Lukas Hoffmann | Podcast / Video |

Wider den Pessimismus von Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen!

Eine studentische Webseite zeigt Perspektiven für unterschätzte Studienrichtungen auf

AbsolventInnen geistes- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge, die sich für die Berufsrelevanz ihres Studiums interessieren und sich nicht mit der vermeintlichen Perspektivlosigkeit nach dem Studium abfinden möchten, können sich nun über spätere Tätigkeitsfelder auf habitway, einer Berufsinformationsplattform für Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen, informieren und miteinander vernetzen.

Das Studium der Geistes- oder Sozialwissenschaften ist von einer Breite und Vielfalt gekennzeichnet, die sich in wenigen naturwissenschaftlichen oder technischen Studiengängen wiederfinden lässt. Freilich wird dieses Merkmal nicht immer als positive Eigenschaft angesehen. Selbst Studierende einer geistes- oder sozialwissenschaftlichen Disziplin schätzen häufig ihre unmittelbaren Erfolgschancen in einem für sie geeigneten Beruf als gering ein. Negative Erwartungen hinsichtlich der Karrieremöglichkeiten von Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen scheinen sich in mancherlei Hinsicht zu bestätigen, schaut man sich Anzeigen für reguläre Stellen oder auch nur Praktika an. Für die wenigsten gut bezahlten Jobs in der freien Wirtschaft werden ausschließlich AbsolventInnen eines sozialwissenschaftlichen Studiums gesucht. Vielmehr gelten Studiengänge dieser Fachrichtungen, wenn überhaupt, neben mehreren anderen Studienrichtungen als Qualifikation. Man hat hier und da den Eindruck, Geistes- oder Sozialwissenschaften würden lediglich der Vollständigkeit halber oder gar aus Mitleid mit aufgeführt. Entsprechend sind die Erfolgsaussichten für AbsolventInnen dieser Fächer, zumal sie oft mit denen anderer Disziplinen konkurrieren, bisweilen schlecht.

Diese düstere Prognose betrifft selbstverständlich nicht alle AbsolventInnen der Soziologie, Germanistik, Politikwissenschaft, Philosophie, Kommunikations- und Sprachwissenschaft, Kulturwissenschaft, Anthropologie usw. gleichermaßen. Dennoch ist von vielen Seiten zu hören, dass das Manko dieser Studiengänge ihr fehlender Berufsbezug sei. Human- und Gesellschaftswissenschaftler bilden, so mag man daraus schließen, lediglich ihren Geist weiter, folgen also einem Weg, der mit dem Abschluss des Studiums zu enden scheint. Was danach folgt, ist ungewiss und macht vielen Studierenden Sorgen, zumal sie sich oft genötigt sehen, ihre Fachwahl auch gegenüber einem skeptischen familiären und gesellschaftlichen Umfeld zu rechtfertigen.

Doch der Pessimismus ist unbegründet. Selbst wenn man sich gegen eine (auch nicht unbedingt Sicherheit versprechende) wissenschaftliche Laufbahn entscheidet, finden sich bei genauerer Betrachtung zahlreiche Berufsfelder für AbsolventInnen dieser Studienrichtungen. Zwar richten sich Stellenausschreibungen oft nicht ausschließlich an Geistes- oder SozialwissenschaftlerInnen, vielfach werden deren Kompetenzen aber durchaus geschätzt. Freilich müssen AbsolventInnen damit rechnen, dass ihnen vor allem Praktika (sowie Volontariate) angeboten werden – schließlich können die inserierenden Unternehmen und Organisationen so bisweilen reguläre Stellen einsparen. Dass auf das Studium Prekarität und Praktika folgen, ist aber kein Naturgesetz.

In der freien Wirtschaft ist nicht nur das Personalwesen ein mögliches Beschäftigungsfeld für ausgebildete Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen. So manche haben sich vielmehr auch erfolgreich auf Stellen im Change-Management, im Projektmanagement oder im Vertrieb beworben, obwohl in den entsprechenden Stellenanzeigen AbsolventInnen ihrer jeweiligen Studiengänge gar nicht zur Bewerbung aufgefordert worden waren. Aus diesen Beispielen aus dem Bekanntenkreis des Autors eine allgemeine Schlussfolgerung zu ziehen, wäre natürlich falsch. Jedoch kann das bewusste Überschreiten einer vermeintlichen Grenze in einer Stellenausschreibung durchaus zum Erfolg führen. Studierende sollten angesichts dieser Beispiele die Qualifikation ihres Studiums nicht zu geringschätzen, sondern Mut zu ‚großen‘ Bewerbungen haben.

In der Tat stellt womöglich die Breite und die häufig attestierte „Undefinierbarkeit“ des Studiums selbst die eigentliche Qualifikation dar. Das Potenzial gesellschaftswissenschaftlicher Studiengänge liegt darin, dass diese, im Gegensatz zu vielen beliebten Fächern, für mehr qualifizieren, als sich AbsolventInnen bei Beginn des Studiums eventuell gedacht haben. Viele andere Studiengänge münden nämlich in ein eng umgrenztes Berufsfeld, aus dem ein Wechsel in andere Bereiche nur schwer möglich ist. Sozial- und HumanwissenschaftlerInnen sind weniger festgelegt, wenn es um die Auswahl des späteren Tätigkeitsspektrums geht. Allerdings müssen ihnen ihre Möglichkeiten nach dem Studium entsprechend kanalisiert und vermittelt werden.

Habitway soll diese Berufsperspektiven aufzeigen und der Vernetzung von AbsolventInnen geistes- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge dienen. Das Portal wurde im Februar 2016 von vier Sozialwissenschaftlern gegründet und wird als StartUp-Projekt nebenberuflich betrieben. Die Gründer haben die persönliche Erfahrung gemacht, dass die Vielfalt ihrer Karriereoptionen viele Studierende eher zu überfordern scheint. Die Webseite soll daher auf die den Studiengängen inhärenten Stärken hinweisen, damit Studierende Letztere erkennen und als ‚Kapital‘ beispielsweise in einem Bewerbungsgespräch vermarkten können.

Die Vernetzung findet vor allem über die Facebookseite von habitway statt; ab einer bestimmten Größe der Community soll ein Vernetzungstool auf der Webseite selbst implementiert werden. Gerade wenn AbsolventInnen sich hinsichtlich ihrer Zukunft nach dem Studium unsicher sind, ist der Austausch mit KommilitonInnen von Bedeutung, um neue, bisher nicht ins Auge gefasste Berufsperspektiven kennen zu lernen. In Zukunft sollen NutzerInnen der Webseite auch Gastbeiträge im Vlog und im Blog veröffentlichen können. So möchte habitway das Webangebot zunehmend partizipativ ausrichten, um der Vielfalt der Community mit ihren unterschiedlichen akademischen Hintergründen gerecht zu werden.

Das Informationsangebot umfasst Blogbeiträge, Videointerviews mit MitarbeiterInnen verschiedener Organisationen und Unternehmen sowie E-Books. Des Weiteren werden Organisationen, Unternehmen, NGOs sowie staatliche Stellen aufgelistet, die Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen einstellen. Die E-Books, in denen bestimmte studien- oder berufspraxisrelevante Themen behandelt werden, werden entweder von einem der Gründer von habitway oder von KommilitonInnen verfasst. Auch die Blogbeiträge stammen bisher noch größtenteils von den Betreibern der Webseite selbst, jedoch sollen Gastbeiträge die Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen einbringen, sodass die Vielfalt der Studienrichtungen abgebildet werden kann. Behandelt werden Themen wie etwa die Bedeutung des Masterstudiums, Möglichkeiten der „Vermarktung“ eines gesellschaftswissenschaftlichen Abschlusses in einer Bewerbung oder die konkrete Vorstellung eines bestimmten Berufsfeldes.

Auf dem Vlog werden in Kurzinterviews momentan Perspektiven und Berufsfelder vorgestellt, die sich aus verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Studiengängen ergeben. Langfristig wird die Bandbreite an Themen von Bewerbungsverfahren über die individuelle Praktikumssuche bis zu Tipps und Tricks für das ‚richtige‘ Verhalten im Büro reichen. Ziel ist eine möglichst abgerundete Darstellung der Möglichkeiten, die auch Tipps für die individuelle Vorbereitung auf die dem Studium folgende berufliche Zukunft beinhaltet. Die Wahl eines solchen Studiums soll sich nicht nur im Studium selbst, sondern auch danach auszahlen.

Mit diesem Konzept richtet sich die Webseite primär an AbsolventInnen dieser Studienrichtungen selbst, jedoch auch an diejenigen, die ein entsprechendes Studium aus Angst vor der anschließenden „inhaltlichen Leere“ nicht aufnehmen, um sich stattdessen durch ein Studium zu quälen, das ihnen vermeintlich bessere berufliche Chancen verspricht. Es gilt, diesem Pessimismus angemessen zu begegnen, ohne die Realität aus dem Blick zu verlieren. Keineswegs soll verschleiert werden, dass Praktika und Volontariate oft die einzigen Optionen für GeisteswissenschaftlerInnen darstellen oder dass es in der freien Wirtschaft weiterhin weniger Stellen für GesellschaftswissenschaftlerInnen gibt als für BetriebswirtInnen. Dennoch möchte habitway zusammen mit den AbsolventInnen die Perspektivenvielfalt und Qualität der Studiengänge verdeutlichen. Thematisch ähnliche Angebote existieren im Internet bereits, doch hat keines ein vergleichbar breites Spektrum an Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen vor Augen. Zudem ist die Darstellung beruflicher Perspektiven und Möglichkeiten bisher nirgends mit Konzepten für die Anwendung der erworbenen Kompetenzen verbunden. Das Portal geht insofern über reine Berufsinformation hinaus, als die akademische Laufbahn und der Beruf als Einheit verstanden werden.

Wir freuen uns über jede Kontaktaufnahme und über jedes Feedback. Alle SozialwissenschaftlerInnen sind herzlich eingeladen, Teil der Community zu werden.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Christina Müller.

Kategorien: Wissenschaft Arbeit / Industrie

Lukas Hoffmann

Lukas Hoffmann absolviert zurzeit den Masterstudiengang Soziologie mit Schwerpunkt Arbeit, Technik und Organisation an der Technischen Universität Darmstadt. Zuvor hat er seinen Bachelor of Arts in Sozialwissenschaften an der Hochschule Fulda gemacht. Er ist einer der vier Gründer von habitway.

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