Die Tagung bringt interdisziplinäre und transepochale Perspektiven auf Geschlechterverhältnisse in den Arbeits-, Bildungs- und Normierungsprozessen in Haushalten zusammen und diskutiert deren Ausformung, Entwicklung und Konsequenzen von der Antike bis in die Gegenwart
In den gegenwärtigen politischen Debatten um Kinderbetreuung, Kindergrundsicherung, gender pay gap, Verteilung von Erziehungsaufgaben auch nach Ende einer Partnerschaft, Altersarmut (gerade bei Frauen) oder die Finanzierung von Renten- und Pflegeversicherung stehen immer wieder Geschlechterverhältnisse und die geschlechtsbezogene Aufteilung von Aufgaben wie Erträgen in Haushalten und deren Folgen im Fokus. In ihnen schwingt zugleich die Auseinandersetzung um das „traditionelle“ Modell einer bis zum Tode bestehenden kernfamilialen Lebensgemeinschaft auf der Basis einer Ehe mit, in der Erwerbs-, Haus- und Erziehungsarbeit wie auch Ehrenamt und Freizeitgestaltung vielfach geschlechtsbezogen verteilt sind. Dass diese „traditionelle“ Form des Haus-haltens selbst Ergebnis vielfältiger historischer Prozesse und Veränderungen ist, wird meist ausgeblendet. Dabei öffnet gerade die historische Tiefendimension den Blick auf die Gestaltbarkeit und Veränderbarkeit in der institutionellen wie mikrosozialen Organisation und Gestaltung von Haushalt und Familie.
Die Veranstalterinnen gehen davon aus, dass Haushalte in allen Epochen und Kulturen eine geschlechtsbezogen organisierte Versicherungsgemeinschaft darstellen, in der das Risiko der individuellen Daseinsvorsorge verteilt und minimiert werden kann und die Vorteile bringt, die nur durch gemeinsames Wirtschaften zu erreichen sind. Gleichzeitig liefern Haushalte als Orte der Produktion und des Konsums maßgebliche Stabilisierungs- und Ordnungsleistungen für die Gesellschaft und unterliegen daher verschiedenen Normierungen.
Leitfragen der Tagung werden sein, wie sich das Verhältnis der Geschlechter in der sozialen Praxis und in normierenden Zuschreibungsprozessen in den verschiedenen Epochen darstellen, wie es sich verändern und welchen Einfluss die sich verändernden sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Kontexte besitzen. Die Tagung führt daher Diskussionen und Ergebnisse aktueller geschichtswissenschaftlicher Forschungsfelder mit denen der Ökonomie, Soziologie, Politologie und Rechtswissenschaften zusammen, um neue Fragen und Perspektiven für die jeweiligen Disziplinen, aber auch für interdisziplinäre Projekte zu öffnen und Problemstellungen für die weitere wissenschaftliche Erforschung zu schärfen.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich neue Perspektiven auf die Form und Strukturen von Haushalten, vor allem aber auf die haushaltsbezogenen Praktiken seiner männlichen und weiblichen Mitglieder, den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Implikationen und Konsequenzen durchgesetzt, die die vermeintlichen Gewissheiten und longue durée des „Traditionellen“ deutlich in Frage stellen.
Programm
Mi., 25.09.2019
13:15-13:30: Begrüßung und Einführung in die Tagung
Inken Schmidt-Voges / Evelyn Korn
13:30-15:00: Sektion 1: Antike oikos-Konzepte und ihre Rezeption
Chair: Constantin Willems (Marburg)
Christian Uhde (Darmstadt)
Autoritätsverhältnisse im oikos im griechisch/römischen Vergleich
John Egle (Marburg)
Hausdiskurse der Reformationszeit als Versicherheitlichung
15:00-15:30: Pause
15:30-17:00: Sektion 2: Haushalten in Praktiken des 16./17. Jhds.
Chair: Julia Schmidt-Funke (Erfurt)
Tilmann Walter (Würzburg): Haushalt und Geschlechterverhältnisse in Ärztebriefen des 16. Jhds.
Claudia Ravazallo (Jena): Weibergut. Konkurs und Krise, weiblicher Besitz 1650-1790
17:00-17:30 Kaffeepause
17:30-19:30: Sektion 3: Bildung und Haushalten im langen 18. Jhd.
Chair: Heide Wunder (Bad Nauheim)
Muriel Gonzáles Athenas (Bochum): Wirtschaftsstrategien Kölner Handwerkerinnen und Kauffrauen in der Frühen Neuzeit. Eine Methodendiskussion
Helga Müllneritsch (Liverpool): Kochbuchmanuskripte des 18. Jhds. als Selbstlernmodule
Charlotte Zweynert (Hannover): Geschlechterökonomien um 1800
19:30: Gemeinsames Abendessen
Do., 26.09.2019
09:00-10:30: Sektion 4: Arbeit und Haushalten im langen 19. Jhd.
Chair: Darius Zifonun (Marburg)
Anne Overkamp (Frankfurt/Oder)
Kaufmännisches Haushalten 1760 bis 1840
Katerina Piro (Mannheim)
Arbeitende Mütter im Kaiserreich: Kinderzahl, Haushaltsbudgets und die Erwerbsarbeit der Familienmitglieder während des Fertilitätswandels
10:30-11:00: Pause
11:00-13:00:Sektion 5: Arbeit und Geschlechterkonzepte im langen 20. Jhd.
Chair: Miriam Beblo (Hamburg)
Petra Dittmar/Maja Kützemeier (Lindlar/Bonn)
Landfrauenschulen 1920er-1940er
Mareike Witkowski (Oldenburg)
Hausgehilfinnen und Hausfrauen 1918-1960
Mark Jakob (Marburg)
Vom „Freiheitsraum“ zum „dynamischen Prozess“: Familie und Haushalt im Blick der bundesdeutschen wissenschaftlichen Politikberatung zwischen den 1950er und 1980er Jahren
13:15-17:30 Exkursion zum Kloster Haina mit Lunchpaket
Christina Vanja (Kassel)
Das Hohe Hospital Haina als Großhaushalt. Eine Einführung
19:00-20:00 Öffentlicher Abendvortrag
Inken Schmidt-Voges (Marburg)
Ökonomien des Haushaltens bei den Brüdern Grimm
Fr., 27.09.2019
09:00-11:00: Sektion 6: Arbeit und Sorge als Herausforderung der Geschlechter-ordnung 20./21. Jhd.
Chair: Simone Derix (Erlangen)
Anna Hartmann (Wuppertal)
Sorge als Gabe. Auswege aus dem ungelösten Problem der Sorge 1960er/1970er Jahre
Mara Rebaudo (Berlin)
Gender Care Gap und Gender Pay Gap: Geschlechterunterschiede in unbezahlter Arbeit
Eva Markowsky (Hamburg)
Speaking of gender: Does language affect behaviour?
Diskussion
11:00-12:00: Kaffee und Gallery Walk mit Posterdiskussion
12:00-12:30: Mittagsimbiss
12:30-16:00: Interdisziplinäre Ergebnissicherung zu „Bildung“, „Arbeit“ und „Normierung“
Plenumsdiskussion
16:00: Abreise
Kontakt
Prof. Dr. Inken Schmidt-Voges
Philipps-Universität Marburg
Seminar für Neuere Geschichte, FB06
Wilhelm-Röpke-Str. 6C
35039 Marburg