Felix Esch | Rezension | 05.03.2024
„Strukturwandel des Eigentums“
Rezension zu „Die Rechte der Natur. Vom nachhaltigen Eigentum“ von Tilo Wesche

Der behelfsmäßige Katastrophenfonds für die Leidtragenden des Klimawandels, beschlossen auf der letztjährigen UN-Klimakonferenz, steht für eine geradezu fatalistische Einsicht: Die Effekte der rechtskräftigen Extraktion natürlicher Ressourcen sind im Begriff, verheerendes Leid anzurichten. Fatalistisch, weil die Annahme, dass uns die Natur wie von außen umgibt und entsprechend als sachlicher Gegenstand den Verwertungsmaximen insbesondere der Industriestaaten unterworfen ist, unberührt bleibt. So ist es schließlich in den rechtlichen Bestimmungen unserer Gesellschaft(en) vorgesehen: Die Natur gehört uns, steht uns als potenzielles Eigentum zu freier Verfügung. Doch was macht die Natur zu unserem Eigentum? Oder: Wem gehört die Natur?[1]
Blühende Rechtssubjektivität
In den vergangenen Jahren war diese Frage in „knapp zweihundert Fällen“, in denen Flüsse, Lagunen oder Landschaften in den Status einer juristischen Person erhoben und damit rechtsfähig wurden, Gegenstand der „gelebten Rechtspraxis“ (S. 10).[2] Sie ist auch zunehmend in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtung gerückt.[3] Tilo Wesche geht der Frage nach „Naturrechten“[4] nun in einer streng auf logische Gültigkeit bedachten rechtsphilosophischen Abhandlung nach, die sich in drei große Abschnitte gliedert: Teil I ist mit „Die Natur des Eigentums“ überschrieben, Teil II mit „Das Eigentum der Natur“ und aus dem „Vollzugscharakter“ (S. 128) der in diesen Kapiteln liegenden faktischen Geltungen der Normen soll sich Teil III, das „Nachhaltige Eigentum“, ergeben.
Die Rechte der Natur zeichnet vor allem der unbedingt nachmetaphysische und rechtsimmanente Ansatz aus: Nach Wesche ist es unzureichend, die Rechtskulturen indigener Völker samt ihrer eigengültigen rechtskulturellen Vorstellungen dem hiesigen, völlig differenten Rechtsgefüge von außen aufzupfropfen. Denn mit den
„bisherigen Rechte(n) der Natur von Ecuador über Neuseeland bis Kolumbien […] lässt sich die Ökosphäre im Ganzen nicht vor den Extraktionslogiken und Wachstumsdynamiken einer globalen Wirtschaftsweise schützen“ (S. 295).
Vielmehr sei der „Ausbau der Rechtsstaatlichkeit“ (S. 153) so weit voranzutreiben, dass der Schluss auf Eigentumsrechte der Natur logisch zwingend werde: „Aus der Geltungslogik bestehender Eigentumsrechte ergeben sich nachhaltige Eigentumsrechte.“ (S. 309) Der anthropozentrische Anspruch des Eigentumsbegriffs[5] soll weder rückgängig gemacht noch in sein gegenüberliegendes ökozentrisches Extrem mit einer Eigenwertontologie der Natur gekippt (S. 174),[6] sondern auf einen umfassenderen Geltungsbereich ausgedehnt werden. Daher rührt Wesches Argumentation unter veränderten historischen Bedingungen an den neuralgischen Punkt der Politischen Ökonomie und des Eigentumsbegriffs und fußt „auf einer Werttheorie des Eigentums“ (S. 31): „Wenn Wertschöpfung zu Eigentum berechtigt (erste Prämisse) und wenn Ökosystemdienstleistungen [z.B. „Bestäubung von Pflanzen, Filterung von Wasser, Stabilisierung des Wetters“, S. 31] eine Art von Wertschöpfung sind (zweite Prämisse), dann stehen Ökosystemen Eigentumsrechte zu (Konklusion).“ (S. 210) Nicht nur sollen also Dienstleistungen wertschöpfend sein, sondern sogar Ökosystemdienstleistungen.
Was arbeitswerttheoretisch versierten Nostalgikern des Frühliberalismus und orthodoxen Marxisten gleichermaßen aufstoßen muss,[7] denkt Wesche vom Standpunkt einer über die vergangenen Jahrhunderte stark veränderten Arbeits- und Gesellschaftsform. Im Umschlag des 18. und 19. Jahrhunderts hatte die Gesellschaft, mit Joachim Ritter gesprochen, „in der Befreiung des Menschen aus der Macht der Natur die Bedingung der Freiheit für alle“ geschaffen, für diese „Freisetzung des Menschen in seiner Subjektivität“ [8] aber den Preis der Versachlichung seiner Umwelt zum Gebrauchsgegenstand gezahlt: eine heute a limine restlos objektifizierte Natur, deren Gebrauchswert sich einseitig in „ihrer Bedeutung für die Lebensgrundlage der Menschen“ (S. 171) erschöpft und die die in der Natur liegenden Begrenzungen totaler Verwertbarkeit ignoriert. Nun verkehrt sich der Anstieg des Naturgebrauchs bekanntlich rasant in einen katastrophalen Verbrauch und konfrontiert zunehmend gerade die historisch zuletzt (und meist ohne Zustimmung) „in ihrer Subjektivität freigesetzten“ Menschen mit den unbeherrschbaren Zwängen der Naturgewalt.
Der werttheoretische Hebel, den Wesche für seine Theorie eines „unvermeidlichen nachhaltigen Eigentums“ (S. 335) ansetzt, hat dabei zunächst ein Legitimationsproblem: Eigentumsrechte setzen voraus, dass Personen Freiheitsrechte haben, die sie „in Bezug auf äußere Güter in Gestalt von Eigentum ausüben“. Im „Unterschied zu Personen ist die Natur aber nicht frei“ (S. 208). Der Grund für Eigentumsrechte der Natur ist daher nicht in ihrer Freiheit, sondern nur im Regelbegriff „der Rationalität geltender Eigentumsrechte“ (S. 224) zu suchen. Wie kann die Rationalität dieser Rechte aber von dem Element abstrahieren, das ihnen herkömmlich Geltung verleiht (Freiheit) und ohne dieses Element auf die Natur übertragen werden?
Die Werttheorie des Natureigentums
Der Dreh- und Angelpunkt von Wesches Argument liegt in seinem Arbeits- und also Wertbegriff. Zwar konzediert er, erstens, dass „immer dann, wenn freie Wesen durch Arbeit zur Wertschöpfung beitragen“, auch Eigentumsrechte „an den erzeugten Werten“ (S. 225) bestehen. Allerdings nutzen diese freien Wesen, zweitens, nur „Ressourcen, die erst durch ihre Verarbeitung nutzbar“ sind und nicht etwa eine „wilde Natur“. Und weil die Verarbeitung natürlicher Ressourcen als „eine Gestalt von Arbeit“ (ebd.) die Anwendung der Rationalität geltender Eigentumsrechte auch auf den Naturbereich ausdehnt, „gilt die Regel“ – drittens – „aufgrund ihrer Gesetzmäßigkeit auch für die ökologische Wertschöpfung“ (S. 226).
Gegen einen „partikularen Regelbegriff“, der auf Freiheit als den „Grund für die Regel“ pocht und anmahnt, die Regel „beschränke sich deshalb auf freie Wesen und die menschliche Arbeit“ (S. 227), wendet Wesche ein: Die Gesetzmäßigkeit liegt im universellen Begriff der Regel. Nicht „Eigentumsrechte der Natur, sondern partikulare Eigentumsrechte, die nicht für die Natur gelten, bilden eine Devianz und sind deshalb eigens begründungspflichtig“ (S. 228). Diese „Beweislastumkehr“ (S. 227) gründet in dem vielsagenden Begriff der „Gestalt der Arbeit“: Sofern Arbeit immer und automatisch eine bloß menschliche Leistung ist, die intentionales Handeln und daher Freiheit voraussetzt, bleibt die Geltung der Regel auf freie Subjekte begrenzt und ihre Universalität ist eine exklusiv menschliche. Im zweiten Moment aber ist Arbeit immer auch Ver-arbeitung und wird gleichsam vom ver-arbeiteten Objekt[9] her gedacht. Trägt der Arbeitsbegriff im ersten Schritt noch das Kriterium der Freiheit in sich, beinhaltet der Verarbeitungsbegriff Wesches gleichsam das, was vormals bloß als physikalischer Veränderungsprozess galt. Damit erweitert sich der universale Gegenstandsbereich der Arbeit auf alle einem Veränderungsprozess unterzogenen Entitäten, darunter Landschaften und Flüsse. Demgegenüber mutet der streng anthropozentrische Wertschöpfungsbegriff plötzlich seltsam kleinlich, eben partikular und begründungspflichtig an. Was im Obersatz des Wertschöpfungsarguments noch gar nicht zur Debatte stand, weil Arbeit hier universell als Leistung freier Wesen definiert ist, holt der Untersatz mit der Gleichsetzung von Arbeit und Verarbeitung nachträglich ein: Auch Verarbeitungsleistungen der Natur fallen jetzt in den Geltungsbereich der Regel, Freiheit gerinnt zum Addendum. Ist dieser Argumentationsgang einmal durchlaufen, so Wesche, lassen sich letztlich die „Eigentumsrechte der Menschen und der Natur als gleichursprünglich begreifen“ (S. 229).
Deswegen wäre auch die hier eingangs zitierte Frage danach, wem die Natur gehört, in Wesches Augen unpräzise gestellt. So spricht er der Natur kein Selbsteigentum, das Freiheit notwendig macht, sondern nur „begrenzten Rechtsstatus“ und Eigentum ausschließlich an den Naturgütern zu. Dafür zieht er eine traditionell bedeutsame Voraussetzung ein: „Ebenso wie es kein Eigentum an der Arbeitskraft, sondern nur an ihren Erträgen gibt, besteht kein Eigentum an Naturleistungen, sondern nur an ihren Ergebnissen.“ (S. 204 f.)
„Oberhalb der Reform und unterhalb der Revolution“
Wesches Auslegung (über-)dehnt den verknöcherten Eigentumsbegriff, schließlich sieht das „nachhaltige Eigentum“ gerade vom Kriterium der Freiheitsrechte ab, das seit den Revolutionen vor bald einem Vierteljahrtausend geradezu sakrosankt ist. Weil sich der Autor dessen bewusst ist, betont er wiederholt: Diese „Rechtsevolution liegt oberhalb der Reform und unterhalb der Revolution“[10] (S. 300).
Unbestritten: Konstruktionen wie die „Rechtsfiktion der juristischen Person, die Trägerin von Rechten ist“ (S. 156), gehören längst und geradezu konstitutiv zum legalen Standardrepertoire. Sie mögen sogar helfen, ohne die duale rechtssubjektive Trägerschaft von Rechten und Pflichten auszukommen (S. 56 f.). Und auch die Möglichkeit „advokatorischer Rechtsausübung“ (S.55), wie es etwa für Kinder der Fall ist, ist ein wenig streitbares Mittel, um der Natur als Rechtssubjekt gleich einem Mündel eine Stimme zu verleihen. Doch kommt man nicht umhin, die Brisanz der Anwendung des Arbeits- und Wertschöpfungsbegriffs auf „Dienstleistungen der Natur“ zu bemerken, die diesen „Strukturwandel des Eigentums“ (S. 332) vorantreiben soll.
Schon dass Wesche das verminte Feld der Werttheorie, das – abgesehen von marxistischen Bemühungen – weitgehend unbescholten vor sich hin wildert, mit rechtsphilosophischen Absichten betritt, verdient Beachtung. Zumal zu einem Zeitpunkt, an dem sich die hiesige gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung längst größtenteils aus Dienstleistungen zusammensetzt. Die Wertbegriffe des 18. und 19. Jahrhunderts tragen dieser Entwicklung nur unzureichend Rechnung. Ist es vielleicht schlichtweg an der Zeit, auch „Ökosystemdienstleistungen“ in den Begriff der Wertschöpfung aufzunehmen? Immerhin ist kein Eigentums- und Rechtssubjektbegriff je vom Himmel gefallen und fraglos ist es, „ich gestehe es, etwas schwer, die Erfordernis zu bestimmen, um auf den Stand eines Menschen, der sein eigener Herr ist, Anspruch machen zu können“.[11]
Fußnoten
- So fragen Jacob Blumenfeld, Niklas Angebauer und Verena Wolf in ihrem Tagungsbericht zur Konferenz [14.12.2023] der Universität Oldenburg „Die Rechte der Natur: Vom nachhaltigen Eigentum“, auf der Wesches Buch diskutiert wurde.
- Für einen unvollständigen Überblick siehe die Auflistung von Rechtsfällen und initiierten Policies des UN-Netzwerks Harmony with Nature [14.12.2023].
- Siehe z.B. Craig M. Kauffman / Pamela L. Martin, The Politics of Rights of Nature. Strategies for Building a More Sustainable Future, Cambridge, MA 2021; Mihnea Tanasescu, Understanding the Rights of Nature. A Critical Introduction, Bielefeld 2022; Jens Kersten, Die Rechte der Natur und die Verfassungsfrage des Anthropozän, in: Jens Soentgen / Ulrich M. Gassner / Julia von Hayek / Alexandra Manzei-Gorsky (Hg.), Umwelt und Gesundheit, Baden-Baden 2020, S. 87–120; sowie die zitierten Studien in Wesches Buch, insbesondere Kapitel 4.2, S. 156 ff. und Kapitel 5.1.2., S. 174–195.
- Schon im Plural der Naturrechte deutet sich an, dass Wesche keine Reinstallation eines metaphysisch begründeten Naturrechts anstrebt (siehe seinen Hinweis darauf auf S. 10, Anm. 3).
- Der herkömmliche Eigentumsbegriff aus dem 17. und 18. Jahrhundert wurde als aufklärerisches Vehikel für die Emanzipation aus den ständisch-absolutistischen Verhältnissen und für die Abkehr von der gottgegebenen hin zur menschengemachten Welt gedeutet. Im Zuge dessen erlangte auch die Politische Ökonomie erst ihre Dominanz.
- Wesche ist durchweg darauf bedacht, zwischen den Polen des Anthropozentrismus und Ökozentrismus zu vermitteln. Weder kann er in Ersterem verharren, dessen Standpunkt ein bloßes Sachenrecht vom Standpunkt des menschlichen Rechtssubjekts ohne Einsicht in den „binnendifferenzierten“ Gebrauchswert der Naturgüter rechtfertigt, noch darf er vornüber in den Ökozentrismus fallen, in dem der Natur ein Eigenwert zu- und dem Menschen entsprechend abgesprochen würde. (S.167 ff.)
- Vgl. z.B. Adam Smith, der im Wohlstand der Nationen immer wieder betont, dass Dienste „gewöhnlich im Augenblick ihrer Leistung selbst zu Ende sind und sich in keiner verkäuflichen Ware, die den Wert des Arbeitslohns und Unterhalts wiedererstattete, fixieren oder realisieren“ und daher nicht zu wertschaffenden („produktiven“) Arbeiten zählen. Ders., Wohlstand der Nationen, Köln 2021, S. 690, ähnlich S. 330 f. und S. 440. Ähnlich auch Immanuel Kant, den Wesche immer wieder anführt, oft um über ihn hinauszugehen. Vgl. S. 75, S. 101, S. 187, S. 216, S. 225, S. 278. Dienstleistungen bedeuten die „Abhängigkeit von dem Willen anderer“, woraus Kant folgert, dass das vollwertige Bürgerrecht (nicht Menschenrecht!) denen, die solchen Tätigkeiten nachgehen, nicht zusteht. Ders., Metaphysik der Sitten, AA VI, S. 314 f., vgl. auch ders., Über den Gemeinspruch – Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht in der Praxis, AA XI, S. 245 ff. Die Marx’schen Ambivalenzen in seinem Begriff der Produktivität von Dienstleistungen sind in einer Fußnote nicht abzufangen. Verwiesen sei einschlägig auf die Kapitel 4 bis 6 im ersten Abschnitt des zweiten Bandes des Kapital und Abschnitt B, Kapitel 5 des ersten Bandes der Theorien über den Mehrwert.
- Joachim Ritter, Subjektivität und industrielle Gesellschaft (1961). Zu Hegels Theorie der Subjektivität, in: ders., Subjektivität. 6 Aufsätze, Frankfurt am Main 1974, S. 11–35, hier S. 28 f.
- Aus diesem Grund ist auch der Objektbegriff hier eigentlich fehl am Platz, wie die Auseinandersetzung Wesches mit dem Sach- und Gütereigentum zeigt. Sacheigentum wird vom Subjekt auf das Eigentumsobjekt her gedacht, Gütereigentum impliziert, so Wesche, eine „relationale“ Eigentumsform: „Im Unterschied zum Sacheigentum ist Gütereigentum eine multiple Weltbeziehung.“ (S. 48)
- Ähnlich auch im Gespräch mit Michael Strohmann im Draußen-Podcast, Der Natur eigene Rechte geben [14.12.2023], in: Braunschweiger Zeitung, 21.7.2023.
- Kant, Über den Gemeinspruch, AA XI, S. 247, Anmerkung.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Wibke Liebhart.
Kategorien: Arbeit / Industrie Ökologie / Nachhaltigkeit Philosophie Recht
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