Wolfgang Bock | Rezension |

Psychoanalyse und Revolutionstheorie

Rezension zu „Freud, Trotzki und der Horkheimer-Kreis“ von Helmut Dahmer

Helmut Dahmer:
Freud, Trotzki und der Horkheimer-Kreis
Deutschland
Münster 2019: Westfälisches Dampfboot
525 S., EUR 45,00
ISBN 978-3-89691-271-8

Aufsätze der letzten zehn Jahre zu aktuellen Themen

Der Darmstädter Soziologe Helmut Dahmer, der heute von Wien aus operiert, war unter anderem von 1982 bis 1992 leitender Redakteur der Zeitschrift „Psyche“ und gibt seit 1988 die Schriften Leo Trotzkis in einer neuen deutschen Ausgabe heraus.[1] Der vorliegende Sammelband schließt an seine 2009 veröffentlichten Einlassungen „Divergenzen. Holocaust – Psychoanalyse – Utopie“ an[2] und versammelt Aufsätze aus den letzten 10 Jahren, die unterschiedlichen Themenkomplexen gewidmet sind. Das Gros der längeren Beiträge ist bisher unveröffentlicht, einige der kürzeren Texte erschienen beispielsweise im österreichischen „Werkblatt“. Der erste von insgesamt vier Teilen des Buches versammelt Auseinandersetzungen mit der Psychoanalyse; der zweite behandelt das Verhältnis der Frankfurter Theorie zur Russischen Revolution und Trotzki, im dritten Teil finden sich bis dato unveröffentlichte Beiträge aus den Jahren 2013-2015, die teilweise an Adornoseminare zur Ideologiekritik und zur Geldtheorie anschließen, aber auch die Sozialpsychologie von Antisemiten und Jihadisten behandeln. Im als Anhang angelegten vierten Teil beschließen zwei Beilagen und das Quellenverzeichnis den mit über 500 Seiten umfangreichen Band, der in vielerlei Hinsicht ganze Bibliotheken zu ersetzen vermag.

Psychoanalyse und Materialismus

In den Essays des ersten Teils wird die Psychoanalyse als materialistisch orientierte Sozialtheorie verhandelt. Dahmer setzt bei der, insbesondere durch den NS vorangetriebenen, Reduzierung der Psychoanalyse auf eine medizinische und soziale Technik an, um sie, dem ursprünglichen Anspruch Freuds entsprechend, als kritische Sozialwissenschaft zu restituieren. Der Beitrag „Schuld, Scham und Abwehr. Ein DPG-DPV-Trauerspiel in drei Akten“ präsentiert Details zur Debatte um die NS-Vergangenheit der deutschen Nachkriegspsychoanalytiker. Dahmer selbst hatte die Diskussion in den 1980er-Jahren angestoßen, als er in der Zeitschrift „Psyche“ einen NS-Propagandatext des späteren DPV-Funktionärs Carl Müller-Braunschweig aus dem Jahr 1934 veröffentlichte und so einen Konflikt herauf beschwor, der bis heute weiter schwelt. Der dritte Text schließlich rekonstruiert, welche Rolle die an Freud orientierte Psychoanalyse in der Kritischen Theorie von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno spielte.

Vom beständigen Bürsten der Geschichte gegen den Strich

Es sind die in der geläufigen Geschichtsschreibung der psychoanalytischen Verbandsautoren ausgegrenzten Motive, die Dahmer in den Mittelpunkt stellt. Um mit Georges Bataille zu sprechen: die Grenzen des Herkömmlichen und der homogenen Geschichtsschreibung überschreitet Dahmer gleichsam in einer Transgression. Ohne dabei die großen Interpretationslinien aus den Augen zu verlieren, breitet der Autor die Details – beispielsweise die Verteidigung der NS-Vergangenheit nicht weniger Nachkriegsanalytiker und die harschen Reaktionen auf Dahmers Hauptwerk „Libido und Gesellschaft“ von 1973 – in einer Weise aus, die an die Analyse eines Traumes erinnert: Jede Kleinigkeit spiegelt als Monade die Absurdität der Abwehr und der apologetischen Strategien der sich getroffen fühlenden Nachkriegsanalytiker wider.

Dahmer ist im Feld derjenigen, die sich mit der NS-Adaption der Psychoanalyse als „Germanische Tiefenpsychologie“ beschäftigen, einer der ganz wenigen, der Ross und Reiter nennt. Andere, die sich mit dem Thema befassen – wie Ulfried Geuter, Andreas Peglau, Regine Lockot oder Michael Schröter – nutzen trotz vorgeblich kritischer Attitüde immer wieder jede noch so kleine Möglichkeit, um den NS-Psychologen einen pauschalen Persilschein auszustellen und weiter zu behaupten, dass am Ende niemand aus der eigenen Profession schuld war. Von dieser gängigen Praxis hebt Dahmer sich wohltuend ab. Wie sonst nur die amerikanischen Psychohistoriker Geoffrey Cocks und Anthony Kauders in ihren Werken zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland lässt er die Belege sprechen, ohne sich freilich auf sie zu beschränken und einem eindimensionalen, faktenhuberischen Positivismus das Wort zu reden.[3]

Mückenstiche: die Kritik der Russischen Revolution

Die Beiträge des zweiten Teils befassen sich mit der Interpretation der kritischen Theorie vor dem Hintergrund der objektiven Möglichkeit einer Revolution, wie sie 1923 – nicht zufällig dem Gründungsjahr des Frankfurter Instituts für Sozialforschung – in Deutschland gegeben war. Mit einer Akribie, die an eine Mücke in der Nacht erinnert, die systematisch an den Maschen eines Moskitonetzes entlang fliegt und ein Loch sucht, durch das sie stechen kann, spürt Helmut Dahmer im zweiten Teil des Buches in den Schriften von Horkheimer, Weil, Adorno, Benjamin, Pollock und anderen Verweisen auf Lektüren von Leo Trotzki nach. Und er wird an einer Vielzahl von Stellen fündig. Es ist der Versuch, den Bezug der Frankfurter Schule zu Russland und der deutschen Revolution zu eruieren. Doch derlei Motive sind in den Schriften der Frankfurter, die in Deutschland und in Amerika beständig im Fadenkreuz von FBI, CIA und politischer Polizei standen, eher unscheinbar in einer allgemeinen Totalitarismuskritik verarbeitet. Diese zielt zwar eindeutig auf den NS-Staat in Deutschland, sie meint aber auch die entsprechenden Entwicklungen in Russland und Amerika. Dahmer präpariert anhand zahlreicher Belege heraus, dass die revolutionäre Entwicklung in Russland – insbesondere mit dem Umschlag in Bürokratisierung und Terror – sowie Trotzkis Kritik an diesen Entwicklungen in den Arbeiten der Institutsmitglieder eine bislang unterschätzte Rolle spielen. Minutiös rekonstruiert er das „beredte Schweigen“, das er sowohl in Horkheimers „äsopischem“ Schreibstil als auch in Beiträgen der „Zeitschrift für Sozialforschung“ erkennt. Vor diesem Hintergrund arbeitet Dahmer die Gemeinsamkeiten im Denken Horkheimers und Trotzkis heraus: beide lesen Marx durch Hegel vermittelt, setzen mit Rosa Luxemburg auf die Spontaneität der Massen und treten für die bedingungslose Freiheit und Autonomie der Kunst ein. Zudem teilen sie eine besondere Wertschätzung der Arbeiten Freuds, die Bewertung des Antisemitismus und die klare Ablehnung Stalins, den beide für ein Ungeheuer hielten.

Dahmer begibt sich zudem auf die Spuren verschiedener Russlandreisender aus dem Kreis des Instituts. In verschiedenen, immer gut belegten Einlassungen verfolgt er beispielsweise Felix Weils Arbeit sowohl an der Marx-Engels-Gesamtausgabe als auch an einer Ausgabe der Schriften Leo Trotzkis oder widmet sich Friedrich Pollocks Interpretation der Planwirtschaft als Staatskapitalismus. Besonderes Augenmerk legt Dahmer jedoch auf mögliche Einflüsse Trotzkis auf Walter Benjamin. Dabei widmet er sich nicht nur Benjamins „Moskauer Tagebuch“, sondern spürt vor allem dem Einfluss nach, den die Lektüre von Trotzkis Autobiografie „Mein Leben“ auf Benjamins „Berliner Kindheit um Neunzehnhundert“ hatte. Zudem rekonstruiert er Motive aus Trotzkis „Klassencharakter des Sowjetstaates“ in der Revolutionsvorstellung in Benjamins Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ und kommt zu dem Schluss: „Benjamins Thesen haben der Lektüre von Trotzkis Revolutionsgeschichte vielleicht mehr noch zu verdanken als der Kabbala.“ (S. 363). Das gilt auch für Benjamins Überlegungen zur zweiten Sprachtheorie von 1933 („Über das mimetische Vermögen“), die Dahmer ebenfalls schlüssig in Verbindung zu Trotzkis historischer Analogiebildung setzt, mit der dieser den Umschlag der Französischen und der Russischen Revolution in Terror und Bürokratie parallelisiert. Jene Motive kommen nach dem Autor auch in den theoretischen Armaturen von Benjamins „Trauerspielbuch“ und dem „Passagen-Werk“ bislang unerkannt zum Tragen. Dahmer vermag so die endemisch angewachsene mystische Auslegung von Benjamins Werken wieder auf ihre materialistischen Füße zurückzustellen.

Ein Plazet mit Einschränkungen

Den Abschluss dieses Teils bildet die Schilderung eines Treffens des jungen Sozialwissenschaftlers Helmut Dahmer mit dem betagten Max Horkheimer, das im Jahr 1973 in Horkheimers Haus im Tessin stattfand. Dahmer trägt ihm seine Thesen zu Psychoanalyse und dem Einfluss Karl Korschs und Leo Trotzkis vor und fühlt sich durch die Antworten im Ganzen bestätigt, wenn auch im historischen Detail korrigiert. Wegweisend bleibt die Charakterisierung des Frankfurter Instituts durch Korsch: „Das ganze Institut war schon immer und ist jetzt vollkommen aufgebaut auf einer doppelten Buchführung von Politik und revolutionärer Theorie.“[4] Horkheimer konnte Korsch, mit dem er theoretisch vieles teilte, aber anscheinend persönlich nicht gut leiden und hielt im gemeinsamen New Yorker Exil nur lockeren Kontakt zu ihm. Für andere Positionen wiederum bekommt Dahmer kein Plazet vom Haupt der Frankfurter Schule. So findet sich im Anhang von Dahmers Buch eine kritische Besprechung der „Zeitschrift für Sozialforschung“ durch Walter Held (Pseudonym von Heinz Epe), einem engen Mitarbeiter Trotzkis, die 1939 in der exilkommunistischen Zeitschrift „Unser Wort“ erschien. Darin hatte der Autor in der Manier einer immanenten Kritik unter Bezugnahme auf Zitate Horkheimers zur materialistischen Ethik, die hauptsächlich dem Aufsatz „Die Philosophie der absoluten Konzentration“ von 1938 entstammten, das Fehlen der organisationspolitischen Seite der kritischen Theorie angemahnt.[5] Diese Kritik kann durchaus als Dahmers eigenes Credo gelesen werden. Horkheimer hatte dazu 1939 an seinen Mitarbeiter Leo Löwenthal, der Epes Einschätzung nicht teilte, geschrieben: „In der Beurteilung dieses Artikels […] gehen unsere Ansichten offenbar weit auseinander, denn ich halte ihn bei weitem für das Beste, was ich seit je über uns gelesen habe. Diese Arbeit geht auf ein ganz gründliches Studium unserer Schriften zurück. Die negativen Äußerungen, die übrigens ins Schwarze treffen, erscheinen mir viel eher als Werbung denn als bösartiger Angriff. Eben deshalb steht auf die Publikation der Glosse eine Begeisterung zu erwarten, die ich ganz und gar nicht herausfordern möchte.“[6] Soweit also Horkheimer, der sich im Jahre 1939 anscheinend zu gut getroffen fand und Angst hatte, dass die Tarnung der Institutsmitglieder als praxisferne Intellektuelle, die mit politischer Organisation oder gar Revolution nichts am Hut haben, aufflöge. 1973 konnte sich Horkheimer jedoch anscheinend nicht mehr an den Text erinnern, wie Dahmer berichtet. Ähnlich aber wie ein Kunstwerk sich selbst vertritt und nicht auf die Interpretation des Künstlers angewiesen ist, bedarf auch in diesem Fall die Theorie keiner Verifizierung durch den Autor, respektive Horkheimer. Die Belege, die Dahmer zusammenstellt, sprechen vielmehr voll und ganz für sich.

Instruktive Lücken

Und so lässt sich Dahmer mit einigem Recht nicht daran hindern, die Schriften der Frankfurter Theorie auf dieses revolutionäre Element hin zuzuspitzen und ihrer heutigen, zuweilen geradezu servilen Rezeption etwas entgegen zu setzen. Er sucht also einmal mehr nach Möglichkeiten, zuzustechen. Er tut es, um aus dem Körper der Frankfurter Theorie jenes gesellschaftsrevolutionäre Blut zu saugen, das ihn am Leben erhält und das als Libidotheorie auch in den Venen der Psychoanalyse pocht. Befasst man sich hingegen nur mit Äußerlichkeiten, so verfehlt man den für die Frankfurter so zentralen Kreislauf von Mensch, Natur und Revolution, der auch für Trotzki historisches wie gesellschaftliches Movens war. Das motiviert Dahmer dazu, die entsprechenden Stellen in den Werken von Benjamin bis Pollock aufzuspüren und Rezeptionslinien minutiös zu rekonstruieren. Das Nichtvorkommen Russlands in den Arbeiten der Frankfurter, aber auch die Beschreibung Horkheimers als eines „Unternehmers seiner selbst“ (Wiggershaus) oder die jüngst vom britischen Journalisten Stuart Jeffries wiederholte Verunglimpfung der Institutsmitarbeiter als „Salonmarxisten“, die angeblich als Armchair-Philosophen im „Grand Hotel Abgrund“ (Lukács) weilten, haben den sozialrevolutionären Hintergrund fast verschwinden lassen, den Dahmer zum Gegenstand seines Buches macht. Wie in einem Diorama, das dasselbe Objekt einmal bei Tag und ein andermal bei Nacht zeigt, erscheint so die trieb- und revolutionstheoretische Rückseite der Frankfurter Theorie in neuem Licht. Es geht um Organisations- und Klassenfragen, Manifeste und die Möglichkeiten einer positiven Praxis sowie die Parteinahme für die versprengten revolutionären Gruppen zwischen SPD, KPD und USPD.

Zwei Weisen des Schweigens

Dahmers Stil ist dabei immer klar und dicht, analytisch und narrativ zugleich; alles Notwendige wird gesagt und kein Widerspruch verschwiegen. Er schreibt kleine, zuweilen funkelnde Miszellen, die das Schweigen der Frankfurter Theorie zur Sowjetunion und der Organisationsfrage thematisieren und die Positionen auch psychoanalytisch unterfüttern. Er diagnostiziert so zwei verschiedene Arten des Schweigens, die gleichermaßen dem Schutz vor Aufdeckung dienen und rührt so an der Dialektik des Geheimnisses: einerseits das Schweigen der in Deutschland verbliebenen ehemaligen NS-Psychoanalytiker und ihrer Schüler*innen bezüglich ihres Wirkens im Dritten Reich und andererseits das Schweigen der Verfolgten des Horkheimer-Kreises, die den revolutionären Charakter ihrer Theorie zu verheimlichen suchten.

Dialektische Bilder

Die politische Idee einer Jetztzeit, des Übereinanderlegens von historischen Situationen zu Analogien, die Dahmer bei Hegel, Marx, Horkheimer, Trotzki, Adorno und Benjamin findet, bildet den geschichtsphilosophischen Methodenhorizont auch seines Buches. Eine solche Lesart lehnt sich an die Dialektik der Revolution zwischen Lokomotive und Notbremse an, wie sie im großen Stil erstmals in der Großen Französischen zutage tritt: Sie radikalisiert sich auf falsche Weise, schränkt die Freiheitsrechte ein, wendet sich gegen die eigenen Leute und installiert nach einer Phase des Terrors mit dem künstlichen Kaisertum des Bonapartismus ein neues Regime, das schlimmer ist als zuvor. Mit anderen Worten: die Revolution frisst ihre Kinder. Sie wird zum Zeichen der Stasis einer zyklisch verlaufenden Zeit ohne Fortschritt, jener „Wiederkehr des Immergleichen“, wie es bei Auguste Blanqui und Friedrich Nietzsche heißt. Die aufgeklärten Wege hingegen bleiben unbeschritten – bis zur permanenten Revolution, die Marx in seiner Analyse der nachnapoleonischen Epoche des Bürgerkönigs Louis Philippe gefordert hatte. Dort heißt es bekanntlich zu Anfang: „Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“[7] Psychoanalyse und Revolutionstheorie

Lesende Soziolog*innen

Hebt man nach der Lektüre der über 500 Seiten den Kopf, klingeln einem die Ohren ob der Nähe dieser Analysen zur Gegenwart und des detailgesättigten Narrativs, das eine andere Geschichte der Psychoanalyse, des Frankfurter Instituts und seiner Theorien erzählt. Man blickt nun aber auch in eine andere Welt hinaus und erkennt, dass man unter der Hand nochmals ein kleines Soziologiestudium absolviert hat, in dem nun die Vektoren der schon bekannten Theorien ganz anders verlaufen.

  1. Zunächst im Verlag Rasch und Röhring, Hamburg; seit 2001 im ISP-Verlag Köln.
  2. Helmut Dahmer, Divergenzen. Holocaust – Psychoanalyse – Utopie, Münster 2019.
  3. Vgl. Geoffrey Cocks, Psychotherapy in the Third Reich. The Göring-Institute. Second Edition, Revisited and Expanded, New Brunswik, USA / London, UK 1997 und Anthony D. Kauders, Der Freud-Komplex. Eine Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland, München 2014.
  4. Brief Korschs an Paul Mattick vom 20.10.1938, in: Karl Korsch, Gesamtausgabe Bd. 8, Briefe 1908-1939, Amsterdam 2001, S. 639; Dahmer, Freud, Trotzki und der Horkheimer-Kreis, S. 339, Fn 17.
  5. Karl Held schreibt: „Herausgeber und Mitarbeiter der ‚Zeitschrift für Sozialforschung‘ legen offenbar größeren Wert auf Übereinstimmung in der abstrakten Methode als auf eine solche in den konkreten Fragen der Gegenwart. Die marxistische Philosophie ist jedoch essentiell eine Anleitung zum praktischen Handeln. In einem der Horkheimerschen Aufsätze steht der aufschlussreiche, durch die geschichtliche Erfahrung der letzten Jahrzehnte hundertfach erprobte Satz: ‚Die Gleichgültigkeit gegenüber der Idee in der Theorie ist der Vorbote des Zynismus in der Praxis.‘ Doch bedarf auch dieser Satz einer Ergänzung: Die Abstinenz von der Praxis führt zur Sterilität in der Theorie. Das einzige Kriterium für die Wahrheit der marxistischen Theorie ist ihre Bewährung in der Praxis. Will die ‚kritische Theorie‘ nicht zum Zeitvertreib schöngeistiger Epigonen entarten, muss sie zur politischen Praxis kommen.“ (Karl Held, Kritische Theorie ohne politische Praxis? Eine Auseinandersetzung mit der ‚Zeitschrift für Sozialforschung‘, in: Unser Wort. Monatszeitung der internationale Kommunisten Deutschlands I.K.D. 7 (1939), 97/98, S. 5f; vgl. Dahmer S. 480-489.)
  6. Horkheimer an Löwenthal am 20. 7. 1939, GS 16, S. 618f, Brief 481; Dahmer, Freud, Trotzki und der Horkheimer-Kreis, S. 492.
  7. Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Hamburg 1869.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Hannah Schmidt-Ott.

Wolfgang Bock

Wolfgang Bock, Dr. phil. habil., ist seit 2011 ordentlicher Professor für deutsche Literatur und Sprache an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro in Brasilien (UFRJ). Seine Arbeitsgebiete sind Ästhetik, Neue Medien, Kulturtheorie, Psychoanalyse. Jüngste Buchveröffentlichung: Dialektische Psychologie. Adornos Rezeption der Psychoanalyse, Wiesbaden 2018.

Alle Artikel

PDF

Zur PDF-Datei dieses Artikels im Social Science Open Access Repository (SSOAR) der GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften gelangen Sie hier.

Newsletter