Deadline: 31.10.2025

Soziale Unordnung, Transindividualität, Volk-Werden: Sozialtheorie bei Georges Canguilhem, Gilbert Simondon und Gilles Deleuze

Call for Papers für einen Workshop in Regensburg vom 19. bis 20. Juni 2026. Deadline: 31. Oktober 2025

Die Werke von Georges Canguilhem, Gilbert Simondon und Gilles Deleuze haben in den letzten Jahren auf je eigene Weise eine Renaissance erlebt. Insbesondere der zuletzt genannte erfreut sich einer auch hierzulande intensiven Rezeption, die Michel Foucaults Vermutung, dass das Jahrhundert „vielleicht einmal deleuzianisch“ sein werde, zu bestätigen scheint. Abgesehen von vereinzelten Bezügen untereinander (Deleuze etwa würdigte Simondon, der seinerseits ein Schüler Canguilhems war, als Begründer eines ‚materiellen Vitalismus‘), stehen die drei Werke je für sich: Georges Canguilhem war Mitbegründer der französischen historischen Epistemologie und beeinflusste insbesondere die ersten Werke Foucaults und dessen Perspektive auf das Normale und das Pathologische; Gilbert Simondon schlug auf der Suche nach einem neuen enzyklopädischen Denken ein idiosynkratisches Vokabular vor, um verschiedene ontologische Gebiete prozessual und relational zu denken; Gilles Deleuze wandte sich klassischen Autoren wie Bergson, Nietzsche, Kant und Spinoza auf eine ihm eigene, produktive Weise zu und brachte gemeinsam mit Félix Guattari einen neuen Ton, eine neue Sprech- und Denkweise (vor allem des Werdens) in die Geistes- und Sozialwissenschaften.

Im Workshop wollen wir die drei Autoren als Theoretiker des Sozialen ausbuchstabieren – als Denker, die eine spezifische, auch kritische Bezugnahme auf klassische Vokabulare und Methodologien der Sozialwissenschaften ermöglichen, Reformulierungen vorschlagen und u.a. eine prozesstheoretische und immanenzontologische Denkart von Kollektivität bieten.

Gilles Deleuze ist in dieser Hinsicht sicher am besten erschlossen: Bekannt ist seine Formel des ‚Werdens eines Volkes‘ ebenso wie die (gemeinsam mit Guattari erstellte) Theorie von Vergesellschaftung entlang der Bewegungen von Territorialisierung, De- und Reterritorialisierung sowie von ‚Gefügen‘ (agencement), in Anti-Ödipus (1972) und in Tausend Plateaus (1980).

Georges Canguilhem dagegen wird bislang vor allem als Wissenschaftshistoriker rezipiert. Dabei hat Canguilhem seine medizinhistorische thèse von 1943, Das Normale und das Pathologische, später um „Neue Überlegungen zum Normalen und zum Pathologischen (1963-1966)“ ergänzt. Ausgehend von einer Kritik der positivistischen Sozialwissenschaften entfaltet er darin (ebenso wie in weiteren Texten aus den 1940ern und 1950ern) eine ‚neovitalistische‘ Theorie von Kollektivität. In der Erhebung von Normalverteilungen und Abweichungen, im positivistischen Ideal von Distanz und Objektivität sieht Canguilhem den ersten Schritt zu einer ‚Brutalisierung‘ menschlichen Lebens. Wo sonst von sozialer Unordnung oder Abweichung die Rede ist, erkennt er Selbstkorrekturen des Lebens: Im Gesellschaftlichen gibt es nichts Anormales.

Gilbert Simondon schließlich wird hierzulande in erster Linie als Medien- und Technikphilosoph wahrgenommen (aufgrund der deutschen Übersetzung von Le mode d’existence des objets techniques von 1958 sowie in der Linie der Referenzen von Autoren wie Bernard Stiegler). In seinem philosophischen Hauptwerk, das von der physikalischen und biologischen zur psychischen und kollektiven Individuation führt, zeigt sich Simondon hingegen als origineller Denker der Verschränkung von Individualität und Kollektivität. Mit seinem Begriff der ‚Transindividualität‘, an den aktuell aus verschiedenen Richtungen angeknüpft wird, entfaltet Simondon eine Position, die den klassischen Gegensatz von Individuum und Gesellschaft unterläuft und auch nichtmenschliche Formen in die Individuation miteinbezieht. Vor diesem Hintergrund wird seine Technikphilosophie ihrerseits als Beitrag zu Theorien des Sozialen und der Moderne lesbar. 

Willkommen sind Beiträge, die sich den Theorien und Begriffen des Sozialen oder von Kollektivität bei diesen drei Autoren (und ihrer je eigenen Form der Kritik der Sozialwissenschaft) widmen – je konzentriert auf einen Autor; im Blick auf die Beziehungen zwischen ihnen; oder auch mit Blick auf weitere Autoren, wie z.B. Foucault.

Geplant ist ein zweitägiger Workshop; und im Anschluss ein Themenheft der Zeitschrift für Kollektiv- und Kulturwissenschaft (ZKKW, transcript).

Bitte senden Sie Ihren Beitragsvorschlag (1-2 S.) bis zum 31.10.2025 an heike.delitz(at)ur.de und sebastian.dute(at)tu-darmstadt.de.

Call for Papers (PDF)

 

 

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