Deadline: 15.12.2025
Klima gekippt?!
Call for Papers für eine Tagung vom 30. bis 31. März 2026 in Frankfurt (Main). Deadline: 15. Dezember 2025
Umkämpfte Transformation, Greenlash und (Post-)Apokalypse
Bauernproteste, Rückabwicklung klima- und umweltpolitischer Weichenstellungen auf nationaler und EU-Ebene, überraschend schnell sinkende Kennzahlen beim Umweltbewusstsein, stark nachlassende Zustimmung zu klimapolitischen Maßnahmen in der Bevölkerung und ein nicht nur in den USA aggressiv betriebenes Revival fossiler Energien im Zeichen neuer geopolitischer Spannungen – angesichts der auf unterschiedlichen Ebenen eskalierenden Krisendynamik scheint das Klima nicht nur aus erdsystemwissenschaftlicher Perspektive, sondern auch sozial in mehrfacher Hinsicht gekippt.
Am deutlichsten zeigt sich dies erstens daran, dass das Thema Klima von der politisch-öffentlichen Agenda verdrängt wird. Nicht mehr nur randständige Akteure oder organisierte Interessengruppen, sondern der Mainstream von Politik und Öffentlichkeit verabschiedet sich aktuell von global vereinbarten Nachhaltigkeitszielen. Stattdessen tritt umso entschiedener das Festhalten an der gegebenen Lebensweise in den Vordergrund. Angesichts eskalierender wirtschaftlicher, sozialer und politischer Krisen rücken die Sicherung von Wohlstand und „Stabilität“ und die Wiederherstellung von Wachstumsdynamik ganz nach vorne auf der Prioritätenliste von Politik, Wirtschaft und großen Teilen der Bevölkerung. Nicht mehr globale Koordination und Kooperation im Namen von Nachhaltigkeit und ökologischer Transformation, sondern Alleingänge zur Wahrung von Eigeninteressen im Namen von Souveränität, Sicherheit und Resilienz stehen zunehmend im Vordergrund.
Infolgedessen kippt, zweitens, das politisch-gesellschaftliche Klima gegen jene Akteure und Agenden, die weiterhin für Nachhaltigkeit und Klimaschutz eintreten. Ein gesellschaftlicher Umbau in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird immer weniger als Zukunftsversprechen oder notwendige Antwort auf die Krise verstanden, sondern zunehmend als Zumutung oder gar Bedrohung wahrgenommen. Es entsteht ein neuer Verteidigungskonsens gegen Nachhaltigkeitspolitik, der weit über das autoritäre Parteien- und Wähler:innenspektrum hinausreicht. Die Klimabewegung, proökologische politische Akteure und auch die Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung sehen sich vermehrt mit Anfeindungen konfrontiert – und dies nicht nur durch oppositionelle Strömungen, die die Legitimität einer Nachhaltigkeits- und Transformationsagenda aggressiv infrage stellen, sondern zunehmend durch zentrale Akteure innerhalb demokratischer Institutionen, die sich darin durch breite gesellschaftliche Rückendeckung legitimiert sehen. In den USA betreibt die Trump-Administration beispielsweise eine „Anti-Klimapolitik“ und bekämpft und sanktioniert entsprechende Maßnahmen aktiv.
Dies ist umso erklärungsbedürftiger, da sich drittens Folgen planetarer Veränderungen wie der Klimawandel zusehends in allen Weltregionen deutlich sichtbar und spürbar manifestieren. Die auch für Klimaforscher:innen überraschend schnellen Veränderungen in den aktuellen Klimadaten machen deutlich: Das physische Kippen zentraler Parameter des Erdsystems ist keine abstrakte Zukunftsgefahr mehr, sondern bereits Gegenwart. Die kaum noch zu verhindernde, ja mit großer Wahrscheinlichkeit bereits eintretende Überschreitung planetarer Kipppunkte wirft die Schatten eines umfassenden sozial-ökologischen Kontrollverlusts voraus. Prominente Stimmen in der Soziologie sowie der Klimabewegung ziehen daraus den Schluss, es sei vorbei mit sozial-ökologischen Transformationsvorhaben, und es gehe jetzt im Sinne einer neuen Bescheidenheit (Adler) eher um Anpassung oder Resilienz (Beckert, Blühdorn) und Prepping (Müller).
Die Frühjahrstagung 2026 der DGS-Sektion Umwelt- und Nachhaltigkeitssoziologie widmet sich den grundsätzlichen und dringlichen Fragen, die sich uns als Teildisziplin angesichts dieser Dynamiken stellen. Wir laden herzlich zur Einreichung von Beiträgen ein, die eine erste Standortbestimmung versuchen und die sich dabei insbesondere an den folgenden Leitfragen orientieren können:
- Welche Formen nimmt das Kippen der Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit von der politisch-öffentlichen Agenda in Deutschland und weltweit an und wie lässt sich dieses erklären? Welche kognitiven, affektiven und/oder praktischen Entproblematisierungs-, Verdrängungs- und Verblindungsstrategien werden hierfür in Anschlag gebracht?
- Wie manifestieren sich Anfeindungen gegenüber Nachhaltigkeits- und Transformationsagenden und -akteuren in Deutschland, der EU oder im globalen Vergleich? Wie gehen anti-ökologische Impulse über bekannte Formen von Leugnung, Verzögerung, Verwässerung und Vereinnahmung von Transformationsnotwendigkeiten und -forderungen hinaus? Ist der beobachtbare anti-ökologische Groll Teil eines Syndroms bzw. in welchem Verhältnis steht er zu misogynen bzw. antifeministischen Ressentiments, Fremdenfeindlichkeit und Nativismus sowie Verschwörungserzählungen und anderen wissenschaftsfeindlichen Gegen-Epistemologien? Wie kann erklärt werden, warum diese Anfeindungen weltweit breitenwirksam werden?
- Welche sozialen Konsequenzen zeitigt das Überschreiten von Kipppunkten des Erdsystems? Werden Geoengineering, CCS, technokratische Anpassung und Resilienz, Prepping und post-apokalyptische Mobilisierung nun zunehmend zu den vorherrschenden Antworten, die gesellschaftlich noch als tragfähig gelten? Wie werden diese Ansätze in unterschiedlichen Gesellschaften und Gruppen diskutiert? Wie wirken sie sich auf die bestehenden globalen sozialen Ungleichheiten aus oder rekonfigurieren diese neu?
- Welche Wechselwirkungen ergeben sich zwischen den drei benannten Dimensionen eines kippenden Klimas, und wie lassen sich diese erklären? Welche neuen (anti-)ökologischen Allianzen entstehen, in welche veränderten gesellschaftlichen Konfliktkonstellationen mündet das? Inwiefern werden durch diese Verschiebungen etablierte Grundannahmen der Umwelt- und Nachhaltigkeitssoziologie grundsätzlich in Frage gestellt und müssen neu bestimmt oder überdacht werden?
- Welche Ansätze des Widerstands und welche Konturen neuartiger Gegenstrategien gegen solche Tendenzen lassen sich beobachten? Welche Handlungsoptionen bieten sich für Betroffene in Partei- und Bewegungspolitik, Verwaltung und Transformationsforschung, auf Anfeindungen und auf die veränderte allgemeine Stimmungslage zu reagieren? Inwiefern entstehen neue sozial-ökologische Allianzen und emanzipatorische Widerständigkeiten von der lokalen bis zur globalen Ebene?
- Welche Rolle spielt die Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung und wir selbst als Forscher:innen in und gegenüber diesem Geschehen? Wie verstehen wir unsere wissenschaftliche Beobachter:innenposition, und wie gehen wir mit unserer nolens volens involvierten, als Partei in die Konfliktlage verstrickten Rolle um? Wie werden die Konflikte um die Widersprüche der ökologischen Modernisierungsstrategien zwischen konträren Positionen zur sozial-ökologischen Transformation vor dem Hintergrund des aktuellen „Greenlash“ verhandelt? Und nicht zuletzt: Wie hat die Umwelt- und Nachhaltigkeitssoziologie, wie auch die Nachhaltigkeitsforschung insgesamt, durch ihre eigenen Praktiken und (zu) lange unhinterfragten Selbstverständlichkeiten womöglich selbst zu den Prozessen beigetragen, die zum jetzigen „Kippen“ geführt haben?
Wir freuen uns auf rege Beteiligung an der Tagung und auf die Zusendung sowohl theoretisch-konzeptioneller als auch empirischer Beitragsvorschläge. Abstracts mit maximal 300 Wörtern Umfang bitte bis zum 15. Dezember 2025 an: umweltsoziologie(at)uni-frankfurt.de.
Veranstalter:innen:
Maria Backhouse (Universität Augsburg), Hauke Dannemann und Dennis Eversberg (Goethe-Universität Frankfurt am Main), Matthias Schmelzer (Europa-Universität Flensburg) und Bernd Sommer (TU Dortmund).
Zum Call for Abstracts (PDF)