Martin Bauer | Rezension | 12.09.2023
Panikmacher, ein Ehrenwort
Rezension zu „ad Günther Anders. Exerzitien für die Endzeit“ von Christian Dries

Seinen Ruhm verdankt Günther Anders einem Buch, dessen Titel zum geflügelten Wort wurde: „Die Antiquiertheit des Menschen“. Gemeint war, dass sich im Atomzeitalter, also in der Epoche, die mit dem Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945 begann, ein „prometheisches Gefälle“ offenbare. Das menschliche Vorstellungsvermögen, so Anders, sei spätestens nach Anbruch dieser neuen Ära zu begrenzt, um noch erfassen zu können, wozu das menschliche Herstellungsvermögen fähig ist. Aus diesem Grund tue sich ein Hiatus auf: Die imaginative Ausstattung des homo sapiens erweise sich angesichts technologisch eingetretener Faktizitäten als hoffnungslos veraltet. Die Vorstellungskraft des Menschen sei den Fähigkeiten nicht mehr gewachsen, über die derselbe Mensch in seiner Rolle als homo faber verfüge, das heißt als ein intelligentes Lebewesen, das äußere wie innere Natur kraft technischer Artefakte beherrscht. Die Asymmetrie zwischen Vorstellen und Herstellen bewirkt, simpel gesagt, einen Wahrnehmungs-, Empathie- und Kontrollverlust. Wer sich nicht mehr vorstellen kann, was sein Tun und Handeln bewerkstelligt, büßt die Souveränität über die eigene Praxis und deren Produkte ein.
Diesen Verlustbefund spitzt Anders auf die Behauptung zu, in der durch die Nukleartechnologie geschaffenen Welt sei die Technik zum Subjekt der Geschichte aufgestiegen. Sie degradiere die Menschheit dazu, allenfalls noch „mit-geschichtlich“ wirksam zu sein. Wie Prometheus, der Zeus, den tyrannischen Herrn im Götterhimmel, betrügt, das Feuer entwendet und es den Menschen bringt, ist auch die Gattung zur Strafe für ihren Frevel an einen Felsen gefesselt. Sie zahlt einen Preis für die alle Zivilisation begründende Innovation, dank des Feuers Rohes kochen und aus Erz Metall gewinnen zu können. Während der ans Kaukasusgebirge gekettete Prometheus ohnmächtig zu ertragen hat, dass ihm ein Adler an der Leber nagt, die ständig nachwächst, so dass dem regelmäßig wiederkehrenden Raubvogel die Nahrung nicht ausgeht, leidet die mit der autodestruktiven Potenz des nuklearen Feuers beschenkte Menschheit an Melancholie, einer Krankheit, die – nach Überzeugung antiker Medizin – ihren Sitz in der Leber hat. Auch diese Verdüsterung des Gemüts wächst nach. Im Rückgriff auf ein mythologisches Formular diagnostiziert Anders einen welthistorischen Zustand, der ein Verständnis von Geschichte dementiert, das sie, wie Hegel, als Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, oder, wie Marx, als befreiende Selbsterzeugung der Gattung durch die Entfesselung industrieller Produktivkräfte konzipiert.
Übertreibung als Wahrheitsträger
Was bereits im Vorwort zu den vier Aufsätzen überzeugt, die Christian Dries jetzt für eine lesenswerte, weil bestechend sachkundige Einführung in das Œuvre von Günther Anders ausgewählt hat, ist seine These, die „eigentliche Aktualität“ dieses Autors läge „weniger in konkreten Inhalten“, als vielmehr „in seiner spezifischen Methode“ (S. 16). Das wird die gängige Rezeption vermutlich irritieren. Im Klartext gibt Dries zu verstehen, dass an Anders nicht unbedingt seine apokalyptischen Überzeugungen interessieren sollten, sondern eher die Art und Weise, wie er sie gewonnen und dargestellt hat. Dementsprechend konzentriert sich der Soziologe, der die neu gegründete Günther-Anders-Forschungsstelle an der Universität Freiburg leitet und zudem als stellvertretender Obmann der in Wien ansässigen Internationalen Günther-Anders-Gesellschaft durch sorgfältige Editionen Anders‘scher Schriften hervorgetreten ist,[1] in dem schmalen, aber gewichtigen Bändchen darauf, besagte Methode möglichst feinkörnig und tiefenscharf zu charakterisieren.
So profitiert die Leserin dieser Exegesen davon, dass ‚Methode‘ hier nicht bloß ein formal geregeltes Analyseverfahren bezeichnet, sondern auch spezifische Darstellungsformen und Stilmittel, die sich Anders angeeignet und weiterentwickelt hat. Für Dries ist ausgemacht, dass Anders missverstanden und um seine etwaige Relevanz für die Auseinandersetzung mit der Gegenwart gebracht wäre, würden Rhetorik und Poetik seiner Texte zum reinen Ornat herabgestuft. Bei einem ästhetisch so sensibilisierten Autor, der sich nach einer philosophischen Dissertation, die Husserl betreut hatte, in Frankfurt immerhin als Musikwissenschaftler habilitieren wollte, verbietet sich die Anwendung des kruden, in Teilen der Sozial- und Kulturwissenschaft nach wie vor gepflegten Dualismus, der unterstellt, Inhalte ließen sich von ihrer Form separieren und Gegenstände existierten, ohne die (Darstellungs-)Verfahren, die sie konstruiert haben. Im Einspruch gegen solch naive, weder erkenntnistheoretisch noch wissenschaftsgeschichtlich triftigen Annahmen, zeichnet Dries überzeugend nach, dass sich Anders‘ Zeitdiagnostik ganz eigenen Formfindungsprozessen verdankt. Auch und gerade der Journalismus, dem sich Anders verschrieb, wurde dabei als ein Labor für stilistische Experimente genutzt.
En passant, soziologisch allerdings aufschlussreich, wird damit auch die biografische Existenz von Anders als die eines – wie es in der Regel beschönigend heißt – „freien“ Autors gewürdigt, der sich mit seiner Schreibarbeit und im Vertrauen auf die Kraft seiner Formulierungskünste den Lebensunterhalt sichern musste. Diese Lebenssituation und die ihr geschuldete, publizistischen Tätigkeit des jungen Anders, der sich am Schreibtisch sowohl vom literarischen Expressionismus als auch von den Grafiken eines George Grosz oder der Montagetechnik eines John Heartfield inspirieren lässt, führen im Resultat zu jener ‚belehrenden‘ Prosa, die der Schriftsteller zeit seines Lebens zu Papier bringt. „Der didaktische Impuls“, konstatiert Dries mit Blick auf diese Schreibpraxis, „ist unverkennbar“ (S. 127). Allerdings besitzt Didaxe als Stilmittel bei Anders eine epistemische Dimension: Für die Gestaltung der Gegenstände und Themen, die er traktiert, ist sie von kaum zu unterschätzender Bedeutung. In erstaunlicher Einstimmigkeit mit seinem Antipoden Adorno, dem er als bestalltem Universitätsprofessor vorgeworfen hat, sich bequem im akademischen Elfenbeinturm eingerichtet zu haben, um einem fragwürdigen politischen Quietismus zu frönen, hält sich Anders an die Maxime des Frankfurter Sozialphilosophen, „daß heute überhaupt nur Übertreibung das Medium der Wahrheit sei“.[2] Demnach ist die bewusste Übertreibung, weit davon entfernt, lediglich ein rhetorisches Werkzeug zur Belebung didaktischer Texte zu sein, eine alethische Kunst. Sie enthüllt in der verkehrten Welt des prometheischen Gefälles Wahrheiten, die sich unter Verzicht auf Übertreibung weder hätten erschließen noch kommunizieren lassen. Es ist verdienstvoll, dass Dries, der als grundsätzlich affirmativ gestimmter Anders-Interpret argumentiert, keine philologische Mühe scheut, um das Stilmittel der Übertreibung in seiner bei Anders wahrheitserschließenden Funktion sinnfällig zu machen. Gleichzeitig spricht es für seinen Geschmack, mithin für sein Ethos als Sozialwissenschaftler, wenn ihm bei aller zärtlichen Zuwendung an die Feinheiten des Stils seines Helden keineswegs entgeht, dass dieser einen „nicht selten penetrant belehrenden Charakter“ an den Tag legt (S. 37). Hagiografische Neigungen sind Dries fremd, womit er sich erst recht als verlässlicher Cicerone durch die verwinkelten Wege empfiehlt, die Anders im Zuge der allmählichen Verfertigung seines Werkes durchlaufen hat.
Philosophische Anthropologie als Projekt einer umfassenden Kritik technologischer Herrschaft
Journalistisch gearbeitet zu haben, ist ein lebensgeschichtlicher Umstand, der eine weitere Eigenart erklärt, die an vielen Texten von Anders ins Auge sticht. Dries spricht vom „Okkasionalismus“ als dem „Markenzeichen“ eines schreibenden Gelegenheitsphilosophen, den nicht das Allgemeine ins Nachdenken zieht, sondern das Einzelne, „die konkreten und alltäglichen Dinge“ (S. 7). Ein Artikel im Nachrichtenmagazin Newsweek bringt Anders auf die Idee, sich dem welthistorischen Ereignis des ersten Atombombenabwurfs über Hiroshima ausgerechnet durch eine Korrespondenz mit dem Piloten anzunähern, der als Mayor der US-amerikanischen Luftwaffe an diesem Augusttag verantwortlich für die Aufklärung der Wetterbedingungen über dem Zielgebiet war.[3] Dass im Werk Kafkas nicht das Schreckliche schön, sondern umgekehrt das Schöne wieder schrecklich werde, bezeugt für Anders das von ihm eigens herausgestellte Faktum „der Vorliebe für Masken nach dem ersten Weltkrieg“. „Man schuf Fratzen, um sich selbst zu erschrecken, und stellte durch den fratzenerzeugten Schrecken ein vages Schuldgefühl her [...], das dann später in Heideggers Existenzphilosophie eine so große Rolle spielen sollte.“[4] Es sind solche partikularen Sachverhalte, die Anders in der Unableitbarkeit ihres So- und Daseins die Anlässe dafür liefern, „Metaphysik und Journalismus“ (S. 8) zu kreuzen.
Somit wird gerade im Ephemeren, im Abseitigen, die historische Stunde greifbar, die sein genuin an Aktualität interessiertes Philosophieren in Gedanken zu bestimmen sucht. Im Grunde operiert der okkasionalistische Zeitdiagnostiker wie ein Detektiv. Er liest Spuren, stellt unterschiedliche Phänomene zusammen, sein induktiv gewonnenes Wissen bleibt ein momentanes. Es ist fallibel, in sich unabschließbar, resistent gegen Systembildung. Praktiziert wird eine Zeichenkunde, die sich bei Anders darauf versteht, das Wesentliche gerade aus Transitorischem, Abseitigem, aus Resten und übersehenen Absonderungen heraus zu präparieren. Unverkennbar ergibt sich aus diesem Verfahren eine Familienähnlichkeit mit der stilistischen Physiognomie anderer jüdischer Intellektueller aus der Weimarer Zeit, also zu Figuren wie Benjamin, Kracauer oder Lukács.
Zugleich legt Dries in seinen methodologischen Sondierungen größten Wert darauf, dass sich zumindest après coup, also im synchronisierenden Rückblick auf das Ganze von Anders‘ Werk, dennoch ein gewissermaßen vermiedenes System rekonstruieren lässt. Anders hat demnach eine in sich bündige philosophische Anthropologie für das Zeitalter der Technokratie vorgelegt. Sie geht aus Impulsen hervor, die zum einen auf die Husserl‘sche Phänomenologie sowie deren Kritik in Heideggers Fundamentalontologie verweisen. Zum anderen entfaltet Anders die dort gewonnenen Motive unter dem Eindruck von Plessners Konzept exzentrischer Positionalität zu einer Lehre vom Menschen, die dessen Weltoffenheit auf eine konstitutive Dezentrierung zurückbezieht, die Anders bezeichnenderweise als „Weltfremdheit“ anspricht. Freiheit ist für Anders mithin negativ bedingt, kein Zustand, sondern ein Prozess, der Gefährdungen kennt, also scheitern kann. Sie muss, soll in menschlichen Lebensformen autonome Personalität erfahrbar sein, einem unvordenklichen Befremden abgerungen werden.
Abweichend von Heidegger, der in Sein und Zeit ausgeführt hatte, „Dasein“ sei je schon „In-der-Welt-Sein“, womit die Vorstellung abgewehrt wurde, menschliche Existenz müsse sich eigens in der Welt einrichten, geht Anders – in der Tradition der Bewusstseinsphilosophie Husserls, also prinzipiell phänomenologisch – davon aus, ‚Welt‘ müsse als ein Konstrukt erfahrungsabhängiger Interpretation dieser primordialen Weltfremdheit abgerungen werden. Welt ist nach Anders also durchaus nicht von vorneherein erschlossen, vielmehr bezeichnet sie einen Bewandtniszusammenhang, der kollektiv und individuell erst ausgelegt werden muss. Da der Mensch jenes „nicht-festgestellte Tier“ (Nietzsche) ist, das sich keineswegs in vorgegebene Um- und Mitwelten eingepasst findet, gibt es Lebensformen, die menschlich sind, nur in einer ‚gemachten‘ respektive ‚zu machenden‘ Welt. Also findet sich menschliches Dasein nicht einfach in der Welt, vielmehr ist diese Welt daseinsabkünftig. Sie gründet in Weisen der Welterzeugung, die historisch variieren, materiell wie ideell konditioniert sind, auch unterschiedliche individuelle Ausprägungen zulassen, allemal jedoch aus uranfänglicher Befremdung geboren sind. Unter dieser, von Anders entwickelten, anthropologischen Deutungsperspektive hat menschliche Lebensführung, hat die Onto- wie die Phylogenese, den Vorgang des „Zur-Welt-Kommens und des überhaupt-in-einer-Welt-Seins“ zur unabdingbaren Voraussetzung (S. 148).
Wie Dries zeigt, wendet sich Anders‘ philosophische Anthropologie nach der Rückkehr aus der Emigration unter dem Stichwort ‚Weltlosigkeit‘ insbesondere jenen soziokulturellen Faktoren zu, die im Zeitalter der Atomkraft eine Überwindung von Weltfremdheit blockieren. Anders erkennt in ihnen die wirkmächtigen Negationen des für die Menschen nötigen ‚Zur-Welt-Kommens‘. Damit verwandelt sich sein Unterfangen methodisch sowohl in eine historische als auch explizit „negative Anthropologie“, in „eine negative Menschenkunde der Moderne“ (S. 137). Sie firmiert unter dem sprechenden Titel „Mensch ohne Welt“. Ihr Inbegriff für gesellschaftliche Strukturen, die Weltlosigkeit herbeiführen und auf Dauer zementieren, ist Herrschaft. Weil und insofern es dieser Herrschaft als struktureller Gewalt gelingt, menschliches Dasein um seine potenzielle Welthaltigkeit zu bringen, weil sie, mit anderen Worten, Personen dazu nötigt, ein Leben als nicht zur Welt gekommene „Pseudo-Personen“ (S. 81) zu führen, ist sie Anders zufolge schlechterdings illegitim. Aufgrund dieses radikal herrschaftskritischen Impetus öffnet sich seine historische Anthropologie für genuin soziologische Perspektiven, ja integriert, wie Dries darzulegen sucht, sogar eine an Marx orientierte Kritik der politischen Ökonomie. Faktisch, so Dries, wird eine derartige Kritik politischer Ökonomie bei Anders „durch eine anthropologisch fundierte Kritik der politischen Technologie ersetzt“ (S. 87).
Prophetischer Anarchismus
Doch handelt sich diese Technologiekritik in anthropologischer Rahmung, wie Dries anmerkt, ein normatives Grundproblem ein. Was ihr fehlt, ist „die emanzipatorische Pointe“ (S. 87). Ein Philosoph, der Weltlosigkeit beklagt, der übertreibend konstatiert, das Ganze unserer Welt sei das „Gerätesystem“ (S. 81), kann weder eine Ethik des guten Lebens ersinnen noch gar einen emphatischen Begriff von Freiheit ins Feld führen. Unter dem Schlagschatten der ständig aktualisierbaren Möglichkeit einer nuklearen Zerstörung des Planeten und all seiner Bewohner:innnen bleibt der letzte Horizont von Anders‘ Herrschaftskritik das Gebot der Selbsterhaltung der Gattung. An dieses Gebot appelliert er im Modus notorischer Belehrung. Weil Freiheit in einer Welt ohne Menschen trivialerweise kein Name für erlebte Zustände oder Prozesse wäre, weil es – strenggenommen – auf einem solchen Planeten nicht einmal „Welt“ gäbe, ist die Sicherung der Selbsterhaltung normativ basaler als Freiheit. Stilistisch mahnt diese Didaxe nicht an den Typus aufklärerischer Herrschaftskritik, die sakrale oder profane Autoritäten demontiert, weil sie kollektive wie individuelle Freiheitsansprüche missachten, sondern an die Radikalität alttestamentarischer Prophetie.[5] Die Propheten der hebräischen Bibel haben irdische Herrschaft schlechthin inkriminiert und im Geiste theokratischer Utopie ein Dasein auf Erden eingeklagt, das nur dem einen Gesetz gehorcht, welches dem Bund mit Gott die Treue hält. Dass dieser Typus von Sozial- und Herrschaftskritik antinomistische, moderner gesagt: anarchistische Latenzen freisetze, ist ein in der Religionsgeschichte und -soziologie umstrittener Befund, für den allerdings gewisse empirische Evidenzen sprechen. Selbstverständlich ist Günther Anders kein Denker gewesen, der in öffentlichen Äußerungen auf heilsgeschichtliche Erlösung gesetzt hätte. Ihm schwebte, wie Dries zutreffend unterstreicht, „nicht die Restauration eines prä-atomaren Arkadien“ vor und erst recht kein Gottesreich, „sondern lediglich ‚Frist‘-Verlängerung. Das ‚letzte Stück Geschichte‘, es sollte möglichst lange andauern (und das mehr oder weniger unabhängig von jeweils geltenden Rechtsordnungen)“ (S. 105). Anders votiert demnach zugunsten einer katechontischen Politik; das Unheil, das er kommen sah und das nicht mehr aus der Welt zu schaffen war, sollte zumindest aufgehalten werden. Von daher laden seine Schriften in der Tat zu „Exerzitien für die Endzeit“ ein, also zu den das kommende Unheil herauszögernden Aktivitäten, auf die Christian Dries im Titel seiner Einführung Bezug nimmt. Für derartige Übungen hat Anders argumentiert als aktivierender Panikmacher prophetischer Abkunft. „Ja“, gab er einmal in einem Interview zu Protokoll, „das versuchen wir zu sein. Das Wort ist ein Ehrenwort.“[6]
Fußnoten
- Unverzichtbar für ein angemessenes Verständnis der formativen Jahre im intellektuellen Werdegang von Günther Anders ist: Günther Anders, Die Weltfremdheit des Menschen. Schriften zur philosophischen Anthropologie, hrsg. von Christian Dries und Henrike Gätjens, München 2018.
- Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker, Frankfurt am Main 1971, S. 23.
- Das daraus hervorgehende Buch wird ein Bestseller, siehe Günther Anders, Hiroshima ist überall. Tagebuch aus Hiroshima und Nagasaki. Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly. Rede über die drei Weltkriege, München 1982.
- Siehe Günther Anders, Mensch ohne Welt. Schriften zur Kunst und Literatur, München 1983, S. 125f.
- Die Familienähnlichkeit der Prophetie von Anders mit derjenigen der hebräischen Bibel wird auch daran greifbar, dass Maimonides in seinem gegen Ende des 12. Jahrhunderts abgefassten „Führer der Unschlüssigen“, nicht den Intellekt, sondern die Einbildungskraft, also das, was Anders als Vorstellungsvermögen thematisiert, zur Grundbedingung der Prophetie erklärt. Die Prophetie, so die größte rationalistische Autorität in der jüdischen Überlieferung, „ist ein Ding, das durchaus nicht bei allen Menschen vorkommen kann und zu dem sie auch nicht durch Vollkommenheit in den spekulativen Wissenschaften und durch die Vervollkommnung des Charakters gelangen können, wenn sie selbst alle die äußerst mögliche Tüchtigkeit und Vorzüglichkeit besäßen, außer wenn noch die äußerst mögliche Vollkommenheit der Einbildungskraft im Beginne ihrer Erschaffung hinzutritt.“ (Moses Maimonides, Führer der Unschlüssigen, übersetzt und kommentiert von Adolf Weiß, mit einer Einleitung von Johann Maier, Hamburg 1995, Buch 2, Kapitel 36, S. 238 f.). Der bedeutende Judaist Shlomo Pines, der das Hauptwerk des Maimonides Mitte des letzten Jahrhunderts ins Englische übertragen hat, merkt – als wolle er Anders beispringen – in seiner Einleitung zu dieser Übersetzung an, die Einbildungskraft sei für Maimonides „das politische Vermögen par excellence“ (Moses Maimonides, Guide of the Perplexed, übersetzt von Shlomo Pines, Chicago 1963, S. LXXXIX).
- Siehe „Wenn ich verzweifelt bin, was geht`s mich an?“ Gespräch mit Günther Anders, in: Mathias Greffrath, Die Zerstörung einer Zukunft. Gespräche mit emigrierten Sozialwissenschaftlern, Frankfurt am Main / New York 1989, S. 17–55, hier S. 54.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Jens Bisky.
Kategorien: Anthropologie / Ethnologie Geschichte Gesellschaft Methoden / Forschung Religion Technik
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