Gregor Feindt | Rezension |

Eine Globalgeschichte des Antiglobalen

Rezension zu „Gegen die Welt. Nationalismus und Abschottung in der Zwischenkriegszeit“ von Tara Zahra

Tara Zahra:
Gegen die Welt. Nationalismus und Abschottung in der Zwischenkriegszeit
Aus dem Englischen von Michael Bischoff
Deutschland
Berlin 2024: Suhrkamp
448 S., 36,00 EUR
ISBN 978-3-518-43180-1

Beinahe täglich wird deutlich, wie fragil die globalisierte Welt heute ist. Während Donald Trump Einfuhrzölle gegen wichtige Handelspartner verhängt (und wieder aufschiebt), drohen diese mit Gegenmaßnahmen. Eine neue Phase des Protektionismus ist möglich, ja wahrscheinlich. Auch internationale Abkommen und sogar internationale Organisationen stehen akut in Frage. Die US-amerikanische Historikerin Tara Zahra hat dazu ein passendes und für die Gegenwart aufschlussreiches Buch vorgelegt. Sie untersucht Nationalismus und Abschottung in der Zwischenkriegszeit, also all jene Bestrebungen, die sich zur damaligen Zeit im Kleinen wie im Großen gegen die Globalisierung der Wirtschaft und die Internationalisierung der Politik richteten. In Gegen die Welt erzählt sie eine facettenreiche wie lesenswerte Globalgeschichte des Antiglobalen.

Zahra hat sich einen Namen damit gemacht, die Reichweite gängiger Konzepte zu hinterfragen. Die an der University of Chicago lehrende Osteuropa-Historikerin zeigte mit ihren Arbeiten zur „nationalen Indifferenz“ in den böhmischen Ländern, dass nationale Bewegungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zwar für sich in Anspruch nahmen, ganze Bevölkerungen zu repräsentieren, aber keineswegs alle Schichten oder Altersgruppen erreichten. Entsprechend kritisierte sie auch die historische Forschung, die sich in den 1990er-Jahren vor allem mit der Entstehung von Nationen beschäftigte und dabei allzu oft den Narrativen des Nationalismus folgte.[1] Mit ihrem neuen Buch knüpft sie an diese Arbeit an und kehrt die Perspektive gewissermaßen um: Hier stehen Versuche im Mittelpunkt, die Globalisierung abzuschwächen oder umzukehren, „von der Funktionsweise des internationalen Finanzsystems bis hin zum Inhalt der Küchenschränke“ (S. 363 f.).

Die Deglobalisierung in der Zwischenkriegszeit wurde bereits vielfach diskutiert. Seit den 1990er-Jahren beschäftigt sich die Forschung intensiv mit weltwirtschaftlichen Verflechtungen und hat dabei die zwei Jahrzehnte zwischen den Weltkriegen als Phase eines politisch motivierten Protektionismus und damit als Rückgang oder gar Ende der globalen Vernetzung ausgemacht.[2] Freilich wurde diese Deutung in den letzten Jahren immer wieder in Frage gestellt.[3] Hier setzt Zahra an und entwirft eine kulturgeschichtliche Perspektive auf die Phänomene Antiglobalismus und Deglobalisierung. Sie betrachtet weniger Warenströme und Makroökonomie, sondern fragt danach, wie globale Verbundenheit in einzelnen Gesellschaften ausgehandelt, mithin befürwortet oder abgelehnt wurde.

Den Dualismus von Konflikt und Kooperation macht die Autorin als typisches Kennzeichen der Globalisierung aus. Entsprechend seien Deglobalisierung und Antiglobalismus auch nicht von weltweiten Vernetzungsprozessen zu trennen (S. 17 f.). Stand die Welt vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs für viele im Zeichen des Fortschritts und der Globalisierung, so zerstörte der Krieg diese Illusionen für breite Massen der Bevölkerung. Nicht nur Schichten am Rande der Gesellschaft, die wohl am stärksten von wirtschaftlichen Krisen betroffen waren, stimmten in die Kritik an globalen Warenströmen und wechselseitigen Abhängigkeiten der Staaten ein. Praktisch alle politischen Strömungen – vom Sozialismus über den antikolonialen Nationalismus und den New Deal bis hin zu Faschismus und Nationalsozialismus – verhandelten das Thema. Zugleich entstand nach dem Ersten Weltkrieg zunächst ein Mehr an globaler Verbundenheit, allen voran die neuen internationalen Organisationen wie etwa der 1920 gegründete Völkerbund. Für Zahra stellt diese Gleichzeitigkeit von Globalisierung auf der einen und antiglobalistischen Stimmungen auf der anderen Seite keineswegs einen Widerspruch dar. Vielmehr erzählt die Autorin eine Geschichte der Zwischenkriegszeit, die sich nicht in der Auseinandersetzung zwischen Faschismus und Kommunismus, Demokratie und Diktatur erschöpft, sondern den „Wettstreit um die Zukunft der Globalisierung und des Globalismus“ (S. 13) in den Blick nimmt.

Zahra betrachtet dazu drei Zeitabschnitte und einzelne Szenen. Zunächst wendet sie sich dem ambitionierten Traum einer „gemeinsamen Welt“ zu und zeigt, wie beziehungsweise woran der Internationalismus vor und während des Ersten Weltkriegs scheiterte. Zahra verdeutlicht die Kluft, die beispielsweise zwischen den Forderungen des Internationalen Frauenkongresses 1913 in Budapest und den ausbleibenden Antworten auf die Hungerkrise 1917 klaffte. Liberale Internationalistinnen wie die später staatenlose Ungarin Rosika Schwimmer ignorierten in ihrer Programmatik nicht nur Fabrikarbeiterinnen, Bäuerinnen und Frauen aus den unteren sozialen Schichten, sondern schlossen auch Women of Color aus. Die soziale Realität des Krieges und der Mangel an lebenswichtigen Gütern, verursacht durch den Zusammenbruch des internationalen Handels, gingen völlig an ihnen vorbei. Es ist wenig überraschend, dass eine solche Globalität von den weniger Privilegierten oft als existenzielle Bedrohung empfunden wurde.

Für die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg diskutiert Zahra anschließend, wie sich die Staaten Europas und Nordamerikas zunehmend abschotteten. Die Spanische Grippe etwa machte die Gefahren globaler Mobilität greifbar und befeuerte eine neue Art der Fremdenfeindlichkeit. In dieser Situation avancierte Quarantäne zu einer geläufigen ordnungspolitischen Maßnahme, denn eine zuerst im Ausland beobachtete Krankheit wie die Spanische Grippe ließ sich vermeintlich durch die Begrenzung von Einwanderung abwehren. Quarantäne blieb auch nach der Eindämmung der Pandemie im Jahr 1920 ein Mittel der Wahl. Ebenso führten andere – politische – Faktoren dazu, dass bis dato längst etablierte Mobilitätsmuster in der Zwischenkriegszeit aufgebrochen wurden. Der Zerfall der Habsburgermonarchie und die Gründung neuer Nationalstaaten im östlichen Mitteleuropa brachte neue, vielfach undurchlässige Grenzen hervor. Die Vereinigten Staaten wiederum begrenzten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs massiv die Einwanderung vor allem aus Asien, aber aus Sorge vor der Gefahr des Kommunismus oder dem unter katholischen Mitgrant:innen grassierenden Alkoholkonsum auch aus Europa. Umgekehrt schränkten europäische Staaten wie das faschistische Italien die Möglichkeiten zur Auswanderung der eigenen Bevölkerung ein. Zahra fasst die weltweiten Entwicklungen prägnant zusammen, wenn sie schreibt: „Antiglobalismus bedeutete weniger Mobilität für alle.“ (S. 186)

Schließlich skizziert Zahra im dritten Teil ihres Buches eine Welt, die ab 1926 zunehmend „in Unruhe“ geriet. Die Autorin betrachtet dabei das zeittypische Streben nach Autarkie und zeigt kursorisch Projekte der Eigenproduktion in unterschiedlichen Weltregionen. Das war etwa in der Siedlungsbewegung in Österreich der Fall, als Arbeitslose und Kriegsveteranen neue Siedlungen auf unbebautem Land errichteten und Wohnraum schufen, der andernorts fehlte. Fühlten sich diese Menschen vom Zustrom von Arbeitskräften aus den ehemaligen Kronländern der Habsburgermonarchie bedrängt, waren die sogenannten Kolonien in der Heimat auch eine gezielte Antwort auf den Verlust des Imperiums. In der Unternehmensstadt Iron Mountain, Michigan, wurde die Selbstversorgung für Arbeiter der Ford-Werke von der Unternehmensleitung angeordnet, in Form von Gemüseanbau im eigenen Garten. Hier wollte der Automobil-Tycoon Ford, einer der wichtigsten Vordenker der globalen Wirtschaft dieser Zeit, mit ländlichen Siedlungen die industrielle Produktion dezentralisieren, die vermeintlichen Gefahren der Städte auffangen und an ein Ideal amerikanischer Siedlungen anknüpfen. Zahra zeigt, dass sich solche „Zurück aufs Land“-Bewegungen vielfach finden lassen, aus ganz unterschiedlichen ideologischen Motivationen. Die Autorin macht aber auch den Preis dieses vermeintlich guten Lebens im Eigenen deutlich: Selbstausbeutung, unbezahlte Frauenarbeit und vielfach große Armut.

Auch die Konzentration auf heimische Produkte steht für ein solches Autarkiestreben: etwa im faschistischen Italien wo eigens gezüchteter Weizen, italienische Bekleidung und eine Vielzahl anderer vor Ort hergestellter Güter Importe ersetzen sollten. Die Nationalsozialisten wandten sich mit ihrer Agitation der Weimarer Zeit gegen die Warenhäuser als vermeintliche Symbole des „jüdischen Handels“ und forderten die Bevölkerung stattdessen zum Kauf vermeintlich deutscher Produkte in lokalen Kleingeschäften auf. Zahra zeigt zugleich, wie diese Autarkiebestrebungen unterlaufen wurden, etwa durch das tschechoslowakische Schuhunternehmen Baťa, das als Antwort auf immer höhere Schutzzölle Fabriken und dazugehörige Siedlungen in Europa und unter anderem in Indien errichtete, um lokal für sein globales Geschäft zu produzieren. Eine Alternative zu Antiglobalismus und nationalen Abschottungsversuchen boten auch wirtschaftswissenschaftliche Entwürfe eines „ökonomischen Appeasements“ (S. 295), die am ehesten als frühe Ansätze einer globalen wirtschaftlichen Entwicklungsarbeit verstanden werden können. Sie änderten freilich wenig daran, dass Autarkie weit über Produktionsfragen hinaus zu einer Geisteshaltung wurde und als antiglobale Idee schließlich weltweit Wirkung entfaltete.

Zahras Darstellung ist sehr gut lesbar und kurzweilig. Der Autorin gelingt es, in achtzehn kleinen, eindringlichen Geschichten bekannter und weniger bekannter Personen die Analyse übergreifender Entwicklungen in Europa und Nordamerika zu verbinden. Dabei hilft, dass einzelne Figuren wie Rosika Schwimmer, aber auch Intellektuelle wie Stefan Zweig oder John Maynard Keynes immer wieder auftauchen und sich wie ein roter Faden durch die Erzählebenen ziehen. Hinzu kommen zahlreiche unbekannte Männer und Frauen wie beispielsweise Rakhel Peisoty, die sich später Rose Pesotta nannte und deren Lebensgeschichte Zahra anhand verschiedener Ego-Dokumente und Aktenfunde exemplarisch nachzeichnet. Auf diese Weise argumentiert Gegen die Welt sowohl von oben als auch von unten und zeigt, wie Ängste, wirtschaftliche Not und Stimmungsmache zum Antiglobalismus beigetragen haben.

Eine solche Form der Darstellung führt aber auch zu Redundanzen, zu Sprüngen und Brüchen in der Erzählung. So schildert Zahra in den ersten Szenen ihres Buches immer wieder, dass gerade Frauen unter der globalisierungskritischen Stimmung zu leiden hatten und dass vielfach Juden als Hauptschuldige für den wirtschaftlichen Niedergang ganzer Gesellschaften ausgemacht wurden. Indem die Handlung mehrfach zwischen den USA, Deutschland, Frankreich und den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie hin- und herspringt, wird die globale Dimension von antiglobalistischem Denken und Deglobalisierung deutlich, wenngleich die Zusammenhänge zwischen den Szenen nicht immer offensichtlich werden. Zugleich zeigt sich, dass sich gerade die Kritiker:innen der Globalisierung über Grenzen hinweg vernetzt haben. Die räumliche Auswahl dieser Beispiele spiegelt Zahras eigene Expertise als US-amerikanische Osteuropa-Historikerin wider und scheint eine nachvollziehbare Selbstbeschränkung zu implizieren, sie lässt aber auch Lücken erkennen: Antiglobalismus etwa im Globalen Süden taucht nur in Verflechtungsgeschichten mit der kolonialen oder europäischen Metropole auf, beispielsweise wenn es um die Reise Mahatma Gandhis in die britische Textilregion Lancashire oder um die Lohnstrukturen in Baťas indischer Fabrik geht.

Tara Zahras Gegen die Welt fängt so kenntnisreich wie anschaulich eine zentrale politische Denkrichtung der Zwischenkriegszeit ein – und verdeutlicht ihre globalen Folgen. Wenn die Autorin fragt, wie und auf welche Weise sich Menschen nach dem Ersten Weltkrieg einer wie auch immer gearteten globalen Konnektivität verweigerten, verweist sie stets auch auf die Frage nach dem „Warum“. Sie versteht den Antiglobalismus als Bewegung von unten, als Ausdruck einer weltweit verbreiteten Unzufriedenheit mit der Globalisierung. Entsprechend benennt sie die wachsende soziale Ungleichheit und mangelnde Demokratisierung als treibende Kräfte für die Kritik und Verhinderung globaler Wirtschaft und Governance. Politisch blieb diese Bewegung Gegen die Welt ambivalent: Zahra betont immer wieder, dass der Antiglobalismus mit dem Aufstieg autoritärer Ideologien bis hin zu Faschismus und Nationalsozialismus einherging, Ideen von Autarkie und Abschottung aber gleichsam in demokratischen Systemen verfingen. Diesen komplexen Zusammenhang stellt die Autorin eher fest, als ihn analytisch aufzulösen. Für die Gegenwart interessanter dürfte ihr Ausblick über die Zwischenkriegszeit hinaus sein. Denn Zahra zeigt, wie bereits in der Krise der Zwischenkriegszeit Prinzipien einer neuen Ära globaler Kooperation formuliert wurden und diese nach dem Zweiten Weltkrieg zur Geltung kamen. Angesichts ihrer heutigen Aktualität mag Zahras Darstellung düster erscheinen. Sie bietet aber auch Anregungen dafür, gerade jetzt neue Ideen globaler Ordnung vorzulegen.

  1. Tara Zahra, Kidnapped Souls. National Indifference and the Battle for Children in the Bohemian Lands, 1900–1948, Ithaca, NY 2008; dies., Imagined Noncommunities. National Indifference as a Category of Analysis, in: Slavic Review 69 (2010), S. 93–119.
  2. Vgl. klassisch Harold James, The End of Globalization: Lessons from the Great Depression, Boston, MA 2001.
  3. Christof Dejung, Deglobalisierung? Oder Enteuropäisierung des Globalen? Überlegungen zur Entwicklung der Weltwirtschaft in der Zwischenkriegszeit, in: Sönke Kunkel / Christoph Meyer (Hg.), Die Dezentrierung der Welt. Transnationale Dynamik und globale Rekonfigurationen, 1919–1939, Bielefeld 2012, S. 37–61.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Igor Biberman, Stephanie Kappacher.

Kategorien: Geschichte Globalisierung / Weltgesellschaft Moderne / Postmoderne

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Gregor Feindt

Gregor Feindt ist Osteuropa-Historiker. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte.

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