Kübra Gümüşay | Interview | 28.03.2023
„Autor:innen sollten respektvoll mit der Zeit der Lesenden umgehen“
Sieben Fragen an Kübra Gümüşay
Ohne die Lektüre welchen Buches wären Sie heute ein:e andere:r?
Plantation Memories von Grada Kilomba ist ein dünnes Essaybändchen, das in kurzen, aber einschlägigen und prägnanten Texten die Politik des Sprechens und Wissens eindrücklich vor Augen führt. Das erste Lesen vor mittlerweile mehr als 13 Jahren erzeugte ein kleines Feuerwerk in meinem Kopf und in meinem Herzen. Dafür bin ich Kilomba auf ewig verbunden.
Welches war die beste/schlechteste Buchempfehlung, die Sie je bekommen haben?
Manchmal empfehlen mir Freund:innen Romane, die sie selbst fantastisch fanden. Und dann lese ich diese Bücher mit einer viel zu großen, überladenen Erwartungshaltung und grüble beim skeptischen Lesen abwechselnd darüber nach, ob der in Aussicht gestellte „fantastisch”-Effekt je eintreten wird, oder welcher Umstand meine Freund:innen zu dieser Einschätzung veranlasst haben könnte. Die schlechtesten Buchempfehlungen sind also in Wahrheit mittelgute Empfehlungen von guten Freund:innen.
Ihr literarischer guilty pleasure?
Die Sams-Reihe von Paul Maar. Mein Sohn ist 7 und liebt das Sams. Mittlerweile erklärt er merkwürdige Konstruktionen zu „Knackwurst-Bring-Anlagen” und dichtet, seit wir mit der Lektüre begonnen haben, gerne albern herum. Ich leider auch.
Mit dem:r Protagonisten:in welchen Buches würden Sie gern tauschen?
Ich wäre gerne kurz (!) Lea Ypi als junges Mädchen (in ihrem Buch Free), kurz nachdem sie erfahren hat, wofür die Begriffe „Universität“, „Abschluss“ und „Biographie“ in den Gesprächen ihrer Familie stehen. 1989, in Albanien, am sogenannten „Ende der Geschichte“.
Aus welchem Buch lesen Sie am liebsten vor?
Aus allem, was Gedanken enthält, die eine derartige Begeisterung in mir erzeugen, dass ich meine Freude mit meinen Freund:innen teilen muss. Zuletzt las ich meiner Freundin Nürsen etwas von Ernst Bloch vor. Aber am häufigsten und sehr gerne lese ich Kinderbücher vor. Beispielsweise Willi Millimandl und der Riese Bumbum von Mira Lobe. Mein Sohn und ich lesen zusammen gerne Kinderbücher mit Texten, die sich reimen, sodass wir vor Satzende raten können, was wohl folgen wird.
Welches Buch hat Sie bei der Lektüre in Rage versetzt?
In Rage bringen mich generell Bücher, in denen ein Argument auf 300 Seiten ausgebreitet wird, statt einfach zum Punkt zu kommen. Da gehen Autor:innen einfach nicht besonders respektvoll mit der Zeit der Lesenden um! Ein positives Gegenbeispiel hierfür ist Alle_Zeit von Teresa Bücker: Ein dichtes, kluges Buch, das – passend zum Thema – wertschätzend mit der Zeit der Lesenden umgeht und auf verhältnismäßig wenigen Seiten aufzeigt, welches Bild sich ergibt, legen wir die Folie „Zeit“ über die Missstände und Probleme unserer Gegenwart. Die einzige Rage, die bei der Lektüre in mir aufstieg, entstand durch die Wahrheit, die in diesem Buch steckt. Bückers Ausführungen sind treffend und schmerzen, denn es könnte alles ganz anders sein.
Welches Buch haben Sie nur seines schönen Covers wegen gekauft?
Fast alle Insel Verlag-Bücher, die unser Bücherregal schmücken.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher.
Kategorien: Care Familie / Jugend / Alter Gesellschaft Kultur Medien
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