Philipp Staab | Rezension |

Wer hat Angst vorm Eisenmann?

Nigel M. de S. Cameron will uns das Fürchten vor der Robotisierung lehren

Nigel M. de S. Cameron:
Will Robots Take Your Job? A Plea for Consensus
USA / Großbritannien
Malden, MA / Cambridge 2017: Polity Press
176 S., $ 12,95
ISBN 978-1-509-50956-0

Die Roboter sind los! Im Schatten der Alltagspresse ist etwa seit dem Jahr 2013 ein politisch recht wirkmächtiger und mittlerweile auch öffentlich zur Kenntnis genommener Diskurs um die Frage entstanden, ob neuere Entwicklungen im Feld digitaler Technologien tickende Zeitbomben darstellen, die schon bald detonieren und vor allem die Arbeitsmärkte der hochentwickelten OECD-Ökonomien erschüttern werden. Die Posterboys dieses düsteren Szenarios sind flexible, mit sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattete Leichtbauroboter, die zur Ausübung ungemein komplexer Tätigkeiten in der Lage sind, weshalb nun neuerdings zahlreiche Berufe – von der Pflegekraft bis zum Postboten, vom Koch bis zum Buchhalter, vom Immobilienmakler bis zum Rechtsanwalt – von technischer Substituierung bedroht seien. Es waren Sachbücher wie Arbeitsfrei[1] von Constanze Kurz und Frank Rieger oder Studien wie der ungemein einflussreiche (und handwerklich brilliante) Aufsatz „The Future of Employment“[2] der Oxforder Forscher Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne – beide übrigens aus dem Jahr 2013 – die mit starken Thesen und scheinbar gut fundierten Spekulationen binnen kurzer Zeit die Frage nach einem neuen Automatisierungsschub auf die wissenschaftliche und öffentliche Agenda setzten. Den genannten Büchern sind seither zahlreiche weitere Titel gefolgt, unter anderem der hier zu besprechende Will Robots Take Your Job? von Nigel M. de S. Cameron, seines Zeichens Präsident des von ihm selbst gegründeten Center for Policy on Emerging Technologies in Washington, D.C.

Um es vorweg zu sagen: Cameron hat eine sehr leicht bekömmliche Einführung geschrieben, die vor allem für all jene geeignet ist, die es irgendwie geschafft haben, dem in den Medien allgegenwärtigen Thema in den letzten Jahren aus dem Weg zu gehen und deswegen tatsächlich noch gar nichts von dem ganzen Roboter-Kram mitbekommen haben. Für sie fasst Camerons schmales Büchlein einige der populärsten Texte zum Thema schnittig zusammen. Wer dagegen schon den einen oder anderen Band zum Thema gelesen hat, der wird inhaltlich wenig Neues finden. Schon der Titel zeigt an, dass es sich letztlich um ein Rebranding des Aufsatzes von Frey und Osborne handelt, dessen Untertitel „How Susceptible are Jobs to Computerisation?“ Cameron durch Personalisierung („your job“) noch einmal ein wenig aufpeppt. Wenig überraschend fungieren die beiden Auguren aus Oxford denn auch als Camerons wichtigste Gewährsleute. Dass es eine rege wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Studie von Frey und Osborne gibt, in deren Verlauf auch viel gut begründete Kritik an deren Theorie, methodischem Verfahren und Thesen laut wurde – von kritischen Adaptionen der Studie auf verschiedenen Arbeitsmärkten, die zu weit weniger dramatischen Ergebnissen kommen, ganz zu schweigen –, nimmt Cameron nur teilweise zur Kenntnis. Sein Unterton bleibt durchgängig alarmistisch. Das erklärt sich aus der Motivation des Autors, dessen erklärtes Anliegen es ist, die verantwortlichen „Policy Maker“ endlich aufzurütteln. Diese hätten das Risiko, bald mit einem gigantischen Heer arbeitsloser Bürger*innen konfrontiert zu sein, nämlich bisher kaum zur Kenntnis genommen. Wer gelegentlich mit Verantwortlichen im deutschen Arbeits- oder Wirtschaftsministerium spricht oder auch die einschlägigen Publikationen dieser Häuser studiert, gewinnt zwar einen deutlich anderen Eindruck: Zumindest in der Bunderepublik ist das Thema schon seit einer Weile in den politischen Kernbereichen angekommen. Aber Cameron lässt sich von Gegenbeispielen, an denen es auch in der angelsächsischen Welt nicht mangelt, nicht beeindrucken. Er gibt den Rufer in der Wüste, dem es vorbehalten ist, auf das Unheil hinzuweisen, das allen droht, das aber – außer ihm – noch kaum jemand sieht.

Böser Luddit!

Um seine eigene Mission zu rechtfertigen entwickelt Cameron eine zumindest fragwürdige These, die er persönlichen Erfahrungen aus seiner Studienzeit irgendwann in den 1980er-Jahren entlehnt: Damals hätten einige Kommilitonen sich kritisch gegenüber dem technischen Fortschritt geäußert, seien dann aber von Mitstudierenden als Ludditen (also fortschrittsfeindliche Maschinenstürmer) bezeichnet worden. Dieses laut Cameron nach wie vor extrem wirksame Stigma habe die kritischen Geister alsbald mundtot gemacht. Heute führe die Angst vor dem Verdikt, als technologie- und damit fortschrittsfeindlich zu gelten, zu einem Schweigekartell innerhalb des politischen Betriebs, welches verhindere, dass sich die Gesellschaften rechtzeitig und angemessen auf den bevorstehenden Aufstieg der Eisenmänner vorbereiteten. Wirklich? Politiker sprechen nicht über das Thema, weil sie Angst haben, als „Luddit“ geschmäht zu werden? Leider bleibt Cameron, abgesehen von der Studienanekdote, weitere Belege für die Wirksamkeit des Ludditenstigmas schuldig. Damit nicht genug, ruft er bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Namen zahlreicher prominenter Skeptiker auf, um seinen Warnungen vor der Gefahr der Robotisierung zusätzliche Autorität zu verleihen. Seine wichtigsten Bezugsautoren sind neben den schon erwähnten Medienlieblingen Frey und Osborne keine Geringeren als Bill Gates, Larry Summers und Charles Murray, denen gemein ist, dass sie allesamt dystopische Bilder der Robotisierung an die Wand malen. Und während Cameron nicht müde wird, seine Zeugen anzurufen, insinuiert er, dass über das Thema kaum gesprochen werde, und wenn doch, dann aber nicht kritisch, weil ja alle Angst hätten, als Ludditen beschimpft zu werden. Da passt doch etwas nicht zusammen.

Das Ende der Vollbeschäftigung – jetzt erst?

Man kann Cameron vielleicht zu Gute halten, dass er selbst, nach viel Alarmismus, eingesteht, man müsse die (dünne, spekulative und zu 100 Prozent der Sekundäranalyse entlehnte) Empirie nicht als sichere Weissagung verstehen, sondern als extreme Projektion, die die Augen öffnen solle für wahrscheinlichere, weil moderatere, aber eben dennoch folgenschwere Transformationen moderner Arbeitsmärkte. Als eine solche Projektion erachtet Cameron das Ende der Vollbeschäftigung. Der aufmerksame Leser kratzt sich bei solchen Sätzen nachdenklich am Kopf. Befinden wir uns in den meisten OECD-Staaten nicht schon seit etwa 30 Jahren in einer Phase jenseits der Vollbeschäftigung (man blicke nur nach Südeuropa oder Großbritannien)? Oder zumindest in einer Situation, in der hohe Beschäftigungsraten nur durch allerlei massenhaften sozialen Abstieg (Mittelschichtsjobs wurden durch vielfach prekäre Dienstleistungen ersetzt), versteckte Formen des Keynesianismus (von Konjunkturpaketen über Abwrackprämien bis hin zu öffentlichen Lohnzuschüssen) sowie schön gerechnete Arbeitslosenstatistiken erkauft werden können? Cameron jedoch zaubert an dieser Stelle ungerührt die Rust-Belt-Problematik, also den Abstieg der Schwerindustrie in den USA seit den späten 1970er-Jahren aus dem Hut. Während dieser tiefgreifende, vornehmlich durch die Verlagerung industrieller Arbeitsplätze in Niedriglohnländer bedingte Strukturwandel immer noch nicht bewältigt sei, so Cameron, da rolle schon die nächste Welle – nämlich die der Roboter – auf den Arbeitsmarkt zu.

Konservative Orientierungslosigkeit?

Man erkennt in dieser Narration unschwer die aufholende Selbstaufklärung des US-amerikanischen (und teilweise auch des britischen) Konservatismus unter dem Eindruck populistischer Globalisierungskritiken im Stile von Donald Trump oder Bernie Sanders. Auch Autoren wie Charles Murray oder Larry Summers, die jahrzehntelang als konservative Leitintellektuelle galten, haben sich seit der Wirtschaftskrise 2008 verstärkt ‚kapitalismuskritisch‘ geäußert. Murray etwa wandelte sich angesichts der Rust-Belt-Problematik von einem der schärfsten intellektuellen Kritiker des amerikanischen Sozialstaates zu einem Kritiker sozialer Ungleichheit.[3] Summers wiederum, als ehemaliger Chefökonom der Weltbank in den 1990er-Jahren und früherer US-Finanzminister unter Bill Clinton maßgeblich an der Deregulierung des Finanzsektors beteiligt,‑ tritt in jüngster Vergangenheit gern als Kritiker der Wall Street und Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens auf. Man könnte bei derartigen Lerneffekten konservativer Intellektueller womöglich von der späten Entdeckung der Deindustrialisierung des Westens sprechen, die bis 2008 vom „privatisierten Keynesianismus“[4] der FIRE-Welt (Finance, Insurance, Real Estate) überblendet worden war. Die Neuentdeckung des bereits seit den 1970er-Jahren laufenden Abstiegs der US-amerikanischen Arbeiterschichten entspringt einer spezifischen Orientierungslosigkeit des anglo-amerikanischen Konservatismus in der Welt nach dem Börsencrash von 2008. Wird vor dem Hintergrund dieser Orientierungslosigkeit auch der Affekt gegen die Roboter verständlich, der Cameron & Co. umtreibt?

Cameron hält es für nicht unwahrscheinlich, dass uns eine Art neuer Rust-Belt bevorsteht und hält die modernen Arbeitsmärkte für denkbar schlecht vorbereitet. Zur ,Untermauerung‘ seiner Thesen führt er die handelsüblichen Beispiele ins Feld: Selbstfahrende Autos machen Taxi- und LKW-Fahrer überflüssig, die KI wildert in diversen Verwaltungsberufen, MOOCs (massive, open, online courses) lassen zehntausende Lehrkräfte verschwinden, Pflegeroboter erledigen vormals menschliche Sorge-Aufgaben. Man könnte jedes der genannten Beispiele mit einer kritischen Anmerkung versehen: MOOCs erweisen sich demnach bislang als Ladenhüter, Pflegeroboter fungieren bestenfalls als Ergänzungen menschlicher Arbeitskraft und auch dem vermeintlichen Problem mit den wegfallenden Fahrer-Jobs ließe sich legislativ vermutlich beikommen, indem man die Vergabe von Lizenzen für autonome Vehikel von der direkten Überwachung durch Insassen abhängig machte. Doch Cameron will ja nur auf das Risiko aufmerksam machen, das entstünde, wenn der Wandel schlecht gemanagt würde. Entsprechend plädiert er für eine am Paradigma des Risikomanagements orientierte politische Antwort, denn: „The responsible thing is to plan for all outcomes that are seriously possible.“ (S. 86). Zu diesem Zweck brennt Cameron abschließend ein ganzes Feuerwerk an Plattitüden und Evidenzen ab: „[O]ur leaders need to frame the questions for us. It´s time for speeches.“ (S. 91). Es brauche eine „comprehensive review of every policy area to prepare for a situation in which the labor market faces turbulent disruption“ (S. 93); vielleicht müsse am Ende die Allzweckwaffe Grundeinkommen ran (S. 98) – eine Option, bei der man sich als Leser fragt, ob sie neuerdings nur deswegen so hoch gehandelt wird, weil niemand ernsthaft an ihrer Umsetzung interessiert ist. Darüber hinaus plädiert Cameron für eine bessere Ausbildung in den MINT-Fächern und die Förderung kreativen Denkens „to survive the machine onslaught“ (S. 103). Dass er diese Ziele unter anderem durch MOOCs erreichen will (S. 108), entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Zu guter Letzt legt Cameron nochmal die Karten auf den Tisch: Natürlich könne man dem Problem sinkenden Beschäftigungsvolumens auch über die Neuverteilung von Arbeitszeit beikommen. Schließlich müssten, wenn das Arbeitszeitvolumen insgesamt sinke, die verbleibenden Stunden ja nur demokratischer verteilt werden. Doch dürfe man nicht vergessen, dass zu viel Freizeit eben auch „a major driver of social ills“ (S. 106) sei. Hier spricht der ängstliche Konservatismus des 19. Jahrhunderts aus Cameron: Lässt man die Leute weniger arbeiten, fangen sie am Ende vielleicht noch an, die falschen Fragen zu stellen. Dann ist es doch besser, die prekär beschäftigte Pflegekraft hebt den Patienten weiterhin eigenhändig ins Bett.

Im Subtext bleibt beim Blick auf Camerons Buch der Eindruck einer tiefgreifenden Orientierungslosigkeit des anglo-amerikanischen Konservatismus zurück. Deindustrialisierung und Finanzkrise haben das lange geheiligte ökonomische Entwicklungsmodell vom Altar der Geschichte gefegt. Gleichzeitig bewegt man sich auf dem Boden einer Staatlichkeit, die derart heruntergewirtschaftet ist und unter Vertrauensverlust leidet, dass größere politische Eingriffe letztlich nicht mehr finanziert, geschweige denn überhaupt noch gedacht werden können. Was bleibt, sind Fragmente einer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die zwar durch die real existierenden Verhältnisse delegitimiert ist, von deren ideologischen Grundpfeilern man aber offenbar noch immer nicht ganz lassen kann. In dieser Hinsicht ist Will Robots Take Your Job? immerhin ein hermeneutisch interessantes Dokument über den Stand des Konservatismus und das geistige Erbe des Neoliberalismus im Amerika Donald Trumps. In Zukunft kann man solche Bücher getrost Roboter schreiben lassen.

  1. Constane Kurz / Frank Rieger, Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Mechanismen, die uns ersetzen, München 2013.
  2. Carl Benedict Frey /Michael A. Osborne, The Future of Employment. How Susceptible are Jobs to Computerisation?, Oxford 2013.
  3. Vgl. Charles Murray, Coming Apart, The State of White America, 1960–2010, New York 2012.
  4. Colin Crouch, Über das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, Postdemokratie II, übers. v. Frank Jakubzik, Frankfurt am Main 2011.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Felix Hempe, Karsten Malowitz.

Philipp Staab

Philipp Staab ist Professor für die Soziologie der Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Einstein Center Digital Future (ECDF).

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