David Schultz | Essay | 11.09.2024
Babas Erbe
Vater-Sohn-Erzählungen zwischen Wettbewerb und Sorge
Mein Baba hat ein’ starken Rücken,
der schleppt viel mit sich rum bei Nacht.
Ich wünscht’, er wär’ ein bisschen schwächer,
dann hätt’s ihn nicht kaputt gemacht.
Ich wünscht’, er wär’ ein bisschen echter,
dann könnt’ ich bisschen schwächer sein.
Ich wünscht’, er würd’ nicht immer lächeln,
dann könnt’ ich Schmerz, der echt ist, zeigen.[1]
So beginnt Apsilons Song „Baba“, den ich im Folgenden aus männlichkeitssoziologischer Perspektive betrachte.[2] Interessant ist der Song des Berliner Rappers für mich deshalb, weil er darin eine Problematisierung von Männlichkeit vornimmt und sich damit – als Rap-Persona –zwischen Kritik und Reproduktion der bestehenden Verhältnisse bewegt. Aus der Beschäftigung mit „Baba“ ist der vorliegende Essay entstanden, der sich anhand der Vater-Sohn-Konstellation um Männerbeziehungen im Sorgemodus dreht. Dieser Modus kann als Gegensatz zur gängigen männlichkeitstheoretischen Betonung der Wettbewerbslogik verstanden werden.
Wie sehr Apsilons Song den Ton der Zeit trifft, verrät ein Blick in Necati Öziris Debütroman Vatermal, der wenige Monate vor „Baba“ im Sommer letzten Jahres erschienen ist und es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Während Öziris Protagonist, der wie Apsilon Arda heißt, aufgrund von Organversagen auf den Tod wartet, schreibt er einen Brief an seinen Vater Metin, den er nie kennengelernt hat, weil dieser noch vor Ardas Geburt die Familie verließ. In dem Brief erzählt Arda seine Geschichte (sowie die seiner Mutter und Schwester), dabei macht er immer wieder deutlich, wie viel ihn doch mit seinem unbekannten Vater verbindet. Die Leser:innen erfahren, dass – in Metins Abwesenheit – andere Männer im Leben von Arda (und seinen Freunden) dafür sorgten, „dass wir Angst bekamen, vor der Berührung mit Männern und anderen Jungs, vor der zu zärtlichen, zu denen selbst eine feste Umarmung gehörte, weil man sonst als schwul galt, genauso wie vor der zu harten, weil überall die nächste Prügelei wartete. Deshalb nahmen wir jeden Typen, der uns auf dem Bürgersteig entgegenkam, erstmal als Bedrohung wahr. Wir wurden einander die Väter, die wir nicht hatten. […] Wir übten, ihr zu sein, auch weil es die anderen von uns erwarteten.“[3]
Hierin klingt eine Perspektive an, wie sie auf ähnliche Weise auch Apsilon in „Baba“ einnimmt. Er arbeitet sich in männlichkeitskritischem Ton an der Figur des Vaters ab, um mit den Männlichkeitsbildern zu brechen, die er von diesem übernommen und selbst verinnerlicht hat. Ob der Vater nun an- oder abwesend ist, in beiden Fällen steht er für etwas gesellschaftlich Tradiertes, von dem sich die Söhne lösen wollen.[4] Die (selbst-)reflexive Thematisierung von tradierten Männlichkeitsbildern ist keineswegs neu, auch nicht in der deutschsprachigen Popkultur. Schon in den 1980er-Jahren sang sich Herbert Grönemeyer mit den Worten in die Charts, Männer seien außen hart, aber innen weich und verletzlich, sie weinten heimlich und bräuchten viel Zärtlichkeit. Vierzig Jahre später fallen die Vater-Sohn-Geschichten von Apsilon und Necati Öziri jedoch in eine Zeit, in der Männlichkeit hörbarer denn je problematisiert wird und immer mehr Menschen das Ende des Patriarchats fordern.[5] Die Bewegung #MeToo, die seit 2017 breite öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, und die neuerliche Rede von toxischer Männlichkeit sind wichtige Marker für diese Entwicklung.
Während feministische Bewegungen dafür sensibilisiert haben, inwiefern Frauen und andere FLINTA-Personen in patriarchalen Strukturen unterdrückt werden, widmet sich Apsilons „Baba“ stärker der Frage, was traditionelle Männlichkeitsentwürfe mit Männern ‚anstellen‘ und wie sie die sozialen Beziehungen zu anderen Männern prägen. Damit stellt er einen Beziehungsmodus infrage, der sich in unserem theoretischen Denken über Männlichkeit seit mehr als 25 Jahren festgesetzt hat. Hierbei ist vor allem an die Arbeiten von Raewyn Connell und Pierre Bourdieu zu denken, die zweifelsohne die größten theoretischen Spuren in der Männlichkeitsforschung hinterlassen haben. So sehr sich Connells Konzept hegemonialer Männlichkeit[6] und Bourdieus Überlegungen zur männlichen Herrschaft[7] unterscheiden, lehren sie uns doch beide, dass der wesentliche Beziehungsmodus unter Männern der des Wettbewerbs ist. Als vorherrschend gilt ein Gegeneinander, das durchaus verbindend wirken kann, wie Michael Meuser am Beispiel von Hooligans, studentischen Verbindungen, Jugendgangs und der Hip-Hop-Szene argumentiert hat.[8] Und doch erscheinen andere Männer hier in erster Linie als Gegenspieler, mitunter sogar als „Bedrohung“, als Vorboten für die „nächste Prügelei“, um es in den Worten von Öziris Protagonisten zu sagen.
Im Fall Herbert Grönemeyer ist es die Zeit (sein Song „Männer“ erschien 1984), für die die männlichkeitsreflexive Haltung erst einmal überraschend erscheint, bei Apsilon ist es das Musikgenre. Denn selten zeigt sich die „kompetitive Struktur […], die männlich-homosozialen Beziehungen in hohem Maße zu Eigen [sic] ist“,[9] so deutlich wie im Rap, wo sich das Gegeneinander vor allem in Form von aggressiv anmutenden Sprechhandlungen äußert, die Akte der Selbstüberhöhung und Beleidigung einschließen.[10] Doch wer sich mit der Geschichte des Genres beschäftigt und die Arbeiten der Soziologin Heidi Süß liest, der erfährt, dass Rap – ob in den USA oder in Deutschland – neben hypermaskulinen, kompetitiven Performances immer auch solidarische und fürsorgliche Töne kannte, was die problemorientierte öffentliche Perspektive gerne überblendet.[11] Süß stellt Genrevertreter in den Fokus, die etwa ihre Sorgearbeit als Väter zum Thema machen.[12] Der Forschungsstrang, an den sie damit anschließt, stellt der klassischen männlichkeitstheoretischen Überbetonung von Wettbewerb und Hierarchie Männlichkeitskonstruktionen gegenüber – oder zumindest an die Seite –, die sich wesentlich auf die Care-Dimension beziehen. Mit Referenz auf Karla Elliott, die den Begriff der Caring Masculinities geprägt hat, schreibt Süß: „Mag sich männliche Identität [im Rap] durch die Hegemonie der Gangsta-Männlichkeit bis heute entlang von Härte, Dominanz und Konkurrenzdenken ausbilden, so gab und gibt es immer schon männliche HipHop-Identitätsmodelle, ‚that reject domination and its sociated traits and embrace values of care such as positive emotion, interdependence, and relationality‘.“[13]
In diese Tradition lässt sich Apsilons „Baba“ einfügen, in dem es um eine besondere männlich-homosoziale Beziehung geht: die zwischen Vater und Sohn. Diese kann nicht einfach mit anderen Männerbeziehungen, etwa unter Gleichaltrigen, gleichgesetzt werden. Für gewöhnlich zeichnet sie sich durch einen ausgeprägten Anspruch auf Fürsorge und Zuneigung aus. Und trotzdem schlägt zuweilen auch hier die Wettbewerbslogik – ein Sich-Messen mit dem Vater – durch, wie die wenigen soziologischen Arbeiten zeigen, die zur Vater-Sohn-Beziehung existieren.[14] Demgegenüber zielen die folgenden Ausführungen darauf ab, anhand von „Baba“ einen vom Sohn erzählten Beziehungsmodus herauszuarbeiten, bei dem der Vater und auch andere Männer weniger als Gegenspieler und vielmehr als verletzliche, sorgewürdige Subjekte erscheinen. Die damit einhergehende kritische Abkehr von überlieferten Männlichkeitsbildern aufseiten des Sohnes ist in der Forschung bislang unterbelichtet geblieben. Hierbei geht es mir nicht darum, diesen Beziehungsmodus in all seiner empirischen Vielschichtigkeit zu beschreiben. Vielmehr möchte ich ihn anhand des Songs idealtypisch charakterisieren und zeigen, welche Bedeutung der Vaterfigur für die Kritik an bestehenden Verhältnissen zukommt. Dazu gehe ich zuerst auf zwei soziologische Texte ein – einen Klassiker und eine aktuelle Studie –, die mir geholfen haben, „Baba“ in Auseinandersetzung mit etablierten, in der kompetitiven Logik denkenden Perspektiven zu analysieren.
Vater-Sohn-Beziehungen im Wettbewerbsmodus
Ein wichtiger soziologischer Klassiker über das Vater-Sohn-Verhältnis ist Bourdieus Aufsatz zum „väterlichen Erbe“, der im Rahmen der Studie Das Elend der Welt erschienen ist.[15] Der Soziologe sieht den Kern des väterlichen Erbes darin, das „Lebenswerk“ des Vaters weiterzuführen und so dessen gesellschaftliche Position aufrechtzuerhalten. „In vielen Fällen“, so Bourdieu, „muß man sich hierfür vom Vater unterscheiden, ihn übertreffen und in gewissem Sinne negieren. Dies geht nicht ohne Probleme vonstatten, und zwar einerseits für den Vater, der dieses mörderische Übertroffenwerden durch seinen Nachkommen gleichzeitig wünscht und fürchtet, und andererseits für den Sohn, der sich mit einer Mission beauftragt sieht, die ihn zu zerreißen droht und die als eine Art Transgression erlebt werden kann.“[16] Der Sohn tritt also gewissermaßen in ein Konkurrenzverhältnis zum Vater und wird dadurch in die „ernsten Spiele des Wettbewerbs“[17] eingeführt. Dies ist deshalb entscheidend, weil in den zentralen gesellschaftlichen Feldern (der Ökonomie, der Politik, des Sports usw.) vorwiegend Männer um Positionen und Ansehen kämpfen und sich dabei ihrer männlichen Überlegenheit vergewissern.
Bei der Suche danach, wie in den Sozialwissenschaften heute über Vater-Sohn-Beziehungen nachgedacht wird, bin ich auf die Geschichten von Severin und Pascal gestoßen, die ein Beleg dafür sind, wie sehr Bourdieus Überlegungen auch dreißig Jahre später noch männlichkeitstheoretisches Denken prägen. Severin und Pascal sind Pseudonyme. Sie wurden für ein Forschungsprojekt interviewt, das sich den Vorstellungen widmet, die männliche Jugendliche von Fürsorge haben.[18] Die beiden erwiesen sich für die Projektmitarbeiterinnen Iris Schwarzenbacher und Nadine Nebiye Başer als besonders interessant, weshalb sie sie zu den Protagonisten eines sehr lesenswerten Aufsatzes machten. Dieser geht der Frage nach, wie sich in Vater-Sohn-Beziehungen die intergenerationale Weitergabe eines männlichen Habitus vollzieht, und bezieht sich dabei auf Bourdieus Begriff des Erbens.[19]
Über den 13-jährigen Severin erfahren wir, dass er auf ein Musikgymnasium geht sowie dass seine Mutter als Ärztin und sein Vater für ein internationales Großunternehmen tätig ist. Die Beziehung zu seinem Vater beschreiben Schwarzenbacher und Başer als ein Meister-Schüler-Verhältnis, was sich auf gemeinsame Lern- und Musiziersessions bezieht, die für Severin – angesichts der Strenge und intellektuellen Unerreichbarkeit des Vaters – mit großem Leistungsdruck einhergehen. Pascal ist 15 Jahre alt, lebt bei seiner Mutter, einer Pflegerin, verbringt aber regelmäßig Zeit bei seinem Vater, der als Reinigungskraft und in der Gastronomie arbeitet. Pascals Überhöhung des Vaters beruht auf dessen sozialer Beliebtheit und physischer Durchsetzungskraft, die Pascal zuweilen auch Angst bereitet. So sehr sich die beiden Vater-Sohn-Beziehungen lebensweltlich unterscheiden, ähneln sie sich doch in zwei Hinsichten, in denen die Autorinnen fortdauernde tradierte Männlichkeitskonstruktionen erkennen.
Bei beiden Jugendlichen zeigt sich eine starke Idealisierung ihrer Väter. Sie erzählen sie mit unterschiedlichen Nuancierungen als unfehlbar und unverletzlich, betonen ihre intellektuelle oder physische Überlegenheit und messen sich an ihren Leistungen, die sie auf ihre jeweilige Weise zu kopieren versuchen. Darüber hinaus sind die Väter in beiden Geschichten emotional unzugänglich und verwehren sich der Rolle als Ansprechpartner, wenn ihre Söhne mit emotional belastenden Themen zu kämpfen haben. Mitunter wirken sie sogar bedrohlich, mindestens einschüchternd auf Severin und Pascal. Daraus ergeben sich für die Jugendlichen erhebliche Konflikte in ihrer Habitus- beziehungsweise Identitätsbildung, denen sie paradoxerweise so begegnen, dass sie die von ihren Vätern vorgelebten Männlichkeitskonstruktionen umso eifriger nachahmen, wie Schwarzenbacher und Başer gegen Ende des Aufsatzes festhalten und folgendermaßen auf den Punkt bringen: „Das Erben stellt sich als eine unlösbare Aufgabe dar, die aber umso stärker verfolgt wird.“[20]
Es zeigt sich also, dass die Autorinnen in Auseinandersetzung mit den beiden Fällen Bourdieus Betonung des Wettbewerbs verhaftet bleiben und damit verbunden ein starkes Beharrungsvermögen tradierter Männlichkeitskonstruktionen feststellen. Was aber, wenn das väterliche Erbe infrage gestellt und der Unmut über unbefriedigte „Beziehungsbedürfnisse“[21] nicht durch übereifrige Nachahmungsversuche kompensiert, sondern offen artikuliert wird? Würde Pascal, der ebenfalls von einer Karriere als Rapper träumt, einen Song über seinen Vater schreiben, klänge dieser sicherlich ganz anders als „Baba“, der einen reflexiven, kritischen Ton anschlägt und die kompetitive Logik unterläuft: „Ich wünscht’, er hätte mir gezeigt, ja, dass man als Baba weint in echt.“ Um nicht missverstanden zu werden: Ich begreife den Songtext als lyrische Selbsterzählung und möchte hiermit nicht narrative Interviews und Songtexte auf eine Analyseebene stellen, was methodisch unsauber wäre. Vielmehr versuche ich, die Stimmen von Severin und Pascal um eine weitere empirische, wenn auch künstlerisch zugespitzte Stimme zu ergänzen: die von Apsilon. Sie steht für eine selbstreflexive Männlichkeitskritik, die in den letzten Jahren an gesellschaftlicher Bedeutung und diskursivem Gewicht zugelegt hat.[22]
„Ich hab das auch, Baba“: Männliche Beziehungen im Sorgemodus
Apsilon ist Mitte zwanzig[23] und in Berlin-Moabit aufgewachsen. Er hat inzwischen drei EPs veröffentlicht, die sich inhaltlich viel um strukturellen Rassismus, Polizeigewalt und kapitalistische Ausbeutung drehen, aber auch Themen behandeln, die weniger gesellschaftskritisch daherkommen, etwa wenn er über gescheiterte Liebe oder schlaflose Nächte in seinem Kiez schreibt. Über die Eltern des Rappers ist kaum etwas bekannt. In seinen Songtexten und Interviews erzählt er jedoch oft von seinen Großeltern, die in den 1970er-Jahren im Zuge des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens als sogenannte Gastarbeiter:innen nach Deutschland kamen. So ist im Musikvideo zu „Baba“ Apsilons Großvater väterlicherseits zu sehen, der seinem Enkel in dem gut zweieinhalb-minütigen Video eine Bartrasur verpasst, während dieser die folgenden Zeilen rappt (es folgt der vollständige Songtext):
Strophe 1:
Mein Baba hat ein’ starken Rücken,
der schleppt viel mit sich rum bei Nacht.
Ich wünscht’, er wär’ ein bisschen schwächer,
dann hätt’s ihn nicht kaputt gemacht.
Ich wünscht’, er wär’ ein bisschen echter,
dann könnt’ ich bisschen schwächer sein.
Ich wünscht’, er würd’ nicht immer lächeln,
dann könnt’ ich Schmerz, der echt ist, zeigen.
Ich wünscht’, er würd’ nicht immer renn’n
und sich dabei die Beine brechen.
Ich wünscht’, er hätte mir gezeigt, ja,
dass man als Baba weint in echt.
Refrain:
Ich fühl’ sehr viel, wenn ich schweig’,
ich fühl’ wenig, wenn ich rede,
ich bin auch manchmal allein, komm’ mir selber in die Quere,
ich hab’ auch meine Probleme, Augen taub in meiner Gegend,
ich hab’ auch meine Probleme, ich hab’ auch, Baba,
ich hab’ das auch, Baba,
ich kenn’ das auch, ja,
ich hab’ das auch, Baba.
Strophe 2:
Mein Baba hat ein’ starken Rücken,
guck’, wie viel Druck auf meine Schultern passt.
Ich wünscht’, ich wär’ ein bisschen schwächer,
dann hätt’s mich nicht kaputt gemacht.
Ich wünscht’, er hätt’ mehr Wunden offen,
dann könnten meine besser heilen.
Dann müsst’ ich mich nicht immer schlecht fühlen,
wenn mir jemand die Hände reicht.
Ich wünscht’, er würd’ nicht immer renn’n
und sich dabei die Beine brechen.
Ich wünscht’, er hätte mir gezeigt, ja,
dass man als Baba weint in echt.
Refrain
Zunächst fällt auf, dass Apsilon an keiner Stelle explizit von Männlichkeit spricht. Weil der Text aber lediglich vom Vater handelt, ist alles Gesagte vor dem Hintergrund der Männlichkeitsthematik zu verstehen. Dies spiegelt die mediale Rezeption des Songs wider,[24] schließlich ist Apsilon im Zusammenhang mit dem Song zu einer männlichkeitskritischen öffentlichen Stimme geworden.[25] Bei mehreren Gelegenheiten machte er deutlich, dass es ihm mit „Baba“ nicht in erster Linie um die Aufarbeitung einer persönlichen Beziehung, sondern um strukturelle Muster geht, um gesellschaftlich vermittelte Männlichkeitserwartungen, die er kritisch hinterfragen und überwinden möchte.
In der Kritik des Bestehenden liegt der offensichtlichste Unterschied zwischen Apsilons Vater-Sohn-Erzählung und den Schilderungen, die wir von Severin und Pascal gehört haben; in der Abkehr vom väterlichen Erbe, das sich als Teil des gesellschaftlichen Erbes entschlüsseln lässt und das hier in Form einer unverwundbaren Männlichkeit aufscheint. Apsilon teilt mit den beiden Jugendlichen das Schicksal, Sohn eines emotional unzugänglichen Vaters zu sein, sowie die inneren Konflikte, die hieraus erwachsen. Im Unterschied zu den beiden erscheint er jedoch als widerständiger Erbe, der sich die Leiden, die die Erbschaft strukturell mit sich bringt, bewusst gemacht hat und der aus den gesellschaftlich tradierten Mustern ausbrechen möchte. So klingt in „Baba“ ein Beziehungsmodus an, bei dem statt einem kompetitiven Nacheifern ein sorgender Zugang im Zentrum steht, der sensibel ist für die eigene Verletzbarkeit und die Verletzbarkeit des Vaters – und der außerdem mit dem Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung einhergeht.
Dass Apsilon seinem Vater zu Beginn des Songs einen „starken Rücken“ zuschreibt, ist nicht als Ausdruck von Bewunderung und Idealisierung zu verstehen. Diese Stärke ist keine, an der er sich messen möchte, die er als nachahmenswert empfindet, auch wenn er die Nachahmung in Teilen vollzogen hat. Stattdessen kann der starke Rücken als Metapher gedeutet werden, mit welcher der Rapper umschreibt, dass sein Vater sich nach außen hin nicht anmerken lässt, wenn ihn etwas belastet, dass er seine Sorgen lieber allein mit sich herumträgt als sie mit anderen zu teilen. In dem Zusammenhang wünscht sich Apsilon, dass sein Vater „ein bisschen schwächer“ und „echter“ wäre, worin anklingt, dass dieser sein ‚wahres‘ – verletzliches – Selbst oft nicht zeigt, sondern hinter einer immerzu lächelnden Fassade verbirgt. Mit dieser Bildsprache erinnert der Song an JJ Bolas im Jahr 2019 erschienenes Buch Mask Off, in dem der britische Autor Männlichkeitsinszenierungen, die Gefühle negieren und Stärke betonen, als Maske begreift, die es abzulegen gelte,[26] so wie sich Apsilon wünscht, dass sein Vater auch mal sein Lächeln ablegt.[27]
Dabei wird deutlich, wie sehr er sich doch vom väterlichen Erbe geprägt sieht. Denn wenn Baba nicht immer lächeln würde, wenn er echter wäre, dann könnte auch sein Sohn schwächer sein und echten Schmerz zeigen. Eng damit verbunden wünscht sich Apsilon in der zweiten Strophe einen Vater, der ihm vorgelebt hätte, dass auch ein Baba „in echt“ weint. Damit verweist er auf dessen Verantwortung als männliches Vorbild, von dem er – zwangsläufig – Verhaltensmuster übernommen hat, unter denen er heute leidet: Auch ihm fällt es schwer, sich verletzlich zu zeigen und Hilfe von anderen anzunehmen („wenn mir jemand die Hände reicht“). Dass er dies so offen bedauert, unterscheidet seine (lyrische) Selbsterzählung von den Erzählungen der jungen Männer um Severin und Pascal, die für das Forschungsprojekt zum Verhältnis von Männlichkeit und Fürsorge interviewt wurden.[28] Laut Projektleiterin Sylka Scholz ist die Sorge um andere durchaus mit Männlichkeitskonstruktionen vereinbar, weil sie sich als erwachsene männliche Verantwortungsübernahme darstellen lässt und das Selbstbild als autonomes Subjekt nicht gefährdet. Jedoch rückten die interviewten Jugendlichen ihre eigenen „Bedürfnisse nach Fürsorge und Zuneigung […] in den Hintergrund“,[29] während Apsilon seine emotionale Bedürftigkeit und den Wunsch, Hilfe von anderen zulassen zu können, unverstellt zum Ausdruck bringt.
Der Song ist jedoch nicht als persönlicher Vorwurf an seinen Vater zu verstehen, wie Apsilon in einem Interview mit dem Stern klarstellt. Vielmehr entpuppt er sich – wie schon erwähnt – als eine umfassendere Kritik an hegemonialen Männlichkeitskonstruktionen, die das Offenbaren und Teilen von Verletzbarkeit nicht beinhalten,[30] was Vater und Sohn auf schmerzhafte Weise verbindet. „Ich hab’ das auch, Baba, ich kenn’ das auch, ja“, heißt es im Refrain. Apsilon kann sich also mit dem Leid identifizieren, das er bei seinem Vater hinter der vermeintlich starken Fassade erkennt und das er unter anderem auf die gesellschaftlich tradierte Erwartung an Männer zurückführt, ihre Verletzbarkeit zu unterdrücken. Wenn er und Baba schwächer und echter sein könnten, „hätt’s [sie] nicht kaputt gemacht“. Apsilon beschreibt die Vaterfigur also nicht in Kategorien von Idealisierung, Leistungsdruck und (mitunter bedrohlicher) Stärke, wie es bei Severin und Pascal der Fall ist. Stattdessen erscheint sie als ein verletzliches Subjekt, in das sich der Sohn hineinversetzen kann, nicht zuletzt weil er als männlich sozialisiertes Gesellschaftsmitglied die beschriebenen Leidenserfahrungen des Vaters teilt.
Die Sorge um den Vater mag nicht groß überraschen, schließlich ist Apsilon im Unterschied zu den beiden Jugendlichen in einem Alter, in dem sich das zunächst einseitig angelegte Sorgeverhältnis zwischen Eltern und Kind für gewöhnlich angleicht und sich die Kinder zunehmend auch um das Wohlergehen ihrer Eltern kümmern. Bei Apsilon kommt dem Erzählen vom Vater jedoch zwei Bedeutungen zu, die über die Selbstbeschreibung eines sich sorgenden Sohnes hinausgehen: Zum einen erscheint der Vater als die zentrale gesellschaftliche Sozialisationsinstanz, über die Männlichkeitsbilder und -erwartungen vermittelt und reproduziert werden. Er steht für eine tradierte und überlieferte Männlichkeit, die noch Gegenwart in den Köpfen und Praktiken vieler Männer ist, da sie von den Vätern an die Söhne weitergegeben wird. Zum anderen hilft die emotional besetzte und emblematische Vaterfigur dabei, das bestehende Verhältnis von Männlichkeit und Verletzbarkeit allgemeiner zu hinterfragen. Viele Menschen kennen und verstehen vermutlich die Sorge um einen gebrechlich werdenden Vater, der seine inneren Leiden zu überspielen versucht. Apsilon greift diese Sorge auf, um mehr emotionale Bedürftigkeit von Männern im Allgemeinen einzufordern und die Leiden auf eine gesellschaftliche Männlichkeitsproblematik zurückzuführen, von der Väter wie Söhne betroffen sind. Dabei geht es ihm vor allem um die Verletzbarkeit junger migrantischer Männer (wie er einer ist), die in rassifizierenden öffentlichen Debatten für gewöhnlich eher mit Gefahr und Gewalt und weniger mit Vulnerabilität assoziiert werden.[31] So erzählt der Rapper abseits des Songs von der Beziehung zu seinen männlichen, überwiegend migrantischen Freunden, denen er einen ähnlich verschlossenen Umgang mit dem eigenen Innenleben attestiert.
Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten, dass uns hegemoniale Männlichkeitstheorien wie die von Bourdieu und Connell einerseits und Apsilons „Baba“ andererseits zwei distinkte idealtypische Beziehungsmodi unter Männern zeigen: den Wettbewerbsmodus und den Sorgemodus. In Ersterem erscheinen Männer als autonome, gegeneinander gerichtete Akteure, deren emotionales Innenleben weitgehend verschlossen bleibt und die für andere Männer vor allem ‚oberflächlich‘ relevant werden: als konkurrierende, zuweilen bedrohliche Körper. Im Sorgemodus hingegen begegnen sich Männer eher als miteinander verbundene, leiblich verfasste und verletzbare Wesen. Sie besitzen eine psychisch-emotionale Verfasstheit und damit verbunden ein Recht auf Fürsorge, beides gilt es – zumindest in Apsilons gesellschaftskritischer Stoßrichtung – gegen die überlieferten Männlichkeitserwartungen einer kapitalistischen, kompetitiv und hierarchisch organisierten Gesellschaft zu behaupten.
Was keineswegs heißen soll, dass der Sorge- den Wettbewerbsmodus ausschließt und in einer Brust nicht beide Modi schlagen können. Die Rap-Persona Apsilon ist selbst ein Beispiel dafür, dass es möglich ist, sich als empathischer, männlichkeitskritischer Sohn und Mann darzustellen und zuweilen die Ellbogen auszufahren, was erkennen lässt, wie stark auch er von den bestehenden Verhältnisse geprägt ist. So finden sich in der noch jungen Diskografie des Berliners Tracks, in denen er sich auf wettbewerbsförmige Weise zu anderen (männlichen) Rappern in Beziehung setzt – und diese abwertet. Etwa wenn er sich in dem Song „Kes“ in klassischer Battlerap-Manier von Genrekollegen abgrenzt, die sich ihren „Hype“ erkaufen würden, und diesen zu verstehen gibt: „Kill euch locker in 16 Bars.“ Wünscht sich Apsilon in „Baba“, dass sein Vater „nicht immer renn’n und sich dabei die Beine brechen“ würde, bricht er in „Kes“ einem imaginierten Gegenüber mit einem „Crossover“ den Fuß und inszeniert somit die eigene Überlegenheit und Verletzungsmacht.[32]
Der sorgende, stärker verleiblichte und interdependente Beziehungsmodus, der hier im Fokus stand, kann durchaus missbräuchlich interpretiert werden, wenn männliche Betroffenheit gegen die vielfältigen Benachteiligungen und Verletzungen ausgespielt wird, die FLINTA-Personen strukturell erfahren. Dann spielt er einem patriarchalen Backlash in die Karten, dessen Vertreter darauf abzielen, männliche Hegemonie aufrechtzuerhalten. Für eine geschlechtergerechtere Entwicklung sorgt dieser Beziehungsmodus hingegen, wenn er – und so deute ich Apsilons „Baba“ – mit dem Wunsch nach einer Auflösung patriarchaler Strukturen verbunden ist. Um es in Anlehnung an Bourdieus Theoriesprache zu sagen, geht es dann nicht darum, den Vater oder andere Männer durch ein leistungsorientiertes, ‚mörderisches Übertreffen‘ zu beerben, sondern über das Verlernen eingeübter und das Erlernen alternativer Männlichkeitskonstruktionen einen kleinen Beitrag zur Veränderung der Geschlechterverhältnisse zu leisten.[33] So gesehen lässt sich „Baba“ als eine diskursive Ressource deuten, die (vor allem Rap-affine) Zuhörer:innen dazu anregen kann, einen verletzungssensibleren Zugang zu sich selbst und zu ihrer Mitwelt zu entwickeln. Und gleichzeitig sollte in Auseinandersetzung mit dem Song deutlich geworden sein, dass sich die Männlichkeitsbilder, die Väter und andere Männer an die Söhne ‚vererben‘ – Necati Öziri spricht hier von Vatermal –, in unserer wettbewerbsorientierten Gesellschaft nicht so einfach zerschlagen lassen.
Fußnoten
- Textstelle aus dem Song „Baba“ von Apsilon (2023).
- Zum ersten Mal hörte ich den Track, als ich mich in der Erhebungsphase meiner Dissertation befand, für die ich Männer zur Problematisierung von Männlichkeit interviewt habe. Wenn ich von „Männern“ schreibe, dann ist zu beachten, dass Männlichkeit vielfältige Formen annehmen kann und zudem nicht alle Personen, die als männlich gelesen werden, sich in ihrer Geschlechtsidentität auch als Männer begreifen. Die Verwendung des Männerbegriffs bietet sich aber deshalb an, weil Apsilon mit „Baba“ vor allem Personen anspricht, die als tradiert verstandene Männlichkeitsbilder verinnerlicht haben.
- Necati Öziri, Vatermal, Berlin 2023, S. 198 f. Vater-Sohn-Geschichten wie diese haben in den letzten Jahren Konjunktur. Um nur eine Auswahl zu nennen: Edouard Louis, Wer hat meinen Vater umgebracht, übers. von Hinrich Schmidt-Henkel, Frankfurt am Main 2019; Christian Baron, Ein Mann seiner Klasse, Berlin 2021; Deniz Utlu, Vaters Meer, Berlin 2023.
- Im Vorwort zu einem Sammelband über Vaterlosigkeit schreibt Dieter Thomä, dass auch anwesende Väter „seltsam abwesend“ sein können, was auf deren emotionale Unzugänglichkeit anspielt, um die es auch in „Baba“ geht. Ders., Vorwort des Herausgebers, in: ders. (Hg.), Vaterlosigkeit. Geschichte und Gegenwart einer fixen Idee, Berlin 2010, S. 7–10, hier S. 9.
- Wobei nicht unterschlagen werden darf, dass parallel zur Infragestellung männlicher Hegemonie autoritäre Gegenbewegungen zu beobachten sind, die sich durch eine antifeministische Schlagrichtung auszeichnen und mitunter gewaltsam auf eine Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse hinwirken wollen. Siehe dazu etwa Susanne Kaiser, Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen, Berlin 2020; Jacob Johanssen, Die Mannosphäre. Frauenfeindliche Communitys im Internet, Köln 2023; Oliver Decker / Johannes Kiess / Ayline Heller / Julia Schuler / Elmar Brähler, Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2022. Methode, Ergebnisse und Langzeitverlauf, in: Oliver Decker / Johannes Kiess / Ayline Heller / Elmar Brähler (Hg.), Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?, Leipzig 2022, S. 31–90, hier S. 74 ff.
- Robert Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, übers. von Christian Stahl, Wiesbaden 1999. Die australische Soziologin Raewyn Connell ist transgeschlechtlich und hat ihren männlichen Geburtsnamen abgelegt.
- Pierre Bourdieu, Die männliche Herrschaft, übers. von Jürgen Bolder, Frankfurt am Main 2005.
- Michael Meuser, Ernste Spiele. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb der Männer, in: Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 und 2, Frankfurt am Main 2008, S. 5171–5176.
- Ebd., S. 5171.
- Heidi Süß, Sex(ismus) ohne Grund? Zum Zusammenhang von Rap und Geschlecht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 68 (2018), 9, S. 27–33, hier S. 27.
- Heidi Süß, Vaterschaft, Selbstzweifel, Angeln. Die Care-Seite des deutschsprachigen Rap, in: Martin Dinges (Hg.), Männlichkeiten und Care. Selbstsorge, Familiensorge, Gesellschaftssorge, Weinheim/Basel 2020, S.222–241.
- Konkret analysiert sie die Songs „Papa“ von Bushido und „Sand in die Augen“ von Danger Dan. Ebd., S. 233 ff.
- Ebd., S. 230. Siehe zum Konzept von Caring Masculinities siehe Karla Elliott, Caring Masculinities. Theorizing an Emerging Concept, in: Men and Masculinities 19 (2016), 3, S. 240–259; Andreas Heilmann / Sylka Scholz, Caring Masculinities – gesellschaftliche Transformationspotentiale fürsorglicher Männlichkeiten?, in: Feministische Studien 35 (2017), 2, S. 345–353.
- Zwar gibt es inzwischen eine Reihe von Untersuchungen zu Vätern. Siehe etwa Diana Baumgarten / Diana Lengersdorf / Michael Meuser, Caring Masculinities? Zum Wandel (des Verständnisses) väterlicher Verantwortung, in: Anna Buschmeyer / Claudia Zerle-Elsäßer (Hg.), Komplexe Familienverhältnisse. Wie sich das Konzept ‚Familie‘ im 21. Jahrhundert wandelt, Münster 2020, S. 63–86. Diese drehen sich jedoch überwiegend um den Wandel von Vaterschaft und Männlichkeiten, während aus der Perspektive von Kindern erzählte Vater-Kind-Beziehungen bislang kaum erforscht wurden.
- Pierre Bourdieu, Widersprüche des Erbes, übers. von Daniela Böhmler, in: ders. et al., Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, Konstanz 1997, S. 651–658.
- Bourdieu, Widersprüche des Erbes, S. 651.
- Pierre Bourdieu, Die männliche Herrschaft, in: Irene Dolling / Beate Krais (Hg.), Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis, Frankfurt am Main 1997, S. 153–217, hier S. 203.
- Konkret handelt es sich um das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte und an der Friedrich-Schiller-Universität Jena angesiedelte Projekt „Fürsorgliche Jungen? Alternative (Forschungs-)Perspektiven auf die soziale Krise der Reproduktion“ (2019–2022), das die Soziologin Sylka Scholz leitete.
- Iris Schwarzenbacher / Nadine N. Başer, Männlichkeiten erben. Vergeschlechtlichte Habitusbildung und Erbprozesse in Vater-Sohn-Beziehungen, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 43 (2023), 1, S. 40–55.
- Ebd., S. 52.
- Ebd., S. 53.
- Wie es auch bei der Analyse von Interviews geboten ist, möchte ich bei der Analyse des Songtexts nicht von der Ebene diskursiver Inszenierung auf die lebensweltliche Praxis schließen, die sich lediglich über ein ethnografisches Vorgehen erforschen ließe.
- Damit ist er rund zehn Jahre älter als Severin und Pascal. Auch das gilt es zu berücksichtigen, wenn ich ihre Geschichten zu Vergleichszwecken heranziehe.
- So etwa Micha Wagner, „Ich hab das auch, Baba“. Apsilon lässt die Fassade der Männlichkeit bröckeln [25.4.2024], in: Diffus, 12.11.2023; Kimberly Madox, Auch Babas weinen [25.4.2024], in: Missy Magazine, 11.3.2024.
- Als Die Zeit im September letzten Jahres 44 Männer – darunter etliche prominente Politiker und Kulturschaffende – fragte, was es für sie bedeutet, ein Mann zu sein, wählte sie ein Zitat aus Apsilons Antwort als Titel: „Männlichkeit, wie sie in der kapitalistischen Gesellschaft medial und familiär vermittelt wird, sitzt tief in unserer Brust und lässt keinen Platz für Schwäche, Traurigkeit und Ehrlichkeit. Ich wünschte, wir wären ein bisschen schwächer, dann hätte es uns nicht kaputtgemacht.“ Anna-Lena Jaensch u.a., „Ich wünschte, wir wären ein bisschen schwächer“ [25.4.2024], in: Zeit Online, 19.9.2023.
- JJ Bola, Mask Off. Masculinity Redefined, London 2019. Dabei handelt es sich um das englischsprachige Original des Spiegel-Bestsellers ders., Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist, übers. von Malcolm Ohanwe, Berlin 2020.
- Ähnlich dazu spricht die Soziologin Mechthild Bereswill von einer „kollektive[n] Camouflage“, von einer „Demonstration von Unverletzbarkeit“. Dies., Männlichkeit und Gewalt. Empirische Einsichten und theoretische Reflexionen über Gewalt zwischen Männern im Gefängnis, in: Feministische Studien 24 (2006), 2, S. 242–255, hier S. 246. Das bezieht sich zwar auf junge inhaftierte Männer und deren Inszenierungen von Stärke und Gewaltbereitschaft, um Übergriffen durch andere Gefängnisinsassen vorzubeugen. Der Gedanke kann aber genereller auf jene Männlichkeitsdarstellungen übertragen werden, die Apsilon und JJ Bola vor Augen haben.
- An der Stelle ist noch einmal der Hinweis geboten, dass im Rahmen von Songtexten andere Thematisierungsweisen wahrscheinlich sind als in (narrativen) Interviews, deren Inhalte maßgeblich von der Befragungssituation und den interaktiven Dynamiken zwischen Interviewer:in und Interviewee geprägt sind.
- Sylka Scholz, Fürsorgliche Jungen? Die Relevanz von Care im Leben männlicher Jugendlicher [18.6.2024], in: Junge*Junge – Das Magazin (2022), 1, S. 4–7, hier S. 6 (meine Herv., D.S.).
- Julian Schelmer, Apsilon: „Die Gespräche mit meinen Großeltern haben mich emotional politisiert“ [25.4.2024], in: Stern, 11.2.2024.
- Paul Scheibelhofer, Der fremd-gemachte Mann. Zur Konstruktion von Männlichkeiten im Migrationskontext, Wiesbaden 2018, S. 53 ff. Bereits an anderer Stelle wurde „Baba“ bezogen auf die spezifischen Erfahrungen und Probleme junger Männer mit Migrationsgeschichte gedeutet. Siehe etwa Ahmad Al-Balah, Apsilon: „Ich kenn’ das auch, Baba“ – Wohin mit unserer Trauer und Wut? [25.4.2024], in: Perspektive Online, 19.2.2024.
- Beim Crossover handelt es sich um eine Art des Dribblings im Basketball, das meist darauf abzielt, am Gegenspieler vorbeizuziehen und näher in Richtung des gegnerischen Korbs zu gelangen.
- Folgt man etwa dem Sexualwissenschaftler Kim Posster, dann darf eine radikale Kritik am Patriarchat nicht bei jener Art der Selbstverbesserung von Männern stehen bleiben, die sich lediglich um deren individuellen Charakter dreht. Um zu grundlegenderen Veränderungen beizutragen, müssten sich Männer profeministisch organisieren und die politischen Kämpfe unterstützen, die auf die Überwindung der kapitalistischen Geschlechterordnung abzielen. Ders., Entgiftungskur fürs Patriarchat. Warum der Begriff der „toxischen Männlichkeit“ zu kurz greift, in: Konkret (2018), 11, S. 47–49, hier S. 49.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Wibke Liebhart.
Kategorien: Care Familie / Jugend / Alter Gender Migration / Flucht / Integration
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