Aaron Sahr | Literaturessay |

Podcasts, Proust und Retrofuturismus

Literaturessay zu „Die orange Pille. Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist“ von Ijoma Mangold

Ijoma Mangold:
Die orange Pille. Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist
Deutschland
München 2023: dtv
256 S., 24,00 EUR
ISBN 978-3-423-28312-0

Die orange Pille ist eine begeisterte und in vielerlei Hinsicht mitreißende Eloge auf eine Infektion bei der Gartenarbeit:[1] Ijoma Mangold, Literaturkritiker der Wochenzeitung Die Zeit und kürzlich aufgestiegener Stern einer vitalen Szene, die sich für neue, netzwerkbasierte Geldformen begeistert, hat hier in Monographielänge die Geschichte seines Sturzes in die Welt der Kryptowährungen publiziert, deren Urvater – der Bitcoin – den einstigen Technologieasketen nicht mehr loslässt. Diese Faszination versucht er nun zu übertragen, denn „Bitcoin ist hochansteckend“ (S. 13). Wer sich für die Gedankenwelt der Bitcoin-Szene interessiert, kommt an diesem Buch im Grunde nicht vorbei – und diese Gedankenwelt hat wirklich für jede:n etwas zu bieten: Es geht um digitales Gold als Zukunft unseres Geldes, um die Sittlichkeit des Sparens und den Verzicht auf maßlosen Konsum, um protestantische Leistungsethik und den Zauber verbrauchter Energie, um identitätspolitische Irrwege und die Bearbeitung eines Traumas.

Das Buch gliedert sich in fünf Blöcke: „Bitcoin und Ich“, „Bitcoin und sein technologisches Design“, „Bitcoin und das Geld“, „Bitcoin und die Politik“ und „Bitcoin und die Zukunft“, die alle genau das liefern, was ihre Überschriften versprechen. Dem Autor gelingt dabei ungemein Wichtiges: Er vermittelt nicht nur anschaulich, wie Bitcoin funktioniert, sondern auch, wie die Bitcoin-Community mit Leidenschaft unser Geld als eine gestaltbare und gestaltungsbedürftige, heißt: politische Figuration adressiert und damit zweifellos dazu beiträgt, die grassierende „monetäre Sprachlosigkeit“ (Jakob Feinig) zu überwinden, die unser Geld unter einem Schleier ökonomischer Technizität und Neutralität verdeckt hielt. Geld wird hier nicht als ein simpler Tatbestand behandelt, den man vorfindet, sondern als eine gesellschaftliche Infrastruktur, die verändert werden kann und verändert werden sollte. Womit sich Mangold infiziert hat, ist nicht weniger als das revolutionäre Projekt einer völligen Neuorganisation monetärer Verhältnisse. Diesen Geist der Gestaltbarkeit vermittelt das Buch erstaunlicherweise erfolgreich, obwohl es eigentlich gar nicht wirklich um Geld, Geldwirtschaft oder Geldpolitik geht, sondern vielmehr die Geschichte einer Kränkung erzählt wird.

Digitales Gold

Kürzlich startete auf Apple TV die retrofuturistische Serie Hello Tomorrow!, in der ein findiger Geschäftsmann Grundstücke auf dem Mond verkauft, die es gar nicht gibt. Retrofuturistisch ist die Serie, weil in ihr die amerikanische Gesellschaft und die von ihr verwendete Technologie gleichsam in der Zukunft und in den 1950er Jahren zugleich verortet sind. Die Technologie wirkt für das Publikum der Gegenwart deswegen auf komödiantische Weise aus der Zeit gefallen. Man bewegt sich dort beispielsweise in schwebenden Autos aus geschwungenem Blech fort, die man allerdings noch selbst (Individualverkehr!) mit einem Holzlenkrad steuern muss; die Post wird von einem ebenfalls schwebenden – alles schwebt! – Roboter mit groben Greifarmen in den Briefkasten gestopft, anstatt digital versandt zu werden; der Protagonist diktiert einem Computer einen Text, der dann von einer mechanischen Schreibmaschine automatisch auf Papier abgetippt wird und als er sich verspricht, muss das Blatt ausgetauscht und das Diktat von vorne begonnen werden. Ulk nach diesem Muster wird von jenen in eine ernst gemeinte Zukunftsprognose umgedeutet, die Bitcoin für das nächste Zahlungsmittel halten.

Bitcoin ist ein dezentral organisiertes Datenbankprogramm, dessen unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto agierender Erfinder der geniale marketing move eingefallen ist, dieses Datenbankprogramm „digitales Bargeld“ (digital cash) zu nennen. Das Bitcoin-Programm kann drei Dinge: Es speichert erstens Zahlenwerte in einer einzigen Datenbank (der Blockchain), die allerdings nicht an einem zentralen Ort gespeichert wird, sondern auf beliebig vielen Computern auf der ganzen Welt. Zweitens kann das Programm diese Zahlenwerte zwischen individuellen Nutzer:innen übertragen, wobei alle Computer, auf denen die Datenbank liegt, je für sich überprüfen, ob die Senderin die Zahlen auch vorher wirklich in ihrem eigenen Account gespeichert hatte. Nur wenn sich die Mehrheit einig ist, wird die Übertragung verbucht. Drittens gibt es von diesen Zahlenwerten nicht beliebig viele, das Bitcoin-Programm verhindert nämlich, dass neue Werte einfach so in die Datenbank eingetragen werden können. Es erzeugt automatisch neue Einträge (neue „Bitcoin“), sobald ein Computer eine Reihe extra dafür bereitgestellter kryptographischer Entschlüsselungen geschafft hat. Eine Gruppe von Internet-Enthusiast:innen hält dieses Programm für das Geld der Zukunft, vornehmlich weil der geniale Erfinder die maximale Anzahl erzeugbarer Zahlenwerte scharf begrenzt hat – wie viele Bitcoin es jemals geben wird, weiß man also; sie sind radikal endlich und damit auf eine Weise knapp, die die Enthusiast:innen an Gold erinnert.

Als Ideologie betrachtet, ist Bitcoin also retrofuturistisch. Menschen begeistern sich unter diesem Schlagwort für eine Zukunft, die wie eine Wiederholung der Vergangenheit aussieht: eine Rückkehr zu Gold als Fundament des Geldes, nun allerdings krypto-digital. Die Manie eines „digitalen Goldes“ schließt dabei ideengeschichtlich an eine lange Tradition der Mystifizierung von Gold als „natürliche“ Grundlage monetärer Ordnungen an, die unter ökonomischen Gesichtspunkten – zumindest in ihren Exzessen – als magisches Denken ohne substanzielle Verankerung in der Wirklichkeit gelten muss. Es gab und gibt immer wieder Leute, die Gold als vermeintlich natürliche Verankerung eines ansonsten als fiktiv und flüchtig betrachteten Geldwertes inszenieren und dabei die Stabilität und Fungibilität real existierender metallbasierter Geldordnungen völlig überschätzen. Bitcoin ist die jüngste und lautstärkste Ausprägung dieser Gold-Manie.

Von der Gartenarbeit zur Geldtheorie

Während des Corona-Lockdowns hat sich der im Berliner Umland lebende Ijoma Mangold für dieses digitale Gold begeistert. Aufwendig hat er sich in die Welt des Geldes und der Geldpolitik eingearbeitet – er hat Podcasts aus der Bitcoin-Bubble gehört – und sich dann regelrecht dazu berufen gefühlt, seine gesicherten Erkenntnisse in Form eines Buches mit der Welt zu teilen. Über dessen Entstehung berichtet Mangold, dass er vor zwei Jahren in die Uckermark gezogen sei und dort bei körperlicher Arbeit im Freien begonnen habe, sich zu infizieren: „Ob ich Unkraut jäte oder Laub reche, die Apfelbäume beschneide oder die Walnüsse ernte, immer habe ich meine Kopfhörer auf und lausche irgendeinem Bitcoin-Podcast“ (S. 15). Die sich daraus ergebenden, ständig neuen und vielfältiger werdenden Fragen lassen ihn in den sogenannten Kaninchenbau hinabpurzeln: „Wie konnte man im Internet, diesem Medium der Redundanz, künstlich Knappheit erzeugen? Das wollte ich genauer verstehen. Und schon war ich vom Weg der Tugend und der Passivität abgekommen [...] Ich entdeckte ein ganzes Reich von Podcasts und YouTube-Kanälen und Bitcoin-Twitter.“ (S. 39) Dieser Rechercheprozess erweckte in ihm den Wunsch, das Gelernte einmal aufzuschreiben, um zur Bewegung beizutragen:

„Und ich spürte, wie ich selbst Teil dieses lernenden Systems wurde: Wie ein trockener Schwamm sog ich alles auf, was ich täglich stundenlang an Podcasts auf den Ohren hatte – und auch dieses Buch ist nur eine Art schriftliche Zusammenfassung dieses kollektiven Lernprozesses und verdankt ihm alles.“ (S.50)

Mangold fühlt sich besonders deshalb zur Verschriftlichung seiner Podcast- und YouTube-Recherchen berufen, weil das Thema des digitalen Goldes in seinem bildungsbürgerlichen Bezugsmilieu noch nicht richtig angekommen sei. Er sieht sich als idealer „Brückenbauer“ (S. 14) zwischen schriftversessenen Technologieskeptiker:innen und Internet-Nerds, da er inzwischen beide Sprachen spreche: Die Bildungsbürger:innen würden ihn, Mangold, anders als die Nerds, sicherlich nicht unter „Vulgaritätsverdacht“ (S. 14) stellen, wenn er ihnen nun von Bitcoin berichtet; schließlich sei seine Gruppenzugehörigkeit gut dokumentiert, da er „alle sieben Bände von Prousts ‚Suche nach der verlorenen Zeit‘ gelesen“ (S. 14) habe.

Brückenbauen ist zweifellos ein nobles Unterfangen. Die Kombination aus Bitcoin-Podcasts und Proust spannt diese Brücke dann aber auch genau dort auf, wo man sie erwarten darf: zwischen einem Podcasthörer und seinen Proust-Nachbar:innen, nicht – und das muss man sich klar machen – einem Sachverständigen für Geldpolitik, Geldgeschichte und ökonomischer Dynamik und seinen in diesen Dingen womöglich unbescholtenen Leser:innen. Mangolds Buch ist ein stellenweise durchaus elegantes Allerlei aus Fakten, evidenzarmen Allgemeinplätzen und Geraune, ein geldtheoretisches Kuriositätenkabinett mit Einwürfen einer größtenteils imaginierten Geldgeschichte, waghalsigen Vorstellungen von Geldpolitik und einer konsequenten Vermischung makroökonomischer und moralischer Argumente; etwa wenn er die Argumentationen des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professors für Makroökonomie Marcel Fratzscher verärgert als „woke Hypersensibilität“ abtut und damit gleich eine ganze makroökonomische Betrachtungsweise als rein politische Verwirrung diskreditiert sieht, die er „Keynesianismus“ nennt. Um es klar zu sagen: Ein wissenschaftsfundiertes Buch ist Die Orange Pille nicht.

Die Aufarbeitung eines Traumas

Es wäre gewiss vermessen und müßig, Mangold das abgenutzte (und keineswegs unproblematische) Follow the Science! entgegenzubrüllen, aber die gelegentliche Kenntnisnahme von Fachdebatten und Kontroversen hätte ihm sicher geholfen, die auf jeder zweiten Seite zwar zur Schau gestellte, aber doch immer wieder zugunsten der Bitcoin-Zukunft verworfene Unsicherheit ob der in der Krypto-Szene zirkulierenden Annahmen und Versprechen abzumildern.

Der assoziative rote Faden der Orangen Pille[2] ist jedenfalls gefühls- und nicht faktenbasiert, weil den Leser:innen genau genommen keine regelgeleitete und ergebnisoffene Rekonstruktion von Sachverhalten geboten wird, sondern die Geschichte der Aufarbeitung eines Traumas, die wiederum zu einer massiven Kränkung geführt hat (auf die Kränkung komme ich am Schluss zu sprechen). Ijoma Mangold ist nämlich (und bekanntlich) Berufsliberaler, der, wie man nun erfahren darf, in der globalen Finanzkrise 2008 fast seinen Glauben an die Selbstorganisationskräfte des freien Marktes verloren hatte (S. 144). Ja, ich war auch geschockt, aber keine Angst: Er hat seinen Glauben nun zurück – und zwar durch Bitcoin! Heute weiß Mangold, dass das Problem damals zum Glück doch nicht die Märkte waren, sondern die Irrungen und Wirrungen eines durch gierige und unverantwortliche Staatsmacht missbrauchten Geldes – das „monetär-staatliche Kartell“[3]. Wie bitte, werden Sie nun fragen, ein Liberaler, der im Staat und nicht im Markt die Ursache für Krisen sieht? Genau.

Allerdings gibt es in der Tat an der Funktionsweise und Wirkung unserer Geldproduktion im vergangenen halben Jahrhundert viel zu kritisieren. Jahrzehntelange Geldproduktion für den Handel mit Vermögenswerten (anstatt realwirtschaftlicher Investments) hat zu einem instabilen Finanzsystem und zunehmender Ungleichheit beigetragen, da hat Mangold völlig Recht. Allerdings lassen sich diese Effekte gerade nicht der von Liberalen stets bemühten Gier verschuldungswilliger Demokratien, sondern vor allem bis zur für Mangold biographisch so wichtigen Finanzkrise 2008 den hohen Autonomiegraden privater Akteure zurechnen. Mangolds Wut auf Gemeinschaft und Staat verzerrt seine im Grundsatz richtige Kritik. Er schreibt dann auch noch die Federführung dieser Aburteilung vor allem dem Bitcoin-Universum zu – ungeachtet der Tatsache, dass es sich hier um einen in der (heterodoxen) Ökonomik, Politikwissenschaft und Wirtschaftssoziologie breit diskutierten Sachzusammenhang handelt. Im Modus des Entlarvens hebt Mangold beispielsweise hervor, dass selbst „ein linker Finanzkapitalismuskritiker“ wie Joscha Wullweber (Professor an der Universität Witten/Herdecke) zugeben muss, dass private Geschäftsbanken und staatliche Institutionen „gewissermaßen unter einer Decke“ stecken (S. 149). Ohne Joscha Wullwebers Leistung hier schmälern zu wollen: Es ist absolut üblich, sogenannte moderne Geldsysteme als öffentlich-private Hybriden zu beschreiben, damit ist aber noch keineswegs gesagt, ob oder inwiefern daraus Missstände erwachsen. Aus Mangolds Sicht scheint allerdings stets zu gelten: Bedarfsflexible Geldproduktion ist per se ein Akt (irgendwie politisch linker) Aneignung und Überformung eines reinen, geordneten und dadurch neutralen Geldes, das eben zuletzt durch Gold und nun, noch besser, durch Bitcoin realisiert und gegen gierige Politiker:innen und ihre Schergen aus der Finanzwelt verteidigt werden muss.

Mangolds Welt ist hier in trumpistischer Weise binär: „Linke“ seien stets für Geldschöpfung und blind für deren Gefahren (S. 156), die Bitcoiner hingegen seien praktisch die einzigen echten Kritiker:innen ihrer Verteilungseffekte und destabilisierenden Potenziale. Das ist, um es vorsichtig zu sagen, frei erfunden; die Kritik an den Geldschöpfungsverwerfungen des letzten halben Jahrhunderts wird in der Politikwissenschaft, Soziologie und Ökonomik seit Jahren in großer Breite diskutiert, ist Gegenstand von Kontroversen innerhalb von Zentralbanken und Thema politischer Bewegungen. Mangolds fantasiert sich irgendwelche „Linken“ herbei, „die in der die Politik der Geldmengenausweitung durch die EZB [Europäische Zentralbank] ‚irgendwie‘ eine linke Agenda“ sähen und dabei unterstellen würden, „dass Gelddrucken ‚irgendwie‘ gut für die Gerechtigkeit sei“ (S. 156). Seine Links-gegen-Rechts-Unterscheidung (sorry: Links-gegen-Vernünftig-und-moralisch-integer-Unterscheidung) ist bestenfalls derartig naiv (um nicht zu sagen: mutwillig irreführend), dass man sich wirklich fragt, ob man den Autor nicht verlagsseitig hätte bitten müssen, außer Podcasts und Proust wenigstens noch anderes zu lesen, um zwei oder drei Behauptungen mehr belegen zu können.

Magisches Denken

Mangold reproduziert ein in der Bitcoin-Community übliches und in der Forschung zigfach dekonstruiertes magisches Denken über geldwirtschaftliche und geldpolitische Zusammenhänge, das hier nur angedeutet zu werden braucht, weil mir Twitter-Accounts mit Laseraugen auf dem Profilbild – das Erkennungsmerkmal dieser Gruppierung – ohnehin erklären werden, warum ich keine Ahnung von sowas habe. Im Grundsatz geht es darum: Die Bitcoin-Theorie verengt das Nachdenken über Geld vollständig auf die Wertspeicherfunktion und überzeichnet die Bedeutung von Knappheit für ihre Sicherung. Geld wird umso attraktiver, so die Annahme, je weniger es über die Zeit an Wert verliert. Diese Prämisse wird durch die Annahme komplettiert, dass dieser Wert vor allem durch die Menge der verfügbaren (und produzierbaren) Geldmittel bestimmt wird. Deswegen ist logischerweise ein radikal endliches Geld wie Bitcoin – wir wissen ja fix, wie viel es maximal davon geben wird! – das beste Geld, das es gibt, und nach und nach sehen das hoffentlich alle ein und überwinden damit eine Phase, in der sich gierige Herrscher (in unserem Fall: wir, der Demos) vom zuvor besten Geld der Welt, nämlich Gold, zugunsten von schnödem Fiat-Papier gelöst haben. Dies sei vor allem auch deswegen zu erwarten, weil sich die Geldgeschichte vor dem böswilligen Eingriff von Herrschenden als eine technologische Evolution erzählen lässt: Friedlich interagierende Individuen haben sich nach und nach auf immer besser geeignete Waren geeinigt, die als Tauschmittel die Werte ehrlicher Arbeit zwischenspeichern konnten (S. 89 ff).

Fast nichts davon stimmt. Weder hat sich Geld historisch so entwickelt, wie es alte Lehrbücher der Volkswirtschaftslehre dargestellt haben (auch Mangold verweist leider als mehr oder weniger einzige Quelle in diesem Kontext auf die Annahmen dieser ahistorischen Disziplin, anstatt auf echte historische Forschung, S. 96), noch ist der Wert des Geldes durch die Geldmenge bestimmt (die Renitenz, mit der die Bitcoin-Community – und so auch Mangold – „Inflation“ mit „Geldmengenausweitung“ identifizieren will, ist vielleicht der unmittelbarste Ausdruck ihres Unwillens zu echtem Diskurs, bspw. S. 74, 86, 93, allerdings nicht konsistent, siehe etwa S. 94 oder S. 158). Weder haben Staaten heute eine „monetäre Alleinherrschaft“ (S. 21), noch kann man davon ausgehen, dass Menschen sich immer knappe Stoffe als Geld aussuchen, die dann von fiesen Herrschern – etwa durch Münzverschlechterungen (etwa S. 92, 95, 215) – zum eigenen Vorteil aufgeweicht werden. Das ist ein altbekannter und nervender Topos liberaler Ideologie, der im Grundsatz damit zusammenhängt, dass Mangold (wie die Bitcoiner) die Bedeutung des Liquiditätsbedarfs von Wirtschaften völlig unterschätzt. Selbst Münzverschlechterungen hatten vielfach etwas mit Materialmangel zu tun, also damit, dass die Nachfrage nach Geld (Liquiditätsbedarf) das Materialangebot überstieg. Wer außerdem die historische Vielfalt und ständige Neuerfindung von Zahlungsmitteln nur mit dem grassierenden Bedarf an Wertspeicherung erklären will (und nicht mit Liquiditätsbedarf), ist auf dem Holzweg (deswegen macht das eigentlich auch niemand).

Das verweist auf einen grundsätzlichen Punkt: Knappheit ist für Geldformen stets zu einem Problem geworden, aber nicht wegen kleptokratischen Herrschern, sondern weil wachsende und dynamische Ökonomien ständigen Bedarf an neuem Geld generieren. Hinzu kommen Krisen, die sich immer wieder ergeben werden, weil Wirtschaft mit Finanzmitteln betrieben wird, die Zahlungsversprechen sind; das ist keine Folge des von Mangold verhassten Fiat-Geldes, sondern im Prinzip schon der Sesshaftigkeit. Finanzbeziehungen erzeugen immer wieder Liquiditätsbedarfe, die von der Wertspeicherung und dem Verkauf von Waren als solchem unabhängig sind. Das einfach zu ignorieren, ist dann eben magisches Denken, das einen völlig aus der Luft gegriffenen Zaubersatz aufsagt: Mengenstabiles Geld führt zu Preisstabilität führt zu einem stabilen und prosperierenden Wirtschafts- und Finanzsystem. Nur fehlt es an empirischer Evidenz für diese simple Kausalkette.[4]

Eine Pille gegen woke culture

Das Kernproblem des Buches ist, dass sich sein Autor für ernsthafte, heißt: differenzierte Diskussionen der kulturellen, sozialen, historischen und ökonomischen Dimensionen des sich um das Datenbankprogramm spinnenden Sprachspiels gar nicht interessiert. Mit grenzenloser Toleranz gegenüber den kategorialen Spannungen in seinem Gedankengang springt Mangold zwischen den verschiedenen Argumentationsebenen hin und her: So bezieht er ein moralisches Plädoyer für das Sparen auf der Mikroebene – Mangold hält Menschen, die sparen, anstatt sich zu verschulden, für moralisch äußerst niveauvoll (S. 164 ff.) – rein assoziativ auf makroökonomische Einordnungen von Inflation, Deflation und Krediten. An einer prägnanten Stelle hält er einen Kommentar des DIW-Chefs Marcel Fratzscher für ein fahrlässiges Plädoyer für Neuverschuldung und – besonders sympathisch – für eine „Verschränkung von Schuldenleichtsinn und woker Hypersensibilität“ (S. 161). Fratzscher hatte darauf hingewiesen, dass man das Sprachbild der „schwäbischen Hausfrau“ doch heute bitte wenigstens in Anführungszeichen verwenden sollte, weil es nicht nur sexistisch, sondern eben auch makroökonomisch irreführend sei. In der Forschung ist man sich in der Tat weitestgehend einig, dass das individuell häufig vernünftige Sparen als systemischer Imperativ eben nicht funktioniert (und nein, das hat nichts mit Fiat-Geld als solchem oder „Schuldenleichtsinn“ zu tun).

Ökonomische Zusammenhänge aus der realen Welt interessieren Mangold schlicht nicht so sehr, er driftet an diesem Punkt nämlich in einen Wutanfall gegen Gleichberechtigung ab: Bitcoin sei eine „Klarheitsmaschine“, meint Mangold (mit „Klarheit“ ist hier vor allem ein fixes Geldangebot gemeint) – und deswegen hätten seine Befürworter:innen auch nichts damit am Hut, gegen die Diskriminierung marginalisierter Menschen vorzugehen:

„Ich vermute, es hat genau mit jenem Status als Klarheitsmaschine zu tun, dass all jene Themen, mit deren emotionaler Abarbeitung die öffentliche Meinung so sehr beschäftigt ist, die identitätspolitische Empörungskultur und das woke Fahnden nach Mikroaggressionen, im Bitcoin-Space so gut wie keinen Widerhall finden.“ (S. 169)

Betroffene würden es wohl vorziehen, statt von „identitätspolitischer Empörungskultur“ eher von einem Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung (oder schlicht Schutz) zu sprechen, aber das übergeht Mangold in einem Plädoyer gegen „woke“ Diskurse, in denen „man Sprecherautorität in dem Maß gewinnt, in dem man sich als Opfer zu beschreiben vermag“ (es geht also im Inszenierungen); dagegen würde Bitcoin viel eher zu „eigenverantwortlichem Handeln“ anleiten – „Self Custody statt Victimization“ (S. 169). Die Losung scheint also zu sein: Hört auf zu jammern und kauft Bitcoin!

Es geht um Bekenntnisse

Solche Ausflüge in die Diskursatmosphäre eines Telegram-Kanals verdeutlichen, dass das gesamte Thema für den Autor vornehmlich als politische Axiomatik interessant ist. Am Ende geht es ihm eben nicht „hauptsächlich um dies: um Erkenntnis“ (S. 138), sondern um Bekenntnisse. Wie wir schon am Beispiel Fratzscher gesehen haben, kommen wirtschaftstheoretische Paradigmen bei Mangold letztendlich nur als Haltungsfragen vor, als „Philosophien“ im Sinne wählbarer und auf dem Feld der Moral um Vorherrschaft ringender Weltanschauungen. Was Geld ist, wie es sich historisch entwickelt hat und wie Geldpolitik funktioniert, wird in seiner Darstellung zur politischen Gewissensfrage verklärt, zur Entscheidung zwischen irgendwie linken, tendenziell kapitalismuskritischen, dem Schuldenleichtsinn, Massenkonsum und dem Kollektivismus frönenden „Keynesianer:innen“ und den tugendhaften, freiheitsliebenden, leistungsorientierten und sparsamen „Österreichern“ (siehe etwa die Darstellung der austrian economics, S. 133–142). Deswegen führen die von Mangold gebauten Brücken oft in die Irre und enden nach dem Baubeginn in einer Sachfrage bei normativem Tadel.

Mangold machen beispielsweise die „Rettungspakete“ fürchterlich wütend, mit denen die Zentralbanken in Finanz- und Coronakrise das Finanzsystem stabilisiert und dabei auch (indirekt) die Regierungen mit neu produziertem Geld versorgt hatten. Am Beispiel der Europäischen Zentralbank (EZB) verleitet ihn das gar zu gewissen Ausfällen gegen Demokratie und Rechtsstaat, indem er etwa den unveränderlichen Programmcode gegen das fehlbare Gesetz auszuspielen versucht. Seine Wut entzündet sich besonders am Maastricht-Vertrag, der eigentlich versuchte, die EZB daran zu hindern, die Zahlungsfähigkeit der Euro-Länder zu unterstützen, was sie dann in der Finanz-, Euro- und Coronakrise aber tat, wenigstens indirekt. (Ob sie damit gegen den Vertrag verstoßen hat, sei dahingestellt). Manche sehen darin die Rettung der gesamten Wirtschaft, von Rentenansprüchen bis Arbeitsplätzen, Mangold aber erkennt in guter Stammtischmanier nur einen Skandal, die Rettung von „Finanzinstituten […], die sich verzockt haben“ (S. 75) – „Der Maastricht-Vertrag war das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt worden ist. Er war eben Papier und nicht Code“ (S. 76).

Man kann den Euro gut und gerne in verschiedener Hinsicht kritisieren, aber doch nicht so![5] Es ist doch ein Glück, eine historische Errungenschaft und – Achtung! – das Herz unserer Freiheit, dass Gesetze eben nicht in Stein gemeißelt, sondern interpretier- und veränderbar sind. Ich dachte immer, nur so funktionieren Rechtsstaaten. Gesetze sind insbesondere in Demokratien aus wirklich guten Gründen „aus Papier“ – damit wir sie ändern können, wenn es notwendig wird. Dieser staats- und gemeinschaftsfeindliche Impetus der Bitcoiner ist auch der Grund, warum die Kryptowährung – nochmal Achtung, Reizwort! – von einigen „neoliberal“ genannt wird. Damit wird in den Sozialwissenschaften gemeinhin eine politische Agenda bezeichnet, die ökonomische Ressourcen, Prozesse und Mechanismen von demokratischer Einflussnahme abkoppeln will. Die Diskreditierung von Rechtsordnungen als „wertloses Papier“ erinnert in unschöner Weise an antidemokratische Diffamierungen des Parlamentarismus als „Laberbude“ und verdeutlicht, dass Mangold an Bitcoin vor allem als einem Medium normativ-politischer Kritik interessiert ist.

Protestantische Leistungsethik statt Schrottkonsum?

Dieses Primat normativer Nörgelei produziert in der Vermischung mit Sachdiskussionen konsequent Kuriositäten, etwa die sich durch das ganze Buch ziehende Verklärung von Leistungsbegriff und Energieverbrauch, die in einem Kapitel als klassische Konsumkritik daherkommt. Viele Paar Schuhe zu kaufen, findet Mangold nämlich ganz schlimm (S. 167), die Bitcoin-Ideologie schafft aber auch hier offenbar Abhilfe. Der Autor präsentiert sie als wachstumskritischen Minimalismus (S. 166ff) und ordnet die Bitcoin-Bewegung, jedenfalls in Teilen, der Degrowth-Bewegung zu (S. 46 u. 166 ff.). Das dürften viele sympathisch finden. Man ist fast gewillt, ihm deswegen sein Schlingern zwischen den Argumentationsfäden eine Weile nachzusehen; nur driftet der Monolog dann sofort wieder ins Abstruse. Bitcoin wird zur Geißel des „Schrottkonsums“ (S. 167) stilisiert, weil er das Geld wieder mit echtem Nutzen verknüpfen würde. Deswegen „erinnert“ Mangold „der Umstand, dass für jeden Bitcoin, der in der Welt ist, mathematisch nachweisbar Arbeit und Zeit verbraucht wurden, nicht ohne Grund an Max Webers Begriff der protestantischen Leistungsethik“ (ebd.).

Wie bitte? Erinnern wir uns: Bitcoins entstehen nicht, weil jemand irgendein nützliches Produkt hergestellt und verkauft hat, sondern weil sehr, sehr viele Grafikkarten (mit denen hat man früher jedenfalls gearbeitet, weil sie schneller waren als CPUs, also Mainboard-Prozessoren) sehr, sehr lange gerechnet haben. Eine einzelne Grafikkarte hat dann Glück und ihr Besitzer bekommt eine virtuelle Münze gutgeschrieben. Für die Generierung eines jeden Bitcoin wurde also zur Stromerzeugung beispielsweise Gas verbrannt und dann mithilfe einer Rechenmaschine vor allem Abwärme, aber eben auch Rechenleistung erzeugt, die dann nach dem Glücksspielprinzip langwierige Rätsel gelöst hat, deren einziger Mehrwert eben darin besteht, dass die Maschine sich am Ende selbst gestattet, eine Ziffer (eine neue 1) in eine Datenbank einzutragen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob mich das auch an die protestantische Leistungsethik erinnert. Und vielleicht erscheint es mir auch deswegen nicht ad hoc moralisch „niveauvoller“, Gas zu verbrennen, um ein Datenbanksystem zu betreiben, als sich ein paar Schuhe zu kaufen, die man nicht unbedingt braucht.

Sakralisierung des Energieverbrauchs

Überhaupt fällt es mir schwer, die wabernde Faszination Mangolds für das Thema Energieverbrauch anders als kurios zu finden. Nehmen wir die Finanzkrise von 2008, nicht nur der Geburtskontext des Bitcoin, sondern für Mangold ja auch eine biographische Zäsur. Im Zuge der Finanzkrise, aber auch in den Jahren danach und zuletzt wieder in der Corona-Pandemie haben die Zentralbanken bereitwillig Liquidität, heißt: neues Fiat-Geld bereitgestellt. Das wird im Allgemeinen – auch wenn es viel Kritik an der Ausgestaltung und den Implikationen dieser Maßnahmen gibt – als notwendige und keineswegs unkluge Stabilisierung betrachtet.

Mangold stört sich nun vor allem daran, dass die Rettungsmaßnahmen der Zentralbanken energiesparend durchführbar waren: „Im Fiat-System sind Bankenrettungen mit einem Fingerschnippen in die Wege zu leiten […]. Unter einem Bitcoin-Standard wäre eine solche Rettungspolitik schon deshalb nicht möglich, weil jeder Bitcoin […] Energie kostet“ (S. 151). Diesen Satz habe ich schon häufiger gelesen oder gehört, aber immer mit der gegenteiligen Konnotation. Die grundsätzliche Flexibilität, Zahlungsverflechtung nicht scheitern lassen zu müssen, weil Liquidität fehlt, wird gemeinhin als Funktionsbedingung gelungener Ökonomie und Gesellschaft beschrieben – und damit als Vorteil von Fiat-Geld. Mangold hätte aber lieber, dass man erst irgendwas verbrennen muss, bevor man Omas Ersparnisse oder die Rentenansprüche des 54-jährigen Familienvaters rettet oder bevor man Kulturschaffenden im Lockdown schlicht Geld überweist, damit sie nicht verarmen. Man kann politisch gegen solche Zahlungen sein, aber doch nicht mit dem Argument, dass eine Grafikkarte noch nicht genug gerechnet und Abwärme produziert hat, indem sie Spielzeugcodes entschlüsselt.[6]

Im Insistieren auf einem der Geldschöpfung vorgängigen Energieverbrauch zeigt sich wieder ein retrofuturistisches Element. Schon Immanuel Kant hatte davon gesprochen, dass Geldproduktion irgendwie wie eine Geldeinnahme funktionieren müsse. Geldproduzent:innen müssten sich die Geldschöpfung „verdienen“, genauso, wie man sich als Geldnutzer:in Geld durch Einkommen „verdient“. Man könnte an dieser Stelle weiter ausholen und darüber sprechen, wie diese letztendlich normative Entrüstungen zu konkreten geldpolitischen Steuerungsideen geführt haben – Zentralbanken versuchen letztendlich, eine Identität von Geldbetrag und Waren herzustellen, damit Fiat-Geld, auch wenn es kausal nicht auf einen Verkauf von Leistung zurückgeht, sondern auf Kredit, doch insgesamt so funktioniert, als wäre es „verdient“ worden, indem nämlich jeder Betrag Zugriff auf Waren ermöglicht. Wer Geldschöpfung per Kredit skandalisieren will und etwa jede Ausweitung der Geldmenge in Fiat-Geldsystemen prinzipiell als „Manipulation“ begreift (S. 28), weil sie nicht auf der Umwandlung einer Ware in Geld beruht, sondern auf einem Versprechen, kann das gewiss immer tun. Es handelt sich dabei aber um eine seit Jahrhunderten bekannte, normative Nörgelei, die sich verfälschenden Annahmen, eine ressourcenabhängige Geldproduktion führe automatisch zu einem stabileren und faireren (und dennoch weiterhin dynamischen) Wirtschaftssystem, nicht ohne weiteres bedienen darf. Ebenso ist die Behauptung, nur der vorgängige Ressourcenverbrauch würde „echtes“ Geld erzeugen, eben ein moralisches und kein wirtschaftstheoretisch fundiertes Axiom (und schon gar keine empirische Erkenntnis).

Am Ende geht es immer um Wertschätzung

Am Ende ist es deswegen wahrscheinlich klug, das Buch konsequent nicht als ein Manuskript über Geld oder Wirtschaft zu lesen, sondern als ausführliche Entfaltung eines Kränkungsgefühls, das der Bearbeitung des Traumas der Finanzkrise entspringt. Um die Erschütterung seines Vertrauens in die Selbstorganisationskräfte freier Märkte zu verarbeiten, hat sich Mangold in die Geldtheorie der Bitcoin-Szene gestürzt. Das hat zwar seinen Glauben restauriert, aber ihn gleichzeitig empört: Modernes Geld entsteht als buchhalterische Verrechnungsgröße, ohne dass seine Menge von Ressourceneinsatz abhängig wäre. Eine Million Euro zu erzeugen statt eintausend zwingt eine Bank nicht zu einem eintausendfachen Ressourcenverbrauch; die zusätzlichen Nullen kosten nichts. Einem solchen Geld fehlt die symbolische Kraft, Ijoma Mangold jenes Gefühl von Wertschätzung zu verleihen, welches er seiner Meinung nach verdient. (Bitte lassen Sie sich jetzt nicht dazu verleiten, Mangold aufgrund seines Wunsches nach Wertschätzung woke Hypersensibilität zu attestieren, das wäre wirklich ein zu billiger Scherz!). Und auf dieses Gefühl der Kränkung dampft am Ende die ganze Argumentation ein: „Für eine Arbeit, die mich Zeit und Energie gekostet hat, möchte ich nicht mit einem Geld bezahlt werden, das herzustellen seine Emittenten nichts kostet.“ (S. 168)

Das ist zwar wirtschaftstheoretisch haltlos, wohl aber ein völlig legitimer, individueller Anspruch. Mangold will einfach nicht in Fiat-Geld bezahlt werden. Diesen Willen kann er selbstverständlich frei äußern, wobei dieser Anspruch wohl besser an seinen Arbeitgeber adressiert gewesen wäre. So ist das eben mit gekränkten Gefühlen, sie müssen nicht immer logisch sein. Mit derart emotional aufgeladenen Bedürfnissen kann man allerdings auch nicht konstruktiv streiten. Aber nur durch die Würdigung der Gefühlsebene, der Kränkung, wird verständlich, warum sich Mangold so sehr an der „Zuneigung“ der „Bitcoin-Bros“ erfreut (S. 39–40) und warum es für ihn von Bedeutung ist, dass die Bitcoin-Ideologie ihm als etwas „ästhetisch Schöne[s]“ (S. 121) ein „Gefühl von Erhabenheit“ (S. 127) verleiht und eine Bitcoin-Konferenz ihm den Eindruck einer „Gesprächstherapie“ (S. 248) vermittelt.

Es scheint Mangold am Ende fast egal, ob er mit dem „kostenlosen“ Fiat-Geld für seine Arbeit trotzdem einen verlässlichen Zugriff auf Güter bekommt, die wiederum andere Menschen Zeit und Energie gekostet haben, obwohl (oder gerade, weil!) es eben nur eine Buchhaltungsoperation ist; nein, das Tauschmittel selbst soll bitte Energie und Zeit kosten! Warum? Weil Schreiben und Redigieren eben auch anstrengend ist! Dass Mangold gerade diese Quengelei als „das erwachsenere Geld“ und Fiat-Geld dagegen als „infantil“ (S. 168) bezeichnet, ist derart kurios, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob er hier, wie man im Internet sagt, trollt, also bewusst provozieren will.

Wer Spaß an solcherart Quengelei hat, sich weniger für Wirtschaftstheorie, aber sehr für die außerordentlich klar dargestellte Funktionsweise von Bitcoin und die gekonnt zum Strahlen gebrachte Denkweise seiner Szene interessiert, sich gerne in etwas versnobtem Erzählton vorgetragenen Gehässigkeiten über Staatlichkeit berieseln lässt und über die Anerkennungsbegehren marginalisierter Gruppen spotten will, der wird Spaß an der Pille haben. Alle anderen investieren ihre Zeit und Energie lieber anders – vielleicht in Podcasts, Proust und ein eigenes Buch?

  1. Ich danke meinen Kolleg:innen Clemens Boehncke, Thomas Hoebel, Carolin Müller und Laura Wolters für zahlreiche wichtige Anregungen.
  2. Die Titelei ist bezeichnend: Der von Mangold ebenfalls beschriebene Bezug auf den Kinofilm The Matrix ist im Internet populär. Dort bekommt der Protagonist die Wahl zwischen einer blauen Pille, die für die Seligkeit der Unwissenden steht und einer roten Pille, die Einsicht in die Wahrheit der Hinterbühne offeriert. Redpiller ist in diesem Sinne eine durchaus affirmative Selbstbezeichnung von Verschwörungstheoretiker:innen, an die sich die Bitcoin-Enthusiasten anlehnen: die orange Pille soll einen dritten Weg offenbaren; in Mangolds Buch soll sie weder für Aufklärung noch für Verschwörung stehen, sondern für einen Ausweg, wobei sie meiner Einschätzung nach deutlich mehr rot als blau enthält.
  3. „Und das ist die vielleicht wichtigste Unterscheidung, die Bitcoin mich gelehrt hat: dass der korrupte Teil des Kapitalismus nicht aus dem freien Markt, sondern aus einem monetär-staatlichen Kartell kommt, das immerfort ein Geschäft zu Lasten Dritter betreibt und das Ganze Rettungspaket nennt.“ (S. 151)
  4. Ich selbst vermute übrigens keineswegs, dass Bitcoin deswegen verschwinden wird. Er wird sicherlich als Nischenprodukt zu Spekulation oder meinetwegen auch zur Wertspeicherung in den Portfolios einzelner Investor:innen verbleiben. Und mit seiner Technologie – der Blockchain – hat Nakamotos Programm bereits eine disruptive Welle angestoßen. Auch finde ich sowohl die Ambition der Bitcoin-Gedankenwelt, die Gestaltung des Geldes als politische Größe anzusprechen – Geld also nicht als schlicht vorgefundenes und begehrtes Etwas, sondern als eine gestaltbare soziale Konstruktion zu adressieren, wichtig und richtig und habe mich selbst mehrfach auf ähnliche Weise positioniert. In Bezug auf die Bereitstellung verlässlicher und pseudonymer Zahlungsfähigkeit in Krisengebieten oder repressiven Ländern ist da ebenfalls viel zu holen, hier kann man den Ambitionen des Projekts nur Erfolg wünschen. Mit Blick auf die Forschung zur Geldtheorie, der Geldgeschichte, der Funktionsweise von Ökonomien und den Mechanismen der Geldpolitik erscheint es mir nur ausgeschlossen, dass sich unser Geldsystem primär auf Bitcoin stützen wird. Alles, was Bitcoin ökonomisch auszeichnet, nämlich seine radikale Endlichkeit, ist ein monetäres Todesurteil.
  5. Ich kann die Wut verstehen: In der Finanzkrise schien es dem medialen System so, als hätten wir es mit einer Klasse gieriger Banker:innen zu tun, die wild spekulierten, sich verzockten und nun vom „monetär-staatlichen Kartell“ errettet wurden, anstatt sie – gut marktliberal – fallen zu lassen. Natürlich kann man sich dadurch zum Wunsch nach einer reinigenden Krise, in der alle bekommen, was sie verdienen, hinreißen lassen. Damit aber folgt man dem Pfad eines Moralisten, der, so ist das in Finanz- und Geldordnungen nun einmal, bereitwillig Unschuldige mit in den Abgrund stößt, um auf jeden Fall auch die Sünder zu erwischen.
  6. In der Konsequenz müsste man es schließlich gutheißen, wenn die EZB vor dem nächsten Rettungspaket irgendeinen Weg fände, sinnlos Energie zu verbrauchen, um sich dem Mangold-Ideal anzunähern, also etwa bei unter Volllast laufenden Heizkörpern durchweg zu lüften; Mangold hätte dagegen vielleicht auch deswegen nichts einzuwenden, weil er die EZB nicht nur für die Eurorettung und Coronapolitik kritisiert, sondern auch für eine ökologisch nachhaltigere Geldpolitik (S. 60), aber lassen wir das.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Jens Bisky.

Kategorien: Daten / Datenverarbeitung Digitalisierung Geld / Finanzen Konsum Kultur Politische Ökonomie Wirtschaft

Aaron Sahr

Prof. Dr. Aaron Sahr, Wirtschaftssoziologe, ist Gastprofessor der Leuphana Universität Lüneburg und Leiter der Forschungsgruppe „Monetäre Souveränität“ am Hamburger Institut für Sozialforschung. Zu seinen Forschungsinteressen gehören die Soziologie des Geldes, Banken- und Wirtschaftstheorie, Kapitalismusgeschichte, Ungleichheit und Sozialontologie.

Alle Artikel

PDF

Zur PDF-Datei dieses Artikels im Social Science Open Access Repository (SSOAR) der GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften gelangen Sie hier.

Empfehlungen

Steffen Martus

Romane veröffentlichen wie man Selfies postet

Rezension zu „Everything and Less. The Novel in the Age of Amazon” von Mark McGurl

Artikel lesen

Oliver Schlaudt

Die kulturelle Evolution des Geldes als multidisziplinäres Forschungsprogramm

Literaturessay zu „Geld, Kognition, Vergesellschaftung. Soziologische Geldtheorie in kultur-evolutionärer Absicht“ von Hanno Pahl

Artikel lesen

Jens Bisky

Aufgelesen

Die Zeitschriftenschau im Februar 2023

Artikel lesen

Newsletter