Mechthild Bereswill | Rezension | 12.07.2024
Auf dem Sprung
Rezension zu „Die Leere im Zentrum der Tat. Eine Soziologie unvermittelter Gewalt“ von Tobias Hauffe

In einem seither viel zitierten Einführungsbeitrag zu einem Schwerpunkheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie mit dem Titel Soziologie der Gewalt plädierte Trutz von Trotha im Jahr 1997 für einen grundlegenden Perspektivwechsel soziologischer Forschung und Theoriebildung. Um Gewalt sowohl als „konstitutives Problem gesellschaftlicher Ordnung“[1] als auch als „soziales Handeln“[2] erfassen und analytisch durchdringen zu können, sei eine ätiologische, auf die Ursachen von Gewalt fixierte „Faktoren-Soziologie“[3] wenig erkenntnisreich. An Stelle solcher Ansätze solle eine „Phänomenologie der Gewalt“ treten, in deren Zentrum nicht die Frage nach dem Warum, sondern vielmehr Fragen nach dem Was und nach „den Modalitäten der Gewalt“ stünden.[4] Methodologisch verankert von Trotha seinen Vorschlag einer Soziologie der Gewalt in einem verstehenden Forschungsstil, der es erlaubt, Dynamiken der Gewalt zu rekonstruieren, in dichte Beschreibungen zu überführen und auf diese Weise – in Anlehnung an den Forschungsstil der Grounded Theory – mit Hilfe von „konzeptuellem Kodieren“[5] zur „Produktion von soziologischen Grundbegriffen“[6] zu gelangen. Aus seiner Sicht ist die Gewaltanalyse dabei besonders hohen Anforderungen ausgesetzt, die er im Anschluss an Überlegungen von Clifford Geertz als „Ethik der Genauigkeit“ bezeichnet: „In der Gewaltanalyse muss nach allen Möglichkeiten sprachlicher Genauigkeit gesucht werden, um Ambivalenzen in Beschreibung und Begrifflichkeit, so weit es irgend geht, nicht offen zu lassen.“[7] Diese Prämisse einer gründlichen und verantwortungsvollen Gewaltanalyse bildet gleichsam das wissenschaftsethische Fundament einer anschauungsgesättigten, nicht reduktionistischen Phänomenologie der Gewalt.[8]
Tobias Hauffes Studie Die Leere im Zentrum der Tat repräsentiert eine solche „Ethik der Genauigkeit“ auf eindrucksvolle Weise. Hauffe fragt nach Gewalttaten, denen kein eindeutiges Motiv oder länger währender Konflikt zugrunde lag: „Die Gewalt, so die polizeiliche Terminologie, erfolgte in den Situationen unvermittelt.“ (S. 8, Hervorheb. i. Orig.) Diesen „Moment des Sprungs in die Gewalt“ (S. 8), dessen Unerklärlichkeit nicht nur die von ihm interviewten Polizeibeamt:innen, sondern auch ihn selbst als Forscher umtreibt, will der Soziologe rekonstruieren:
„Ich möchte einen sozialen Moment, den Sprung in die Gewalt handwerklich gewissenhaft freilegen, um an Aspekte heranzukommen, die nicht augenscheinlich sind, die uns aber zu verstehen helfen, was hier vor sich geht.“ (S. 13)
Seine qualitative Untersuchung verortet Hauffe in einer pointiert und dicht verfassten, knapp gehaltenen Einleitung mit dem Titel Worum es geht (S. 7–15) im Kontext einer Soziologie der Gewalt in Anknüpfung an von Trothas methodologische Orientierungen. Daran schließen sich ein methodologisches Kapitel (S. 17–57) und eines mit Rekonstruktionen der für die Studie ausgewählten vier Fälle (S. 59–94) an, deren Darstellung auf juristisch fundierten Dokumenten aus Strafakten und offenen Interviews mit den ermittelnden Polizeibeamt:innen basiert. Der verdichteten Beschreibung von vier sehr unterschiedlichen Konstellationen unvermittelter Gewalt und ihrer Verarbeitung im Kontext von Polizei und Justizsystem folgt ein Kapitel, in dem fallübergreifend drei Handlungsmuster der Gewalt herausgearbeitet und als „Aspekte des Handlungsmodus gewalttätiger A-Sozialität“ eingeordnet werden (S. 97–166). Die Analyse der untersuchten Fallbeispiele wird hierbei durch einen Exkurs zu Albert Camus‘ Roman Der Fremde ergänzt. Camus‘ „erzählerische und sprachliche Mittel“ gewähren laut Hauffe einen Zugang zur „Handlungsgrammatik“ der Gewalttat des Protagonisten im Roman, die ebenso unvermittelt und unverständlich scheint wie diejenigen Taten, die der Hamburger Soziologe zuvor untersucht hat. In seiner „Conclusio“ (S. 167–191) verdichtet der Autor schließlich die zentralen Erkenntnisse seiner Studie weiter, lotet deren Grenzen aus und wirft schließlich Neue Fragen (S. 183–191) auf. Alle Kapitel sind in einer ausgezeichnet lesbaren Wissenschaftssprache verfasst. Zugleich enthält der Text eine Fülle teilweise recht lang geratener Fußnoten, deren argumentative Gründlichkeit immer wieder dazu einlädt, das Lesen des Haupttextes für einen Exkurs zu unterbrechen. Die damit verbundene Abwägung zwischen lesender Vertiefung und Ablenkung kann – so erging es mir – bisweilen etwas mühselig sein.
Unter dem Titel Zugänge: Das Moment der Gewalt erfassen (S. 17–57) entfaltet Hauffe seinen Untersuchungsansatz. Methodisch innovativ ist dabei die Verbindung des induktiven Forschungs- und Entdeckungsstils der Grounded Theory mit den Prämissen einer an Andrew Abbott angelehnten Lyrischen Soziologie (S. 23). Soziologisches Schreiben soll demnach „den sozialen Moment nachempfindbar machen“ (ebd.).
„Die Haltung, die lyrisch denkende und schreibende Autor:innen einnehmen, ist >engagiert statt distanziert<, sie zeichnet sich dadurch aus, dass Autor:innen nicht neutralisieren, dass – und wie – der Gegenstand etwas mit ihnen macht, sie versuchen vielmehr das Gefühl für die Leserschaft wachzuhalten.“ (ebd.)
In der Verknüpfung von Grounded Theory und lyrischer Soziologie sieht Hauffe eine konkrete Möglichkeit, die Standortgebundenheit des eigenen Denkens und Soziologie als eine persönliche Tätigkeit zu vermitteln (S. 25).
Ob die generell unverzichtbare Selbstreflexion von Sozialforscher:innen und deren Übersetzung in einen wissenschaftlichen Text das sprachliche Bild sowie die von Abbott vorgeschlagene Strategie einer lyrischen Soziologie braucht, darüber lässt sich freilich streiten. Hauffe jedenfalls überzeugt in seinem Text mit einer herausragenden Narration und gleichzeitigen Analyse seiner eigenen Suchbewegungen im Feld der Gewaltforschung, ohne sich dabei in einen Selbsterfahrungsdiskurs zu verstricken. So landet er beispielsweise bei der Untersuchung eines Überwachungsvideos zu einem Vorfall unvermittelter Gewalt, die für ihn mit der spontanen Generierung eines starken Bildes für das Geschehen verbunden ist, in einer Sackgasse des eigenen Denkens:
„Es geht darum, dass ich von diesem spontanen Bild aus die Frage falsch stellte, die doch eigentlich offen dalag. Ich fragte nach dem Warum und gab mir mit Begriffen wie Beiläufigkeit, Sinnlosigkeit und Entfremdung die Antwort. Und dann schaute ich auf den Bildschirm und wusste nicht, was es da noch zu sagen gibt.“ (S. 37)
Erst im Anschluss an diese retrospektive Analyse des eigenen Erkenntniskonflikts legt Hauffe dar, wie die Frage nach dem ‚Sprung in die Gewalt’ schließlich in weiterer Auseinandersetzung mit dem Forschungsfeld entsteht. So strukturiert sich schließlich auch die Auswahl der untersuchten, zunächst sechs und dann vier Fälle im Kommunikationsprozess mit Polizeibeamt:innen.
Wie bereits angedeutet wurden die vier ausgewählten Fallbeispiele vornehmlich anhand von polizeilichen Ermittlungsdokumenten und Gerichtsakten sowie basierend auf den Erinnerungen der involvierten Beamt:innen rekonstruiert. Hauffe betont die spezifische Funktion und damit implizit auch den textlichen Charakter dieser Dokumente. Deren „juristische[r] Zurichtung“ (S. 45) ist er sich also sehr bewusst. Gleichwohl wäre eine etwas ausführlichere, auch konkretere Darstellung der aus dieser „Zurichtung“ resultierenden spezifischen Logik aktenförmiger Dokumente für die spätere Lektüre wünschenswert gewesen. Das ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil es die Leser:innen darauf einstimmt, dass es sich um die Rekonstruktion von Texten handelt, die in mehrfacher Weise nur vermittelt Auskunft über das in ihnen beschriebene, aber auch konstruierte Geschehen geben können: ob Vernehmungsprotokolle, Gutachten oder Zeug:innenaussagen – alle Dokumente unterliegen einer stellvertretenden Autor:innenschaft, die zudem mit verschiedenen Aufträgen schreibt. Hinzu kommt die Temporalität von Dokumenten (direkt nach einem Geschehen, mit zeitlichem Abstand, während einer Gerichtsverhandlung, in nachträglichen Akteneinträgen). Vor diesem Hintergrund hätten die Ausführungen zu den Charakteristika der untersuchten Daten und zu deren Erkenntnispotenzialen sowie -grenzen durchaus noch vertieft werden können. Zudem hätte der Ansatz einer emotional bewussten lyrischen Soziologie auch die Beziehung zwischen den untersuchten Texten und den Reaktionen des Forschers erhellen können.
Im folgenden Kapitel Vier Fälle unvermittelter Gewalt (S. 59–94) wird zunächst erläutert, welche forschungspraktischen Entscheidungen mit der Verdichtung des untersuchten Materials verbunden waren. Vor diesem Hintergrund betont Hauffe auch, dass „die dokumentarischen Rekonstruktionen der Fälle die Situationen immer auch mitkonstruieren“ (S. 65). Zugleich bestehen für ihn keine Zweifel daran, dass das untersuchte Material und dessen dokumentarische Rekonstruktionen eine solide Basis für die angestrebte soziologische Begriffsbildung darstellen. Schon in der folgenden kurzen Einführung der vier Fälle wird deutlich, dass das jeweilige Gewaltgeschehen auf der Ebene der konkreten Situationen und Handlungskontexte nicht vergleichbar ist. Gleichwohl zeigen sich in allen vier Fällen Formen einer verstörenden, unvermittelten und (zumeist für alle Beteiligten) hochgradig destruktiven, brutalen Gewalt, deren Ausbruch nicht nachvollziehbar ist. Die Differenzierung zwischen der Einzigartigkeit des Geschehens und dessen gemeinsamen Kerns über die verschiedenen Gewaltszenarien nimmt Hauffe in den folgenden vier Fallrekonstruktionen vor. Letztere enthalten dabei nicht nur die aus Sicht des Forschers wesentlichen Informationen, die Leser:innen seiner Ansicht nach benötigen, um die im folgenden Kapitel anschließende Theoriebildung nachzuvollziehen. Sie bilden insofern zugleich einen grundlegenden Teil der wissenschaftlichen Analyse, als ihre Verdichtung an der Fragestellung des Forschers ausgerichtet ist.
Die analytische Verdichtung am Material wird im folgenden Abschnitt auf den „Handlungsmodus gewalttätiger A-Sozialität“ zugespitzt, dessen Ausprägungen Hauffe entlang von drei Aspekten darlegt. Dabei bleibt die theoretische Analyse dicht an der Logik der Einzelfälle, wird aber fallübergreifend entfaltet. Zu diesem Zweck verknüpft der Autor zwei Perspektiven: (1) die situative Dynamik und die Kontextbedingungen des Gewaltgeschehens sowie (2) „Beobachtungen [...], die Einsichten in präexistente Muster des Erfahrens und Wahrnehmens und damit auch in die Situationsdeutungen der Gewaltausübenden ermöglichen“ (S. 100). Hier stellt sich allerdings die Frage nach der Vermitteltheit solcher „Situationsdeutungen“ im untersuchten Material. Insofern ist zu bedenken, dass die theoretische Schlussfolgerung, die Hauffe mit dem „Handlungsmodus gewalttätiger A-Sozialität“ zieht, das Ergebnis von mehrschichtigen Ko-Konstruktions- und Deutungsprozessen darstellt, in denen die Wahrnehmungsperspektive der Gewaltausübenden nicht aus deren unmittelbarer Perspektive zugänglich ist.
Als „gewalttätige A-Sozialität“ fasst Hauffe einen Modus des Selbst und Weltbezugs der Gewaltausübenden, bei dem „das Gegenüber“ an einem bestimmten Punkt aus deren Wahrnehmung verschwunden scheint:
„Der Begriff Handlungsmodus gewalttätiger A-Sozialität bezeichnet dabei keine stabile persönliche Eigenschaft eines Gewaltausübenden, sondern einen spezifischen, zeitlich begrenzten Moment im Interaktionsgeschehen. In diesem Moment springt der Gewaltausübende in die Gewalthandlung.“ (S. 101)
Das heuristische Konzept der „gewalttätigen A-Sozialität“ unterteilt Hauffe in drei Aspekte, die er ausführlich unter Bezug auf die Dynamiken der untersuchten Fälle diskutiert: „Einkapselung des Gewaltausübenden und die situative Verschattung des Gegenübers“ (S. 102); „Beziehungslosigkeit zwischen Handelnden und Gewalthandlung“ (S. 119); „Handlungssprünge und vermittelte Handlungsmuster“ (S. 134). Die anschließenden analytischen Verdichtungen dieser Aspekte bleiben dabei für die ersten beiden enger an der Dynamik der untersuchten Situation, wohingegen der dritte Aspekt auf die spezifische „Abbildhaftigkeit“ (S. 135) des untersuchten Gewaltgeschehens abhebt. Hauffe hält fest, dass er „während der Untersuchung des Materials immer wieder auf Formulierungen, Beschreibungen und Beobachtungen stieß, die sich nicht nur ähnelten, sondern die klangen, als griffen Personen auf einen gemeinsam geteilten Wortschatz zurück“ (ebd.). Diese Beobachtung bewog ihn dazu, einem möglichen Zusammenhang zwischen der Gewaltform und popkulturellen Repräsentationen von Gewalt auf den Grund zu gehen. Im Fokus steht dabei die Darstellung von Szenen, „in deren Verlauf es zu Fuß- und Stampftritten gegen den Kopf einer am Boden liegenden Person kommt“ (S. 138). Mit Bezug zu solchen Repräsentationen kontrastiert der Autor konkrete verkörperte Handlungsmuster aus dem von ihm untersuchten Tatgeschehen mit einer Szene aus dem Kinofilm American History X, bei der es sich um „die wohl berühmteste popkulturelle Inszenierung dieser Form der Gewalthandlung“ (S. 139) handelt. Auf diese Weise wird die Frage nach der (pop)kulturellen Vermitteltheit von plötzlicher Gewalt in den Fokus gerückt. Diese Lesart scheint durchaus plausibel, bietet aber im Hinblick auf die begrenzte Reichweite der vier untersuchten Fälle eher Anregungen für weiterführende Heuristiken zu unvermittelter Gewalt.
Der anschließende Exkurs zu Camus' Der Fremde veranschaulicht zum einen das generelle Erkenntnispotenzial der literarischen Verarbeitung von Gewalt. Zum anderen vermittelt er in aller Kürze, welche schwer zu greifende Frage erkenntnisleitend für Hauffes Studie ist: Warum tötet oder verletzt ein Mensch einen anderen ohne erkennbaren Anlass und ohne einen Anlass dafür zu nennen, der unseren Erwartungen entspricht? Auf die Erklärung von Camus‘ Protagonisten Meursault, er habe einen anderen Menschen wegen „der Sonne“ getötet, entgegnet Hauffe, dass die Sonne sich soziologisch nicht erfassen lässt und deutet damit die Erkenntnis an, dass die Soziologie der Gewalt sich mit Dimensionen des Sozialen befasst, die teilweise unverfügbar bleiben, nur bruchstückhaft rekonstruiert und nur zu Teilen dem Verstehen zugänglich gemacht werden können.
Diese Überlegung schmälert jedoch keineswegs den Erkenntnisgewinn der von Hauffe vorgelegten Studie. Das unterstreicht auch sein Ausblick (Conclusio, S. 167–193) auf die Ergebnisse und offenen Fragen. Hier werden zunächst die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst und weiter verdichtet. Anschließend arbeitet der Autor den weiterführenden Erkenntnisgewinn seines Konzepts vom „Handlungsmodus gewalttätiger A-Sozialität“ für eine Soziologie der Gewalt heraus und setzt diesen sehr pointiert zu bereits existierenden Ansätzen und Konzepten ins Verhältnis beziehungsweise grenzt ihn von diesen ab. Hauffe versäumt es auch nicht, die drei Erkenntnispotenziale seines Konzepts hervorzuheben: zum einen die Stärkung einer mikrosoziologischen Perspektive zur situativen Rekonstruktion von Wegen „in die Gewalthandlung“ (S. 177), zum anderen eine spezifische Situationsdeutung von Gewalt – „die Gewaltausübenden scheinen die Gewalt nicht als Grenzsituation zu deuten“ (S. 178). Zudem sieht Hauffe einen grundlegenden Beitrag seines Konzeptes darin, Gewalt nicht als „allzu normales soziales Handeln“ (S. 181) zu analysieren und sie auf diese Weise „über-soziologisiert“ (ebd.) zu konzeptualisieren.
Unter der Überschrift Neue Fragen stellt Hauffe ebensolche in kritischer Absicht, auch im Hinblick auf seine eigenen Ausführungen zur Abbildhaftigkeit und medialen Vermitteltheit von Gewalt. In diesem Kontext greift er auf Überlegungen von Günter Anders zur Unlebendigkeit von medial vermitteltem Wissen zurück:
„In Anschluss an Anders würde ich die Frage stellen, wie die permanente Möglichkeit der Betrachtung von aufgezeichneten, realen Gewaltszenen und damit von leidenden, verletzten und auch getöteten Körpern etwas mit der menschlichen Vorstellung von Verletzungsmacht und Verletzungsoffenheit an sich macht.“ (S. 188)
Damit setzt Hauffe zugleich einen Impuls für weiterführende Gedanken zur Bedeutung von realen Gewaltdarstellungen in den sozialen Medien, die Menschen auch ohne „sinnhaft-leibliches Dabeisein“ (S. 189) involvieren.
Die Leere im Zentrum der Tat ist schwere Lektüre-Kost, denn Tobias Hauffe hat sich der eingangs erwähnten Anforderung einer „Ethik der Genauigkeit“ gestellt und einen eigensinnigen soziologischen Weg gefunden für die „Gratwanderung zwischen schlichter soziologischer Analyse und der ethischen Verpflichtung, wenigstens etwas von dem Schrecken und dem Leid gegenwärtig zu halten, die mit Gewalt verbunden sind“.[9] Dabei ist es ihm gelungen, die Härte und Brutalität von unvermittelter Gewalt zu veranschaulichen, ohne diese Form von Gewalt zu exotisieren, zu pathologisieren oder zu psychologisieren. Die Studie vermittelt vielmehr eine soziologische Suchbewegung im Hinblick auf eine schwerlich zu rekonstruierende soziale Dynamik, deren Kern Tobias Hauffe als einen folgenschweren Moment des Verlusts von Sozialität ausmacht. Ob und wie weit die begrifflich durchaus heikle Konzeptualisierung von A-Sozialität trägt, ist eine für die Soziologie der Gewalt offene, zugleich sehr anregende Frage.
Fußnoten
- Trutz von Trotha, Zur Soziologie der Gewalt, in: ders. (Hg.), Soziologie der Gewalt, Sonderausgabe der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen 1997, S. 9–56, hier S. 10.
- Ebd., S. 12.
- Ebd., S. 18.
- Ebd., S. 20.
- Ebd., S. 23.
- Ebd., S. 24.
- Ebd.
- Ebd., S. 21.
- Ebd., S. 24.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher.
Kategorien: Affekte / Emotionen Gewalt Handlungstheorie Körper Methoden / Forschung
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