Gregor Berger | Rezension |

Unbezahlbarer Idealismus

Rezension zu „Polarisierte Gesellschaft. Die postmodernen Kämpfe um Identität und Teilhabe“ von Richard Münch

Richard Münch:
Polarisierte Gesellschaft. Die postmodernen Kämpfe um Identität und Teilhabe
Deutschland
Frankfurt am Main / New York 2023: Campus
449 S., 49 EUR
ISBN 9783593517032

In den vergangenen Jahrzehnten wirkten viele gesellschaftliche Konflikte auf die eine oder andere Art befriedet. Probleme und Spannungen gab es selbstverständlich weiterhin, doch konnte von einer dauernden Spaltung, so der vorherrschende Eindruck, keine Rede sein.[1] Musste sich diese Wahrnehmung wohl schon immer auf die Gesellschaften des globalen Nordens beschränken und auch dort eine Reihe tiefgreifender Risse und Verschiebungen im sozialen Fundament ausklammern,[2] so hat sich die Stimmung inzwischen grundlegend verändert:[3] In Politiker:innenreden, Zeitungsartikeln und Talkshows wird tagein, tagaus über Ungewissheit, Konflikt und eine tiefgreifende Spaltung der Gesellschaft gesprochen.[4] Und tatsächlich geben mittlerweile 48 Prozent der Erwerbspersonen in Deutschland an, sich Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu machen.[5] All das hat Folgen für die soziologische Debatte. Die „Gretchenfrage des Fachs“, „danach, was die Gesellschaft zusammenhält und welches die wesentlichen Fliehkräfte sind“,[6] ist wieder aktuell und wird vielfach diskutiert. So widmete die Deutsche Gesellschaft für Soziologie 2022 ihren 41. Kongress dem Thema „Polarisierte Welten“.[7] Doch in der Frage nach der gespaltenen Gesellschaft scheint das Fach selbst gespalten. Manche Analysen bestätigen den rezenten Eindruck einer tiefgreifenden, in wenige Segmente gespaltenen Gesellschaft,[8] andere relativieren ihn und erklären die Diagnose für überzogen.[9]

Richard Münch liefert mit seinem Buch „Polarisierte Gesellschaft“ einen umfangreichen Beitrag zu dieser Debatte. Einerseits kritisiert der renommierte und mehrfach ausgezeichnete deutsche Soziologe damit prominente soziologische Spaltungstheorien als vereinfacht. Andererseits hält er mit seiner Version der Spaltungsdiagnose an dem Befund einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Spaltung fest. Münch kondensiert dabei zentrale Themen seiner umfangreichen Forschungsbiographie wie Globalisierung, gesellschaftlicher Wandel, liberaler Kapitalismus und Bildung zu einer konflikttheoretischen Gegenwartsdiagnose mit Fokus auf die bundesdeutsche Gesellschaft. Auch methodisch knüpft die Analyse an Münchs wissenschaftliches Werk an. So steckt er schon zu Beginn des Buches seine theoretische Heimat ab. Gegen den von Münch beobachteten Trend in Teilen gegenwärtiger sozialwissenschaftlicher Forschung „nicht ausreichend zwischen rein sachlicher Analyse und politischen Präferenzen“ (S. 7) zu trennen, bemüht er sich programmatisch um Werturteilsfreiheit. Schon die lange zurückliegende Wahl seines Studienorts scheint Münch das Gelingen dieser Bemühung nahezulegen: Heidelberg und Kritischer Rationalismus statt Frankfurt und Kritische Theorie. (vgl. S. 7-12) Trotz seiner diesbezüglichen „kritische[n] Distanz zu jeglicher Art der ideologischen Verblendung“ (S. 8), sei freilich auch er selbst nicht gefeit, vor einer gewissen Voreingenommenheit, die gegebenenfalls der offene Diskurs anzumahnen habe. Da sich bei der Lektüre der Studie tatsächlich Zweifel bezüglich der versprochenen Werturteilsfreiheit einstellen, wird im folgenden zuerst Münchs Diagnose dargestellt, um danach eine Kritik folgen zu lassen.

Die ökonomische Vernunft der Borniertheit

Münch unterscheidet sechs zentrale „Spaltungslinien der postindustriellen und postmodernen Gesellschaft“ (S. 27): Dabei bildet die Linie Kosmopolitismus versus Kommunitarismus (vgl. S. 28-54) die erste Spaltungslinie, die sich zuvorderst entlang der „Frage nach der effektiven demokratischen Kontrolle des globalen Kapitalismus“ (S. 28-29) abzeichne. Münch folgt dieser Linie von ihren ideengeschichtlichen Anfängen über die politisch-ökonomische Institutionalisierung dieses Konflikts bis zu den gegenwärtigen, kommunitaristischen Kritiken bezüglich der Unterminierung nationalstaatlich-demokratischer Souveränität. Dabei argumentiert Münch jedoch, dass die kommunitaristischen Kritiken und politischen Strategien zur Redemokratisierung – wie sie beispielsweise von Wolfgang Streeck vorgebracht würde[10] – die positiven Effekte der Globalisierung verkennten: Gerade der offene, kapitalgetriebene Welthandel habe zur globalen Armutsbekämpfung beigetragen. Die internationale Arbeitsteilung bewirke einen Wandel der Solidarität hin zu einer nationenübergreifenden, friedensstiftenden Solidarität. Die Verstaatlichung von wirtschaftlichen Entscheidungen hingegen – wie sie häufig von kommunitaristischen Kritiker:innen gefordert werde – würde mit Wohlstandsverlusten einhergehen, denn nur der freie Markt könne optimale Allokation garantieren.

Als zweite Spaltungslinie diskutiert Münch jene zwischen kulturellem versus ökonomischem Kapital, Idealismus versus Materialismus (vgl. S. 55-86). Er beginnt mit einer Kritik der kulturtheoretisch argumentierenden Diagnose von Andreas Reckwitz.[11] Reckwitz verorte die zentrale Spaltung der Gesellschaft zwischen der hyperkulturellen und kosmopolitischen Orientierung einer akademischen, aufsteigenden Mittelklasse, deren Mitglieder sich individuell abgrenzen und selbstverwirklichen wollen, und der kulturessenzialistischen und kommunitaristischen Orientierung einer nicht-akademischen, absteigenden Mittelklasse, deren Mitglieder sich als Teil eines Kollektivs mit einzigartiger Kultur von anderen Kollektiven abgrenzen. Damit suggeriere er auch eine Spaltung in eine gute, großstädtische Weltoffenheit und eine schlechte, ländliche Verwurzelung und Borniertheit. Weil diese Diagnose vom kulturell hegemonialen „intellektuell liberalen“ und „sozial-ökologischen“ Milieu sowie „expeditiven Milieu“, die die „journalistische Meinung beherrschen“, geteilt und verbreitet werde, habe sie auch Eingang in gesellschaftliche Alltagsdeutungen gefunden (S. 70). Doch Reckwitz‘ kulturtheoretische Diagnose unterstelle Gegensätze, wo in Wahrheit graduelle Unterschiede bestünden und verallgemeinere Extrempositionen sowie partikulare Lebensrealitäten. Entgegen Reckwitz‘ Unterteilung sei beispielsweise die deutsche ländliche Kleinstadt häufig zentraler Ort der Weltoffenheit, weil dort mittelständische, global vernetzte Unternehmen die lokalen Kommunen mitgestalteten und förderten. Dahingegen verwurzele man sich im „wirtschaftlich maroden“ Berlin in Kiezen, und ließe „seine kulturelle Extravaganz mit reichlich fließendem Finanzausgleich aus wirtschaftlich blühenden ländlich-klein-städtischen Regionen [...] bezahlen“ (S. 60).

Münch fordert dementsprechend den Blick weg von vereinfachenden kulturtheoretischen Spaltungsdiagnosen hin zu einer konfliktsoziologischen Betrachtung der materiellen Verhältnisse und politischen Teilhabekämpfe zu richten. Dann würden sich vermeintliche ländliche Borniertheiten wie beispielsweise „Fremdenfeindlichen“ (S. 68) häufig nicht als das Resultat eines „Kulturessenzialismus“ entpuppen, sondern als Angst vor der Verschlechterung der Lebensverhältnisse und Sorge um deren Finanzierbarkeit. Die Repräsentant:innen vermeintlicher hyperkultureller Weltoffenheit hingegen wollten aus materiellen Interessen „die eigene Lebensführung als verbindlich für alle etablieren und dafür auch die geeigneten Jobs akquirieren, zum Beispiel durch die Ausweitung des privat oder öffentlich gesponserten Kultur und NGO-Sektors“ (S. 77). Die Spaltung und der Konflikt, der sich demnach hinter dem Gegensatz von hyperkultureller Weltoffenheit und kulturessenzialistischer Verwurzelung verberge, sei der zwischen „gebildetem und gewerblichem Bürgertum“ (ebd.). Das „gebildete Bürgertum“ sei als „Träger des Idealismus“ (S. 81) kulturell hegemonial, weltfremd-idealistisch, öffentlich-bedienstet, kulturell-gebildet, politisch eher links und konnte sich historisch „nie mit den harten Realitäten der kapitalistischen Wirtschaft und des demokratischen Machtkampfs“ anfreunden (S. 77). Das „gewerbliche Bürgertum“ sei als „Träger des Materialismus“ (S. 81) geerdet-realistisch, privatwirtschaftlich-orientiert, ökonomisch-gebildet und politisch eher rechts. Mit der These einer Spaltung zwischen „Trägern“ eines weltfremden Idealismus versus „Trägern“ eines realistischen Materialismus, wobei letztere erstere finanzierten, führt Münch bereits seine zentrale Annahme bezüglich der Ursachen gegenwärtiger gesellschaftlicher Spaltung ein, auf die er im Laufe der Diskussion der weiteren Spaltungslinien immer wieder rekurriert.

Postbürgerliche und postmoderne Spalter:innen

Die nächste Spaltungslinie knüpft unmittelbar an die Unterscheidung zwischen Idealismus und Materialismus an: rechts versus links, postbürgerliche versus altbürgerliche Rechte, postmoderne versus altmoderne Linke (vgl. S. 86-110). Sie ergebe sich als eine überkreuzende Spaltung zwischen rechts und links innerhalb der Spaltung zwischen globaler Weltoffenheit und lokaler Verwurzelung. Zur „postbürgerlichen Rechten“ zählt Münch vor allem Akteur:innen transnationaler Konzerne – „voran die Technologiekonzerne des Silicon Valley“ (S. 86) – und internationale Organisationen, wie WTO, IWF oder Weltbank. Zur „postmodernen Linken“ zählt er Akteur:innen internationaler Organisationen und globaler Governance-Strukturen, die sich idealistisch für Menschrechte und Klimaschutz einsetzten sowie „die neuen Bewegungen des Feminismus, des Postkolonialismus und des Antirassismus, die LGBTQ-Bewegung, die woke culture, die cancel culture und die Protagonisten der für die Rechte von Minderheiten eintretenden Identitätspolitik“ (S. 87, Herv. i. O.). Doch auch Bundespolitiker:innen, wie beispielsweise Annalena Baerbock (vgl. S. 107, 179), Robert Habeck (vgl. S. 88, 100, 367) oder Nancy Faeser (vgl. S. 176, 212, 291), nennt Münch, wenn er „postmodern-linke“ Positionen diskutiert.

Die „postbürgerliche Rechte“ teilt nach Münch mit der „postmodernen Linken“ das „Interesse an der Überwindung nationaler Grenzen“ (S. 87), die Begeisterung für Diversität, einen „grünen Kapitalismus“ oder „ökologische Zentralplanungswirtschaft“ (S. 88).[12] Verlierer:innen dieser Konvergenz seien mittelständische Unternehmen und die Arbeiter:innenklasse, auch weil die „postmoderne Linke“ als Ausdruck ihrer Weltfremdheit kein überzeugendes Konzept zur Besteuerung der Konzerne im globalisierten Kapitalismus habe, weil sie die Kosten der Energiewende auf Einkommensschwache abwälze und im „moralischen Niemandsland“ die Zuwanderung „unqualifizierter Personen“ befürworte (S. 96). Die „altbürgerliche Rechte“, für die „die Sicherung des erarbeiteten nationalen Wohlstands Vorrang hat“ (S. 97), teile mit der „altmodernen Linken“, die für soziale Sicherheit durch den Wohlfahrtstaat einsteht, das Interesse am nationalen Wohlfahrtsstaat und am Wirtschaftsstandort sowie die Sorge vor der Zuwanderung „unqualifizierter Personen“.[13]

Zu Beginn der Diskussion der nächsten Spaltungslinie, jener zwischen Ökonomie versus Ökologie (vgl. S. 110-139), argumentiert Münch, dass Wirtschaftswachstum und wohlfahrtsstaatliche Demokratie in einem konstitutiven Zusammenhang stünden. Vor diesem Hintergrund habe die idealistische Kritik der erstarkenden Ökologiebewegung am Wirtschaftswachstum zwei problematische Folgen: Zum einen werde durch die Kritik die Aufholbewegung bezüglich demokratischer und wohlfahrtsstaatlicher Strukturen von „auf Inklusion drängenden Entwicklungs-, Schwellen- und postsozialistischen Transformationsländern“ gefährdet (S. 115). Zum anderen werde durch die Kritik die Bearbeitung der wachsenden Ungleichheit in den etablierten Wohlfahrtsstaaten selbst gefährdet. Als Ausweg aus dieser Zwickmühle zwischen Nachhaltigkeit, Wachstum und Wohlstand folgert Münch allerdings nicht, dass es eines Wirtschaftssystems bedürfe, das Wachstum und Teilhabe entkoppelt. Denn der Wunsch nach einer Postwachstumsgesellschaft sei als „Illusion einer wohlstandsgesättigten Elite des Westens“ (S. 111) eine idealistische Minderheitenmeinung und Ergebnis einer „marxistische[n] Kaperung der Klimaforschung“ (S. 137). Auch staatliche Interventionen seien keine Lösung, da sie keine radikalen Innovationen hervorbrächten, epistemisch beschränkt seien und Gefahr liefen, totalitär zu werden. Stattdessen müsse man festhalten am globalen Wachstum, welches durch erhöhten Wohlstand die Geburtenrate in Entwicklungsländern reduziere und so zur ökologischen Nachhaltigkeit beitrage. Die ökologischen Nebeneffekte des Wachstums seien am besten durch technologische Innovationen zu bewältigen.

Der Pluralismus am identitätspolitischen Abgrund

Als Etablierte versus Außenseiter (vgl. S. 139-186) bezeichnet Münch die Spaltung entlang verschiedener Gruppenidentitäten hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Teilhabe, die sich aufgrund ökonomischer Wandlungsprozesse und dem Ende des Klassenkompromisses vertiefe. Am Beispiel der USA zeigt Münch, dass sich die versprochene Chancengleichheit des amerikanischen Traums vor allem für hispanische und afroamerikanische Amerikaner:innen immer deutlicher als Illusion zu erkennen gebe. Als Ergebnis dieser systematischen Benachteiligung käme es zu immer stärkeren ethnischen und klassenspezifischen Separierungen. Dadurch werde der amerikanische Pluralismus, der den Menschen als Individuen Rechte zuspricht und sie zu einer Gemeinschaft vereint, verdrängt von einem Multikulturalismus, in dem Gruppen Gruppenrechte beanspruchen und sich zunehmend von anderen Gruppen separieren. Im Kampf um Teilhabe sei ein Symptom dieses Separatismus der zunehmende Fokus auf Gruppenidentität, der in Verbindung mit den poststrukturalistischen Theorien in die postmodern-linken „Abgründe der Identitätspolitik“ (S. 155) führe. Dort werde zur Durchsetzung des Gruppenrechts Identität deterministisch und kulturessenzialistisch bestimmt, würden universalistische Ideale verworfen, es werde gecancelt, kulturelle Appropriation bekämpft und der vernunftorientierte Diskurs durch Machtpolitik ersetzt. Als einen solchen Separatismus diskutiert Münch auch das Problem des erstarkenden Islamismus. In Europa seien es nämlich vor allem Teile der durch Arbeitsmigration oder koloniale Herrschaft entstandenen „muslimischen Gemeinschaften“ (S. 175), die ihr Recht aufgrund der erfahrenen Ungerechtigkeit nun auf radikal-theologische Weise einforderten. Aufgrund ihrer Unterdrückungsgeschichte würden sie dabei von der postmodern-linken, multikulturalistischen Identitätspolitik in Schutz genommen. Eine Konstellation, die sodann anti-plurale, rechtsnationale Reaktionen befeuere.

Unter Herrschende versus beherrschte Klassen und Gruppen (vgl. S. 186-202) und in der Konklusion (vgl. S. 203-213) seiner Spaltungsanalyse führt Münch schließlich die verschiedenen Stränge seiner Klassenstruktur- und Konfliktanalyse zusammen. Er unterscheidet zusammenfassend eine Oberklasse mit eher globaler Weltsicht, eine Mittelklasse mit globaler wie lokaler Weltsicht und eine Unterklasse mit eher lokaler Weltsicht. Die Klassen seien wiederum jeweils unterteilt in einen kulturellen Part, der eher idealistisch gesinnt beziehungsweise öffentlich gemeinwohlorientiert sei sowie einen ökonomischen Part, der eher materialistisch gesinnt beziehungsweise privat gewinnorientiert sei. Aufgrund postmoderner Gruppenidentitäten seien diese Segmente allerdings wiederum in sich gespalten. Manifest werde diese Klassenstruktur im dominanten Konflikt unserer Zeit „zwischen dem Idealismus des reinen Bildungsbürgertums in den Schaltstellen der Macht und dem Materialismus sowie Realismus des gewerblichen Bürgertums wie auch der Arbeiterschaft, die den Wohlstand produzieren“, der letztere „in die Bahnen des rechtspopulistischen Protests“ dränge (S. 200).

Der ökonomische Populismus der Mitte

Da er Bürger:innentum und Arbeiter:innenschaft in die Bahnen des rechtspopulistischen Protests gedrängt sieht, widmet sich Münch im Anschluss den Ursachen des Populismus und unterfüttert seine Analyse mit exemplarischen Leser:innenkommentaren zu Artikeln deutscher Tageszeitungen (vgl. S. 215-305). Indem er argumentiert, dass der Populismus als „Aufstand gegen die ‚abgehobenen Eliten‘“ (S. 215) Ausdruck der zuvor herausgearbeiteten Spaltungslinien sei, fügt er seiner bisherigen Analyse nur wenig hinzu. Die „kulturelle[n] Motive“ (S. 218) des Populismus erkennt er anders als Reckwitz wiederum nicht im Kampf der weltoffenen Aufsteiger:innen gegen die verwurzelten Absteiger:innen, sondern in den „handfesten materiellen Interessen“ der Prekarisierten beider Lager, die diese Interessen durch „die kulturelle Hegemonie der rechten und linken Fraktion des Globalismus“ bedroht sehen (S. 221). Bezüglich der „politische[n] Motive“ (S. 225) eruiert er ein langzeitiges Versäumnis der Mitteparteien, eine restriktivere Migrationspolitik zu verfolgen und die Sozialsysteme zu stabilisieren. Zudem gingen Transnationalisierung und Expertokratisierung des Regierens mit einem Verlust an politischer Responsivität einher. Bezüglich der „ökonomische[n] Motive“ (S. 230) weist Münch darauf hin, dass nicht bloß abgehängte Globalisierungsverlier:innen populistische Parteien wählten, sondern zunehmend Personen aus der Mitte, „die diesen Sozialstaat mit ihren Steuern und Sozialabgaben am Leben halten, sich aber an der Grenze einer gerechten Belastung durch Steuern und Abgaben sehen“ (S. 236). Die Kritik dieser Gruppen an unkontrollierter Migration, an der gegenwärtigen EU-Politik und Klimapolitik sei demnach vielfach Ausdruck ökonomischer Sorgen um die Finanzierbarkeit solcher Maßnahmen und nicht vorrangig Ausdruck von Rassismus, Klimawandelleugnung oder Ähnlichem.

Es folgt eine umfangreiche Kritik Münchs am weiträumig geteilten Lösungsvorschlag, über bessere Bildung, den Herausforderungen der Globalisierung und entsprechenden Spaltungen zu begegnen (vgl. S. 307-332). Dabei werde „die Herstellung von Resultatsgleichheit durch wohlfahrtstaatliche Garantieleistung und Umverteilung durch die Gewährleistung von Chancengleichheit durch Zugang zur höheren Bildung“ ersetzt (S. 308). Die damit einhergehende Bildungsexpansion intensiviere den Wettbewerb um höhere Bildungsabschlüsse, wovon diejenigen profitierten, die sich Frühförderung, Elitehochschulen und Zusatzqualifikationen leisten könnten. Die Mehrzahl der diesem Wettbewerb und der entsprechenden Aktivierung Ausgesetzten leide aufgrund zunehmender sozialer Ungleichheit und Überqualifikation unter dieser Entwicklung. Dadurch werde anstatt der sozialen Integration die soziale Desorganisation befördert.

Unternehmen aller Bundesländer, vereinigt euch!

In seiner Schlussbetrachtung (vgl. S. 333-390) unterbreitet Münch dagegen einen anderen, kurios wirkenden Vorschlag zwecks Wiederherstellung gesellschaftlicher Kohäsion. Seiner Analyse zufolge benötige es eine vermittelnde Instanz zwischen „utopischen Kosmopolitismus“ und „rückwärtsgewandten Kommunitarismus“ (S. 343-344). Diese erkennt Münch – wie oben bereits angeklungen – in den wohlstandsschaffenden, „mittelständischen und größeren Unternehmen, speziell Familienunternehmen, die sowohl lokal verwurzelt als auch weltweit vernetzt sind“ (S. 344). Doch Überbürokratisierung und -besteuerung, Fachkräftemangel, Infrastrukturprobleme, hohe Energiekosten, Nachweis- und Lieferkettengesetze, „die vollakademisierte Machtelite“ (S. 358), die postmoderne Linke und postbürgerliche Rechte blockierten diese Rollenübernahme zunehmend. Es bedürfe demnach „einer neuen Machtverschiebung durch eine angemessene Repräsentation des ‚alten‘ und ‚neuen‘ unternehmerischen Mittelstandes, der Familienunternehmen und Startups, in den Parlamenten“ (S. 361), um das zu ändern. Dadurch würden die soziale Marktwirtschaft wie auch die Demokratie revitalisiert und eine weitere Polarisierung verhindert.

Münch liefert eine umfangreiche Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen politisch-sozialen Konstellation. Sie ist interessant, weil sie beansprucht, eine konfliktsoziologische Analyse bezüglich der materiellen Verhältnisse, Teilhabekämpfe und gegenwärtigen Hegemonien einzubringen, dabei jedoch mit Untersuchungen, die sich klassischerweise als konfliktsoziologische, materialistische Hegemonieanalysen[14] verstehen, weder deren theoretische Grundlagen und kapitalismuskritischen Schlüsse noch deren begründete Forderungen nach einer umfassenden Transformation teilt.

Schuld sind die Neuen – und die sind alle gleich

Obwohl zahlreiche Ausführungen, Formulierungen und Vergleiche Münchs einer umfassenden kritischen Diskussion bedürften, wird sich die folgende Kritik auf die zentralen Argumente seiner Untersuchung beschränken. Zuvorderst fällt auf, dass Münchs Analyse linker Politiken undifferenziert ist und falsche Schuldzuweisungen impliziert. So ist vor allem sein Begriff der „postmodernen Linken“ zu vage und unterscheidet unzureichend zwischen internationalistisch-linken und kosmopolitisch-liberalen Positionen. Dabei käme es gerade hier darauf an, Differenzen zu sehen und Verschiedenes genau auseinanderzuhalten. Internationalistisch-linke Positionen beruhen auf der Einsicht, dass kapitalistische Herrschaftsverhältnisse komplex mit verschiedenen Subjektivierungsprozessen sowie geopolitischen Zusammenhängen verbunden sind; Vertreter:innen dieser Positionen versuchen, durch die Überwindung von Nationalstaatlichkeit und Marktzwängen, Demokratie wie sozialen Zusammenhalt zu stärken.[15] Damit unterscheiden sie sich von Vertreter:innen kosmopolitisch-liberaler Positionen, die sich für einen „grünen Kapitalismus“ (S. 88) oder „mehr Diversität“ (S. 96) im bestehenden System einsetzen.[16] Auch können internationalistisch-linke Positionen aufgrund ihrer langen Tradition wohl kaum als neu, „postmodern“ oder „postproletarisch“ (S. 87) beschrieben werden.[17] Münch scheint außerdem den Drang des Kapitals und seiner Eigner:innen, Grenzen und soziale Einbettungen zu überschreiten,[18] zuvorderst Politiken anzulasten, die er als „postmodern-links“ beschreibt. Wie oben beschrieben, unterstellt er demnach eine Interessenskonvergenz der „postbürgerlichen Rechten“ mit der „postmodernen Linken“. Es ist offenkundig, dass beispielsweise sozialdemokratische Politiker wie Tony Blair, Gerhard Schröder oder Bill Clinton einen bedeutsamen Beitrag zu Prozessen der Entgrenzung und wirtschaftlichen Liberalisierung geleistet haben[19] und dass gewisse Unternehmen sowie politische Akteur:innen progressive Werte zur Aktivierung marktliberal oder meritokratisch umdeuten.[20] Nichtsdestotrotz erscheinen in Münchs Analyse die „altmoderne Linke“, aber vor allem die „altbürgerliche Rechte“ verkürzt und pauschal als unschuldige und hintergangene Opfer entsprechender Politiken und nicht als Akteur:innen, die diese Veränderungen auch vorbereiteten, einleiteten oder förderten.[21] Damit einhergehend widmet Münch auch der ideellen und personellen Überschneidung zwischen „altbürgerlicher“ und „postbürgerlicher Rechte“ zu wenig Aufmerksamkeit. Auch diskutiert er nicht, dass Überzeugungen und Interessen wesentlicher Akteur:innen der „postbürgerlichen Rechten“ (man denke an Elon Musk oder Peter Thiel)[22] keineswegs kompatibel sind mit postmodern-linken Forderungen – selbst nicht in ihrer kosmopolitisch-liberalen Spielart. Und erneut werden die großen Differenzen innerhalb der Gruppe, die Münch als „postmoderne Linke“ beschreibt, nicht thematisiert.

Irritierend ist vor dem Hintergrund dieser einseitigen Schuldzuschreibung auch Münchs Diagnose, dass „der öffentliche Diskurs natürlicherweise von der kulturellen Oberklasse auf der linken Seite beherrscht wird“ (S. 192). Neben der Ausblendung der zahlreichen Medien, die tendenziell rechte, konservative oder bürgerliche Positionen vertreten, benötigt Münch auch für diese Behauptung einen sehr vagen Begriff von „links“. Wenn sich jedoch die von Münch vorgeschlagenen Gruppen nicht als derart homogen und schuldig beziehungsweise unschuldig beschreiben lassen, wirkt auch die These einer diesbezüglichen tiefen Spaltung der Gesellschaft fehlgeleitet. Dieser Eindruck wird zusätzlich bestärkt durch Münchs eher dürftige empirische Belege der angeblichen Ansichten und Handlungsmotive der verschiedenen Gruppen – beispielsweise anhand exemplarischer Leser:innenkommentare.

Teil dieser pauschalisierenden Verkennung ist auch Münchs Einschätzung neuer sozialer Bewegungen. Dabei werden die konfliktaversen Annahmen seiner Studie offensichtlich. Zur oben beschriebenen Behauptung, dass die postmodern-linken Aktivist:innen den Anspruch auf allgemeine Emanzipation aufgäben und gefährden würden, gelangt Münch nämlich, indem er die umfangreiche Debatte um poststrukturalistische Theorien – vor allem der diesbezüglichen Politischen Theorien – verkürzt wiedergibt, erneut sehr heterogene aktivistische Gruppierungen unter einen Begriff fasst und den dahinterstehenden Akteur:innen kontrafaktisch große Machtressourcen zuspricht. Plausibler wäre es, das Gros dieser Bewegungen als Gegenöffentlichkeiten zu verstehen, deren aktivistische und theoretische Interventionen mit Bezug auf universelle Herrschaftsfreiheit für den deliberativen Prozess und das universalistische Projekt seit jeher unabdingbar waren.[23] Sie als solche anzuerkennen, bedeutet natürlich keineswegs, alle diesbezüglichen Praxen und Theoreme gutzuheißen oder von vornherein anzunehmen, dass die erhobenen Geltungsansprüche gerechtfertigt sind. Gerade in der gegenwärtigen Sozialwissenschaft, die sich an Theorien und Bewegungen orientiert, die man als links beschreiben könnte, werden hierzu umfangreiche Debatten geführt,[24] die auch aktivistische Zusammenhänge adressieren und informieren. Gegenwärtige Formen der Gegenrede und des Protests bereits als Absagen an den Gedanken der universellen Emanzipation zu deuten, verkennt jedoch den demokratischen Wert von Dissens.[25]

Ideologischer Materialismus

Durch Münchs wiederholte Kritik und Ablehnung kulturtheoretischer Annahmen verkennt er, wie sehr ökonomische Fragen an kulturelle Deutungen gekoppelt sind. Wie sich oben gezeigt hat, stellt er die Positionen des „gewerblichen Bürgertums“ und der Prekarisierten als praktisch-vernünftig und nicht-ideell dar. So erscheinen für ihn beispielsweise „Fremdenfeindlichkeit“, die Ablehnung von EU-Solidarität und von Maßnahmen zur ökologischen Transformation sowie die zunehmende Neigung zu rechtspopulistischen Parteien als begründete Reaktionen in der nachvollziehbaren Sorge um gesellschaftlichen Wohlstand. Aus dieser Perspektive kann Münch allerdings nicht erklären, warum das „gewerbliche Bürgertum“ beziehungsweise die mittlere und die obere Mittelklasse ein ideologisches Verständnis von staatlicher Finanzierbarkeit[26] haben, die Notwendigkeit sozialer Transformation angesichts von Klimakrise und globaler Armut nicht anerkennen und warum sie meinen, dass ihre Interessen legitimer sind als die anderer nationaler und globaler Klassen. Damit gerät auch die Frage aus dem Blick, ob viele Überzeugungen dieser Mittelklasse weniger Ausdruck eines geerdeten Materialismus sind als das Ergebnis nationalistischer, meritokratischer, androzentrischer, rassistischer oder marktradikaler Ideologeme. Weil Münch die kulturelle Komponente ökonomischer Fragen ausklammert, bleibt auch weitgehend ungeklärt, warum sich Teile der Prekarisierten und der unteren Mittelklasse eigentlich nicht gegen die „altbürgerliche“ und „postbürgerliche Rechte“ wenden, die für ihre Ausgrenzung, Ausbeutung, Armut und die Klimakrise verantwortlich sind, sondern gegen ihre Leidensgenoss:innen oder „postmoderne Linke“.

Das Problem zur Lösung zu machen, ist auch keine Lösung

Dass Münch einige der marktliberalen Annahmen und Einstellungen der Mittelklasse als vernünftig beschreibt, ist kein Zufall. In mehreren Ausführungen erläutert er unter anderem mit Referenz auf Adam Smith, David Ricardo und F. A. Hayek,[27] inwiefern der freie Markt die Bedingung von Wohlstand, Demokratie, Innovation, Klimaschutz und internationaler Solidarität sei. Wie oben beschrieben, würden für Münch linkspolitische Forderungen nach stärkerer staatlicher Regulierung, Vergesellschaftung und Postwachstum in ihrer Weltfremdheit all diese Errungenschaften und Potenziale gefährden.[28] Stattdessen fordert er die stärkere politische Repräsentation mittelständischer und größerer Unternehmen. Unklar bei dieser Argumentation bleibt jedoch, warum eigentlich der freie Markt der letzten Jahrzehnte, der ja keineswegs von staatlicher Regulierung, Vergesellschaftung, einer scharfen Trennung zwischen Wirtschaft und Politik oder Postwachstumsmaßnahmen gekennzeichnet war,[29] überhaupt zu den Problemen geführt hat, die nun die Gesellschaft spalten. Aufgrund dieser Unklarheit drängt sich die Vermutung auf, dass sich der durch die Politik gestützte und durch Profit getriebene freie Markt weder selbstreguliert noch längerfristig einhegen lässt[30] und so womöglich eine Ursache von Monopolisierung, Entdemokratisierung, zwischenstaatlicher Konkurrenz, Wirtschaftskrisen, Steuerflucht, Legitimationsverlust, sozialen Konflikten, zunehmenden Autoritarismus, Klimakrise, nationaler wie globaler Ungleichheit und damit eine Ursache gegenwärtiger Spaltungstendenzen ist.[31] Vor diesem Hintergrund ist zu bezweifeln, dass die Forderung nach ökonomischem Wachstum und ökonomischer Liberalisierung sowie die Stärkung der daran interessierten regionalen politischen Akteur:innen die Probleme lösen kann, die durch diese politik-ökonomischen Theorien, Prozesse und Akteur:innen entweder verursacht, gefördert oder bis dato nicht gelöst wurden.

Nimmt man die oben genannten Pauschalisierungen und verkannten Zusammenhänge zusammen, wirkt Münchs These, dass neben „globalen Konzernen“ vor allem die postmodern-linke „Kulturelite“ (S. 379) sowie neue linkspolitische Akteur:innen für die Spaltungen der Gesellschaft verantwortlich sind, selbst wie eine undifferenzierte Kulturtheorie, die komplexe materielle Zusammenhänge nicht zu erhellen vermag. Daher kann die versprochene Wertneutralität der Analyse – auch ganz ohne Exkurs in die Tiefen des Positivismusstreits – stark bezweifelt werden. Dieser Zweifel wird zusätzlich genährt von Formulierungen wie etwa der, dass der „postmodern-identitäre und ökologische Fundamentalismus“ drohe „in eine neue Art des Totalitarismus eines ökologisch-identitären Überwachungsstaates zu münden“ (S. 386). Damit scheint Münchs Vorwurf an Teile der gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Forschung, im Namen der Wissenschaft politische Präferenzen zu artikulieren, auf ihn selbst zurückzufallen. Aber zur Kritik und Korrektur möglicher Voreingenommenheit gibt es ja, wie Münch richtig feststellt, den offenen Diskurs.

  1. Sozialwissenschaftlichen Ausdruck fand diese Wahrnehmung beispielsweise in prominenten Konzepten wie der „nivellierten Mittelschicht“ (Helmut Schelsky), dem „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) oder der „Postpolitik“ (Chantal Mouffe). Vgl. Helmut Schelsky, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme, Dortmund 1953; Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, München 1992; Chantal Mouffe, Über das Politische, Frankfurt am Main 2007. Weitere Verweise auf dementsprechende sozialwissenschaftliche Literatur finden sich in Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser, Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, Berlin 2023, S. 11-12.
  2. Als Überblick zu den wesentlichen Beschränkungen und Ausklammerungen der Wahrnehmung einer wohlfahrtsstaatlich-demokratischen Befriedung und eines diesbezüglichen Fortschritts siehe beispielsweise: Stephan Lessenich, Die Grenzen der Demokratie. Teilhabe als Verteilungsproblem, Ditzingen 2019.
  3. Dieser Stimmungswechsel ließe sich auch als eine gegenwärtige, massive Repolitisierung der zwischenzeitlich entpolitisierten Gesellschaften der OECD-Länder verstehen. Um die Wucht und Charakteristika dieser Repolitisierung einzufangen und der Analyse zugänglich zu machen, hat erst kürzlich Anton Jäger den Begriff der „Hyperpolitik“ in die sozialwissenschaftliche Debatte eingebracht: Vgl. Anton Jäger, Hyperpolitik, Berlin 2023.
  4. Vgl. Mau, Lux und Westheuser, Triggerpunkte, S. 7-9; Jürgen Kaube / André Kieserling, Die Gespaltene Gesellschaft, Berlin 2022, S. 7-10.
  5. Vgl. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut, „Neue Befragungsergebnisse. Fast die Hälfte der Erwerbspersonen macht sich große Sorgen um sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft, Pressemitteilung, 14.9.2023, https://www.wsi.de/de/pressemitteilungen-15991-fast-die-haelfte-der-erwerbspersonen-macht-sich-grosse-sorgen-52045.htm.
  6. Thomas Lux / Steffen Mau / Aljoscha Jacobi, „Neue Ungleichheitsfragen, neue Cleavages? Ein internationaler Vergleich der Einstellungen in vier Ungleichheitsfeldern“, in: Berliner Journal für Soziologie 32/2 (2022), S. 173-212, hier S. 175.
  7. Vgl. https://kongress2022.soziologie.de.
  8. Siehe beispielsweise: Mitja Back / Gerald Echterhoff / Olaf Müller / Detlef Pollack / Bernd Schlipphak, Von Verteidigern und Entdeckern. Ein neuer Identitätskonflikt in Europa, Wiesbaden 2022; Pieter de Wilde / Ruud Koopmans / Wolfgang Merkel / Oliver Strijbis / Michael Zürn (Hg.), The struggle over borders. Cosmopolitanism and communitarianism, Cambridge 2019; Andreas Reckwitz, Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne, Berlin 2019; ders., Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin 2017.
  9. Siehe beispielsweise: Mau / Lux / Westheuser, Triggerpunkte; Kaube / Kieserling, Die Gespaltene Gesellschaft. Für einen Überblick zur sozialwissenschaftlichen Geschichte und Gegenwart der Spaltungsdiagnosen und ihrer Kritik siehe: Mau, Lux und Westheuser, Triggerpunkte, S. 9-19.
  10. Münch bezieht sich dabei vor allem auf: Wolfgang Streeck, Zwischen Globalismus und Demokratie. Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus, Berlin 2021.
  11. Münch bezieht sich dabei vor allem auf Reckwitz, Das Ende der Illusionen; ders., Die Gesellschaft der Singularitäten.
  12. Diese Interessenkonvergenz manifestiere sich beispielsweise beim Weltwirtschaftsforum in Davos, welches „inzwischen zu einer global höchst einflussreichen Plattform geworden“ sei, „auf der sich die rechte und die linke Fraktion der global ausgerichteten Eliten regelmäßig die Hand reichen“ (S. 87). Münch nennt diesbezüglich auch Plattformen wie das „‚Green Council‘ der Zeit“, weil dort mit dem Ex-Siemenschef Joe Kaeser und der Klimaaktivistin Luisa Neubauer „die rechte und linke Fraktion der Globalen vereint sind“ (S. 107), oder die Talkshows von Maybrit Illner und Anne Will (vgl. S. 56, 107, 383).
  13. Namentlich zählt Münch zur Gruppe der „altmodernen Linken“ beispielsweise Personen wie Thilo Sarrazin, Wolfgang Thierse, Heinz Buschkowksy. Helmut Schmidt, Willy Brandt, Herbert Wehner, Oskar Lafontaine (vgl. S. 104) und Sahra Wagenknecht (vgl. S. 99). Bezüglich der Gruppe der „altbürgerlichen Rechten“ nennt Münch namentlich lediglich Peter Gauweiler (vgl. S. 104).
  14. Um nur einige Beispiele entsprechender Analysen zu verschiedenen Themenkomplexen aus dem deutschen Kontext anzuführen: Stephan Lessenich, Die Grenzen der Demokratie; Katharina Pühl / Birgit Sauer (Hg.), Kapitalismuskritische Gesellschaftsanalyse. queer-feministische Positionen, Münster 2018; Ulrich Brand / Markus Wissen, Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München 2017; Stephan Lessenich, Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis, Berlin 2016; Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ (Hg.), Kämpfe um Migrationspolitik. Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung, Bielefeld 2014; John Kannankulam, Autoritärer Etatismus im Neoliberalismus. Zur Staatstheorie von Nicos Pountzas, Hamburg 2008; Joachim Hirsch, Materialistische Staatstheorie. Transformationsprozesse des kapitalistischen Staatensystems, Hamburg 2005; Birgit Sauer, Die Asche des Souveräns. Staat und Demokratie in der Geschlechterdebatte, Frankfurt am Main 2001.
  15. Für Theorien und Personen, die solche Positionen vertreten siehe beispielsweise Fn. 14 sowie Fn. 17.
  16. Münchs undifferenzierter Begriff von „links“ wird auch deutlich, wenn er die FDP Christian Lindners als „links von der Mitte“ (S. 377) beschreibt oder die „Verschiebung der CDU nach links“ (S. 287-288) unter Angela Merkel konstatiert.
  17. Der Internationalismus sowie die Frage der Zusammenhänge der kapitalistischen Vergesellschaftung mit Nationalismus, Rassismus, Imperialismus, Antisemitismus, Sexismus, Naturzerstörung etc. bildeten schließlich bereits Kernanliegen der Anfänge linker Theorie und Praxis. Es wäre dementsprechend seltsam die Theorien und Positionen von Denker:innen wie Karl Marx, Friedrich Engels, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin, Antonio Gramsci, W. E. B. Du Bois, C. L. R. James, Frantz Fanon, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer als postmodern oder postproletarisch zu beschreiben.
  18. Zur Theorie und Aktualität dieses Drangs siehe beispielsweise: Klaus Dörre, „Die neue Landnahme. Dynamiken und Grenzen des Finanzmarktkapitalismus“, in: ders. / Stephan Lessenich / Hartmut Rosa, Soziologie – Kapitalismus – Kritik. Eine Debatte, Frankfurt am Main 2009, S. 21-86.
  19. Siehe: Thomas Biebricher, Neoliberalismus zur Einführung, Hamburg 2018 (2012), S. 124-149; Kannankulam, Autoritärer Etatismus im Neoliberalismus, S. 282-294, 318-323.
  20. Vgl. Olúfẹ́mi O. Táíwò, Elite Capture. How the Powerful Took Over Identity Politics (and Everything Else), London 2022; Carl Rhodes, Woke Capitalism. How Corporate Morality is Sabotaging Democracy, Bristol 2022; Nancy Fraser, „Vom Regen des progressiven Neoliberalismus in die Traufe des reaktionären Populismus“, in: Heinrich Geiselberger (Hg.), Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit, Berlin 2017, S. 77-91; Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt am Main 2007; Stephan Lessenich, Die Neuerfindung des Sozialen. Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus, Bielefeld 2008; Luc Boltanski / Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003.
  21. Die neoliberale Offensive auf die Nachkriegswohlfahrtsstaaten wurde immerhin von konservativen Politiker:innen eingeleitet. Siehe: Biebricher, Neoliberalismus zur Einführung, S. 98-123; Kannankulam, Autoritärer Etatismus im Neoliberalismus, S. 267-281, S. 298-317.
  22. Siehe: Tatjana Söding, „Der Rechtslibertarismus des Elon Musk: Internetkrieger in erster Reihe“, in: taz 10.10.2023. https://taz.de/Der-Rechtslibertarismus-des-Elon-Musk/!5962309/; Hans Rauscher, „Freiheit vs. Demokratie: Die Philosophie des Peter Thiel, des neuen Chefs von Sebastian Kurz“, in: Der Standard, 30.12.2021. https://www.derstandard.at/story/2000132233196/die-philosophie-des-peter-thiel-des-neuen-chefs-von-sebastian.
  23. Für das Verhältnis von aktivistischen Gegenöffentlichkeiten und deliberativer Demokratie siehe: Nancy Fraser, „Rethinking the Public Sphere. A Contribution to the Critique of Actually Existing Democracy“, in: Social Text 25/26 (1990), S. 56-80; Iris M. Young, „Activist challenges to deliberative democracy“, in: Political Theory 29/5 (2001), S. 670-690.
  24. Man denke bloß an die unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich der emanzipatorischen Potenziale sogenannter „Identitätspolitiken“. Siehe: Olúfẹ́mi O. Táíwò, Elite Capture; Omri Böhm, Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität, Berlin 2022; Stephan Lessenich, Wer hat Angst vor der ‚Identitätspolitik‘?, in: PROKLA. Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft 52/209 (2022), S. 671-682; Asad Haider, Mistaken Identity. Race and Class in the Age of Trump, London/Brooklyn, NY 2018; Lea Susemichel und Jens Kastner, Identitätspolitiken. Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken, Münster 2018; Emma Dowling / Silke van Dyk / Stefanie Graefe, „Rückkehr des Hauptwiderspruchs? Anmerkungen zur aktuellen Debatte um den Erfolg der Neuen Rechten und das Versagen der ‚Identitätspolitik‘“, in: PROKLA. Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft 47/188 (2017), S. 411-420; Nancy Fraser / Axel Honneth, Umverteilung oder Anerkennung. Eine politisch-philosophische Kontroverse, Frankfurt am Main 2003.
  25. Damit soll natürlich keineswegs nahegelegt werden, dass es unproblematisch oder gar demokratiefördernd wäre, wenn – wie Münch suggeriert (vgl. S. 174-186) – im Namen der Antidiskriminierung und des Multikulturalismus antiuniversalistische Position wie beispielsweise radikal-islamistische Meinungen in Schutz genommen werden würden. Münch scheint jedoch die Häufigkeit und den Umfang dieses Problems zu überschätzen. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass er unzureichend unterscheidet, zwischen einer Inschutznahme antiuniversalistischer Positionen und dem Umstand, dass in vielen linken Bewegungen und Theorien Religionskritiken, Rassismuskritiken, Sexismuskritiken, Kritiken der politischen Ökonomie etc. als keineswegs exklusiv gelten und in ihrer jeweiligen Gewichtung und Verbindungen eingängig diskutiert werden (für Beispiele siehe erneut die Analysen und Positionen in Fn. 14 und Fn. 17). So ist es beispielsweise möglich, zugleich antiuniversalistische Benachteiligungen von Personen als auch antiuniversalistische Überzeugungen dieser benachteiligten Personen sowie die Strukturen, die zu diesen Benachteiligungen und Überzeugungen führen, zu kritisieren.
  26. Für eine diesbezügliche Ideologiekritik siehe etwa: Aaron Sahr, Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft, München 2022.
  27. Vgl. S. 35-36, 45, 48, 112, 121-122, 124, 334.
  28. Münch treibt diese These ziemlich weit: So beschreibt er den „‚Sonderweg‘ Deutschlands in die Moderne“ (S. 366), der im Nationalsozialismus mündete, in Anlehnung an Fritz Ringer als Resultat der Weltfremdheit der deutschen Bildungselite. Aufgrund der Weltfremdheit der derzeitigen deutschen Bildungselite und Politik warnt er vor einem „neue[n] deutsche[n] Sonderweg in die Postmoderne“ (ebd.). Nun zählt er zu diesen weltfremden Überzeugungen allerdings (anders als Ringer) vor allem postmodern-linke Positionen sowie linkshegelianische Theorien, die in der dialektischen Tradition G. W. F. Hegels – zwar „zweifellos mit der besten Absicht“ (S. 367), aber dennoch – abgehoben und undemokratisch meinten, im Besitz der Wahrheit zu sein und die Gesellschaft vernünftig einrichten zu können. So ordnet er dieser Denkungsart für die Vergangenheit – neben Martin Heidegger und Friedrich Nietzsche – vor allem Karl Marx zu. Von Marx meint Münch dann kurioserweise auch, er (und Hegel) hätten im Unterschied zu den demokratischen Denkern John Locke und Adam Smith „zeitlebens nur den Gedankenaustausch unter ihresgleichen, das heißt der geistigen Elite gepflegt“ (ebd.). Bezüglich der näheren Vergangenheit und Gegenwart ordnet Münch dieser Denkungsart die Theorien von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Jürgen Habermas, Ulrich Beck, Hartmut Rosa und Andreas Reckwitz zu. (vgl. S. 365-376)
  29. Gerade auf die gegenteilige Entwicklung – also der Liberalisierung, Privatisierung und der Einflussnahme wirtschaftlicher Interessengruppen auf die Politik zu Wachstumszwecken – verweisen die zahlreichen Kritiken des Neoliberalismus. Beispielhaft für eine umfangreiche Analyse und Kritik dieser Entwicklungen siehe: Christoph Butterwegge / Bettina Lösch / Ralf Ptak, Kritik des Neoliberalismus, Wiesbaden 2017 (2007) oder Kannankulam, Autoritärer Etatismus im Neoliberalismus.
  30. Vgl. Dörre, „Die neue Landnahme“.
  31. Untersucht und auf verschiedene Art nachgewiesen, werden diese Zusammenhänge beispielsweise in den Analysen, auf die in Fn. 14 verwiesen wurde.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Jens Bisky.

Kategorien: Affekte / Emotionen Demokratie Gesellschaft Soziale Ungleichheit Sozialer Wandel

Gregor Berger

Gregor Berger promoviert im Rahmen des Promotionskollegs „Dialektik der Teilhabe: Dynamiken sozialräumlicher Öffnung und Schließung“ am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem Demokratietheorien sowie materialistischen Staatstheorien.

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