Hannah Schmidt-Ott | Rezension |

Supergroß, superteuer

Rezension zu „Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän“ von Grégory Salle

Grégory Salle:
Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän
Aus dem Französischen von Ulrike Bischoff
Deutschland
Berlin 2022: Suhrkamp
170 S., 16,00 EUR
ISBN 978-3-518-12790-2

Meine Lektüre von Grégory Salles Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän begann mit einem Verleser. Die „Stille“, von der im Untertitel die Rede ist, las ich als „Stile“ und war dementsprechend milde überrascht, als ich feststellte, dass der Titel des essayistischen Texts über Superyachten, ihre Besitzer:innen und die finanziellen wie ökologischen Kosten dieser Art zu reisen, auf Ruhe statt auf Lebensart und -gestaltung rekurriert. Ich hätte meinen so unbedeutenden wie folgenlosen Fehler wahrscheinlich schon längst wieder vergessen, wäre mir bei der eingehenden Lektüre nicht aufgefallen, dass der falsche Titel einen Aspekt des superyachtings herausstellt, der fast zentraler scheint, als der im richtigen Titel aufgerufene. Dass nämlich Superyachten vor allem deshalb so beliebt seien, weil sie ihren wohlhabenden Passagieren weit draußen auf den Ozeanen und fernab des zivilisatorischen Trubels einen Hort der Ruhe bieten, ist, wie Salle uns lehrt, eigentlich ein Scheinargument. Denn davon abgesehen, dass die luxuriös ausgestatteten Schiffe mit fester Crew und einer Länge von 24 bis 180 Metern (Tendenz steigend) aufgrund ihrer leistungsstarken Motoren, die die Kolosse durch die Meere bewegen, alles andere als leise sind, ist das showing off doch elementarer Bestandteil des Reisens per Yacht – und das ist nun einmal auf Publikum angewiesen.

„Superyachten sind Mittel und zugleich Zeichen“, (S. 36) schreibt Salle und meint damit, dass die Yachten ihren Besitzer:innen nicht nur Hypermobiliät versprechen, sondern zugleich deren außergewöhnlichen Reichtum sowie die Zugehörigkeit zu einer exklusiven Elite zum Ausdruck bringen. Dass die Mobilität in der Praxis letztlich gar nicht so hyper ist, da die Räume, in denen sich die Schiffe bewegen, tendenziell doch recht beschränkt sind, lässt etwa der hochfrequentierte „Milk Run“ erahnen. Jene gerade einmal 48 Kilometer lange Strecke an der Côte d’Azur gehört zu den beliebtesten Routen der Superreichen. Überhaupt verbringen zwei Drittel der weltweit registrierten Superyachten die Sommermonate auf dem Mittelmeer. Viele Besitzer:innen scheinen eher in der Exklusivität der gegenseitigen Gesellschaft aufzugehen, als in absoluter Abgeschiedenheit.

Die Sehnsucht nach Stille, deren Bedingung ja der Rückzug aus der Gesellschaft wäre, ist also nicht ungebrochen. Mit dem Verlangen nach Stil sieht es schon anders aus: Die personalisierte Ausstattung der Schiffe ist gleichermaßen exklusiv und exzentrisch. Ein Beispiel, dass Salle anführt, sind teure Regenduschen, die die vormals populären Whirlpools abgelöst haben, entsprechend der individuellen Präferenzen der jeweils Duschenden regulierbar sind und Unmengen an Wasser verbrauchen. Salle zitiert einen der Hersteller, der von einem Kunden berichtet, der nach einer Regendusche für seine Yacht verlangte, aus der bei Bedarf auch Champagner statt Wasser fließen könnte. Der Hersteller darauf, ziemlich cool: „Das schaffen wir. Die einzige Frage ist, ob der Champagner warm oder kalt sein soll.“ (S. 25).

Neben diversen Märkten – sei es um die Schiffe selbst oder ihre luxuriöse Ausstattung –, konstituieren die Superyachten und ihre zahlungskräftigen Liebhaber:innen nicht weniger als eine eigene soziale Welt, die „Handbücher und Zeitschriften, ihre Kolloquien und Messen, ihre Clubs und Celebritys, ihre Berater und Skipper, sogar ihre universitären Fachbereiche“ (S. 56) und vieles mehr hervorbringt. Es handelt sich eben um ein Luxusprodukt, das Ausdruck eines ganzen Lifestyles ist.

Aber Fortbewegungsmittel und Prachtobjekt zu sein, sind nur zwei der Aspekte von Superyachten, die Salles sehr unterhaltsamer und nicht minder informativer Essay aufruft. Er entwirft, wenn auch mäandernd, ein Panorama der Superyacht, er befasst sich mit ihrer Größe (enorm), den Besitzer:innen (sehr reich), den Arbeitsbedingungen der Besatzung (unreguliert, ausbeuterisch), der Produktion und ihren Stätten (unsichtbar), der Besteuerung (leicht umschiffbar), den Umwelteinflüssen (katastrophal) und den Versuchen ihrer politischen Regulierung (halbherzig).

Aber mehr noch: Er rechnet der Betrachtung von Superyachten ein besonderes zeitdiagnostisches Potenzial zu, fordert die Leserin auf, im Lifestyle nicht nur „charmante Exzentrik“ (S. 23) zu sehen, sondern „Superyachten ernst zu nehmen“ (S. 25). Denn „bei genauem Hinsehen kondensieren in ihnen wesentliche Merkmale dessen, was unsere Epoche ausmacht: Die rasante Zunahme wirtschaftlicher Ungleichheit, die Beschleunigung der ökologischen Katastrophe, der Fortbestand juristischer Ungerechtigkeit. Sie nähren sowohl die Feststellung, dass sich die räumliche Segregation verschärft, als auch die Debatte über die Konstitution einer transnationalen herrschenden Klasse. Sie befinden sich genau an der Schnittstelle dieser Logiken, im Knotenpunkt ihrer Verflechtung.“ (S. 28)

Yachtbesitzer:innen sind für gewöhnlich Ultra High Net Worth Individuals. UHNWI besitzen sehr viel Geld, auch wenn es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, ob man ab 30, 50 oder, wie der aktuelle Global Wealth Report der Unternehmensberatung Boston Consulting Group proklamiert, ab 100 Millionen Dollar Finanzvermögen dazu gehört. Unstrittig ist hingegen, dass die Vermögen von ihren Besitzer:innen zumeist nicht erwirtschaftet, sondern, zumindest in substanziellen Teilen, ererbt sind. Deutschland ist übrigens, selbst wenn man die 100-Millionen-Grenze zugrunde legt, nach den USA und China das Land mit den drittmeisten UHNWI weltweit.[1]

Obwohl die Industrie um Superyachten ohne die zahlungskräftigen UHNWI schlicht zusammenbrechen würde, zeigt Salle, dass es nur ein sehr kleiner Teil dieser Super- oder „Ultrareichen“ (S. 49) ist, der tatsächlich Superyachten kauft, denn die Kosten sind nicht nur hoch, sondern horrend. „Der Durchschnittswert einer Superyacht lag in den 2010er Jahren bei etwa 10 Millionen Dollar. Also bei einem Drittel des Schwellenwerts, der für die Aufnahme in die Kategorie der UHNWI gilt.“ (S. 51) Dazu kommen jährliche Kosten für Wartung und Unterhalt in Höhe von 10 % des Kaufpreises, Ausgaben für Sprit, Liegeplatz und Versicherung sind da noch nicht einberechnet. Diese selbst für Superreiche immensen Ausgaben muss man sich folglich erstmal leisten können. Kein Wunder also, dass viele es vorziehen, Yachten zu chartern, statt zu erwerben.[2] Allzu billig ist das allerdings auch nicht, die Mietpreise liegen, je nach Größe und Ausstattung der Schiffe, bei mehreren hunderttausend Euro pro Woche, in einigen Fällen auch darüber. Insofern ist allein die Existenz der Superyacht-Industrie bereits ein guter Indikator für die massive Ungleichverteilung von Wohlstand und Vermögen. Zu der fast allgegenwärtigen Diagnose, dass eine immer geringere Anzahl von Menschen über stetig wachsende Vermögen verfügt, passt, dass die Superyacht-Industrie seit den 1980er-Jahren einen „spektakulären Aufschwung“ (S. 54) erlebte und die Branche heute so sehr boomt wie nie.

Dabei ist der Lärm, den die Superyachten verbreiten, nur eine ihrer diversen umweltschädigenden Eigenschaften, wie Salle anschaulich beschreibt. Die Erzeugung und der Ausstoß von Abgasen und Chemikalien stellen erhebliche Belastungen für die Ökosysteme der Meere dar. Doch auch das Ankern ist eine Gefahr für die Umwelt, denn die gigantischen Yachtanker zerstören die Fauna des Meeresbodens. Davon besonders betroffen ist eine Pflanze, deren Nutzen in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihrer Bekanntheit steht: Posidonia oder Neptungras wächst auf dem Grund des Mittelmeers und hat eine Vielzahl ökologischer Funktionen, die vom Artenreservoire bis zum Kohlenstoffspeicher reichen. Der Bestand der nur langsam nachwachsenden Pflanze schrumpft stetig, die Folgen – von der Verringerung der Biodiversität bis zur Beschleunigung der Küstenerosion – sind fatal, aller Schutzvorschriften und der Einrichtung von (kaum kontrollierten) Ankerverbotszonen zum Trotz.

Doch natürlich ist auch der CO2-Fußabdruck der Schiffe enorm: „Der CO2-Ausstoß der Superyachten übersteigt sogar den kleiner Nationen.“ (S. 106) Vergleiche heranzuziehen, um das Ausmaß von Klimaschäden und Umweltverschmutzung greifbar zu machen, ist naheliegend – immerhin geht es um sehr abstrakte Größen. Ein moralisierender Unterton ist dabei allerdings kaum vermeidlich, bei Salle sogar ausdrücklich gewollt, zieht er sich doch ostentativ durch den gesamten Text. Doch sind Moral und Empörung gute Ratgeber, wenn es um das Verständnis der Mechanismen von (Klima-)Ungerechtigkeit geht?

Die unrühmliche Rolle von Superreichen als Klimasünder etwa ist ein aktuell vieldiskutiertes Thema.[3] Das Argument dabei ist, wie sich an einem Artikel des Soziologen Sighard Neckel mit dem sprechenden Titel „Zerstörerischer Reichtum. Wie eine globale Verschmutzerelite das Klima ruiniert“[4] exemplifizieren lässt, dass „die Reichsten nicht nur hinsichtlich ihres Konsums die größten Verursacher der Erderwärmung und der ökologischen Destruktion [sind], sondern gerade auch aufgrund ihrer wirtschaftlichen Investments, die immense Emissionen begründen. Bei dem obersten ein Prozent kommt zum verschwenderischen Luxus ihres Lebensstils noch hinzu, dass sie in unvergleichbarer Weise die unternehmerischen Entscheidungen bestimmen, die Emissionen hervorrufen – und dabei von diesen Emissionen auch noch überaus stark finanziell profitieren.“

Nicht nur wegen ihrer Superyachten sind die Superreichen also maßgeblich verantwortlich für Klimawandel und -krise, sondern auch und vor allem aufgrund der umweltverschmutzenden Industrien, in die sie investieren und an denen sie verdienen. Diese Sichtweise ist sicher nicht falsch. Es gibt allerdings zwei zentrale Aspekte, die bei einer solchen Argumentation schnell aus dem Blick geraten: Erstens der Umstand, dass die Mechanismen kapitalistischer Dynamik, deren Wachstums- und Akkumulationszwänge inklusive all ihrer destruktiven Folgen für Mensch und Umwelt systemimmanent sind. Wie sinnvoll ist es in Anbetracht einer strukturellen Ursache, konkrete Personen für deren Auswüchse verantwortlich zu machen? Und sind die Superreichen die richtigen Adressaten für diese Kritik? Die moralische Kritik an ausbeuterischen Lebens- und Konsumstilen appelliert an die Moral ihrer Träger – und zwar in den allermeisten Fällen vergeblich. Man wäre also wahrscheinlich besser beraten, die Politik, die über die Mittel verfügt, den destruktiven Steigerungsdynamiken des Kapitalismus entgegenzuwirken, stärker in die Pflicht zu nehmen. Doch die hat sich, um beim deutschen Beispiel zu bleiben, in den letzten Jahrzehnten unwillig gezeigt, der extremen Ungleichverteilung von Vermögen politisch etwas – und sei es auch nur eine Erbschaftssteuer[5] – entgegenzusetzen.

Salles Essay geht solchen Verkürzungen nicht auf den Leim. Oder vielleicht doch, zumindest ein wenig. Trotz Beteuerungen, keine verkürzte Superreichen-Kritik formulieren zu wollen, sondern die kapitalistischen Verhältnisse aufs Korn zu nehmen, kommt das Buch nicht ohne ein (zitiertes) Guillotine-Witzchen und den Hinweis darauf aus, dass die erwähnten Champagnerduschen den unmoralischen Wunsch nach Repressalien gegen die Besitzer:innen wecke. Dass der Text nur so vor Schilderungen obszönen Reichtums, großer Ungerechtigkeit, rücksichtsloser Naturzerstörung und entscheidungsschwacher Politik strotzt, ist kein Nachteil; die benannten Missstände sind schließlich real. Dass die Lektüre dennoch gleichermaßen empörend wie vergnüglich ist, ist Salles gekonntem, teilweise bis ins Boulevardeske reichendem Spiel mit der Empörung der Leser:innen zuzurechnen. Werden an Superyachten viele Unsäglichkeiten des fossilen Kapitalismus sichtbar? Ja. Sollte man deren Besitzer:innen deshalb guillotinieren? Lieber nicht.

  1. Peter Czerepak, et. al., Resetting the Course. Global Wealth Report 2023, https://web-assets.bcg.com/fb/64/e10897864913a480415d0e1fe3c6/bcg-global-wealth-report-2023-june-2023.pdf (10.07.2023).
  2. Wobei unklare Besitzverhältnisse Skandalpotenzial haben und schnell Zweifel am net worth der vorgeblichen Besitzer:innen aufkommen lassen können: https://www.bild.de/bild-plus/unterhaltung/leute/leute/die-geissens-wem-die-jacht-der-tv-millionaere-wirklich-gehoert-83319776.bild.html (10.07.2023).
  3. Siehe etwa https://share.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.html?audio_id=dira_DRK_8eff5c2e (10.07.2023)
  4. Sighard Neckel, Zerstörerischer Reichtum. Wie eine globale Verschmutzerelite das Klima ruiniert, https://www.blaetter.de/ausgabe/2023/april/zerstoererischer-reichtum (10.07.2023)
  5. Patrick Sachweh im Gespräch mit Tina Groll, „Viele finden die Konzentration von Vermögen legitim“, https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-06/vermoegenssteuer-soziale-ungleichheit-lobbyismus-patrick-sachweh (10.07.2023)

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Karsten Malowitz.

Kategorien: Geld / Finanzen Gesellschaft Kapitalismus / Postkapitalismus Konsum Politik Wirtschaft

Hannah Schmidt-Ott

Hannah Schmidt-Ott ist Soziologin. Sie arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung als Redakteurin der Zeitschrift Mittelweg 36 sowie des Internetportals Soziopolis.

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