Sabine Meier | Rezension |

Sag mir, wie du wohnst

Rezension zu „The Sociology of Housing. How Homes Shape our Social Lives“ von Brian J. MacCabe und Eva Rosen (Hg.)

Brian J. McCabe / Eva Rosen (Hg.):
The Sociology of Housing. How Homes Shape Our Social Lives
USA
Chicago 2023: University of Chicago Press
432 S., 30,00 $
ISBN 9780226828534

Wohnen strukturiert alltägliche Routinen und prägt soziale Beziehungen. Die Lage einer Wohnung beeinflusst, welchen Menschen wir im Alltag begegnen, welche Einrichtungen wir besuchen, welche Infrastrukturen wir nutzen. Für die einen ist die Eigentumswohnung eine Kapitalanlage, die Wohlstand schaffen und erhalten kann, während die anderen kaum eine Mietwohnung finanzieren können. Gesamtgesellschaftlich betrachtet ist die Wohnung Ware und Spekulationsobjekt, deren Verteilung, Anordnung und Zugänglichkeit Ausdruck sozialkultureller und ökonomischer Ungleichheit ist.

Schon ein erster Blick in den von Brian J. McCabe und Eva Rosen herausgegebenen Sammelband The Sociology of Housing. How Homes Shape Our Social Lives offenbart, dass das Wohnen hier im Kontext struktureller Ungleichheit betrachtet wird. In den Vereinigten Staaten ist der Anteil von Wohneigentum mit rund 60 Prozent relativ hoch.[1] Zugleich zeichnen sich viele große US-amerikanische Städte durch eine starke residentielle Segregation aus – ein Muster, das gegenwärtig eher reproduziert denn aufgelöst wird. Die Lebenslage derer, die nicht über Möglichkeit und Mittel verfügen, sich eine Wohnung oder gar ein Haus kaufen zu können, ist nicht nur von Unsicherheit, sondern auch von erzwungener Mobilität und oftmals einem schlechteren Gesundheitszustand geprägt. Mit dieser eindeutigen Schwerpunktsetzung ergänzt der hier besprochene Sammelband die langjährige US-amerikanische Debatte über Segregation und Gentrifizierung um neue wissenschaftlich-soziologische Perspektiven, Methoden und Themen. Insgesamt umfasst der Sammelband 24 Beiträge, die in vier Abschnitte mit den folgenden Überschriften gegliedert sind: 1) Mechanisms of Housing Inequality, 2) Housing Insecurity and Instability, 3) Housing Markets and Housing Supply sowie 4) Housing, Racial Segregation, and Inequality. Alle Beiträge sind relativ kurz gehalten, was es Leser:innen ermöglicht, sich rasch einen Überblick über wesentliche Perspektiven und (neue) Trends im US-amerikanischen Kontext zum jeweiligen Thema zu verschaffen.

Alte Muster, neue Trends

Nimmt man das bestehende und bekannteste Muster der Segregation zwischen sogenannten ‚White‘ und ‚Black Americans‘ in den Blick, zeigen einige der Beiträge, dass die ungleichen Zugänge zu Wohneigentum und Mietwohnungen sich nicht mehr nur entlang dieses Unterschiedes organisieren. Erschwerte Zugänge zu Wohnraum, instabile Mietverhältnisse, eine schlechte Wohnsituation oder gar giftige Bausubstanzen in Wohngebäuden sind Entwicklungen, mit denen sich immer mehr Haushalte in den Vereinigten Staaten konfrontiert sehen (siehe Matthew McLeksey, Kap. 6, S. 79-91). Dennoch sind ‚Black Americans‘ davon insgesamt deutlich stärker betroffen als ‚White Americans‘. Zawadi Rucks-Ahidiana stellt in ihrem Beitrag (Kap. 1, S. 15–27) dar, dass die sozialökonomische Ungleichheit durch Wohneigentum und dessen Lage zwischen den beiden Gruppen nicht nur besonders groß ist, sondern auch über Generationen hinweg reproduziert wird: Der Racial Wealth Gap zwischen ‚White‘ und ‚Black Americans‘ bleibt durch Vererbung, ungleiche Wohneigentumsquoten und Immobilienwerte bestehen. Daran ändern auch staatlich finanzierte Förderprogramme und verschiedene Ansätze einer sozialen Wohnungsbaupolitik wenig. Am Beispiel der Stadt Baltimore zeigt Peter Rosenblatt (Kap. 4, S. 53–66) beispielsweise, dass durch staatliche Förderprogramme im Rahmen der Stadterneuerung zwar auf Sanierungsnotstände einzelner heruntergekommener, innerstädtischer Stadtgebiete reagiert wird. Zugleich stoßen derlei Maßnahmen aber auf den Widerstand der Bewohner:innen, die (inzwischen) vor allem ‚White American‘ Akademiker:innen sind. Sie wehren sich gegen den Abriss der alten Wohnungen, die durch einen höheren Anteil von bezahlbarem Wohnungsbau ersetzt werden sollen mit dem Argument, ihr Stadtgebiet ‚schützen‘ zu wollen. Sie befürchten, es könne nach der Erneuerung zu einem ‚dumping ground‘ für arbeitslose (‚Black‘) Americans werden.

Jenseits der Gegensätze zwischen diesen Bevölkerungsgruppen steht die besondere Position der heterogenen Gruppe der Lateinamerikaner:innen (‚Latinos‘) auf dem Wohneigentumsmarkt. Diese war durch benachteiligte Zugänge zu Mietwohnungen von Beginn ihrer Einwanderungsgeschichte an auf den Kauf von (billigem) Wohnraum angewiesen. Schon in den 1990er-Jahren waren rund 41 Prozent der ‚Latinos‘ in den Vereinigten Staaten Hauseigentümer:innen. Allen Hyde und Mary Fischer (Kap. 2, S. 29–38) geben an, dass dieser Prozentsatz im Zeitraum von 2000 bis 2019 noch einmal um rund 10 Prozent gestiegen ist.

Neue Perspektiven und Methoden

Diejenigen, die sich kein Wohneigentum leisten können, wohnen oftmals prekär und in unsicheren Mietverhältnissen. Es zeigt sich, dass ‚Black American‘ Mieter:innen gegenüber ‚White Americans‘ (und allen anderen ‚non-Hispanic Whites‘) auch in dieser Hinsicht strukturell benachteiligt sind. Bei genauerer Betrachtung sind außerdem zunehmend lateinamerikanische Mieter:innen – allen voran Frauen und Haushalte mit Kindern – beispielsweise von Zwangsräumungen betroffen. In ihrem Beitrag über Zwangsräumungen plädieren Kyle Nelson und Michael C. Lens (Kap. 8, S. 109–120) dafür, das Thema aus einer institutionell-soziologischen Perspektive zu betrachten und sich nicht auf die Erforschung der daraus ergebenden prekären Lebenslage der Betroffenen zu beschränken. Eine institutionell-soziologische Perspektive auf Zwangsräumung bedeutet, quantitative und qualitative empirische Daten zu erheben und auszuwerten, das heißt, die Häufigkeit und die spezifischen Orte der Zwangsräumungen (welche sozialen Gruppen und Haushalte sind betroffen) mit qualitativen Daten wie Prozessprotokollen und individuellen Darlegungen der Betroffenen inhaltlich aufeinander zu beziehen. Die Autoren erhoffen sich von diesem Vorgehen eine Erweiterung der Methoden der Wohnsoziologie, die andere Fachdisziplinen wie die Rechtswissenschaften oder die Arbeitssoziologie mit einbeziehen kann.

Die Erweiterung des Repertoires an wohnsoziologischen Methoden erscheint auch deswegen sinnvoll, weil schwer zu erforschen ist, inwiefern bestimmte Bevölkerungsgruppen beim Zugang zu Wohneigentum und Mietwohnungen nachweislich diskriminiert werden. Michael Gaddis und Nicholas DiRago schlagen darum in ihrem Beitrag (Kap. 7, S. 93–106) den Einsatz von sogenannten ‚audit studies‘ vor. Hierbei handelt es sich um eine Erhebungsmethode, bei der Forscher:innen selbst diejenigen Eigenschaften aufweisen oder vortäuschen, von denen erwartet wird, dass sie Auslöser für Diskriminierung sind. Die Forscher:innen nehmen Kontakt zu den jeweiligen Stellen (Vermieter:innen, Verkäufer:innen, usw.) auf und ‚testen‘ ihre Chancen, Zugang zu Wohnraum zu erhalten. Die Durchführung derartiger Erhebungsmethoden dürfte allerdings hierzulande auf einige forschungsethische und datenschutzrechtliche Hürden stoßen. Jacob Faber (Kap. 19, S. 253–263) denkt in seinem Beitrag darüber nach, sich Big Data für die Beantwortung wohnsoziologischer Fragen zu Nutze zu machen, etwa welche komplexen oder langfristigen Auswirkungen Segregation auf Lebensbereiche jenseits des Wohnens hat. Allerdings erlauben diese Daten zum einen aus Gründen des Datenschutzes nicht ohne Weiteres Analysen auf kleinmaßstäblichem Niveau (‚neighborhood-level‘), zum anderen ist die Nutzung mit (teilweise hohen) Kosten verbunden.

Mit Wohnsoziologie Ungleichheit verstehen

Neben der Erörterung oben genannter, neuer Methoden bringen einige Autor:innen dieses Bandes weitere wohnsoziologische Forschungsgegenstände aufs Tableau. Besonders interessant ist der Vorschlag des Professors für Urban Studies and Planning der University of California Isaac Martin, eine ‚fiscal sociology of housing‘ auf den Weg zu bringen (Kap. 18, S. 239–250). Ausgangspunkt ist hier die Analyse des dem Wohneigentum vorausgehenden Erwerbsprozesses, an dem verschiedene Akteure beteiligt sind, deren Entscheidungen mit über das Gelingen oder Scheitern dieses Vorhabens bestimmen. So folgen etwa Banken oder Sparkassen bei der Kreditvergabe einer bestimmten ‚Risikologik‘. Zudem gehen Haushalte beim Kauf einer Wohnung eine oftmals lebenslange steuerlich-rechtliche Vertragsbeziehung mit dem Staat ein. Die Konsequenzen dieser Beziehung sehen jedoch nicht für alle Eigentümer:innen gleich aus. Martin erläutert, dass ‚high-income‘-Eigentümer von steuerpolitischen Instrumenten, wie steuerlichen Entlastung, Absatzmöglichkeiten oder Subventionsmaßnahmen, letztendlich mehr profitieren als jene mit ‚low-income‘, obwohl solche Maßnahmen ursprünglich dies nicht so vorgesehen hatten.

Auch andere Autor:innen im Band, namentlich Philip M.E. Garboden (Kap. 17, S. 225–237) oder Erin Carll, Hannah Lee, Chris Hess und Kyle Crowder (Kap. 20, S. 265–277) von der University of Washington plädieren dafür, die Praktiken beteiligter Akteure im Verteilungskampf um Wohnraum genauer zu erforschen. In diesem Kontext sei der Beitrag von Elizabeth Korver-Glenn, Robin Bartram und Max Besbris (Kap. 14, S. 191–201) hervorgehoben, der die soziale Position von Intermediären untersucht. Hierbei handelt es sich um Personen, die zwischen Wohnungssuchenden und -anbietenden auf unterschiedliche, teils kreative Art und Weise vermitteln. Um in dieser Funktion erfolgreich zu sein, müssen Intermediäre über Spezialwissen verfügen, etwa darüber, wo und wie bestimmte Gruppen kontaktiert werden können, was diese brauchen, fordern oder bezahlen können. Dadurch vermitteln sie Angebot und Nachfrage auf informelle und manchmal undurchsichtige Weise, können zugleich steuernd auf Wohnungsmärkte einwirken oder nutzen gar die schwache Position von Menschen auf dem Wohnungsmarkt finanziell aus.

Neben den schon genannten Forschungen zu den Themen Diskriminierung bei der Zuweisung von Mietwohnungen, sich reproduzierende Segregationsmuster oder Ausbeutung durch Wohneigentum werden in diesem Sammelband weitere Forschungsgegenstände behandelt, die in den letzten Jahren in den Fokus der internationalen und deutschen Wohnsoziologie gerückt sind. Hier geht es beispielsweise um die schwerwiegenden individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen, die prekäre Wohnsituationen haben: vom notgedrungenen Teilen der Wohnung mit Fremden (siehe den Beitrag Kristin L. Perkins, Kap. 10, S. 135–147) über informelle, temporäre Wohnarrangements (siehe Claire Herbert, Kap. 11, S. 149–161 und Krista E. Paulsen, Kap. 16, S. 213–223) bis hin zum Leben in Fertigwohnungen mit Minimalstandards (siehe der Beitrag von Esther Sullivan, Kap. 9, S. 121–133). Als schwerwiegendste dieser Konsequenzen muss jedoch die Wohnungslosigkeit gelten, von der eine stetig zunehmende Anzahl von Menschen betroffen ist und die laut Chris Herring (Kap. 12, S. 163–175) von der University of California Ausgang und Konsequenz einer ‚secondary marginalization‘ ist: Denn aus Wohnungen und zudem von öffentlichen Straßen vertrieben zu werden, sollte nicht mehr nur als bloßer Mangel an Wohnraum und Vernachlässigung staatlicher Aufgaben verstanden werden. Stattdessen wird die prekäre Lebenslage obdachloser Menschen durch die Reproduktion eines US-amerikanischen Wohlfahrts- und Strafstaates immer weiter verschärft, was es Herring zufolge tiefgehender zu untersuchen gilt.

Insgesamt ist The Sociology of Housing eine sehr gelungene, nachdrücklich formulierte Einladung an die Wohnsoziologie, sich auf kritische Weise mit dem Wohnen auseinander zu setzen: einem Grundbedürfnis, das zu befriedigen eine gesellschaftlich organisierte, profitorientierte Grund- und Bodenwirtschaft, wie sie in den Vereinigten Staaten und andernorts besteht, kaum noch in der Lage ist. Dieser sehr lesenswerte Sammelband eignet sich für Studierende und Forschende gleichermaßen, die sich für das Thema Wohnen in den Fachdisziplinen Soziologie, Soziale Arbeit, Humangeographie oder Raumplanung interessieren und ist überdies für Wohnexpert:innen in der Praxis sowie für alle relevant, die mehr über das Wohnen als Repräsentant sozialräumlicher Ungleichheit erfahren wollen.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher.

Kategorien: Gesellschaft Methoden / Forschung Politik Soziale Ungleichheit Wirtschaft

Sabine Meier

Sabine Meier ist Professorin für Soziale Arbeit und Teilhabe mit den Schwerpunkten Sozialraum und soziale Teilhabe an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden.

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