Stefan Kühl | Rezension | 15.11.2023
Perspektiven statt Theorien
Rezension zu „The Power of Organizations. A New Approach to Organizational Theory“ von Heather A. Haveman

Mit dem Begriff der Organisationsgesellschaft wird in der Forschung darauf verwiesen, dass Organisationen der zentrale Baustein moderner Gesellschaften sind. Schon Ende des 19. Jahrhunderts beobachtete der damalige US-Präsident Rutherford B. Hayes, dass seine Regierung nicht mehr eine von den Menschen für die Menschen, sondern von Unternehmen für Unternehmen sei.[1] Die Organisationssoziologin Heather A. Haveman nimmt diese Beobachtung von Hayes zum Ausgangspunkt (S. 3), die Macht von Organisationen in der modernen Gesellschaft zu beschreiben. Sie zeigt, dass die meisten Gesellschaftsformationen mit wenigen – oder ganz ohne – diese ausgekommen sind. Die Stammesgesellschaften hätten keine Organisationen ausgebildet, sondern auf kleinen Verwandtschaftsverbünden basiert. Agrargesellschaften hätten lediglich für einzelne politische, kriegerische, religiöse oder wirtschaftliche Aspekte Organisationen entwickelt, die aber in der Regel eine überschaubare Größe gehabt hätten. Erst ab dem Spätmittelalter, so Haveman, hätten sich Organisationen dann als zentrales Strukturmuster von Gesellschaften durchgesetzt (S. 21).[2]
Mehrere Momente hätten dabei die Ausbildung von Organisationen begünstigt. In Folge der Pest, die Mitte des 14. Jahrhunderts zwischen einem Drittel und zwei Drittel der Bevölkerung tötete und in den folgenden Jahrhunderten die Bevölkerung immer wieder erheblich reduzierte, verbesserte sich die Verhandlungsbasis von Bauern und Handwerkern gegenüber Feudalherren und Zunftmeistern.[3] Fortschritte im Transportwesen ermöglichten es Kaisern, Königen und Fürsten, größere Territorien zu kontrollieren, wozu Verwaltungsstrukturen vonnöten waren.[4] Innovationen in der Schifffahrt wie der Kompass und der Sextant begünstigten die Entwicklung des Welthandels, was wiederum die Entstehung von Organisationen wie der Dutch West India Company oder der British East India Company zur Überwachung der zunehmend komplexer werdenden Handels- und Wertschöpfungsströme beförderte.[5] Veränderungen im Rechtssystem garantierten Eigentumsrechte und erleichterten die Herausbildung von Unternehmen mit begrenzten Haftungsverpflichtungen.[6]
Im ersten Teil ihres Buches fragt Haveman vor allem nach der Genese und Ausdifferenzierung von Organisationen in der modernen Gesellschaft. Wer aber nach dieser einleitenden Darstellung eine theoretisch informierte Analyse des Bedeutungszuwachses von Organisationen erwartet, wird enttäuscht. Im Fortgang der Argumentation beschränkt sich Haveman überwiegend darauf, verschiedene theoretische Zugänge zu beschreiben, ohne das im Titel genannte Thema „The Power of Organizations“ systematisch zu behandeln. Stattdessen stellt sie ein neues Ordnungskonzept für Organisationstheorien vor.
Drei Perspektiven auf Organisationen
Die Organisationswissenschaft kennt verschiedene Möglichkeiten zur Darstellung von Theorien. Man kann, erstens, eine zentrale Perspektive, beispielsweise die der Rational Choice Theory oder die der Systemtheorie, wählen und von dieser ausgehend lediglich Bezüge zu anderen theoretischen Ansätzen herstellen.[7] Eine andere Möglichkeit besteht, zweitens, darin, verschiedene theoretische Ansätze aneinanderzureihen, unterschiedliche theoretische Zugänge wie Max Webers Bürokratietheorie, den Human-Relations-Ansatz, die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie, den Kontingenzansatz, den Neoinstitutionalismus oder die Strukturationstheorie hintereinander darzustellen und nur kursorisch miteinander in Beziehung zu setzen.[8] Drittens lassen sich die verschiedenen theoretischen Ansätze mit einem eigenen Ordnungsmodell sortieren, das heißt unter jeweils verschiedenen Zentralperspektiven zusammenfassen, wobei interessante Bezugspunkte zwischen ihnen herausgestellt werden.
Besonders beliebt ist bei diesen, mit verschiedenen Blickwickeln arbeitenden Ordnungsschemata die Aufteilung in drei theoretische Stränge. W. Richard Scott unterscheidet in seinem klassischen organisationswissenschaftlichen Lehrbuch zwischen Ansätzen, die den rationalen Charakter von Organisationen herausstellen, Ansätzen, die sie eher als natürliche Systeme begreifen, und Konzepten, die von ihnen als offenen Systemen ausgehen.[9] Guiseppi Bonazzi ordnet in seiner Geschichte organisatorischen Denkens die verschiedenen Organisationstheorien danach, ob sie Antworten auf die industrielle Frage nach der Bedeutung von Technologie, auf die bürokratische Frage nach der Funktion von Regeln oder auf die organisatorische Frage nach Entscheidungen bieten.[10] Heather A. Haveman schließt sich diesem Trend zu einem dreiteiligen Ordnungsschema an, indem sie zwischen einer demographischen, einer relationalen und einer kulturellen Perspektive unterscheidet (S. 80–159).
„Demographisch“ nennt sie Konzepte, die sich für die Zuordnung von Individuen, Gruppen und Organisationen zu sozialen Kategorien wie Lebensalter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit sowie die Existenzdauer von Organisationen interessieren. Die relationale Perspektive konzentriert sich nach Haveman auf Beziehungen zwischen Individuen, Gruppen oder Organisationen. Kulturelle Ansätze richten ihren Fokus auf geteilte Auffassungen, Normen und Werte in Organisationen aber auch innerhalb eines organisationalen Feldes (S. 74).
Demographische, relationale und kulturelle Perspektiven haben laut Havemann in der Organisationstheorie seit den 1970er-Jahren dominierende Konzepte abgelöst: etwa den Human-Relations-Ansatz, der Überlegungen zur Effizienzsteigerung mit Bestrebungen nach Humanisierung der Arbeitswelt verband; den Kontingenzansatz, der nach der optimalen Organisationsstruktur in unterschiedlichen Umweltsituationen fragte; den maßgeblich auf Herbert Simon zurückgehenden Ansatz, der Überlegungen zu den kognitiven Grenzen rationalen Entscheidens in die Organisationstheorie einführte. Haveman hält diese Konzepte für überholt, da sie an den klassischen Rationalitätsvorstellungen festgehalten und Aspekte von sozialer Ungleichheit und Diskriminierung ignoriert hätten.[11]
Zum Verhältnis von Mikro und Makro
Unter jeder der drei Zentralperspektiven behandelt Haveman sowohl Fragen der Einbindung von Mitgliedern als auch die Dynamik zwischen Organisationen. In demographischer Hinsicht geht es um die soziale Ungleichheit von Mitgliedern innerhalb von Organisationen sowie – unter dem Begriff organisationaler Ökologie – um die Positionierung von Organisationen innerhalb eines Feldes. Fragen nach dem Sozialkapital, zu Machtbeziehungen, zur Ressourcenabhängigkeit von Organisationsmitgliedern sowie Netzwerkbeziehungen zwischen Organisationen werden aus relationaler Perspektive thematisiert. Unter der kulturellen Perspektive werden Forschungen zur Ausbildung von Kulturen innerhalb einzelner Organisationen ebenso zusammengefasst wie Ansätze, die sich für die Auswirkung der sich mit der Moderne durchsetzenden weltkulturellen Normen auf Cluster von Organisationen interessieren (S. 74 ff).
Auf den ersten Blick mag diese Vorgehensweise plausibel erscheinen. Der Neoinstitutionalismus schreibt Staaten, Personen und Organisationen einen Akteursstatus zu und ermöglicht es so, die Ausbildung von Akteursvorstellungen in modernen Gesellschaften zu untersuchen.[12] Aus der Rational-Choice-Perspektive erscheinen Organisationen als kollektive Akteure, die sich gegenüber individuellen Akteuren dadurch abgrenzen, dass sie durch den Zugriff auf eine große Zahl von Organisationsmitgliedern über mehr Handlungskapazitäten verfügen.[13] Die Stärke dieser Ansätze liegt dabei nicht darin, dass sie Personen wie Organisationen mit dem gleichen Theorieinstrumentarium untersuchen, sondern darin, dass sie das Verhältnis von Personen und Organisationen zueinander klären.
Aber das Ordnungsschema gerät Haveman zu grob, weil sie Mikro- und Makro-Zugänge unter jeweils einer Perspektive zusammenführt. Wenn unter einer demographischen Perspektive der Einfluss von Gründern auf High-Tech-Firmen diskutiert wird, fragt man sich, was das mit Ungleichheiten in Organisationen zu tun hat und warum diese Aspekte nicht eher unter einer kulturellen Perspektive abgehandelt werden. Die Ausbildung organisationskultureller Normen bietet mehr Anschlüsse an Fragen der Vernetzung von Organisationsmitgliedern als an die Forschungen zur Auswirkung weltkultureller Normen auf die Legitimationsstruktur von Organisationen. Unter der relationalen Perspektive werden auf Soziometrie aufbauende Überlegungen zur Zentralität von Organisationsmitgliedern innerhalb von Netzwerken gefasst. Das ähnelt Überlegungen zu Kollegialitäts- und Kameradschaftsbeziehungen, die Haveman unter „kulturell“ einsortiert, hat aber nur auf einer sehr hohen Abstraktionsebene etwas mit der Bedeutung einzelner Organisationen in Organisationsnetzwerken zu tun.
Haveman versucht diese Schwäche dadurch zu kompensieren, dass sie in einem Kapitel über hybride Forschungsstrategien zu zeigen versucht, wie sich die drei Perspektiven miteinander kombinieren lassen. Sie zeigt, wie beispielsweise bei der Betrachtung von Organisationsnetzwerken demographische Ansätze der Organisationsökologie mit relationalen Zugängen verbunden werden oder wie kulturelle Schemata die Wahrnehmung von Ungleichheiten zwischen verschiedenen Geschlechtern oder Ethnien prägen, die in demographischer Perspektive untersucht werden. Die in diesem Kapitel aufgeworfenen Fragen sind durchweg interessant, doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dabei künstlich wieder zusammengeführt wird, was zuvor durch die Trennung in drei Perspektiven erst auseinandergerissen wurde.
Unternehmen als Prototyp von Organisationen
In ihrer Darstellung der Ausdifferenzierungen von Organisationen geht Haveman auf eine Vielzahl von Organisationstypen ein. In der Frühen Neuzeit wurden lokale Zusammenschlüsse zunehmend durch sich immer stärker verorganisierende Vereine abgelöst. Die Renaissance des römischen Rechts begünstigte die Erosion des Feudalsystems und dessen Ablösung durch den bürokratischen Staat mit seinen ausdifferenzierten Verwaltungsorganisationen. Die Reformation führte dazu, dass sich statt der katholischen Einheitskirche eine Vielzahl von Kirchen ausbildete. Man konnte verschiedene Mitgliedschaften wählen, der Organisationscharakter von Kirchen wurde deutlicher.
Dieser präzise Blick auf die Vielfalt von Organisationstypen geht in der Darstellung der drei Zentralperspektiven jedoch zunehmend verloren. Zentraler Referenzpunkt für die Analyse von Organisationen scheinen nun Unternehmen. Zwar geht Haveman im Teil über verschärfte Ungleichheiten auf die Handlungsmöglichkeiten von Regierungen (nicht etwa von Ministerien, Verwaltungen oder Parlamenten) durch eine Stärkung und Schwächung des Wohlfahrtsstaates ein, weist aber letztlich Unternehmen den entscheidenden Einfluss auf die Verschärfung sozialer Ungleichheit zu.
Besonders deutlich wird dieser Fokus auf Unternehmen daran, dass Haveman neben Wirtschaftsorganisationen einem anderen Organisationstypus ausgesprochen viel Platz einräumt: Bewegungsorganisationen. Nicht Forschungen zu Ministerialverwaltungen, Krankenhäusern, Schulen oder Sportvereinen behandelt sie ausführlich, sondern Organisationen, die sich aus Protestbewegungen herausbilden. Bewegungsorganisationen sind sicherlich theoretisch interessant, weil sie sich häufig als eine Art Zwitter zwischen den beiden Systemtypen Bewegungen und Organisationen ausbilden.[14] Doch scheint Havemans Interesse an Bewegungsorganisationen nicht primär aus dieser Besonderheit herzurühren, sie stellen für sie in erster Linie den politischen Kontrastpunkt zu Unternehmen dar.[15]
Man kann in einem Lehrbuch über Organisationen Unternehmen eine hohe Prominenz einräumen, würde sich aber Erklärungen wünschen, weswegen diese implizit als Prototypen für Organisationen behandelt werden. Wird dieser Zugang gewählt, weil einige prominente Organisationstheorien primär am Beispiel von Unternehmen entwickelt wurden und sie deswegen gezwungenermaßen in einer umfassenden Theoriedarstellung eine wichtige Rolle spielen? Hängt die zentrale Bedeutung von Unternehmen in einem Theorieüberblick damit zusammen, dass sie im Vergleich zu Verwaltungen, Armeen oder Polizeien ein überdurchschnittlich hoher Grad an Autonomie auszeichnet und sich daher organisatorische Prozesse an ihnen besonders gut beobachten lassen? Oder liegt es daran, dass Unternehmen im Vergleich zu Universitäten, Schulen, Krankenhäusern oder Parteien in durch eine kapitalistische Wirtschaftsordnung geprägten Gesellschaften eine herausragende Bedeutung zukommt?
Das abschließende Kapitel über den Einfluss von Organisationen auf die Gesellschaft hinterlässt den Eindruck, Haveman spreche Unternehmen deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil viele negative Effekte primär auf deren Wirken zurückgeführt werden können. Für die von Havemann identifizierte verschärfte soziale Ungleichheit, die Beeinflussung der Politik oder die Zerstörung der Umwelt scheinen Unternehmen viel stärker verantwortlich zu sein als die sicherlich soziologisch ebenso interessanten Organisationstypen Kindergarten, Gericht oder Krankenhaus. Man kann für eine solche „kritische“ Perspektive Sympathie haben, fragt sich dann aber, ob nicht der Marxismus eine deutlich höhere Prominenz im Theorieüberblick verdient hätte.[16]
Moden des Theoretisierens über Organisationen
In einer charmanten Drehung seiner Überlegungen zu Moden und Mythen des Organisierens hat Alfred Kieser eine kurze Analyse der „Moden & Mythen des Theoretisierens über die Organisation“ vorgelegt. Anders als in den Naturwissenschaften würde in der Organisationstheorie, so Kieser, eine vergleichsweise hohe Unsicherheit in Bezug auf den Zuschnitt des Feldes herrschen. Deswegen werde in der Organisationstheorie die „mühsame Erkundung von Problemen innerhalb etablierter Paradigmen weniger honoriert als die Produktion von Neuheiten, das Kreieren neuer Paradigmen und neuer Forschungsverfahren“. Das würde dazu führen, dass sich in der Organisationstheorie sehr schnell neue Moden des Theoretisierens über Organisationen durchsetzen, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen als Anlass für ein schnelles Umbauen von Theorien genutzt werden und sich dabei nicht selten Anpassungen an den politischen Zeitgeist einschleichen.[17]
Gegenüber diesen Moden des Theoretisierens hat Haveman sich nicht systematisch immunisiert. So proklamiert sie im Kapitel über „Organizations and Organizational Theory in the Digital Age“, wie inzwischen in jedem Jahrzehnt üblich, eine durch technische Innovationen ausgelöste, grundlegende Neuausrichtung von Organisationen. Gewiss sind die Auswirkungen von Smartphones, Computern, internetfähigen Fernsehern, Heizungen und Kühlschränken, die das Erkennen von Mustern in großen Datensätzen gestatten, ebenso wenig zu unterschätzen wie Social-Media-Plattformen (S. 182 ff.). Aber es bleibt fraglich, ob die durch Digitalisierung ermöglichte Automatisierung von Prozessen, der Analysen von Organisationsdaten und die datenbasierte Entscheidungsfindung es rechtfertigen, von grundlegend neuen Herausforderungen für Organisationen – und weitergehend für die Organisationstheorie – zu sprechen.[18]
Haveman will eine Reihe von organisationswissenschaftlichen Fragen beantworten: Warum werden Frauen für den gleichen Job geringer bezahlt als Männer? Sind junge oder ältere Organisationen leichter zu verändern? Warum verhält sich das Personal in Disneyland Vergnügungsparks so kindisch? Haben die Finanz- oder die Marketing-Abteilungen mehr Einfluss auf Unternehmensentscheidungen? (S. 78 ff.) Diese Fragen sind interessant und lassen sich mit den dargestellten demographischen, kulturellen und relationalen Ansätzen bearbeiten. Aber man fragt sich, ob es nicht auch anders wenigstens ebenso gut ginge? Lässt sich das Problem der Einkommensungleichheit nicht besser mit marxistischen Konzepten behandeln? Die Frage nach der Veränderungsfähigkeit von Organisationen nicht überzeugender mit strukturfunktionalistischen Theorien? Erklären nicht klassische interaktionistische Theorien das Verhalten des Personals in Disneyland leichter? Bietet das Konzept der lokalen Rationalität aus der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie nicht Antworten auf die Frage nach den Einflussmöglichkeiten von Finanz- oder Marketing-Abteilungen?
Es wäre der Analyse gut bekommen, hätte Heather A. Haveman die historischen Betrachtungen zur Ausdifferenzierung von Organisationen, die zeitdiagnostischen Überlegungen zu aktuellen Entwicklungen und die Darstellung unterschiedlicher theoretischer Perspektiven enger miteinander verwoben. Man kann, wie sie es tut, die Auswirkung der Digitalisierung auf Organisationen und die neuen Forschungsmöglichkeiten in der Organisationstheorie aufgrund neuer Datenerhebungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten in einem Kapitel abhandeln. Doch würde man gern genauer erfahren, worin der Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Art und Weise des Funktionierens von Organisationen und der Entwicklung neuer Forschungsmethoden besteht (S. 186 ff.).
In „The Power of Organizations“ werden die drei Themenfelder weitgehend isoliert voneinander behandelt. Man gewinnt den Eindruck, drei separate Bücher in einem zu lesen. Auf diese Weise erhält man einen kompakten Überblick, wie im US-amerikanischen Kontext zurzeit über Organisationen nachgedacht wird: ausgerichtet auf Theorien mittlerer Reichweite, dadurch empirisch produktiv, aber mit auffälliger Zurückhaltung gegenüber einer Einbindung der Organisationsforschung in konzeptionell ambitionierte Großtheorien.
Fußnoten
- Charles Richard Williams (Hg.), The Diary and Letters of Rutherford B. Hayes, Nineteenth President of the United State, Columbus 1922 (Eintrag für den 11. Mai 1888: „This is a government of the people, by the people, and for the people no longer. It is a government of corporations, by corporations, and for corporations.” Siehe Heather A. Haveman, The Power of Organizations. A New Approach to Organizational Theory, Princeton 2022, S. 3).
- Haveman will sich mit ihrem Fokus auf eine tausendjährige Geschichte der Ausdifferenzierung von Organisationen von anderen abgrenzen, die ihre „Geschichte der Organisation“ im 18. Jahrhundert (z.B. Lynne G. Zucker, Organizations as Institutions, in: Samuel B. Bacharach (Hg.), Research in the Sociology of Organizations, Greenwich/Conn. 1983, S. 1–42) oder auch erst im 20. Jahrhundert (z.B. Patricia Bromley / John W. Meyer, Hyper-organization. Global Organizational Expansion, Oxford 2015) beginnen ließen.
- Haveman verweist für dieses Argument auf Robert Brenner, Agrarian Class Structure and Economic Development in Pre-industrial Europe, in: Trevor H. Aston / C. H. E. Philpin (Hg.), The Brenner Debate. Agrarian Class Structure and Economic Development in Pre-Industrial Europe, Cambridge 1985, S. 10–63.
- Haveman verweist hier neben Max Weber besonders auf Henry Jacoby, The Bureaucratization of the World, Berkeley 1973.
- Haveman referiert hier auf Arbeiten von Immanuel Wallerstein, The Modern World System. Mercantilism and the Consolidation of the European World Economy, 1600–1750, New York 1980; Nathan Rosenberg / L. E. Birdzell, How the West Grew Rich. The Economic Transformation of the Industrial World, New York 1986; Joyce Appleby, The Relentless Revolution. A History of Capitalism, New York 2010.
- Hier finden sich neben den unvermeidlichen Referenzen auf Max Weber Hinweise auf Überlegungen von Douglass C. North / Robert Paul Thomas, The Rise of the Western World. A New Economic History, New York 1987 und Fernand Braudel, Civilization and Capitalism, 15th–18th Century. The Wheels of Commerce, Berkeley 1992.
- Siehe für einen solchen Ansatz zum Beispiel im deutschsprachigen Raum aus einer institutionenökonomischen Perspektive Peter Preisendörfer, Organisationssoziologie. Grundlagen, Theorien und Problemstellungen, Wiesbaden 2005 oder aus einer systemtheoretischen Perspektive Stefan Kühl, Organisationen. Eine sehr kurze Einführung, Wiesbaden 2020.
- Maßgeblich ist aufgrund der hohen Qualität der Einzelbeiträge im deutschsprachigen Raum immer noch der von Alfred Kieser initiierte Überblicksband zu Organisationstheorien; siehe in der aktuellen Fassung Alfred Kieser / Mark Ebers (Hg.), Organisationstheorien, 7., aktualisierte und überarbeitete Auflage, Stuttgart 2014.
- Siehe dazu W. Richard Scott, Organizations. Rational, Natural, and Open Systems, Englewood Cliffs 1981und in der deutschen Fassung W. Richard Scott, Grundlagen der Organisationstheorie, übersetzt von Hanne Herkommer, Frankfurt am Main u.a. 1986.
- Siehe dazu Giuseppe Bonazzi, Storia del pensiero organizzativo, Mailand 1990; in deutscher Fassung: Giuseppe Bonazzi, Geschichte des organisatorischen Denkens, hrsg. von Veronika Tacke, übers. von Alessandra Corti, Wiesbaden 2008.
- Die zweckrationalitätskritische Wendung in Ansätzen der Carnegie School werden zumindest in einer Fußnote erwähnt (S. 73).
- Siehe dazu einschlägig John W. Meyer / Ronald L. Jepperson, The ,Actors' of Modern Society. The Cultural Construction of Social Agency, in: Sociological Theory 18 (2000), S. 100–120.
- Prominent für diese Auffassung James S. Coleman, Power and the Structure of Society, New York 1974; deutsch: James S. Coleman, Macht und Gesellschaftsstruktur, übers. von Viktor Vanberg, Tübingen 1979; James S. Coleman, The Asymmetric Society, New York 1982, deutsch: James S. Coleman, Die asymmetrische Gesellschaft, Weinheim 1986; siehe dazu Haveman (2022), S. 4–5.
- Siehe dazu Stefan Kühl, Gruppen, Organisationen, Familien und Bewegungen. Zur Soziologie mitgliedschaftsbasierter Systeme zwischen Interaktion und Gesellschaft, in: Bettina Heintz / Hartmann Tyrell (Hg.), Interaktion – Organisation – Gesellschaft revisited. Sonderheft der Zeitschrift für Soziologie, Stuttgart 2014, S. 65–85; auf Englisch: Stefan Kühl, Groups, Organizations, Families and Movements. The Sociology of Social Systems between Interaction and Society, in: Systems Research and Behavioral Science 37 (2020), S. 496–515.
- Besonders deutlich wird dies bei Haveman (2022), 173 f.: „The frames promulgated by social movement organizations have the power to alter the actions of business organizations.” In der Tendenz anders heißt es noch im ersten Teil: „Effective resistance to organizations usually comes from other organizations, especially social movement organizations. Three important American examples are the anti-slavery, civil rights, and women’s right movement.” (S. 6).
- Siehe zu Stärken und Schwächen des Marxismus als Perspektive in der Organisationsforschung Stefan Kühl, Work. Marxist and Systems-Theoretical Approaches, London u.a. 2019.
- Alfred Kieser, Moden & Mythen des Theoretisierens über die Organisation, in: Christian Scholz (Hg.), Individualisierung als Paradigma. Festschrift für Hans Jürgen Drumm, Stuttgart 1997, S. 237–259, hier: S. 253. Es handelt sich um die Fortführung der Überlegungen in Alfred Kieser, Moden & Mythen des Organisierens, in: Die Betriebswirtschaft 56 (1996), S. 21–39.
- Gerade die frühen Analysen zur Automatisierung können angesichts solcher zeitdiagnostisch überhitzten Analysen abkühlend wirken. Siehe beispielhaft die Arbeiten von Herbert A. Simon, Perspektiven der Automation für Entscheider, Quickborn 1966 oder Niklas Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung, Berlin 1966.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Jens Bisky.
Kategorien: Geschichte Gesellschaft Macht Moderne / Postmoderne Normen / Regeln / Konventionen Recht Systemtheorie / Soziale Systeme Wissenschaft
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