Essay |

Öffentliche Soziologie

Zum Andenken an Günther Busch

Einem unbekannten Bekannten ist die Ehre zu erweisen. In den tausend Bänden der edition suhrkamp, die er von 1963 bis 1979 lektoriert hat, ist sein Name nie auf einem der Titelblätter erschienen, allerdings stets auf der nachfolgenden Innenseite – „Redaktion: Günther Busch“. Den Leserinnen und Lesern dieser Bücher wird die Mitteilung, wenn sie überhaupt je zur Kenntnis genommen wurde, wenig gesagt haben; für viele Autorinnen und Autoren, aber auch für zahllose Kolleginnen und Kollegen in der Verlagsbranche war dieser Name hingegen das Synonym für einen ebenso bewunderten wie verehrten „Meister seines Metiers“ – so stufte Jürgen Habermas den Lektor bei Suhrkamp aufgrund seiner eigenen Erfahrung ein.

Günther Busch war „der Autor, der nicht schreibt“, wie es treffend im Titel der wahrscheinlich einzigen Festschrift heißt, die je einem Verlagslektor zu seinem 60. Geburtstag präsentiert wurde. Sie ist, herausgegeben von Rebekka Habermas und Walter Pehle, 1989 als Fischer Taschenbuch erschienen, also in dem Verlag, in dem Günther Busch nach seinem Weggang von Suhrkamp und einem Intermezzo in der Europäischen Verlagsanstalt seine ungeheuer eindrucksvolle Tätigkeit als Büchermacher fortgesetzt hat. Seit Anfang 1983 war er zunächst als Berater, dann ab 1985 als höchst respektierter Kopf des Wissenschaftslektorats des S. Fischer Verlags und Leiter der Abteilung Wissenschaft im Fischer Taschenbuch Verlag tätig. Noch in diesen Funktionen ist er, nach kurzer schwerer Krankheit, im Juni 1995 verstorben, ohne den Ruhestand antreten und vielleicht sogar genießen zu können, den er sich angesichts der vielen, bedeutsamen Editionsprojekte, die durch ihn angestoßen und umgesetzt worden waren, verdient hatte.

Von einem Autor, der nicht schreibt, hatte Friedrich Nietzsche mit Blick auf Sokrates gesprochen. Der hatte bekanntlich selbst nie geschrieben. Vielmehr blieb es seinem Schüler Platon überlassen, die Tätigkeit zu verschriftlichen und zu überliefern, der Sokrates nachging, wenn er seine Mitbürger auf den öffentlichen Plätzen Athens in Gespräche verstrickte. Charakteristisch für den Verlauf der Unterhaltungen, die dem Wesen der Wahrheit, der Gerechtigkeit oder der Schönheit nachspürten, war der Umstand, dass sich Sokrates in der Regel auf die Rolle des Fragenden beschränkte, und es seinen Gesprächspartnern überließ, die richtigen Antworten zu finden. Nicht von ungefähr hatte der Philosoph sein Vorgehen in einer von Platon überlieferten Sentenz mit der Kunst verglichen, auf die sich Hebammen verstehen.

Sokratisch ist auch Günther Busch in seiner Arbeit vorgegangen. Er war ein konzentrierter Fragesteller, der sein Gegenüber zur Präzisierung seiner Gedanken anhielt, und eine unerhört vielbeschäftige Hebamme. Ungezählt die Texte und Bücher, die ohne seine Kunst nie das Licht der Welt erblickt hätten. Aber einen Platon, der für die Mit- und Nachwelt festgehalten hätte, was Günther Busch in seinem langen Arbeitsleben alles zu Wege gebracht hat, den gab es nicht. Und da es zu den Grundüberzeugungen von Busch gehörte, dass sich die Qualität eines Lektorats nicht zuletzt daran bewährt, keine Spuren zu hinterlassen, wäre es in der Tat auch keine leichte Aufgabe, seine Verdienste nicht nur um die soziologische Literatur sichtbar werden zu lassen. Ungeachtet aller damit verbundenen Schwierigkeiten hat sich Oliver Römer daran gemacht, Busch und einigen seiner Kollegen, die sie sich wie er als Geburtshelfer um die öffentliche Soziologie in der alten Bundesrepublik verdient gemacht haben, eine späte Würdigung zuteilwerden zu lassen. Seinen Text veröffentlichen wir im Andenken an Günther Busch, der am 13. September 1929 geboren wurde und heute 90 Jahre alt geworden wäre.

Ein Seitenstück zu dieser bescheidenen Hommage bildet die ausführliche Rezension, mit der Wolfgang Knöbl das gerade im Springer Verlag erschienene, dreibändige Handbuch zur Geschichte der deutschsprachigen Soziologie bedacht hat. Oliver Römer war an diesem imposanten Unternehmen als Autor beteiligt.

Die Red.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Martin Bauer.

Kategorien: Kommunikation

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