnten, wird nicht erwähnt. Hingewiesen wird stattdessen auf die ringförmige Anlage der Großsiedlungen, auf die große leere Fläche im Zentrum derselben. Aus einem Vergleich mit modernen – ja: modernen – baskischen Pyrenäen-Dörfern, die gleichfalls kreisförmig angelegt sind und diese räumliche Struktur als Grundlage einer „saisonale[n] Rotation der wesentlichen Aufgaben und Pflichten“ (S. 323), als nicht-hierarchisches Organisationsprinzip ohne zentrale Kontrolle oder Verwaltung nutzten, schließen die Autoren gleichwohl, dass schon in den ‚ukrainischen‘ Großsiedlungen „eine hochgradig egalitäre Organisation im städtischen Maß möglich war“ (S. 325). Anstatt zu fragen und zu diskutieren, ob und inwieweit Religion – eine gemeinsame, auch dezentralisiert oder auf einzelne häusliche ‚Herde‘ verteilte, verbindliche kultische Praxis – ein funktionales Äquivalent zu Hierarchie und als solche grundlegend für das dauerhafte Zusammenleben von Großgruppen sein kann, extrapolieren sie in den beiden Stadtkapiteln aus seriellen Siedlungsmustern wieder und wieder auf demokratisch-genossenschaftliche Organisationsformen.

Ebenso ist ihre im vorstehenden Fall illustrierte ‚diffusionistische‘ Beweisführung nur ein Beispiel dafür – ein besonders krasses allerdings –, auf Basis einer eingestandenermaßen lückenhaften Faktenbasis (S. 330 f.) beeindruckend mutige Schlüsse zu ziehen – in Hinblick auf Mesopotamien etwa die Konklusion, dass die Städte vor der Errichtung erster Paläste von Bezirksräten, Ältesten- und Bürgerversammlungen regiert worden (S. 329) und Frondienste selbst zu dynastischen Zeiten eine ausgelassene, eher karnevaleske denn mühsame Angelegenheit gewesen seien (S. 327 f.). Es ist wahrscheinlich, um nicht zu sagen sicher, dass die Entwicklung von Religion, die Bindung und Selbstversicherung einer Gemeinschaft an und durch gemeinsame Rituale sowie Mythen oder Glaubensvorstellungen, kein unfreiwilliger, ganz und gar freudloser Vorgang gewesen ist. Dennoch ist eine mit feierlichem Ernst vollzogene Selbstverpflichtung auf bestimmte Kulte, also etwa die unsichtbaren Mächte und Wesen um des Gedeihens der Pflanzen und Tiere, des Wohlergehens der Gruppe willen geschuldete Ehrerbietung etwas ganz anderes als demokratische Selbstbestimmung.[40] Religion ist für Graeber und Wengrow irgendwie immer schon da – was sogar stimmen dürfte, insofern das Erwachen des symbolischen und des religiösen Denkens wohl gleichursprünglich sind[41] –, doch kommt sie ‚der Politik‘, der ‚politischen Phantasie‘ und ‚Experimentierfreudigkeit‘ schon der paläolithischen Jäger und Sammler und noch der frühen Stadtbewohner offenbar nirgendwo in die Quere. Sie ist selber ‚nur Spiel‘ (S. 533).

Dass die neolithischen Akteure, die mit landwirtschaftlichen Techniken und Praktiken experimentierten, zugleich auch diejenigen waren, die zumindest ihren Vorstellungen von besonders gefährlichen Tieren einerseits und fruchtbaren, lebensspendenden Frauen andererseits einen neuen bildlich-figürlichen Ausdruck verliehen, die Jacques Cauvin zufolge vielleicht gar die Götter erfanden,[42] Götter, die nicht nur verehrt werden wollten, sondern denen geopfert werden musste – die mithin in gewisser Weise Herrschaftsansprüche stellen –, wissen die Autoren zwar (S. 337), allerdings wird es genauso wenig thematisiert, wie das regelmäßige, kultur- und zeitenübergreifende Auftauchen von Tempeln und schließlich auch Palästen in Städten. Es steht völlig außer Frage, und es ist verdienstvoll, dass das Buch viele Beispiele dafür bringt, dass Städte, auch dann, wenn man darunter nicht nur räumlich verdichtete Siedlungen, sondern rituelle und wirtschaftliche Zentren versteht, über Jahrhunderte hinweg ohne einen im engeren Sinne politischen Herrschaftsapparat auskommen und einen solchen, sollte er entstanden sein, sogar wieder verlieren oder abschaffen konnten – Letzteres schildern die Autoren am Beispiel von Teotihuacán (S. 357–374) –, nur beweisen solche Exempel weder, dass es sich bei derartigen Zentren um freie Assoziationen freier Menschen handelt, noch, dass die Urbanisierung nicht doch die Grundlage für soziale Stratifikation und schließlich die Entstehung von Staaten gewesen ist. „Insgesamt könnte man meinen, die Geschichte sei einheitlich in eine autoritäre Richtung verlaufen. Langfristig gesehen war das auch der Fall.“ (S. 352)

5. Staaten, oder: wenn die Geschichte würfelt

Im 10. Kapitel stoßen wir auf ähnliche Unschärfen. Zum einen versichern uns die Autoren, dass die Entstehung moderner Staaten keine historische Notwendigkeit, sondern vielmehr „mehr oder weniger zufällig“ (S. 461) gewesen sei, zum anderen skizzieren sie selbst nichts anderes als eine mehr oder weniger originelle Theorie der Staatsentstehung, die freilich lange vor einer historischen Rekonstruktion der Entstehung moderner Staaten haltmacht. Allein deswegen ist ein Urteil über ihr Urteil der Zufälligkeit schwierig. Doch um Zufall oder Notwendigkeit geht es gar nicht; es ist eine falsche Alternative. Aus universalhistorischer oder evolutionärer Perspektive waren Staaten ebenso wenig notwendig wie die Zähmung des Feuers oder die Entwicklung des homo sapiens. Wie sich zeigt – und wie ihren gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz auch Graeber und Wengrow zeigen – sind sie an verschiedenen Orten der Welt und zu verschiedenen Zeiten der Geschichte auf durchaus ähnliche, offenbar ‚sozio-logische‘ Weise entstanden. Und mehr noch: Selbst, wenn der moderne Staat seinen historischen Zenit inzwischen überschritten haben sollte (S. 461), hat er sich in den letzten Jahrhunderten, im Zuge des als solchem keineswegs einmaligen, in seiner Wucht und Ausdehnung indes sehr wohl einzigartigen europäisch-neuzeitlichen Kolonialismus,[43] gegenüber alternativen Formen der sozialen Organisation durchgesetzt. Auf Ersteres verweisen die Autoren; Letzteres verhandeln sie nicht. Universalgeschichte oder Theorien der soziokulturellen Evolution sind nicht mit der Entdeckung apriorischer Notwendigkeiten, sondern a posteriori mit der Rekonstruktion und Erklärung historischer Regelmäßigkeiten und Wahrscheinlichkeiten befasst. Dabei spielen Pfadabhängigkeiten eine ganz entscheidende Rolle. Herrschaft oder auch ‚nur‘ gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung sind keine unausweichlichen Folgen räumlich-sozialer Verdichtung, diese ist jedoch regelmäßig die Basis, auf der jene erwachsen, und, einmal ‚erwachsen‘, selbst nach Umstürzen und sozialer Desintegration, langfristig und das heißt wiederum regelmäßig auch nicht mehr vergehen. Im Grunde ist diese ‚Logik‘, ist dieses Schema banal. Doch muss man es benennen, um deutlich zu machen, an welcher Stelle Graeber und Wengrow nicht etwa die historischen Fakten verdrehen, sondern sich weigern, die ‚notwendigen Sequenzen‘ zu ziehen.

Ihre Theorie des Staates, die eigentlich zu zeigen hätte, auf die Beantwortung der Frage zulaufen müsste, „warum wir steckengeblieben sind“ (S. 135, 141, 274, 536 – und vermutlich öfter), warum die politische Fantasie und auch unser Vermögen, eine soziale Ordnung zu errichten, die es erlaubte, uns frei zu bewegen, Befehle zu missachten und uns immer wieder neu zu organisieren (154, 392), erloschen oder zumindest weitgehend erstickt worden ist, dies aber, wie weiter oben bereits ‚ausgeplaudert‘, auch in diesem Kapitel nicht tut – zumindest nicht ausdrücklich und ansatzweise überzeugend –, bleibt hingegen in einer unausgereiften Kombinatorik von Herrschaftselementen hängen (S. 392–400).

Sie unterscheiden drei Grundformen der Macht beziehungsweise der Herrschaft – zwei Termini, um deren Unterscheidung sie sich indes nicht weiter scheren –, nämlich Gewaltkontrolle, Informationskontrolle und individuelles Charisma, die anthropologisch universal gegeben seien und sich im modernen Staat „mehr oder weniger zufällig“ zu einem Komplex von Souveränität, Bürokratie und politischem Wettbewerb verwoben hätten. Auf Basis dieser drei Elemente politischer Herrschaft unterscheiden die Autoren weiterhin drei Typen politischer Verbände: Herrschaften erster Ordnung, die sich mit der Institutionalisierung einer der drei Machttypen begnügen (S. 421), Herrschaften zweiter Ordnung, in denen zwei der drei Machtformen eine Verbindung eingehen (S. 443) und schließlich den modernen Staat, in dem alle drei zum Zuge kommen (S. 461). Grundsätzlich ist weder gegen die Differenzierung von Machtformen noch gegen ihre Kombination zu Herrschaftstypen irgendetwas zu sagen; im Gegenteil. Nur gibt es bereits ähnliche Ansätze, beispielsweise von Michael Mann und Heinrich Popitz (den man im angelsächsischen Sprachraum freilich kaum kennt, seit der Übersetzung seiner Prozesse der Machtbildung immerhin aber kennenlernen kann),[44] die indes, wie generell die durchaus umfängliche und detailreiche Literatur zur Entstehung von Staaten, Staatlichkeit und politischen Verbänden, nicht erwähnt oder diskutiert werden.[45] Lernen ließe sich aus dieser Literatur nicht nur, dass Macht(-formen) und institutionalisierte Macht oder eben Herrschaft unterschieden werden sollten, sondern auch, wie Institutionalisierungsprozesse vonstattengehen, welche alternativen Konzeptionalisierungen nicht- oder vorstaatlicher politischer Verbände es gibt und welche oder auch ‚nur‘ dass sich systematische Zusammenhänge und Entwicklungspfade beobachten lassen.

Tatsächlich gibt es diese, ansatzweise zumindest, auch bei Graeber und Wengrow. Auf den ersten Blick scheint es, als entstünden Herrschaften erster Ordnung einfach so, weil es irgendwem irgendwie gelingt, Macht zu verstetigen – den Olmeken des 2. vorchristlichen Jahrtausends theatralische, soll heißen expressiv-charismatische Ballspiele zu politischem Wettbewerb (S. 413–416), den Bewohnern des vorinkaischen Chavin de Huántar „individuelle Prüfungen, Initiationen und Visionssuchen“ (S. 419) zu esoterischem Herrschaftswissen (S. 416–420) und den nordamerikanischen Natchez des 18./19. Jahrhunderts exzessive Gewalt zum Gottkönigtum (S. 422–426). Faktisch und auch in den Beschreibungen der Autoren sind natürlich alle drei ‚Herrschaften‘ religiös grundiert. Das gilt auch noch für Herrschaften zweiter Ordnung, die im Falle Altägyptens Souveränität mit Bürokratie (S. 429–439), im Falle Mesopotamiens Bürokratie mit politischem Wettbewerb (S. 439 f.) und im Falle der Maya politischen Wettbewerb mit Souveränität (S. 440–442) kombinierten und die jeweils dritte Machtform „einfach nur aus den menschlichen Gefilden in kosmische Sphären“ verlagerten (S. 444). Leider war’s das dann für Graeber und Wengrow auch schon. Wie in den Stadtkapiteln bleibt das Verhältnis von Religion und Politik empirisch wie konzeptionell wieder vollkommen ungeklärt.

Was Graeber und Wengrow uns hingegen versichern, ist, dass Herrschaften erster Ordnung die genannten drei Grundfreiheiten noch nicht einschränken, die Herrschafts-‚Unterworfenen‘ sich mithin Befehlen noch widersetzen, weggehen und es andernorts herrschaftsfrei miteinander versuchen konnten (S. 426–429). Das ändert sich, weitgehend zumindest, in Herrschaften zweiter Ordnung. Diese „bedien[]en sich durchwegs aufsehender Formen von Gewalt“ (S. 441), sie sind in der Lage – man muss wohl ergänzen: sogar gezwungen –, ihren Befehlen regelmäßig gewaltsam Nachdruck zu verschaffen, gerade weil die Herrschaft noch schwach ist, sich noch nicht veralltäglicht hat und auch kein Sicherheitsapparat zur Verfügung steht, der ihr in der Fläche Geltung verschaffte.[46] Ähnliches gilt offenbar für die Freiheit wegzugehen respektive den Versuch der Herrscher, ihre Untertanen daran zu hindern. Mit Scott verweisen die Autoren darauf, dass man durchaus fliehen und ein ‚Barbar‘ werden konnte, jedoch damit rechnen musste, erneut unterworfen zu werden (S. 473–476).[47] Schwerer aber wiegt für sie, dass die Bürokratie, die, wie gesehen, einerseits zwar eine elementare Herrschaftsinstitution ist, einigermaßen widersprüchlich andererseits aber wenigstens anfänglich mit Herrschaft nichts zu tun haben soll (S. 449 f.), in frühen Staaten zu dem zentralen Instrument wird, die dritte Freiheit – die Freiheit, politisch neu und anders zu beginnen – aufzuheben, und zwar indem sie aus einem vermeintlich bloßen Koordinationsmechanismus persönlicher Versprechungen zu einer unpersönlichen und damit nicht-verhandelbaren Registratur von Schuldverhältnissen wird (S. 465 f.). An zentraler Stelle wird mithin auf Graebers Geld-Buch verwiesen – freilich ohne dass dort zu finden wäre, was hier nur in Aussicht gestellt wird, nämlich eine befriedigende Antwort auf die Frage, ‚warum wir steckengeblieben sind‘.[48] Weder wird dort geklärt, inwiefern die Verwandlung von Schuld in Schulden die politische Fantasie erdrückt, noch, wie diese These zu jener anderen, vorstehend bereits ‚entwickelten‘ steht, dass der Staat als Amalgam aus Gewalt und Fürsorge, das dem patriarchalen Haushalt nachgebildet sei, diesen Anschlag auf ein freies – ein freiheitliches – politisches Denken verübt. Kurz, was die Kombinatorik politischer Elemente angeht, ist das Staatskapitel inspirierend, was die empirischen Passagen über Herrschaften erster und zweiter Ordnung betrifft, informativ, wenn auch im Detail vermutlich nur mit Vorsicht zu genießen; als Staatstheorie ist es unbrauchbar.

6. Quod esset demonstrandum

Das folgende 11., nach dem 5. nochmals ‚nordamerikanische‘ Kapitel rekapituliert die bis hierher (genau genommen nur bis zum 9. Kapitel) erzählte Geschichte. Wir begegnen Jäger- und Sammlerkulturen, die großräumig organisiert oder zumindest vernetzt sind und imposante Bauwerke errichten, „spielerischer“ Landwirtschaft, dem Aufstieg und Fall eines Stadtstaates und Stammeskonföderationen, deren Mythen ‚staatliche‘ Herrschaft perhorreszieren und deren ‚Verfassung‘ sie zu verhindern weiß. Graeber und Wengrow berichten von der Hopewell-Kultur aus der Zeit von 100 v. bis 500 n. Chr., deren Zentrum im heutigen US-Bundesstaat Ohio lag, offenbar aber sehr weit in den gesamten nordamerikanischen Kontinent ausstrahlte. Möglicherweise bildete sich hier das transkontinentale, stämme- und sprachgruppenübergreifende Clansystem aus. Archäologen fanden monumentale, saisonal genutzte Erdwerke ritueller Funktion. Landwirtschaftliche Techniken und Praktiken, Methoden einer gezielten Überschussproduktion waren bekannt. Anzeichen für die Existenz oder gar Führerschaft einer gesellschaftlichen Elite gibt es indes nicht.

Nach dem wie auch immer verschuldeten Niedergang der Hopewell-Kultur setzten – man höre und staune – „vertraute Entwicklungen“ (S. 495) ein: Angebauter Mais wurde vielerorts zum Grundnahrungsmittel, es kam zu bewaffneten Konflikten, und statt eines neuen dezentralen Netzwerks entstand schließlich ein auf die nahe des heutigen St. Louis am Mississippi gelegene Stadt Cahokia hin ausgerichtetes hierarchisiertes Gemeinwesen. Um 1000 n. Chr. dürften bereits 10.000, um 1400 sogar 40.000 Menschen in Cahokia, der größten präkolumbischen Stadt nördlich von Mexiko, gelebt haben. Die Bevölkerung der Stadt und ihres mediatisierten Umlands war geschichtet in Edle und Gemeine, an ihrer Spitze stand eine Führungselite, die ähnlich wie frühe Herrscher überall auf der Welt Massenhinrichtungen durchführen ließ. Das ‚Regime‘ konnte sich allerdings nicht halten. Nach 1400 kehrten mehr und mehr Menschen Cahokia den Rücken zu; die, wie unsere Autoren beiläufig einräumen, dünne Besiedlung des Mittleren Westens (S. 500), auch die nach wie vor randständige Rolle der Landwirtschaft und die mit dieser einhergehende niedrige Geburtenrate (S. 503 f.) machten es möglich, dem städtischen Zentrum und der dort ansässigen Elite den Rücken zu zukehren. Um 1700 gab es in der Mitte Nordamerikas keine Kleinkönigreiche mehr.

Ganz im Gegenteil, am Beispiel der im Gebiet des heutigen Oklahoma ansässigen Osage beschreiben die Autoren eine Gesellschaft, deren Institutionen geradezu auf die Verhinderung willkürlicher Macht zugeschnitten gewesen seien. Neben einem Rat der Weisen, der für kollektiv verbindliche Beschlüsse zuständig gewesen sei, habe es tägliche Versammlungen einfacher Stammesangehöriger gegeben, in denen die Entscheidungen des Rates vorbesprochen und reflektiert worden seien. Vergleichbare demokratische und deliberative Institutionen, Graeber und Wengrow zufolge vermutlich auch eine vergleichbare ‚staatliche‘ Vorgeschichte, finden sich bei den nordwestamerikanischen Irokesen, die freilich in keinem direkten oder nachweislichen Zusammenhang mit den Osage standen. Der für die Autoren entscheidende Punkt ist dabei, dass die Indigenen Nordamerikas, die Irokesen so gut wie die Osage, genauer: deren ‚Intellektuelle‘ zu politischem Denken, zur Reflexion grundsätzlicher politischer Alternativen und weiter zur bewussten (Aus-)Gestaltung ihrer Gemeinwesen in der Lage gewesen seien. Also bilde dieses Vermögen, wie ausführlich in Kapitel 2 erläutert, kein Privileg, keine Entdeckung oder Errungenschaft erst der europäischen Aufklärung (S. 527), andererseits erwache ein solches politisches Bewusstsein ‚erst‘ und ‚nur‘ vor dem Hintergrund der Erfahrung von Herrschaft und Staatlichkeit (S. 518). Die Beobachtung, dass explizite Herrschaftskritik und weitergehend die von Pierre Clastres bereits in den 1970er-Jahren beschriebenen „Gesellschaften gegen den Staat“[49] nur möglich waren, weil zumindest die Vorfahren ihrer Mitglieder so etwas wie ‚staatliche‘ oder auch nur institutionalisierte Herrschaft kennengelernt haben, hatten die Autoren auch schon an früherer Stelle ins Feld geführt (S. 132 f.). Ich halte diesen Hinweis für überzeugend.

Er belegt allerdings, dass, wenn auch nicht gleich Staaten, so doch herrschaftliche Strukturen sehr viel gewöhnlicher und weiterverbreitet gewesen sein müssen, als uns die vorliegende ‚anarchistische‘ Menschheitsgeschichte glauben machen will. Freilich handelt es sich strenggenommen nicht um einen Selbstwiderspruch, in den sich Graeber und Wengrow in ihrer Darstellung verstricken, haben sie doch – wie gesehen – durchaus beschrieben, dass bereits paläolithische Wildbeutergesellschaften zumindest saisonal komplexe und sogar hierarchische Strukturen auszubilden vermocht haben, ohne sie freilich auf Dauer zu stellen. Vielleicht ist das keine ganz neue Einsicht, wohl aber eine, die das Buch vollkommen zu Recht herausstreicht. Gleichwohl normalisiert sie die vielen Anläufe zur Hierarchisierung, unter denen etliche zwar abbrechen oder zurückgenommen werden, manche jedoch zur Errichtung von politischen Verbänden führen, die Zehntausende, Hundertausende, ja Millionen von Menschen zu umfassen und regieren imstande sind. Auch diese Gebilde, diese Reiche und Imperien, waren vergänglich, so wie sicherlich auch der moderne Staat vergänglich ist. Neben und zwischen solchen politischen Verbänden existierten Gemeinschaften, die sich nicht durch Ausbeutung, Unterdrückung, Kriege und Sklaverei hervortaten. Doch seit es derartige Reiche gibt, setzen sie sich auf Kosten herrschaftsfreier Gemeinschaften durch, so wie sich schon landwirtschaftliche Gemeinschaften allen Anlaufschwierigkeiten zum Trotz gegenüber Jägern und Sammlern behaupten – nicht weil sie besser wären oder von den Menschen gewollt würden, sondern weil sie schlicht mächtiger sind. Der ‚Trumpf‘ der Bauern ist ihre Demographie, der ‚Trumpf‘ der Staaten die Organisation der Gewalt. Beides, die Bevölkerungsentwicklung und die Kriege als treibende Kräfte der Geschichte, kommt bei Graeber und Wengrow nur am Rande vor.[50] Ihr Fokus ist die politische Fantasie, der Wille zur Freiheit, der, wie ihre vorstehend referierte erfahrungsgeschichtliche Einschränkung der indigenen Herrschaftskritik deutlich macht, freilich nicht ganz so frei über den Wassern schwebt, wie sie insgesamt nahelegen.

Dies gilt mutatis mutandis auch – womit wir beim Thema des letzten hier vorzustellenden Kapitels 2 sind – für die Herrschaftskritik der europäischen Aufklärung. Es dürfte – gezielt – übertrieben sein, die zur Ablehnung von Willkürherrschaft aufgebotene logische Beweisführung und rhetorische Brillanz ‚der Irokesen‘ und insbesondere ihres „Philosophen und Staatsmann[s]“ Kondiaronk (S. 64) zum Vorbild der aufklärerischen Debattenkultur, ja die Aufklärung insgesamt zu einem Effekt der indigenen Kritik an den (Institutionen der) europäischen Kolonialisten zu erklären (S. 61 f., 75). Es stimmt allerdings, dass die Figur des häufig amerikanischen Indigenen in der politischen Philosophie der Aufklärung eine Schlüsselstellung einnimmt.[51] Daher ist es auch berechtigt, um nicht zu sagen, notwendig, in den Quellen die konkreten Informanten und Gesprächspartner der europäischen Proto-‚Ethnographen‘, der europäischen Eroberer, Abenteurer und insbesondere Missionare, zum Sprechen zu bringen. Ihre Rede, ihre Kritik an europäischen Denk- und Lebensformen, verdient es als indigene Kritik ernst genommen zu werden, um damit das scheinbare europäische Monopol auf Gesellschaftskritik, auf eine Reflexion der im eigentlichen Sinne politischen Frage, in welcher Gesellschaft man leben und welche Institutionen man sich geben wolle, aufzubrechen.

Doch selbst wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Aufklärung keineswegs allein den Köpfen genialer europäischer Intellektueller entsprungen ist, sondern sich in substanziellem Maße der Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen und mehr noch antikolonialen Einreden der in Übersee Unterworfenen verdankt, wird man diese Feststellung nicht erst für das 17. und 18. Jahrhundert, sondern bereits für die spätscholastische Kolonialismuskritik des 16. Jahrhunderts gelten lassen müssen.[52] Die neuzeitlich-europäische Landnahme war vorrangig eine gewaltsame Unterwerfung ‚fremder‘ Erdteile und Völker (auch wenn insbesondere die schnelle Eroberung und Entvölkerung Amerikas in erster Linie auf die von den Europäern eingeschleppten, ihrer damals bereits Jahrtausende währenden Symbiose mit domestiziertem Vieh entsprungenen Krankheitserreger zurückgeht[53]), dennoch zeichnet sich die europäische ‚Begegnung‘ mit dem Fremden sehr wohl auch durch ein besonderes Maß an oder besser: eine besondere Art der Alteritätssensibilität aus, deren Anfänge sich bis in die Antike zurückverfolgen lassen und möglicherweise auf so etwas wie eine kollektive Erfahrung kultureller Zweitrangigkeit zurückgehen.[54]

Überhaupt ist es, zumal im europäischen Kontext, die Antike und nicht erst die Aufklärung, in der die politische beziehungsweise soziale Ordnung als prinzipiell gestaltbar aufgefasst wird. „So spät erst!?“, meine ich Graeber und Wengrow mir zurufen zu hören. „Haben wir nicht gezeigt, dass Menschen immer schon politisch experimentierten?“ – „Nein, habt Ihr nicht.“ Denn es ist ein Unterschied, ein fundamentaler sogar, entweder Varianz und sogar Periodizität von historisch weit zurückliegenden Gesellungsformen festzustellen oder ein Bewusstsein für eine grundsätzlich mögliche und nur vom freien Entschluss der Akteure abhängige Andersartigkeit der politischen Organisation zu postulieren. Ersteres wird von den archäologischen und ethnologischen Daten vollkommen gedeckt. Letzteres nicht, und zwar nicht nur, weil es für Bewusstseinszustände anders als für differente und saisonale Sozialstrukturen keine direkten archäologischen Spuren gibt, sondern auch weil ethnologische, entwicklungspsychologische und selbst im engeren Sinne historische, also schriftgebundene, Befunde unabweisbar belegen, dass sich nicht nur unsere Techniken, unsere sozialen Organisationsformen und unsere Weltbilder entwickeln – weiterentwickeln sogar, insofern überhaupt kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Naturbeherrschung, die soziale beziehungsweise politische Organisationskompetenz und das ‚Weltwissen‘ im Laufe der Geschichte zugenommen haben –, sondern auch unser Denken, unser Denkvermögen oder genauer unsere Denkformen einer Art Steigerungslogik unterliegen.[55] Zwar erwacht das menschliche Vermögen, das Wirkliche zu variieren, schon mit der Sprache. Eine ganz andere Welt zu verwirklichen, gestatten sich die Menschen indes erst, nachdem sie die Götter entthront haben.[56] Wer in der Religion nur oder primär spielerisches Experimentieren und nicht oder wenigstens nicht auch die tiefe Verpflichtung erkennt, die Welt, wie sie ist oder durch göttliches Dekret sein soll, zu bewahren, ‚muss‘ diesen Sachverhalt jedoch verfehlen.

7. Von Typen und Sequenzen II

In seiner Philosophie des Geldes mokiert sich Christoph Türcke darüber, dass Graeber in seinem Geld-Buch nicht etwa die ersten, sondern nur die letzten 5000 Jahre Geldgeschichte verhandle.[57] Dabei lägen die Ursprünge des Geldes doch viel weiter zurück, irgendwo tief in der Steinzeit oder gar noch davor. Was von Türckes Einwand zu halten ist, braucht hier nicht zu interessieren, jedenfalls greifen Graeber und Wengrow in ihrem vorliegenden Buch wie angemahnt deutlich weiter aus. Doch auch (wenn nicht gerade) auf die jüngste Publikation passt die Kritik, dass sie zu spät einsetzt – natürlich nicht in dem Sinne, alles, was passiere, habe einen Vorlauf, ohne den das, was folgt, unverständlich oder zumindest unvollständig bliebe. Jede Geschichte muss irgendwo einsetzen, manches, vieles sogar, einfach als gegeben voraussetzen. Mehr noch, dafür, dass die Autoren im Jungpaläolithikum beginnen, gibt es gute, von ihnen selbst vorgetragene Gründe. ‚Damals‘ entstehen, nach dem, was wir heute wissen, die ersten Monumente, die ersten gebauten Zeugen für Religion (S. 179 f.). Bereits das Jungpaläolithikum kennt mithin komplexe Gesellschaften. So weit, so gut. Und doch steckt in gerade diesem ‚Anfang‘ ein grundlegendes, weil das Gesamtargument des Buches tangierendes Problem.

Obwohl Graeber und Wengrow selbst wiederholt von sozialer Komplexität bereits im Paläolithikum sprechen, verwehren sie sich gegen den Gebrauch der Kategorie ‚komplexe Wildbeuter‘ (S. 114, 130 f., 186), freilich weniger aus in der Sache nachvollziehbaren als vielmehr rhetorisch durchsichtigen Gründen: Es hieße, anzuerkennen, auch evolutionär oder zumindest typologisch denkende Fachleute würden differenzierter beobachten, also nicht schlicht ‚arme, aber freie‘ Formen der Vergesellschaftung ‚technologisch fortschrittlichen, aber unfreien‘ gegenüberzustellen.[58] Selbstverständlich wissen Graeber und Wengrow, dass die Forschung nicht mit einer derart einfachen Gegenüberstellung operiert, dennoch scheuen sie sich, hier wie generell, vor einer ernsthaften und eingehenden Auseinandersetzung mit aktuellen evolutionären und evolutionstheoretischen Ansätzen.[59] Das Buch verweigert sich einer solchen Auseinandersetzung nicht deshalb, weil seine Autoren die empirische Vielfalt von Gesellschaften und Kulturen nicht in ein klassifikatorisches Korsett stecken wollten. Das nämlich tun sie selber, wenn sie – durchaus zu Recht – die Entstehung von Städten für ein neues menschheitsgeschichtliches Kapitel halten (S. 311) oder zwischen Herrschaftssystemen erster, zweiter und dritter Ordnung unterscheiden. Vielmehr müssten Graeber und Wengrow einräumen, dass komplexe Jäger- und Sammlergesellschaften, auch wenn sie natürlich keine ‚Spätzünder‘, keine zu ihrem eigenen Unglück an der Entwicklung der Landwirtschaft vorbeilaufenden toten Enden der soziokulturellen Evolution sind, sehr wohl aus einfachen oder jedenfalls deutlich einfacheren Wildbeutersozietäten hervorgegangen sein müssen. Denn erstens setzt in einem ganz schlichten, allein schon logischen Sinne Komplexität stets Differenzierung oder auch Vernetzung respektive Koevolution von einfacheren Elementen voraus – der Bau von seetüchtigen Auslegerbooten beispielsweise das ‚Schippern‘(-Können) auf Baumstämmen oder Flößen. Auch soziale Komplexität fällt nicht vom Himmel, ist nicht immer schon einfach da. ‚Die Geschichte‘ beginnt eben nicht gleichermaßen egalitär und hierarchisch und oszilliert dann ‚nur noch‘ zwischen diesen Polen, bis Herrschaft und Staatlichkeit sich irgendwann und irgendwie festsetzen.

Vielmehr ‚beginnt‘ zweitens gerade die menschliche Geschichte insofern ausgesprochen egalitär – selbstverständlich metaphorisch gesprochen, weil es evolutionär gesehen keinen eigentlichen Anfang, keine Urszenen, sehr wohl aber entscheidende Übergänge gibt, so etwas wie Nadelöhre, durch die man, einmal ‚hindurchgekrochen‘, kaum mehr zurückkommt[60] –, als sich Menschen- gegenüber nicht-menschlichen Primatengruppen durch ein außergewöhnliches, wenn nicht spektakuläres Maß an allgemeiner Kooperationsbereitschaft sowie Egalität insbesondere unter Männern auszeichnet, die in nicht-agrarischen und insbesondere einfachen Jäger- und Sammlergesellschaften im Übrigen auch zwischen den Geschlechtern besteht.[61] Es versteht sich, dass Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans nicht unsere unmittelbaren Vorfahren sind, ebenso aber, dass wir von gemeinsamen Vorfahren abstammen, von denen einige sich vor zweieinhalb Millionen Jahren mit der mutmaßlich frühesten Entwicklung von Faustkeilen auf den langen Weg der Hominisation gemacht haben. Anders als Graeber und Wengrow insinuieren (S. 98 f.), sind ‚wir‘ im Wesentlichen aufgrund von Werkzeugfunden, aber auch auf Grundlage anderer Artefakte und Spuren vor- wie frühmenschlichen Lebens sowie aufgrund primatologischer Forschung durchaus in der Lage, eine mehr als frei erfundene, empirisch unverbürgt herbeispekulierte Menschheitsgeschichte zu schreiben.[62] Sie monieren zu Recht, dass man die in den Höhlen von Altamira, Chauvet oder Lascaux prominent zu besichtigende kreative Explosion im frankokantabrischen Kulturraum vor gut 30.000 Jahren nicht für die Geburtsstunde des auch „verhaltensmäßig modernen“ Menschen halten darf.[63] Auch dieser Aufbruch hatte einen, wie man heute annimmt, wohl schon vor 100.000 Jahren einsetzenden, nicht nur ‚europäischen‘ Vorlauf (S. 100–103). Doch ebenso wie die ‚europäische Blüte‘ im Jungpaläolithikum einer – wie die Autoren im Anschluss an Schmidt und Zimmermann überlegen – ökologisch-klimatisch bedingten Interaktionsverdichtung geschuldet sein könnte,[64] dürften komplexe Jäger- und Sammlergesellschaften unter ähnlich günstigen Umweltbedingungen aus kleineren, deswegen sozialstrukturell, des Weiteren aber auch materiell oder besser ‚artifiziell‘ einfacheren, egalitären Gemeinschaften hervorgegangen sein. Um es zu wiederholen: Die menschliche Geschichte beginnt, gleich ob man sie mit Graeber und Wengrow im Jungpaläolithikum oder schon früher, etwa mit der Zähmung des Feuers oder der gemeinschaftlichen Jagd, beginnen lässt, egalitär und nicht hierarchisch. Und es ist darum sehr wohl eine – im Übrigen von Generationen von Forschern auf Basis neuer Erkenntnisse immer wieder in Angriff genommene, prinzipiell lösbare und im Grundsatz auch gelöste – Aufgabe, historisch-anthropologisch zu rekonstruieren, unter welchen Umständen und auf welchem Wege soziale Stratifizierung anläuft, wieder rückgängig gemacht und sich, in etlichen Gemeinwesen zumindest, langfristig etabliert.[65]

Die zentrale, an etlichen Stellen des Buches explizit aufgeworfene Frage der beiden Autoren, wo wir „steckengeblieben“ seien, wann und wie wir, die Menschheit oder wenigstens weite Teile derselben, es verlernt hätten, in politischen Alternativen zu denken, uns eine andere, freiere Welt vorzustellen – und auch ins Werk zu setzen –, als die, in die wir uns mit der Errichtung stabiler staatlicher Strukturen begeben haben, ist darum nicht minder falsch gestellt als die von ihnen als Scheinfrage abgewiesene Frage nach dem Ursprung der Ungleichheit (S. 135). Den einen Ursprung gibt es nicht, ebenso wenig aber den einen Unfall, bei dem die Geschichte entgleist ist (S. 94, 154, 162). Was es gibt, das sind Prozesse der Machtakkumulation und -institutionalisierung, auch der technischen Innovation und nicht zu vergessen der mentalen und medialen Erschließung der Welt, die allesamt sehr früh einsetzen, letztlich Dimensionen schon der Hominisation und ‚nicht erst‘ der Geschichte sind, Prozesse, die das Natur-, das Sozial- und das Weltverhältnis einzelner Gesellschaften prägen, diese unweigerlich aber auch in Kontakt miteinander, in Abhängigkeit voneinander, „schismogenetisch“ in Gegensatz und darüber hinaus in ein bisweilen kriegerisch ausgetragenes Konkurrenzverhältnis zueinander setzen. Oft verlaufen sie im Sande oder werden rückgängig gemacht, folgt eine Ent- auf eine Verflechtung. An bestimmten Punkten jedoch – und insofern ergibt die Rede von großen evolutionären Übergängen, epochalen Schwellen und nicht bloß neuzeitlich-politischen Revolutionen sehr wohl Sinn – werden die Weichen so gestellt, dass ein Zurück in Einzelfällen – und sei es in vielen – zwar immer noch möglich ist, alles in allem jedoch äußerst unwahrscheinlich wird.

So wie Kant von der Französischen Revolution meinte, „ein solches Phänomen in der Menschengeschichte vergisst sich nicht mehr, weil es eine Anlage und ein Vermögen in der menschlichen Natur zum Besseren aufgedeckt hat,“[66] gibt es ‚weitere‘ politische oder sozialstrukturelle, aber auch technische und epistemische Entdeckungen, die, wenn überhaupt, dann nicht leicht ungeschehen gemacht werden können. Das Wissen darum, dass die Erde rund ist und keine Scheibe, dürfte bis auf weiteres kaum in Vergessenheit geraten, ebenso wenig, dass sich auf dem Wege der Kernspaltung enorme Energiemengen freisetzen lassen. Man kann diese Entdeckung bedauern, aus der Welt schaffen lässt sie sich nicht. Der neuzeitliche europäische Machtstaat hat sich, je nachdem wo man ansetzt, seine Geschichte zu erzählen, vielleicht zufällig entwickelt, doch einmal entwickelt, hat er sich keineswegs zufällig weltweit verbreitet, nicht unbedingt, weil er „eine Anlage und ein Vermögen in der menschlichen Natur zum Besseren aufgedeckt hat“, wohl aber, weil alle bis dahin bekannten und koexistenten politischen Formationen sich gegen ihn nicht behaupten konnten.[67] Wer sich derartigen Einsichten verschließt oder zumindest nicht zum Thema macht, warum und inwiefern man sich bislang geirrt hat, der verrätselt Geschichte, anstatt über sie aufzuklären.

Ein solches Urteil dem ganzen Buch gegenüber ist natürlich ungerecht. Denn man lernt sehr viel über die Errungenschaften schon und gerade von Jägern und Sammlern, über die Anfänge der Landwirtschaft und diverse Strategien, sie zu vermeiden, über frühe Städte und Reiche aus verschiedensten Teilen der Welt – einzig das subsaharische Afrika hat bei Graeber und Wengrow einen nur marginalen Auftritt, und auch die altchinesische Geschichte kommt vergleichsweise kurz – mit einem Schlaglicht auf viele in der Tat erstaunliche, nicht- oder zumindest nicht durchgängig hierarchische Formen der sozialen Organisation. Doch in Hinblick auf die Leugnung historischer Großtrends, struktureller Irreversibilitäten und, wenn nicht rundheraus überzeugender, so doch in mehr als einem Fall diskutabler Modellierungen derselben, liegen die Autoren schlichtweg falsch.

  1. Yuval Noah Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, München 2013.
  2. Jean-François Bergier, Die Geschichte vom Salz, Zürich 1989; Gerd Koenen, Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus, München 2017.
  3. Ian Morris, Beute, Ernte, Öl. Wie Energiequellen die Gesellschaft formen. München 2020.
  4. Jürgen Kaube, Die Anfänge von allem, Berlin 2017.
  5. Überschlagen umfasst das Literaturverzeichnis 1000 Titel.
  6. Steven Pinker, Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit, Frankfurt am Main 2011.
  7. David Graeber, Schulden. Die ersten 5000 Jahre, München 2014.
  8. Ulrich Veit, Die „ethnographische Analogie“. Aufstieg und Niedergang eines heuristischen Schemas in der deutschsprachigen Urgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert, in: Saeculum 70 (2020), 2, S. 213–233.
  9. Vicki Cummings et al. (Hg.), The Oxford Handbook of the Archaeology and Anthropology of Hunter-Gatherers, Oxford 2014.
  10. Vgl. dazu am Beispiel der Verwandtschaftsforschung die Kontroverse zwischen Susan McKinnon, On Kinship and Marriage. A Critique of the Genetic and Gender Calculus of Evolutionary Psychology, in: dies., Sydel Silverman (Hg.), Complexities. Beyond Nature and Nurture, Chicago 2005, S. 106–131, und Warren Shapiro, What Human Kinship is Primarily about. Toward a Critique of the New Kinship Studies, in: Social Anthropology 16 (2008), 2, S. 137–153.
  11. Francis Fukuyama, The Origins of Political Order. From Prehuman Times to the French Revolution, London 2011; Jared Diamond, What Can We Learn from Traditional Societies?, New York 2012.
  12. Brian F. Byrd / Cristopher M. Monahan, Death, Mortuary Ritual, and Natufian Social Structure, in: Journal of Anthropological Archaeology 14 (1995), S. 251–287.
  13. Marcel Mauss, Soziale Morphologie. Über den jahreszeitlichen Wandel der Eskimogesellschaften (1904/05), in: ders., Soziologie und Anthropologie, Bd. 1., Frankfurt am Main 1989, S. 183–276.
  14. Robert H. Lowie, Some Aspects of Political Organization Among the American Aborigines, in: Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland 78 (1948), 1/2, S. 11–24.
  15. Startschuss für eine breit angelegte Forschung war Richard B. Lee / Irven DeVore (Hg.), Man the Hunter, Chicago 1968.
  16. Peter Bellwood, Neolithic Migrations: Food Production and Population Expansion, in: ders. (Hg.), The Encyclopedia of Global Human Migration, Bd. 1, Prehistory, Oxford 2013, S. 79–68.
  17. Jean-Pierre Bocquet-Appel / Ofer Bar-Yosef (Hg.), The Neolithic Demographic Transition and its Consequences, Dordrecht 2008.
  18. Vicki Cummings, The Anthropology of Hunter-Gatherers. Key Themes for Archaeologists, London 2013, Kap. 4.
  19. Peter Rowley-Conwy, Time, Change and the Archaeology of Hunter-Gatherers. How Original is the ‚Original Affluent Society‘?, in: Catherine Panter-Brick et al. (Hg.), Hunter-Gatherers. An Interdisciplinary Perspective, Cambridge 2001, S. 39–72.
  20. Walter Goldschmidt, Ethics and the Structure of Society. An Ethnological Contribution to the Sociology of Knowledge, in: American Anthropologist 53 (1951), 4, S. 506–524.
  21. Sie verweisen (S. 617, Anm. 14) auf ausgewählte Seiten aus dem von Nathan Schlanger herausgegebenen Sammelband mit Texten von Marcel Mauss, Techniques, Technology and Civilization, New York 2006; der meines Wissens einschlägige Text ist in diesem Zusammenhang Les Civilisations. Éléments et formes, in: Marcel Mauss, Œuvres, Bd. 2, Représentations collectives et diversités des civilisations, hrsg. von Victor Karady, Paris 1974, S. 456–479.
  22. Nicht von Graeber und Wengrow zitiert, wohl aber einschlägig ist hier Claude Lévi-Strauss, Rasse und Kultur, in: ders., Der Blick aus der Ferne, München 1985, Kap. 1.
  23. Unter Pflanzenkultivierung versteht man deren gezielten Anbau zu Zwecken einer späteren Ernte, unter Pflanzendomestikation die Abhängigkeit der Pflanzen von menschlichen Eingriffen zur Reproduktion; bei Tieren ist es der Unterschied zwischen Wildtierhaltung und Haustierzucht.
  24. Graeme Barker, The Agricultural Revolution in Prehistory. Why Did Foragers Become Farmers?, Oxford 2006; Peter Bellwood, First Farmers. The Origins of Agricultural Societies, Malden 2005.
  25. V. Gordon Childe, Man Makes Himself (1936), London 1939, Kap. V.
  26. Melinda A. Zeder, Religion and the Revolution. The Legacy of Jacques Cauvin, in: Paléorient 37 (2011), 1, S. 39–60.
  27. Oliver Dietrich et al., The Role of Cult and Feasting in the Emergence of Neolithic Communities. New Evidence from Göbekli-Tepe, South-Eastern Turkey, in: Antiquity 86 (2012), S. 674–695.
  28. Barry Cunliffe, 10.000 Jahre. Geburt und Geschichte Eurasiens, Darmstadt 2016, Kap. 2.
  29. Peter J. Richerson et al., Was Agriculture Impossible during the Pleistocene but Mandatory during the Holocene? A Climate Change Hypothesis, in: American Antiquity 66 (2001), 3, S. 387–411.
  30. Gordon C. Hillman / M. Stuart Davies, Measured Domestication Rates in Wild Wheats and Barley under Primitive Cultivation, and Their Archaeological Implications, in: Journal of World Prehistory 4 (1990), 2, S. 157–222.
  31. Marshall Sahlins, The Original Affluent Society, in: ders., Stone Age Economics, New York 1972, S. 1–39.
  32. Mark N. Cohen, Health and the Rise of Civilization, New Haven 1989.
  33. James C. Scott, Against the Grain. A Deep History of the Earliest States, New Haven 2017, Kap. 5.
  34. Kaube, Die Anfänge von allem (wie Anm. 4), Kap. 9.
  35. Gregory A. Johnson, Organizational Structure and Scalar Stress, in: Colin Renfrew et al. (Hg.), Theory and Explanation in Archaeology, New York 1982, S. 389–421.
  36. Robin I. M. Dunbar, Coevolution of Neocortical Size, Group Size and Language in Humans, in: Behavioral and Brain Sciences 16 (1993), S. 681–735; Maurice Bloch, Why Religion is Nothing Special but is Central, in: Philosophical Transactions of the Royal Society. Biological Sciences 363, (2008), 1499, S. 2055–2061.
  37. Stefan Breuer, Die archaische Stadt, in: Die alte Stadt 25 (1998), S. 105–120.
  38. Ian Hodder, Probing Religion at Çatalhöyük. An Interdisciplinary Experiment, in: ders. (Hg.), Religion in the Emergence of Civilisation. Çatalhöyük as a Case Study, Cambridge 2010, S. 1–31.
  39. Eine ähnliche seriell-hausweise Totenverehrung findet man in anderen frühneolithischen Siedlungen wie zum Beispiel dem nahe dem Eisernen Tor an der Donau gelegenen Lepenski Vir. Ian Hodder, The Domestication of Europe. Structure and Contingency in Neolithic Societies, Oxford 1990, S. 20–43.
  40. Robert N. Bellah, Religion in Human Evolution. From the Paleolithic to the Axial Age, Cambridge 2017, Kap. 2.
  41. Gregory J. Wightman, The Origins of Religion in the Paleolithic, Lanham 2015.
  42. Jacques Cauvin, Naissance des divinités, naissance de l’agriculture. La révolution des symboles au Néolithique, Paris 1994.
  43. Siehe dazu die Beiträge in Axel T. Paul / Matthias Leanza (Hg.), Comparing Colonialism. Beyond European Exceptionalism, in: Comparativ – Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung 30 (2020), 3/4.
  44. Michael Mann, The Sources of Social Power, Bd. 1, History of Power from the Beginning to AD 1760. Cambridge, 1986, Kap. 1; Heinrich Popitz, Phenomena of Power. Authority, Domination, and Violence, New York 2017.
  45. Allein für frühe Staaten siehe Stefan Breuer, Der archaische Staat. Zur Soziologie charismatischer Herrschaft, Berlin 1990; Timothy Earle, How Chiefs Come to Power. The Political Economy in Prehistory, Stanford 1997; Norman Yoffee, Myths of the Archaic State. Evolution of the Earliest Cities, States, and Civilizations, Cambridge 2005; Henri J. M. Claessen, On Early States. Structure, Development, and Fall, in: Social Evolution & History 9 (2010), 1, S. 3–51.
  46. Trutz von Trotha, Koloniale Herrschaft. Zur soziologischen Theorie der Staatsentstehung am Beispiel des „Schutzgebietes Togo“, Tübingen 1994, Kap. 1.
  47. Scott, Against the Grain (wie Anm. 33), Kap. 5 u. 7.
  48. Axel T. Paul, Theorie des Geldes. Zur Einführung, Hamburg 2017, S. 62–71.
  49. Pierre Clastres, La Société contre l’État. Recherches d’anthropologie politique, Paris 1974.
  50. Axel T. Paul, „Kriege sind die Lokomotiven der Geschichte“ – Über Formwandel und historische Dynamik organisierter Gewalt, in: Ferdinand Sutterlüty et al. (Hg.), Narrative der Gewalt. Interdisziplinäre Analysen, Frankfurt am Main 2019, S. 59–78.
  51. Karl-Heinz Kohl, Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation, Berlin 1981.
  52. Anthony Pagden, The Fall of Natural Man. The American Indian and the Origins of Comparative Ethnology, New York 1982; Tzvetan Todorov, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt am Main 1985.
  53. Jared Diamond, Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, Frankfurt am Main 1999, Kap. 10.
  54. Rémi Brague. Europa – seine Kultur, seine Barbarei. Exzentrische Identität und römische Sekundarität, 2., überarb. und erw. Auflage, Wiesbaden 2012.
  55. Merlin Donald, Origins of the Modern Mind. Three Stages in the Evolution of Culture and Cognition, Cambridge 1991; Günter Dux, Historisch-genetische Theorie der Kultur. Instabile Welten – Zur prozessualen Logik im kulturellen Wandel, Weilerswist 2000; Miriam N. Haidle, How to Think Tools? A Comparison of Cognitive Aspects in Tool Behavior of Animals and During Human Evolution, Tübingen 2012; Davor Löffler, Generative Realitäten I. Die Technologische Zivilisation als neue Achsenzeit und Zivilisationsstufe. Eine Anthropologie des 21. Jahrhunderts. Weilerswist 2019; Klaus Theweleit, Pocahontas, Bd. 3, Warum Cortés wirklich siegte: Technologiegeschichte der eurasisch-amerikanischen Kolonialismen, Berlin 2020.
  56. Differenzierter Axel T. Paul, Kontingenzen der Geschichte zwischen ‚Urmensch und Spätkultur‘. Anmerkungen zu Michael Makropoulos’ Theorie der Moderne, in: Soziopolis 2020.
  57. Christoph Türcke, Mehr! Philosophie des Geldes, München 2015, S. 19.
  58. Zumindest in der Archäologie wird weithin von komplexen (Jäger- und Sammler-)Gesellschaften gesprochen. Brian Hayden, Social Complexity, in: Cummings et al. (Hg.), The Oxford Handbook of Archaeology and Anthropology of Hunter-Gatherers (wie Anm. 9), S. 643–662; Ian Morris, Cultural Complexity, in: Barry Cunliffe et al. (Hg.), The Oxford Handbook of Archaeology, New York 2009, S. 519–554; Lane F. Fargher / Y. Heredia Espinoza (Hg.), Alternative Pathways to Complexity. A Collection of Essays on Architecture, Economics, Power, and Cross-Cultural Analysis, Boulder 2016.
  59. Für eine Übersicht siehe Jonathan H. Turner et al. (Hg.), Handbook on Evolution and Society. Toward an Evolutionary Social Science, London 2015; weiterhin lesenswert: Jospeh Henrich, The Secret of Our Success. Culture is Driving Human Evolution, Domesticating Our Species, and Making Us Smarter, Princeton 2016.
  60. John Maynard Smith / Eörs Szathmáry, Major Transitions in Evolution, Oxford 1995.
  61. Michael Tomasello, Warum wir kooperieren, Berlin 2010; Sarah Blaffer Hrdy, Mothers and Others. The Evolutionary Origins of Mutual Understanding, Cambridge 2009; Bernard Chapais, Primeval Kinship. How Pair-Bonding Gave Birth to Human Society, Cambridge 2008; zur Entwicklung des Patriarchats ausgehend von einer weitgehenden Egalität noch der einfachen Jäger und Sammler Günter Dux, Die Spur der Macht im Verhältnis der Geschlechter. Über den Ursprung der Ungleichheit zwischen Frau und Mann, Frankfurt am Main 1997.
  62. Hermann Parzinger, Die Kinder des Prometheus. Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift, München 2014.
  63. Sally McBrearty / Alison S. Brooks, The Revolution That Wasn’t: A New Interpretation of the Origin of Modern Human Behavior, in: Journal of Human Evolution 39 (2000), 5, S. 453–563; April Nowell, Defining Behavioral Modernity in the Context of Neandertal and Anatomically Modern Human Populations, in: Annual Review of Anthropology 39 (2010), S. 437–452; John J. Shea, Homo sapiens Is as Homo sapiens Was, in: Current Anthropology 52 (2011), 1, S. 1–35.
  64. Isabelle Schmidt / Andreas Zimmermann, Population Dynamics and Socio-Spatial Organization of the Aurignacian. Scalable Quantitative Demographic Data for Western and Central Europe, in: PLOS ONE 14 (2019), 2.
  65. Joyce Marcus / Kent Flannery, The Creation of Inequality. How Our Prehistoric Ancestors Set the Stage for Monarchy, Slavery, and Empire, Cambridge 2012.
  66. Immanuel Kant, Der Streit der Facultäten (1798), in: Akademieausgabe, Bd. VII, Berlin 1907, S. 1–115, hier S. 88.
  67. Wolfgang Reinhard, Introduction, in: ders. (Hg.), Power Elites, State Servants, Ruling Classes and the Growth of State Power, Oxford1996, S. 1–18.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Martin Bauer, Stephanie Kappacher.

Kategorien: Anthropologie / Ethnologie Geschichte Gesellschaft Gewalt Macht Religion Staat / Nation

Axel T. Paul

Professor Dr. Axel T. Paul lehrt Allgemeine Soziologie an der Universität Basel. Sein derzeitiges Hauptarbeits- und Forschungsgebiet ist Gellschaftsgeschichte.

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