Deadline: 30.11.2025
Soziologie im Zeitalter generativer künstlicher Intelligenz: Forschung über und mit KI
Call for Papers für ein Themenheft des Berliner Journals für Soziologie. Deadline: 30. November 2025
Gastherausgeber: Christian Meier zu Verl & Sebastian Koch (Universität Konstanz)
Generative künstliche Intelligenz (insb. LLMs) transformiert gegenwärtig Wissenspraktiken, Organisationen und Öffentlichkeiten. Das geplante Themenheft nimmt diese Dynamik disziplinär in den Blick und verfolgt eine doppelte Perspektive: KI als Gegenstand soziologischer Analyse und KI als epistemische Infrastruktur der Soziologie.
Dabei verstehen wir unter einer Soziologie generativer KI die reflexive Selbstbeobachtung der Disziplin: die Analyse ihrer epistemischen Praktiken (Heuristiken, Evidenz, Gütekriterien), ihrer Autor:innenschafts- und Verantwortungsordnungen sowie ihrer institutionellen Rahmungen (Lehre, Review, Daten- und Publikationsinfrastrukturen). Zugleich richtet sich der Blick auf KI als Gegenstand gesellschaftlicher Ordnung, Konflikte und Ungleichheiten.
Während KI in Forschungskontexten häufig als Werkzeug adressiert wird (etwa zur Textrezeption, Transkription oder Codierung von Daten), werden generative Verfahren zunehmend in Theoriebildung und Interpretation eingebunden. Dadurch stellen sich Grundsatzfragen für die Soziologie – nicht nur für die Sozialforschung: Wie verändern sich Evidenzpraktiken, die Automatisierbarkeit interpretativer Logiken, die Bewertung von Geltungsansprüchen und die normativen Erwartungen an Autor:innenschaft? Gleichzeitig emergiert KI als sozialer Gegenstand – in Organisationen und digitalen Öffentlichkeiten –, an dem Aushandlungen über Klassifikation, Kontrolle, Teilhabe und Sprache sichtbar werden.
Thematische Felder
Alle Beiträge des Themenhefts müssen einen Rückbezug auf die Soziologie im Sinne einer reflexiven Soziologie der KI leisten: Sie sollen ausweisen, welche epistemischen, methodologischen und/oder institutionellen Konsequenzen ihre Argumentation für die Disziplin (Evidenz- und Bewertungspraktiken, Autor:innenschaft, Verantwortung, Lehre, Peer-Review etc.) hat.
Wir begrüßen Beiträge, die eines oder mehrere der folgenden Felder adressieren:
Theorien der KI: Dieses Feld versammelt Beiträge, die generative KI mit gesellschafts- und sozialtheoretischen Ansätzen analysieren – etwa Systemtheorie, Feldtheorie, Praxistheorie, Gouvernementalitätstheorie, Kritische Theorie oder Science and Technology Studies (STS). Im Mittelpunkt stehen die Semantiken, die Performativität und die soziale Einbettung generativer Verfahren sowie die Zuschreibungen von Akteur:innenrollen in soziotechnischen Arrangements. Erwartet wird zudem, dass die Beiträge ausweisen, welchen begrifflichen und theoriepolitischen Ertrag diese Perspektiven für eine reflexive Soziologie der KI besitzen.
Epistemische Infrastrukturen der Soziologie: Dieses Feld untersucht, wie generative KI die Auswertung und Operationalisierung sowie die Text- und Datenpraktiken der Soziologie transformiert. Im Fokus stehen die Grenzen der Automatisierung interpretativer Verfahren sowie die Verschiebungen von Gütekriterien, Nachvollziehbarkeit und Kontextsensitivität ebenso wie von Zitations- und Bewertungsregimen. Willkommen sind Arbeiten, die die Kopplung von Software-Toolchains, die Datenkuratierung und den Einsatz von Bewertungsmetriken empirisch nachzeichnen und die Folgen für Reproduzierbarkeit, Evidenzansprüche und Transparenz theoretisch präzisieren. Erwartet wird zudem ein expliziter Rückbezug der Befunde auf die Disziplin, der den Beitrag zu einer reflexiven Soziologie der KI sichtbar macht.
Institutionen, Profession, Hochschule: Dieses Feld untersucht, wie generative KI Lehre, Peer-Review, Repositorien sowie die Drittmittel- und Publikationskulturen der Soziologie verändert. Im Zentrum stehen Verschiebungen der Arbeitsteilung und der Qualifikationsprofile im Fach sowie die daraus resultierenden Organisations- und Governance-Fragen in Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Besonders willkommen sind Fallstudien und Vergleichsanalysen zu Curricula, Prüfungsordnungen, Review-Policies und Repositorien, die die Konsequenzen für Professionalisierung, Verantwortungszurechnung und die Governance der Disziplin herausarbeiten. Erwartet wird ein expliziter Rückbezug auf die Soziologie im Sinne einer reflexiven Soziologie der KI, der die institutionellen und professionellen Implikationen der Befunde für das Fach präzise ausweist.
Öffentlichkeit, Recht, Politik: Dieses Feld untersucht, wie generative KI in Medien, Verwaltungen und Policy-Arenen verhandelt, reguliert und eingesetzt wird. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Regulierung, Transparenz und Haftung sowie die Reproduktion oder Transformation von Ungleichheiten entlang von Zugängen, Sprach- und Plattformkompetenzen und Klassifikationsregimen. Erwünscht sind Untersuchungen, die Konflikte um Nachvollziehbarkeit, Haftung und den Daten- und Modellzugang in konkreten Bereichen ethnografisch, diskurs- oder policy-analytisch beleuchten und die entsprechenden Ungleichheitsdynamiken präzise ausweisen. Erwartet wird zudem ein expliziter Rückbezug auf die Soziologie im Sinne einer reflexiven Soziologie der KI, der die Konsequenzen für die öffentliche Rolle, Expertise und Verantwortung der Disziplin sichtbar macht.
Einladung zur Beitragseinreichung (Fragen, Ziel, Zeitplan)
Das Themenheft versammelt Beiträge, die generative KI sowohl als Gegenstand soziologischer Analyse als auch als epistemische Infrastruktur der Disziplin behandeln. Eingeladen sind theoretische, methodologische und empirische Arbeiten, die einen klar ausgewiesenen Beitrag zur reflexiven Soziologie der KI leisten – d. h. die epistemischen, methodologischen und/oder institutionellen Konsequenzen für die Soziologie benennen. Beiträge aus der qualitativen Sozialforschung sind ausdrücklich willkommen; reine Tool-/Erfahrungsberichte ohne disziplinären Erkenntnisgewinn sind nicht Gegenstand des Hefts. Bitte legen Sie ggf. eingesetzte KI-Unterstützung im Forschungs- und Schreibprozess transparent dar (Art und Umfang).
Leitfragen (Auswahl):
Disziplin & Theorie
Wie verschiebt generative KI Grundbegriffe, Geltungs- und Erklärungsansprüche soziologischer Theoriebildung?
Welche Konzepte (z. B. Infrastrukturalität, Performativität, Klassifikation) eignen sich, um KI-Phänomene gesellschafts- und sozialtheoretisch zu fassen?
Epistemologie & Praxis
Welche impliziten epistemischen Annahmen sind in generativen Verfahren von KI eingeschrieben, und wie prägen sie Interpretations- und Evidenzpraktiken?
Wo liegen die Grenzen der Automatisierung interpretativer Logiken; was gilt als nicht-automatisierbarer Kern soziologischer Analyse?
Wie verändern sich Nachvollziehbarkeit, Kontextsensitivität, Zitations- und Bewertungsregime unter KI-Bedingungen?
Institutionen & Profession
Welche Effekte zeigen sich in Lehre, Peer-Review-Verfahren, Repositorien und Förderlogiken; welche neuen Kompetenz- und Rollenprofile entstehen?
Wie verschieben sich Autor:innenschaft, Verantwortungszurechnung und Governance in Organisationen der Wissenschaft?
Öffentlichkeit, Recht, Politik, Ungleichheit
Wie werden Transparenz, Haftung und Kontrolle unter KI-Bedingungen neu verhandelt, und welche Normativitätslasten ergeben sich?
Wie wirken KI-basierte Klassifikationen auf Differenzierungen entlang von Zugang, Sprache, Plattform-/Datenkompetenz?
Hinweis zur Passung: Bitte weisen Sie im Abstract explizit aus (2–3 Sätze), welchen Beitrag zur reflexiven Soziologie der KI Ihr Beitrag leistet (epistemisch, methodologisch, institutionell).
Ziel der Publikation:
Die ausgewählten Beiträge erscheinen, nach Durchlaufen des doppelblinden Peer-Review-Verfahrens der Zeitschrift, in einem Themenheft des Berliner Journals für Soziologie. Ziel ist es, Potenziale und Grenzen einer reflexiven Soziologie der KI auszuloten – sowohl in theoretischer und methodologischer Hinsicht als auch anhand theoriegeleiteter empirischer Studien. Besonderes Interesse gilt Studien, die disziplinäre Brücken schlagen und epistemische, wie institutionelle Konsequenzen generativer KI für die Soziologie präzise bestimmen.
Einreichung und Zeitplan:
Bitte senden Sie ein Abstract (max. 500 Wörter) sowie eine Kurzbiografie (max. 150 Wörter) bis zum 30.11.2025 an christian.meier-zu-verl(at)uni-konstanz.de.
Rückmeldung (Annahme/Ablehnung): bis 15.12.2025
(optional) Manuskript-Workshop (für eingeladene Beiträge): Februar/März 2026
Abgabe der Manuskripte (Richtlinien des Berliner Journals für Soziologie): bis 30.04.2026
Begutachtung (Double-Blind Peer-Review): bis 30.09.2026
Finalisierung: bis Ende 2026
Publikation des Themenhefts: 2027