Nina Degele | Rezension |

Kurz vor knapp

Rezension zu „Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel. Konturen der weltweiten Protestbewegung“ von Sebastian Haunss und Moritz Sommer (Hg.) und „Gemeinsam für die Zukunft. Fridays for Future und Scientists for Future“ von David Fopp

Die Hartnäckigkeit, mit der sich die inzwischen globale Bewegung Fridays for Future (FFF) Gehör verschafft, ist so bemerkenswert wie ihr Appell eindeutig: Wir müssen die Krise des sich verschärfenden Klimawandels als Krise behandeln – das heißt, wir müssen jetzt handeln. Wer sind die Akteur*innen von FFF, was fordern sie und wie organisieren sie sich? Einige Antworten geben zwei bei transcript erschienene Bücher mit auffällig ähnlichen Coverbildern, auf denen durch Straßen ziehende Menschen zu sehen sind, die mit Pappschildern gegen den Klimawandel demonstrieren.

Jugend gegen den Klimawandel

Bei den Konturen der weltweiten Protestbewegung handelt es sich um einen von dem Bremer Politikwissenschaftler Sebastian Haunss und dem Berliner Soziologen Moritz Sommer herausgegebenen Sammelband, bestehend aus zwölf Kapiteln, an denen insgesamt 26 Autor*innen mitwirkten. Die Beiträge basieren auf breiten Befragungen von Protestierenden im Jahr 2019 in Deutschland (Sommer/Haunss/Gardner/Neuber/Rucht) und Europa (Neuber/Kocyba/Gardner) wie auch auf Gesprächen mit Aktivist*innen (Rucht/Rink); einige Autor*innen führten Interviews mit Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (Gentes/Löning/Trapp) oder nahmen an Ortsgruppentreffen (Döninghaus et al.) und Streiktagen (Grupp/Hundertmark/Mandel) teil. Daneben finden sich in dem Band eine Auswertung der Berichterstattung in deutschen Leitmedien, eine Untersuchung zur Präsenz des Klimagerechtigkeits-Frames (Goldenbaum/Thompson) sowie eine Panel-Analyse zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Bewegung (Koos/Lauth).

Bekanntlich handelt es sich bei den FFF-Unterstützer*innen vorwiegend um gebildete, weiße und weibliche Angehörige jüngerer Generationen, von denen rund zwei Drittel „ihren Lebensstil seit Anfang 2019 etwas oder sogar stark verändert haben und etwa auf Flugreisen verzichten oder weniger Fleisch konsumieren“ (Koos/Lauth: S. 220). Zur Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten, so Simon Teune in seinem Beitrag, setzt die Bewegung auf die Aktionsform des Streiks. Hurrelmann/Abrecht (S. 229) sprechen von der „Generation Greta“. Die ihr zugerechneten Personen seien nach 2000 geboren, wieder politisch akzentuiert und beriefen sich auf fachwissenschaftliche Expertise, auf ihre Zugehörigkeit zu einer besonders gefährdeten Generation und auf die Pflicht zum Einhalten geschlossener Verträge. Die genannten Bezugspunkte verschafften ihnen Glaubwürdigkeit und positive Resonanz (Rucht/Rink: S. 111).

Die Bewegung hat ihre erklärten Ziele – die globale Klimaerwärmung auf maximal 1,5 Grad zu beschränken, alle Kohlekraftwerke in Deutschland bis zum Jahr 2030 verbindlich abzuschalten und die Umstellung der kompletten Energieversorgung auf erneuerbare Energien bis 2035 festzuschreiben – noch nicht erreicht. Dennoch, das halten die Herausgeber (S. 238) in ihrem resümierenden Beitrag im Corona-Jahr 2020 fest, beschleunigte Fridays for Future 2019 die Verabschiedung des Klimapakets der Bundesregierung und den Verzicht auf eine Kaufprämie für Neuwagen. Die Bewegung sorgte außerdem dafür, dass diverse Kommunen den Klimanotstand ausriefen und dass sich die Partei Bündnis 90/Die Grünen auf einem anhaltenden Höhenflug befindet.

Es hätten, so die Autoren, günstige Gelegenheitsstrukturen für eine Bewegung wie FFF bestanden: Der Klimawandel war (und ist) ein ohnehin großes Thema in der Politik, große Teile der Bevölkerung unterstützten die Einführung der CO2-Steuer, hinzu kamen die Auseinandersetzungen im Hambacher Forst und der sehr heiße Sommer 2018. Vor allem aber seien die Person Greta Thunberg und die von ihr ‚erfundene‘ Protestform des Schulstreiks ebenso mobilisierungsrelevant gewesen (S. 241–245) wie das geschickte framing der Erderwärmung als unmittelbar drängendes Problem, das die eigene Zukunft betrifft. Die Öffentlichkeit sei somit nicht nur ein Resonanzraum, sondern eine treibende Kraft für die Bewegung gewesen (Rucht/Rink), zu deren Wahrnehmung als Bewegung wiederum die mediale Berichterstattung einen erheblichen Anteil beigetragen hätte (Goldenbaum/Thompson).

Gemeinsam für die Zukunft

Anders gestrickt ist das Buch des Stockholmer Philosophen, Pädagogen und Aktivisten David Fopp, dessen Schilderungen zu Fridays for Future sich unterschiedlich lesen lassen: als journalistische Reportage eines Aktivisten, als Erfahrungsbericht eines Pädagogen und Umweltwissenschaftlers oder – sicherlich am produktivsten – als Ethnografie von Scientists for Future, deren Mitinitiator Fopp ist. Im ersten und umfangreichsten Teil rekonstruiert er die Erfahrungen der Jugendlichen bis zum ersten globalen Streik im September 2019, im zweiten Teil folgt die Antwort der Erwachsenen rund um die Scientists for Future, der dritte Teil resümiert Erfolge und Herausforderungen der Klimastreikbewegung in einem Gespräch mit Isabelle Axelsson aus Stockholm und Loukina Tille aus Zürich, beide Aktivistinnen der ersten Stunde.

Auch wenn der Anfang von Fridays for Future hinlänglich bekannt ist, rekapituliert Fopp ihn noch einmal (S. 81–84): Die 15-jährige Greta Thunberg sitzt am Montag, den 20. August 2018 mit einem dicht beschriebenen Papier voll mit Fakten zur Klimakrise auf ihrer Yogamatte auf dem Stockholmer Münzplatz und fordert die schwedische Regierung auf, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Mit jedem Frei- und Streiktag schließen sich immer mehr Kinder und Jugendliche ihr und ihrem Ruf nach politischer Verantwortung an. Darin zeige sich, so Fopp in seiner Beobachtung, einerseits die gesamte Naivität der Bewegung, andererseits aber auch ihr grundlegendes Vertrauen in die Politik, nämlich darauf, dass die maßgeblichen Entscheidungen – in diesem Fall für das Land und den Planeten – in den Parlamenten getroffen werden.

Gerichtet an die Mächtigen, aber auch an die anderen, ist das Protestschild eine direkte Aufforderung, sich dem Streik anzuschließen.

Ebenso bestreiken die Jugendlichen in ihrem kollektiven Akt zivilen Ungehorsams ein Bildungssystem, das sie einerseits zu Mündigkeit erziehen will, sie jedoch andererseits dafür sanktioniert, wenn sie sich für eine lebenswerte Welt stark machen; zumindest wenn dies während der Unterrichtszeit geschieht. Das Protestschild ist immer gut sichtbar dabei: Gerichtet an die Mächtigen, aber auch an die anderen, ist es eine direkte Aufforderung, sich dem Streik anzuschließen (S. 27–54) – so gesehen bilden die Titelbilder der hier besprochenen Bücher durchaus einen wichtigen Aspekt der Protestbewegung ab.

Wissenschaft und Politik

Auffallend bei Fridays for Future ist der enge Schulterschluss mit ‚der Wissenschaft‘, wohl kaum eine Bewegung ist vergleichbar wissenschaftsorientiert. Dem klimawissenschaftlichen Konsens zufolge beträgt das globale Budget bis zur 1,5-Grad-Erwärmung noch 420 Giga-Tonnen, zurzeit werden jährlich vierzig bis fünfzig Giga-Tonnen ausgestoßen (S. 200). FFF nimmt die Regierungen beim Wort, die sich im Pariser Klimaabkommen 2015 verpflichtet haben, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, das heißt, die Emissionen in Europa müssten um mindestens zwölf Prozent zurückgehen.

Nun stellen sich Fragen der Gerechtigkeit und Ethik: Sollen die Null-Emissionen bereits im Jahr 2030, 2035 oder 2050 erreicht sein? Wie viel Unsicherheit will man bei dieser Prognose in Kauf nehmen? Was heißt soziale Gerechtigkeit, nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch im globalen Maßstab? Eindrücklich deckt Fopp die politischen Tricks um falsch gesteckte und verwässerte Klimaziele auf. So würden die Entscheidungsträger*innen beispielsweise sogenannte tipping points und feedback loops unter den Tisch fallen lassen. Damit sind irreversible Prozesse gemeint, die sich ab bestimmten Wendepunkten selbst verstärken. So setzt beispielsweise der schmelzende Permafrost in Russland das im Vergleich zu CO2 deutlich schädlichere Methan frei, wodurch sich die Erderwärmung verstärkt, was wiederum zu einem noch schnelleren Abschmelzen des Permafrosts führt.

In offenen Briefen an die Regierungen, in Strategiepapieren und Statements zu Vorhaben wie dem neuen Klimagesetz der Europäischen Union (EU) im März 2020 (S. 254) fordern Aktivisti*innen und NGOs eindringlich eine Verschärfung der Ziele. Die Reduktion der Emissionen um ein Drittel oder sogar die Hälfte bis 2030 genügten nicht, und mit moderaten Verschärfungen (wie sie derzeit geplant sind) würde die EU immer noch das Doppelte der im Pariser Abkommen vereinbarten Menge CO2 ausstoßen. Fridays for Futures konsensuelle Grundlage sind drei Pfeiler: das geforderte Null-Emissions-Budget, der globale Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty und eine schnelle Transformation zu erneuerbaren Energiesystemen. Als Kompass und Perspektive der Bewegung gelten die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und der Demokratie. Fopp hält es für problematisch, dass sich die Bewegung inhaltlich derart verengt, indem sie über das 1,5-Grad-Ziel hinaus kaum konkretere Forderungen stellt. Dadurch limitiere sie ihren Einfluss, schütze sich aber auch davor, von Regierungen oder auch Unternehmen vereinnahmt zu werden.

Systemwechsel

Die Appelle der FFF-Aktivist*innen klangen zunächst harmlos: Glaubt der Wissenschaft! Löst eure politischen Versprechen ein! Gerade Letzteres ist aber revolutionär, zumindest bei konsequenter Umsetzung. Die geforderte Einhaltung der Pariser Klimaziele ist ohne einen grundlegenden Umbau der nichtnachhaltigen fossilen Konsumgesellschaften nicht möglich. Aber sind die Regierungen überhaupt die richtigen Adressaten für den damit notwendigen Systemwechsel (S. 269)? Es werde Fopp zufolge nicht genügen, an einzelnen Stellschrauben zu drehen. Seine Hoffnungen ruhen eher auf der Rechtsprechung: „‚Ökozid‘ wird vielleicht bald als Vergehen vom Internationalen Strafgerichtshof anerkannt.“ (S. 271)

Im Buch von Haunss und Sommer taucht die Frage nach der Systemkritik eher beiläufig auf, beispielsweise wenn Timo Gentes, Lina Löning und Alena Trapp das Verhältnis der Bewegung zu Umwelt-NGOs diskutieren oder wenn Dieter Rucht und Dieter Rink – nicht zuletzt wegen COVID-19 und der seitdem sehr viel aufwendigeren Mobilisierungsarbeit – eine Ermüdung der Bewegung befürchten. Zwar stellt der Band ein breites Spektrum von Einstellungen, Mobilisierung und Außenwirkung vor und präsentiert sich höchst informativ, allerdings bleibt er dabei überwiegend deskriptiv, anstatt an der einen oder anderen Stelle analytisch zu werden.

Fopp dagegen macht Fragen der globalen Klimagerechtigkeit, die Rolle der Wirtschaftswissenschaften, die Aufgabe der immer auch wertgebundenen Klimawissenschaften und die Generationenverhältnisse explizit zum Thema. Er nimmt ‚die Erwachsenen‘ an die Hand und liefert selbstkritische Einblicke in die Logik einer mittlerweile internationalen Bewegung. Dazu zählt beispielsweise auch die strukturelle Dominanz weißer Mittelschichtsakteur*innen aus dem globalen Norden. Allerdings klingen manche der Formulierungen derart hölzern, dass man als Leser*in den Eindruck gewinnt, sie kämen direkt aus dem Google-Übersetzer: „Febril[1] versuchen wir, auf eine Idee zu kommen […]“ (S. 230), während der Vorbereitung eines Streiks kümmern sich die Protagonist*innen „um den Polizeikontakt, Sicherheitsdispositiv, Bühnenmanagement und Finanzen“ (S. 243), geschrieben wird „in Termen von“ (S. 256). Hier hätte wohl ein gründliches Lektorat Not getan.

In einem sind sich die beiden Bücher einig: Es könnte das große Verdienst der jungen Bewegung sein, dass sie es schafft, eine grundsätzliche Systemkritik anzustoßen, die einen Wertewandel in Richtung Nachhaltigkeit forciert. Denn nichts anderes ist mit der zentralen Forderung der FFF gemeint, die Krise als Krise zu behandeln. Darin ähnelt der Klimastreik dem seit einem Jahrhundert währenden Kampf von Frauenbewegungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Allerdings nahmen die Durchsetzung bürgerlicher Rechte für Frauen, der weiblichen Berufstätigkeit ohne Einverständnis des Ehemannes, der rechtlichen Sanktionierung der Vergewaltigung oder auch die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe sowie des dritten Geschlechts Jahrzehnte in Anspruch – und immer noch kann von umfassender Gleichberechtigung keine Rede sein.

Um den Klimawandel zu stoppen, bleibt uns kein Jahrhundert mehr. Während die Dringlichkeit des Problems im Sammelband von Sebastian Haunss und Moritz Sommer nur zeitweilig durchschimmert, arbeitet David Fopp sie deutlich heraus. Ihm zufolge besteht darin aber auch das Dilemma der Bewegung. Einerseits gewinnt sie aus dem Zeitdruck ihre Legitimität, andererseits muss sie anerkennen, dass ein demokratisch ausgehandelter Wertewandel Zeit braucht. Darum sind die Forderungen der Bewegung so plausibel wie radikal: Schließlich muss sie dem Rest der Gesellschaft möglichst schnell klar machen, dass es nicht mehr fünf vor, sondern kurz nach zwölf ist.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Wibke Liebhart.

Kategorien: Gruppen / Organisationen / Netzwerke Kapitalismus / Postkapitalismus Konsum Ökologie / Nachhaltigkeit Zivilgesellschaft / Soziale Bewegungen

Nina Degele

Prof. Dr. Nina Degele ist seit 2000 Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Soziologie der Geschlechterverhältnisse, Sport und Körper, sowie qualitative Methoden.

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