Zeitschrift | Ausgabe
Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 34 (2025), 3-4
Amtsperson
Die Trennung von Amt und Person ist einer der wichtigsten Grundsätze moderner Staatlichkeit – und zugleich ein unauflösliches Paradox. Während die Kompetenzen und Befugnisse eines Amtes unabhängig von dessen Träger:in sind, bedarf es zu deren Ausübung stets konkreter Personen. Dieses Paradox, das ebenso wie der Amtsbegriffs selbst in den Sozialwissenschaften lange Zeit unbeachtet blieb, soll in dem vorliegenden Heft explizit thematisiert und probeweise zur Erschließung verschiedener Gegenwartsphänomene genutzt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei diejenigen, die Ämter tagtäglich mit Leben erfüllen und Institutionen ein Gesicht geben – die „Amtsmenschen“.
Eröffnet wird das Heft von Astrid Séville und Julian Müller, die in ihrer programmatischen Einleitung den heuristischen Nutzen des Konzepts erklären und die erkenntnisleitenden Motive und Fragestellungen vorstellen. Um „Landesmütter und Erste Staatsdiener“ geht es im anschließenden Beitrag von Barbara Stollberg-Rilinger. Am Beispiel Maria Theresias erläutert sie, wie „Dynastische Herrschaft und Amt im frühneuzeitlichen Europa“ zusammenhingen und welche Veränderungen im Amtsverständnis mit der Genese des modernen Staates einhergingen. In „Benedikts Himmelfahrt“ notiert Marc-Aeilko Aris „Beobachtungen zur Preisgabe des päpstlichen Amtes“ und beschreibt die damit verbundenen Herausforderungen für die katholische Kirche. Zentrale Inhalte des Amtsdiskurses der christlichen Kirchen thematisiert sodann Friedrich Wilhelm Graf in „Amt, Ämter – theologisch“, wobei er neben Gemeinsamkeiten auch Differenzen im Amtsverständnis der verschiedenen Konfessionen hervorhebt. „Die Verwaltungsbedürftigkeit der Gesellschaft“ steht im Mittelpunkt des Beitrags von Berthold Vogel, der zeigt, warum die Leistungen der oft gescholtenen Bürokratie für das Funktionieren eines demokratischen Rechts- und Sozialstaats unverzichtbar sind. Um „Amtsmenschen als Zielscheibe von Anfeindungen und Gewalt“ geht es im folgenden Aufsatz von Peter Imbusch und Joris Steg. Gestützt auf die Auswertung neuerer Forschungsergebnisse gehen sie der Frage nach, warum ausgerechnet diejenigen, die den Staat vor Ort am Laufen halten, so häufig Opfer verbaler und körperlicher Attacken werden. Einen ganz anderen thematischen Akzent setzt Christian Kirchmeier, der „Die lustige Amtsperson“ in den Blick nimmt und beschreibt, wie sich das Zusammenspiel von „Politik, Karnevalismus und Ironie in der Medienkultur der Gegenwart“ gewandelt hat. Wie „Stellvertretung jenseits von Amt und Mandat“ möglich ist, erörtert Tobias Lappy. Anhand zweier Fallstudien „Zum Graubereich politischer Repräsentation“ untersucht er, wie Formen digitaler Akklamation das Spektrum politischer Partizipation verändern. Abgerundet wird der Themenschwerpunkt schließlich durch ein Gespräch über rechtliche und politische Fragen der Amtsausübung, das Astrid Séville und Julian Müller mit dem Verfassungsrechtler Christoph Möllers geführt haben. Darin geht es unter anderem um das Pathos der Sachlichkeit, die charismatische Aufladung von Ämtern und die Risiken einer Verbeamtung des Politischen: „Ein Amt muss es auch aushalten, missverstanden zu werden“.
Zum Ortstermin bittet diesmal Leon Wansleben, der uns am „Stadthaus Köln, Willy-Brandt-Platz 2–3“ erwartet. Ausgehend von einem der Hauptverkehrsknotenpunkte der Rheinmetropole nimmt er uns mit auf einen persönlichen Streifzug durch Geschichte und Gegenwart seiner Heimatstadt, bei der neben Architektur und Verwaltung auch der „Köllsche Klüngel“ und die Sozialwissenschaften eine Rolle spielen.
Astrid Séville / Julian Müller
Amtsmenschen (S. 3)
Barbara Stollberg-Rilinger
Landesmütter und Erste Staatsdiener. Dynastische Herrschaft und Amt im frühneuzeitlichen Europa (S. 22)
Marc-Aeilko Aris
Benedikts Himmelfahrt. Beobachtungen zur Preisgabe des päpstlichen Amtes (S. 35)
Friedrich Wilhelm Graf
Amt, Ämter – theologisch (S. 42)
Berthold Vogel
Die Verwaltungsbedürftigkeit der Gesellschaft (S. 57)
Peter Imbusch / Joris Steg
Amtsmenschen als Zielscheibe von Anfeindungen und Gewalt (S. 69)
Christian Kirchmeier
Die lustige Amtsperson. Politik, Karnevalismus und Ironie in der Medienkultur der Gegenwart (S. 91)
Tobias Lappy
Stellvertretung jenseits von Amt und Mandat. Zum Graubereich politischer Repräsentation (S. 111)
Ein Gespräch mit Christoph Möllers
"Ein Amt muss es auch aushalten, missverstanden zu werden" (S. 132)
Leon Wansleben
Ortstermin: Stadthaus Köln, Willy-Brandt-Platz 2–3 (S. 148)
Abbildungsverzeichnis zur Bildstrecke (S. 168)
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