Patrick Wöhrle | Literaturessay | 05.12.2022
Bußgeldbescheid ohne Gummibärchen
Literaturessay zu „Die Grenzen der Verwaltung“ von Niklas Luhmann

Dass es einen „jungen Habermas“ gegeben hat, ist spätestens seit der einschlägigen Untersuchung von Roman Yos[1] gut erschlossen. Mit Niklas Luhmanns frühem Werk verhält sich dies etwas anders: Einerseits sind auch durch die nicht versiegen wollenden posthumen Veröffentlichungen aus seinem Nachlass einige einprägsame Formeln aus der Schaffensphase der 1960er- und 1970er-Jahre – „Lob der Routine“, „brauchbare Illegalität“, „Unterwachung“ – besonders in organisationssoziologischen Zusammenhängen durchaus geläufig. Andererseits hängt über dieser Schaffensphase zugleich ein Verdikt, das paradoxerweise von Luhmann selbst stammt: Seine Schriften vor Soziale Systeme bezeichnete er bekanntlich als eine „Nullserie der Theorieproduktion“. Diese Nullserie allerdings umfasst mit über 15 Monografien, circa 150 Aufsätzen und Lexikonbeiträgen sowie zahlreichen Aufsatzbänden und Herausgeberschaften deutlich mehr, als heutzutage in einem schreibfreudigen Gelehrtenleben insgesamt produziert werden.
Diese verwunderliche Marginalisierung des Frühwerks durch seinen eigenen Autor könnte sicherlich damit zu tun gehabt haben, dass Luhmann, nachdem er von Habermas theoriepolitisch durchaus effektiv der „Sozialtechnologie“ bezichtigt wurde, den Eindruck erwecken wollte, seine eigentliche Theorieleistung beginne überhaupt erst mit Soziale Systeme, während insbesondere seine organisations-, politik- und rechtssoziologischen Arbeiten aus früheren Jahren so etwas wie ein anfängliches Übungsfeld seiner ersten gesellschaftstheoretischen Gehversuche waren. Falls es diesen strategischen Impuls tatsächlich gegeben haben sollte, war ihm allerdings nur wenig Erfolg vergönnt. So ist der Vorwurf, Luhmanns Vergangenheit als Verwaltungsjurist schlage voll auf Vokabular und Theorieanlage auch seiner späteren Schriften durch, bis heute vernehmbar.
Das von Johannes F. K. Schmidt und Christoph Gesigora aus dem Nachlass herausgegebene Manuskript zu den Grenzen der Verwaltung, das Luhmann um 1964 verfasste, dann aber nicht fertigstellte,[2] eröffnet die Gelegenheit, in dieser Sache zu differenzierteren Urteilen zu kommen. Schließlich stellt sich wie schon bei Funktionen und Folgen formaler Organisation die Frage, ob die Abläufe und Phänomene, die Luhmann in Verwaltungen analysiert, wirklich nur ein mehr oder minder kontingenter „Anwendungsfall seiner Systemtheorie“[3] waren oder ob sie nicht vielmehr deren induktiven Ausgangspunkt darstellten. Wenn der „lange Sommer der Theorie“[4] tatsächlich zu Ende sein sollte, dürfte aber ebenso von Interesse sein, ob die vermeintliche „Nullserie der Theoriebildung“ künftig nicht einen neuen Frühling erleben könnte. Denn wie die Herausgeber zutreffend anmerken, ist das Luhmann’sche Frühwerk durch eine „Verbindung von hochabstrakten Theorieüberlegungen und dichten, ja alltagsnahen Beschreibungen“[5] gekennzeichnet. Falls heute eine gewisse Ermüdung hinsichtlich umfassender, mit universalem Erklärungsanspruch formulierter Gesellschaftstheorien eingetreten sein sollte, ist es umso attraktiver, den manifesten Anwendungsbezug dieser frühen Schriften zu diskutieren, statt ihren gesellschaftstheoretischen Status schlichtweg als unausgereift auszuweisen – dies soll hier in Umrissen versucht werden.[6]
Selbstverortung im Feld der Verwaltungswissenschaften
Besagter Anwendungsbezug fällt von der ersten Seite des Buches an ins Auge, ist Luhmann doch eine kaum verhohlene Enttäuschung darüber anzumerken, dass insbesondere zwei Arten der damals gängigen verwaltungswissenschaftlichen Theorien die Komplexität des Verwaltungsalltags unterschätzen:
- Die eher wirtschaftswissenschaftlich orientierten Ansätze wollen den Status der Verwaltung unter Rückgriff auf das Zweck-Mittel-Schema bestimmen und stülpen ihr letztlich ein ökonomisches Rationalmodell über, das in mehreren Punkten nicht zu überzeugen vermag. Erstens seien die Kosten-Nutzen-Relationen dieses Rationalmodells auf einen quantitativen Vergleichsmaßstab – nämlich Geld – angewiesen und könnten dabei den Umstand, dass insbesondere bei öffentlichen Verwaltungen keineswegs alle Handlungsfolgen in Geld rückübersetzbar sind, gar nicht erfassen. Zweitens führe es aber auch dazu, die Spezifika des verwaltungsbezogenen Entscheidungsbegriffs einzuebnen. Im Falle des Verwaltungshandelns sei eine ‚Entscheidung‘ eben nichts, das – wie in anderen Organisationen – etwa durch die Festlegung von Produktionsschritten dem organisationsinternen Strukturgewinn dient. Vielmehr ist die Entscheidung selbst das ‚Produkt‘, das direkt der Organisationsumwelt zugestellt wird und dabei keineswegs immer auf dankbare Abnahme trifft. Spätestens hier ergibt sich die Frage, wie eine marktanaloge ‚Anpassung‘ an die Anforderungen der Leistungsabnehmer eigentlich aussehen soll, will man Bußgeld- oder Steuerbescheiden nicht gerade eine Packung Gummibärchen oder ein Sammelalbum beilegen.
- Die eher psychologisch orientierten Organisationstheorien hingegen schränken zumeist unter Rückgriff auf die Kleingruppenforschung die Betrachtung auf das Verwaltungspersonal ein, das mit Versprechen wie einer besseren ‚Kommunikation‘, einer weitgehend hierarchiefreien ‚Verständigung‘ und einer kollektiven Verantwortlichkeit stärker motiviert und in die organisationsinternen Abläufe integriert werden soll. Dieser Art von Optimierungsabsichten allerdings entgehe mitunter nicht nur, dass es „außer den Mitgliedern der Organisation noch andere problemverursachende Faktoren gibt“ (S. 28). Auch würden ‚Personen‘ ungeachtet ihrer ganzen psychischen Komplexität ins Zentrum der Organisation gerückt, ohne dass danach gefragt würde, ob ein Hauptmerkmal von (Verwaltungs-)Organisationen nicht gerade darin bestünde, ihre Mitglieder nur ausschnitthaft zu adressieren respektive zu motivieren und sie ansonsten – organisationsextern – ‚sie selbst sein zu lassen‘.
System, Entscheidung, Erwartung, Funktion – Luhmanns Werkzeugkasten
Luhmann erhofft sich nun, diese Engpässe vermeiden zu können, indem er mit wenigen, aber distinkten Grundbegriffen neu ansetzt, und es ist durchaus faszinierend, wie hier vier ‚große‘ Denkfiguren der später mit universalem Anspruch auftretenden Systemtheorie an manifest-alltägliche Problemkonstellationen des Verwaltungshandelns rückgebunden werden. Die Präferenz für den Systembegriff (1) wird damit begründet, dass es das Hauptkennzeichen von Verwaltungen sei, mit widersprüchlichen Handlungsanforderungen und mehrfachen Publika – später heißt das dann: Systemreferenzen – parallel zurechtkommen zu müssen; diese komplexe Umweltlage von Verwaltungen aber sei nur durch ein begriffliches Instrumentarium zu erfassen, das relative Invarianz der eigenen Strukturen und Umweltoffenheit zugleich zu denken erlaube. Die Kategorie der Entscheidung (2) wird nicht als ‚innere‘ Vorbereitung einer Handlung, sondern als ein besonderer Typus von Handlung gefasst, der einerseits die Leistung des Verwaltungshandelns als Umwandlung von Information in Entscheidung funktional zu spezifizieren erlaubt, andererseits aber auch die Grenze zwischen Verwaltung und Publikum näher kennzeichnet: Entscheidungen sind im Falle der Verwaltung eben kein vornehmlich organisationsinternes Geschehen, sondern sie werden der Umwelt mitgeteilt. Sie existieren also nur als tatsächlich kommunizierte Inhalte und können sich auf ihrem Weg über verschiedene Schreibtische hinweg auch verändern, etwa indem ein vorliegendes Dokument mit einem Eingangsstempel versehen, beglaubigt oder auch vom angeblich neutralen ‚Überbringer‘ als Möglichkeit der Selbstdarstellung genutzt wird (S. 65 ff.). Die Vorteile des Erwartungsbegriffs (3) wiederum liegen für Luhmann darin begründet, dass er grundlegende Orientierungspunkte des Handelns überzeugender zu fassen erlaubt, als es mit dem überkommenen Zweck-Mittel-Schema möglich ist: Erwartungen stiften innerhalb eines sozialen Systems einen ersten Invarianzgewinn, der in der Gestalt von zeitlich generalisierten Normen, sachlich generalisierten Rollen und sozial generalisierten Institutionen die eigenen Strukturen gegenüber der Flüchtigkeit des konkreten, stets invarianten Handelns stabil zu halten vermag. Zugleich gestattet der Erwartungsbegriff es aber auch, die Verwaltungsumwelt zwar „nicht als Handlung, wohl aber als Erwartungshorizont“ (S. 73) zu berücksichtigen und dadurch beobachten zu können, wie ein System an dieses Umweltwissen eigene Operationen anschließt. Der letzte Begriff aus Luhmanns frühem verwaltungswissenschaftlichen Werkzeugkasten ist – wenig überraschend – der der Funktion (4): Mit ihm ist erneut eine Abwehr des traditionellen Zweck-Mittel-Vokabulars und eine Skepsis gegenüber einlinigen, kausalwissenschaftlichen Wirkungsvermutungen verbunden: In einer hochgradig veränderlichen, mehrdimensionalen und „rücksichtslosen Umwelt“ lassen sich deren Anforderungen nach Luhmann weder auf einen Zweck herunterbrechen noch zu einer auslösenden Ursache verdichten; vielmehr ist aus funktionaler Perspektive die Zwecksetzung nur noch eine unter vielen anderen Möglichkeiten, durch die sich ein System eine relative Indifferenz gegenüber der Umwelt erarbeiten kann – im Falle der Verwaltung etwa durch die ‚eigenzeitliche‘ Langsamkeit der ablaufenden Prozesse oder durch die Entscheidung, Entscheidungen zu vertagen.
Systemtheorie am Werke
Wie entfaltet Luhmann dieses bündige Begriffsarsenal nun mit Blick auf die besonderen An- und Herausforderungen, denen sich insbesondere die öffentliche Verwaltung gegenübersieht? Zunächst geht es ihm darum, ihre Besonderheiten durch einen Vergleich von Organisationen überhaupt erst freizulegen und herauszuarbeiten. Ihr entscheidendes Spezifikum sieht Luhmann in der simplen Tatsache, dass öffentliche Verwaltungen im Gegensatz zu wirtschaftlichen Betrieben oder freiwilligen Vereinigungen ihre Existenz weder durch die Anpassung ihrer Produktpalette an Kundenwünsche noch durch attraktive, mitgliedschafts- und beitragsmotivierende Zwecke sichern können oder müssen, sondern stattdessen von einer politischen Zentrale alimentiert und mit Verbindlichkeit ausgestattet werden. Diese außergewöhnliche Bestandsgarantie hat zunächst den einfach einzusehenden Zweck, eine Entscheidungstätigkeit, „die für niemanden persönlich attraktiv, trotzdem aber im Gesamtinteresse sinnvoll ist“ (S. 119), überhaupt zu Wege zu bringen. Zugleich aber resultiert aus dieser Garantie eine komplexe und riskante Umweltkonstellation öffentlicher Verwaltungen: Einerseits – und dies ermöglicht erst den bekannten unpersönlichen Verhaltensstil der Verwaltung – ist sie von unmittelbarer Rücksichtnahme gegenüber den jeweiligen Entscheidungsabnehmern freigestellt; andererseits aber stehen den Entscheidungsabnehmern als Wählern, als Mitgliedern einer Interessengruppe, als Verbandsfunktionären oder als Lobbyisten eben doch Rollen zur Verfügung, in denen sie zumindest mittel- und langfristig auf das Verwaltungshandeln einwirken können. Dieser Umstand impliziert – mit Norbert Elias gesprochen – eine Komplizierung von Handlungsketten, die nicht einfach linear abgearbeitet werden können, und er bedeutet ebenso eine Verlängerung und Vervielfältigung von Zeithorizonten, die sich die Verwaltung synchron gegenwärtig halten muss.
Ein erster Umgang mit dieser komplexen Umweltlage liegt nach Luhmann nun darin, dass die Verwaltung ihre Umwelt eigenständig in mehrere Teilumwelten segmentiert, die verschieden behandelt werden können. Diese Verfahrensweise eröffnet einerseits eine Spezialisierung des eigenen Verhaltens (und setzt ‚entgegenkommend‘ spezialisierte Komplementärrollen in den jeweiligen Teilumwelten voraus). Zum anderen ermöglicht sie aber auch, „widerspruchsvolle Verhaltensweisen gleichzeitig zu pflegen“ (S. 108) und, vereinfacht ausgedrückt, die verschiedenen Teilumwelten so gegeneinander auszuspielen, dass man sich niemals in zu starke Abhängigkeit von nur einer Teilumwelt begibt.
Die Geschicklichkeit nun, mit der diese Möglichkeit bis an die Grenzen des legal Zulässigen ausgereizt wird, ist für Luhmann so etwas wie der ‚professionsethische‘ Maßstab klugen Verwaltungshandelns, und das empirische Herzstück des Buches widmet sich entsprechend der riskanten und verschachtelten ‚Grenzarbeit‘, die das Verwaltungshandeln gegenüber seinen – eigens differenzierten – Teilumwelten betreiben muss: gegenüber dem Publikum, der Politik und seinen eigenen Mitgliedern.
Gegenstrukturelle Einrichtungen an der Grenze zum Publikum
Die Grenzarbeit gegenüber dem Publikum, also den Entscheidungsabnehmern, erscheint auf den ersten Blick durchaus luxuriös: Während insbesondere Dienstleistungsbetriebe einen ungeheuren dramaturgischen Aufwand betreiben müssen, um die Kooperationsbereitschaft eines leibkörperlich anwesenden Publikums sicherzustellen, ist die Verwaltung durch weitgehende Interaktionsabstinenz gekennzeichnet.[7] Sie kommuniziert mit ihrem Publikum zumeist schriftlich und kann dabei auf weitere Abkürzungs- oder Entlastungsmedien wie Stempel, Beglaubigungen, Zahlen oder Unterschriften zurückgreifen, ohne dass sie bei der Erarbeitung von Entscheidungen unter Beobachtung stünde.[8] Zudem wird sie durch die hoheitliche Absicherung ihrer Entscheidungen nicht in langwierige Rechtfertigungen hineingezogen, sondern kann wenn auch nicht mit generalisierter Zustimmung so doch mit generalisierter Abnahmebereitschaft rechnen – und das selbst dann, wenn, und dies ist für Luhmann eine evolutionär an sich unwahrscheinliche Errungenschaft, der Entscheidungsabnehmer einen gesellschaftlich gleichen oder sogar höheren Rang bekleidet als diejenigen, die die Entscheidung verbindlich mitteilen.
An diesem Punkt beginnt allerdings schon die komplexe Grenzarbeit, die die Verwaltung gegenüber dem Publikum verrichten muss, und hier wird es wie schon in Funktionen und Folgen formaler Organisation auch schnell ‚brauchbar illegal‘. Formale Verbindlichkeit ohne Ansehung der Person ist als Legitimations- und Darstellungsgrundlage der Verwaltung unabdingbar. Das ändert aber nichts daran, dass sie als tatsächliche Kommunikation eher eine Zumutung ist:
„Eine so unnatürliche Tätigkeit, die niemandem gefällt und die normalen Formen elementarer zwischenmenschlicher Kontaktführung so kraß verletzt, kann nicht einfach dekretiert und hingestellt werden. Es ist vielmehr anzunehmen, daß eine solche Einrichtung komplementäre Institutionen des Ausgleichs und der Entspannung mit sich führen wird […]“ (S. 133).
Besagte Entspannung wird nach Luhmann zum einen dadurch erreicht, dass man die Berücksichtigung des gesamtgesellschaftlichen Rangprinzips durch die fast buchstäbliche Hintertür wiedereinführt, etwa indem man statushohen Entscheidungsabnehmern dezent eine längere Unterredungsdauer gewährt, eine schnellere Bearbeitung der Unterlagen in Aussicht stellt oder bereitwilliger Informationen über den Stand der Bearbeitung zukommen lässt. Zu derartigen „gegenstrukturellen Einrichtungen“ (S. 134) zählt er aber überraschenderweise auch das Negativstereotyp, das der Verwaltung allgemein nachgesagt wird. Dieses Stereotyp taugt zwar nicht, wie Julian Müller meint, als „positiver Markenkern“[9] der Verwaltung (es lässt sich gerade nicht offensiv bewerben, ohne Hoffnungen auf seine Widerlegung zu wecken), durchaus aber dazu, die Ansprüche an die Verwaltung von vornherein niedrig zu halten und Proteste zu absorbieren – man weiß ja, wie langsam die Mühlen der Bürokratie mahlen, und erwartet sich daher auch wenig. Einen dritten Ausgleichsmechanismus für das so „unnatürliche“ Verwaltungshandeln – und dieser Gedanke wird später auch in seiner Soziologie des (Gerichts-)Verfahrens wieder auftauchen[10] – macht Luhmann in der Bildung von Kontaktsystemen aus, die auf das Problem reagieren, dass man sich trotz aller Formalität und Anonymität des bürokratischen Prozederes wiedersehen kann. Diese Möglichkeit verändert in ausgesuchten Fällen gewissermaßen die gesamte soziale Figuration: Ist eine wiederholte Begegnung wahrscheinlich – und dies ist vor allem beim Kontakt mit höherrangingen Verbandsfunktionären der Fall –, so werden beide Beteiligte dieses ‚Risiko‘ in ihr eigenes gegenwärtiges Verhalten einrechnen und dann womöglich ein enges sowie auf längere Frist angelegtes Netz aus gegenseitigen Abhängigkeiten knüpfen, das den Neutralitätswerten der Verwaltung zwar entgegensteht, für sie aber dennoch von Vorteil sein kann, nämlich insbesondere dann, wenn es gilt, die Grenze zu einer zweiten Teilumwelt auszutarieren: die zur Politik.
Hellhörigkeit an der politischen Grenze
Auch das Verhältnis der Verwaltung zur Politik wird, wenn man die ‚offizielle‘ Version dieses Verhältnisses (gesetzgebende versus ausführende Gewalt) zum Maßstab nimmt, von Luhmann gründlich gegen den Strich gebürstet. Problematisch daran erscheint ihm die unkontrollierte Vermengung von deskriptiven und normativen Elementen, die sich zum Nachteil der Verwaltung auswirken muss: Einmal als untergeordnete, befehlsabhängige, lediglich ausführende Instanz ‚beschrieben‘, wird eine Abweichung von diesen Normen nicht an den unrealistischen Annahmen dieses Modells festgemacht, sondern als Versagen der Verwaltung skandalisiert. Auch hier diagnostiziert Luhmann letztlich einen theoretischen Traditionalismus, der versucht, einem komplexen sozialen System wie der Verwaltung mit Vorstellungen von linearer Kausalität und eindeutigen Wirkungserwartungen beizukommen, wo es eigentlich gilt, „der Tatsache widerspruchsvoller Systemprobleme, mehrfacher Reaktionsmöglichkeiten und mehrerer Systemgrenzen Rechnung [zu] tragen“ (S. 150).
Mit ebendiesem Anspruch ist vor allem eine eminente Aufwertung der Verwaltung als eigenständige, (planungs-)aktive Handlungseinheit verbunden, die in weitaus mehr Feldern mitspielt, als es die ‚offizielle‘ Version wahrhaben will.[11] Fast bekommt man den Eindruck, dass Luhmann die (Partei-)Politik in ein dienendes Verhältnis zur Verwaltung setzt, wenn er die Funktion der ersteren vor allem darin sieht, beim ‚Publikum‘ Akzeptanz und Legitimation für die Verbindlichkeit der Verwaltungsentscheidungen zu beschaffen (S. 151).[12] Diese Aufwertung hat sicherlich auch damit zu tun, dass er viele der eigentlich als genuin politisch bezeichneten Institutionen – etwa die Parlamente – bereits der Verwaltung zurechnet, weil die dort getroffenen Entscheidungen in ihrer Rechtsbindung und Förmlichkeit für ihn schon Verwaltungsakte darstellen und der politische Bereich sich daher eher auf informelle Mehrheitsbeschaffung und ähnliches zusammenzieht. Konsequent konzipiert Luhmann das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung daher nicht als eine Konstellation von Befehlsgeberin und Befehlsempfängerin, sondern sucht das entscheidende Verbindungsstück in etwas, was er „politische Information“ nennt. Damit ist zunächst gemeint, dass die Politik ihre vermeintlichen Befehle in einer Weise anfertigen muss, die die Verwaltung überhaupt als Information dechiffrieren kann. Zudem rechnet er damit, dass die Grenze zwischen Politik und Verwaltung längst nicht so stabil ist, wie es in der offiziellen Version scheint, und der Transport von Informationen in unterschiedlichen, teils gegenläufigen Kanälen vonstattengehen kann – daher müsse die Verwaltung etwa auch gegenüber politischen Informationen aus Oppositionskreisen hellhörig sein. Die Grenzarbeit im Verhältnis zur Politik lässt sich also nicht wie diejenige im Verhältnis zum Publikum routinisieren, sondern muss Unerwartetes feinfühlig verarbeiten und eine besondere Geschicklichkeit beim Decodieren politischer Informationen entwickeln.
So unterschiedlich diese beiden Grenzen von der Verwaltung auch zu bespielen sind – letztlich sieht Luhmann in ihnen Einrichtungen, die den politischen Kreislauf gerade durch ihre Transformationswirkungen stabil halten: Private Interessen müssen in der Politik in eine verallgemeinerbare Form gegossen werden, bevor sie als politische Information in die Verwaltung eingeschleust werden, in der Verwaltung gerinnt die politische Information zu förmlichen Entscheidungen, und das entscheidungsbetroffene Publikum berücksichtigt bei seiner Wahlpräferenz wiederum deutlich mehr Motive als bloß die Reaktion auf jene zugestellten Entscheidungen. Es handelt sich also um einen Kreislauf, der kontinuierlich Motive in Information und Information erneut in Motive verwandelt und dabei – wie der spätere Luhmann wohl gesagt hätte – Interdependenzunterbrecher einbaut, die einerseits Zeitgewinn und Strukturaufbau für alle Beteiligten ermöglichen, andererseits an ausgewählten Stellen aber auch Chancen für Einflussnahme bereithalten.
Selbstdarstellungschancen an der Personalgrenze
Ein letztes Grenzverhältnis ortet Luhmann in der Beziehung der Verwaltung zu ihrem eigenen Personal. Bereits hier scheint die später so oft skandalisierte Grundannahme Luhmanns durch, dass Personen, Persönlichkeiten oder gar Menschen keineswegs zum sozialen System selbst, sondern zu dessen Umwelt gehören. Wie das System der Verwaltung neuartige Motivationsstrukturen aufbaut, um ein „so problematisches, aufgebautes, zerbrechliches Gebilde“ (S. 165) wie eine Persönlichkeit dennoch zu weitgehend vorhersehbaren Handlungen zu veranlassen, hatte Luhmann zuvor schon in Funktionen und Folgen formaler Organisation ausbuchstabiert: nämlich mittels der Formalisierung von Verwaltungserwartungen durch den Aufbau einer distinkten Mitgliedschaftsrolle, die Rollentrennung zu symbolisieren vermag und zugleich unbestimmt genug bleiben muss, um auch an zukünftige Entwicklungen der Organisation anpassbar zu sein.
Überraschender ist jedoch, wie Luhmann die verwaltungsspezifische Spielart dieses allgemeinen organisationalen Prinzips einkreist: Anders als viele kulturkritische Einlassungen dieser Jahre, die die Weber’sche Rede vom „stählernen Gehäuse der Hörigkeit“ in verschiedenen Tonlagen variierten, sieht Luhmann ausgerechnet das Verwaltungshandeln mit durchaus hohen expressiven Gratifikationen ausgestattet. Durch den Schwerpunkt auf kommunikativen Akten (also den Entscheidungsmitteilungen) ergäben sich hier systematisch „Chancen für Selbstdarstellung“, die von der Wahl des Kommunikationsmediums über Modulationen in der Ausdrucksweise bis hin zur Demonstration von Informationsüberlegenheit reichten – und die dabei dennoch auf generalisierte Abnahmebereitschaft zählen können: „Selbst ausgesprochen dumme Einfälle haben das Recht auf höfliche Widerlegung.“ (S. 174)
Genau diese erhöhten Selbstdarstellungschancen sind es nun, die von der Verwaltung zugleich in eine systemfunktionale Bereitschaft zur Personalisierung von Strukturproblemen eingetauscht werden können: Die Verwaltungsbeamtin ärgert sich dann nicht mehr über zu umständliche Weisungswege oder sperrige Software, sondern arbeitet ihre Enttäuschung über gängige Berufsklischees, etwa vom bornierten Juristen oder vom weltfremden Informatiker ab – und kristallisiert dabei selbst zu einem eigenen Klischee, das als Blitzableiter innerorganisationaler Spannungen dienen kann und so eine konzentrierte Arbeit an den anderen Systemgrenzen überhaupt erst ermöglicht.
Fazit
Inwiefern verleiht der gerade rekapitulierte Argumentationsgang dem ‚jungen Luhmann‘ nun klarere Konturen? Einige der erschienenen Besprechungen von Die Grenzen der Verwaltung eint der Eindruck einer starken Kontinuität zum ‚reifen‘ Werk. Nach Julian Müller „entwirft Niklas Luhmann“ darin „schon alle wesentlichen Gedanken seiner Systemtheorie“[13], und Wolfgang Seibel erscheint „der Gegenstand [der Verwaltung] selbst nur als Vehikel zur Weiterentwicklung einer soziologischen Generaltheorie“[14]. In der Tat überrascht, wie nicht nur die vier erläuterten Großbegriffe, sondern auch unscheinbarere theoriegeleitete Einsichten – etwa Interdependenzunterbrechung, Entscheidungskommunikation oder doppelter Machtkreislauf – bereits zu diesem frühen Zeitpunkt entfaltet sind. Und dennoch: Besonders in drei Hinsichten scheinen mir in Die Grenzen der Verwaltung auch interessante Anhaltspunkte dafür vorzuliegen, dass die Kontinuitätsthese nicht überstrapaziert werden sollte und die „Nullserie“ einige interessante Eigenheiten aufweist.
Der erste dieser Anhaltspunkte trägt soziologie- respektive theoriehistorische Züge: In Die Grenzen der Verwaltung fällt es deutlich leichter als in den späteren, häufig als hermetisch empfundenen Werken Luhmanns, seine analytische Perspektive auch jenseits von Talcott Parsons stärker an damalige soziologische Theorietraditionen rückzubinden oder sie zumindest zu ihnen ins Verhältnis zu setzen. Dies gilt generell für einen bedeutenden Abstoßungspunkt systemtheoretischen Denkens, nämlich die Kritik am handlungstheoretischen Zweck-Mittel-Schema, die Luhmann wenig später dann in Zweckbegriff und Systemrationalität noch genauer ausbuchstabieren wird. Es gilt ebenso für Norbert Elias, dessen Zivilisationstheorie Luhmann ausdrücklich als Bestätigung seiner Grundthese liest, dass die kompliziert konstruierten Indirektheiten des Verwaltungssystems einem breiteren gesellschaftlichen Entwicklungstrend entsprechen, der nicht zuletzt die Bereitschaft zu unmittelbar machtförmiger Interessendurchsetzung abbaut (S. 182). Es gilt aber auch für den Grundgedanken „gegenstruktureller Mechanismen“, den Luhmann bereits in Helmut Schelskys Familiensoziologie vorgeprägt sieht (S. 113, Fußnote 16); und es gilt für Arnold Gehlens Denkfigur der „Entlastung“, die, wie bereits für andere Werkschichten gezeigt wurde, von ihm anthropologisch entkernt wird.[15]
Beim zweiten Anhaltspunkt handelt es sich um einen wissenschaftstheoretischen: Der ‚junge‘ Luhmann schätzt die Anwendungsrelevanz (verwaltungs-)soziologischen Wissens überraschend optimistisch ein, und zwar besonders, was dessen funktionalistische Ausprägung angeht. Er ist gar der Annahme, dass eine funktionalistisch ansetzende Verwaltungssoziologie mit der Perspektive des Verwaltungspraktikers vollends konvergiert, denn das Problem des mehrfachen Umweltbezugs, das sich durch einfache Zweck-Mittel- oder Ursache-Wirkung-Beziehungen nicht lösen lässt, ist letztlich ein Problem des konkreten Verwaltungsalltags, dem – überspitzt formuliert – nur durch einen entsprechenden ‚Nachhilfeunterricht‘ in Sachen Funktionalismus begegnet werden kann.[16] Dass dieser Nachhilfeunterricht auch und vor allem das klassische Konzept latenter Funktionen umfassen sollte, daran lässt Luhmann keinen Zweifel; er ist allerdings der Ansicht, dass mit dem fortlaufenden Aufdecken latenter Funktionen die Gefahr verbunden ist, überhaupt nicht mehr den Punkt bestimmen zu können, an dem eine genuine Systemrationalität einzusetzen hätte. Hier erscheint Luhmann in überraschender Weise als ein Autor, der das altehrwürdige Rationalitätsthema nicht als „alteuropäisch“ denunzieren, sondern (noch) transformieren will, und es wäre eine (werk-)biografisch interessante Frage, ob die Enttäuschungen, die Luhmann als Verwaltungsreformer erleben sollte[17], dazu beigetragen haben, den Anwendungsoptimismus der frühen Phase beobachtungstheoretisch immer stärker abzukühlen.
Drittens und letztens lässt sich an die Grenzen der Verwaltung auch eine mentalitätsgeschichtliche Frage anschließen. Abseits von unhaltbaren Technokratie- oder „Sozialtechnologie“-Vorwürfen ist eine Verankerung Luhmanns in der (Intellektuellen-)Geschichte der frühen Bundesrepublik bislang nicht recht gelungen. Zwar finden sich vereinzelt Stimmen, die Luhmanns Systemtheorie „bei aller theoretischen Universalisierung und Weltgesellschaftlichkeit an die Perspektive der befriedeten Bundesrepublik“[18] gebunden beschreiben, doch eine genauere Beweisführung steht noch aus. Gelegenheit hierzu könnte neben der jüngst wieder verstärkt diskutierten Frühschrift Grundrechte als Institution[19] auch der vorliegende Band geben: Unpersönliche, betont unideologische und zumeist verbeamtete Sachlichkeit als Verhaltensstil, korporatistischer Interessenausgleich durch das Zusammenspiel von Politik, Verwaltung und Verbänden, das ein oder andere „Kontaktsystem“ mit zweifelhaften Gestalten aus der jüngeren Vergangenheit – vielleicht war zumindest der ‚junge Luhmann‘ doch in stärkerem Maße ein Soziologe (in) der Bundesrepublik, als er selbst es wahrhaben wollte.[20] Doch selbst wenn sich derartige Historisierungen bewahrheiten sollten, dürfte die Quintessenz der vorliegenden Untersuchung überdauern: Dass die Verwaltung Grenzen hat, bedeutet gerade nicht, dass diese Grenzen ihrerseits verwaltet werden können.
Fußnoten
- Roman Yos, Der junge Habermas. Eine ideengeschichtliche Untersuchung seines frühen Denkens 1952–1962, Frankfurt am Main 2019.
- Niklas Luhmann, Die Grenzen der Verwaltung, hrsg. von Johannes F. K. Schmidt und Christoph Gesigora, mit einem Nachwort von André Kieserling und Johannes F. K. Schmidt, Frankfurt am Main 2021.
- So André Kieserling und Johannes F. K. Schmidt in ihrem überaus instruktiven Nachwort (hier S. 223), das den Argumentationsgang Luhmanns entlang der verschiedenen „Systemgrenzen“ der Verwaltung in sehr klaren Linien nachzeichnet und sich daher hervorragend für einen ersten Überblick eignet.
- Phillip Felsch, Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte 1960–1990, München 2015.
- André Kieserling / Johannes F. K. Schmidt, Editorische Notiz, in: Niklas Luhmann, Die Grenzen der Verwaltung. Hrsg. v. Johannes F. K. Schmidt und Christoph Gesigora. Mit einem Nachwort von André Kieserling und Johannes F. K. Schmidt, Frankfurt am Main 2021.
- Für wertvolle Anmerkungen zu einer früheren Fassung dieses Textes danke ich herzlich Stephanie Kappacher und Rolf Nichelmann. Mein Dank gilt ebenso Elizaveta Remer, die den vorliegenden Text auf formale Konsistenz prüfte.
- In einer interessanten Anwendung der Luhmann’schen Verwaltungssoziologie auf die Herausforderungen, die sich den Gesundheitsämtern bei der Kontaktnachverfolgung im Zuge der Corona-Pandemie stellten, zeigen Kevin Hall, Sven Opitz und Klaus Scheuermann (Die Grenzen der Verwaltung in der Krise: Gesundheitsämter in „schwierigen Umwelten“, in: Soziale Systeme 25 (2020), 1, S. 217–225), dass diese Interaktionsabstinenz in der Krise nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Zugleich geben die Autoren zu bedenken, dass Luhmanns starke Betonung dieser Interaktionsabstinenz grundsätzlich eine ministerialbürokratische Schlagseite haben dürfte; insbesondere Gesundheitsämter könnten ihr Publikum auch unter Normalbedingungen schwieriger ‚auf Abstand‘ halten und würden in dieser Hinsicht durchaus Merkmale eines Dienstleistungsbetriebs aufweisen.
- Zur Rolle, die insbesondere schriftliche Akten bei der Konsistenzsicherung des Verwaltungshandelns übernehmen, vgl. jetzt Angelika Menne-Haritz, Und der Vorgang? Einige Überlegungen zu Niklas Luhmanns „Die Grenzen der Verwaltung“, in: Soziale Systeme 25 (2020), 1, S. 193–198.
- Julian Müller, Lästige Launen. Niklas Luhmanns Buch „Die Grenzen der Verwaltung“, in: Süddeutsche Zeitung, 18.10.2021.
- Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Frankfurt am Main 1983, S. 75–81.
- Dass diese Aufwertung sich auch in Luhmanns verwaltungspraktischem Engagement wiederfindet, zeigt jetzt Ernst Lukas, Die Praxis der Theorie: Niklas Luhmann als Politikberater, in: Leviathan 50 (2022), 1, S. 29–67.
- Dies scheint mir Dirk Baecker zu übersehen, der davon ausgeht, dass in Die Grenzen der Verwaltung Politik als „Lieferant jenes Vertrauens der Gesellschaft in die Politik, auf das auch die Verwaltung angewiesen ist“ (Dirk Baecker, Leerstelle Politik, in: Soziale Systeme 25 (2020) 1, S. 234-241) gar nicht in den Blick gerät. Die übergreifende These Baeckers jedoch, dass das Politikverständnis im entsprechenden Kapitel „seltsam blass“ (ebd., S. 236) bleibt und zu weiten Teilen mit einer Verwaltungsperspektive konvergiert, die Politik vor allem als eine „Quelle unangenehmer Überraschungen“ (ebd., S. 238) betrachtet, verdient sicherlich eine genauere Prüfung – auch mit Blick auf den mentalitätsgeschichtlichen Index, den das Buch m.E. trägt (vgl. meine abschließenden Anmerkungen).
- Müller, Lästige Launen.
- Wolfgang Seibel, Elastische Gleichgewichte. Eine Nachlass-Edition präsentiert Niklas Luhmanns frühen Anlauf zu einer Theorie der Verwaltung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.1.2022.
- Hier ist es nicht mehr der Mensch, der sich durch Institutionen entlastet, sondern die Verwaltung, die sich vom Menschen entlastet bzw. Strukturprobleme auf ihn abwälzt (S. 186 ff.). Vgl. bereits Patrick Wöhrle, Metamorphosen des Mängelwesens. Zu Werk und Wirkung Arnold Gehlens, Frankfurt 2010, S. 303 ff.; Patrick Wöhrle / Karl-Siegbert Rehberg, Die Leipziger Schule, in: Oliver Jahraus et al. (Hg.), Luhmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2012, S. 321–326.
- Ähnlich anwendungsoptimistisch zeigt sich Philipp Männle, Wie funktioniert Verwaltung?, in: Soziale Systeme 25 (2020), 1, S. 208–216.
- Vgl. Lukas, Die Praxis der Theorie.
- Karl-Siegbert Rehberg, Person und Institution. Überlegungen zu paradigmatischen Strukturen im Denken Max Webers, in: Gert Albert (Hg.), Das Weber-Paradigma, Tübingen 2003, S. 371–394.
- Vgl. Rolf Nichelmann, Differenzierungsschutz durch Grundrechte. Theoretische und methodologische Anmerkungen zu Niklas Luhmanns „Grundrechte als Institution“, in: Rechtstheorie 51 (2020), 2, S. 193–233; Andreas Höntsch, Die Vergesellschaftung des Staates. Entdifferenzierung oder Totalisierung der Gesellschaft nach Ernst Forsthoff und Niklas Luhmann, in: ders. / Patrick Wöhrle, Provisorische Ewigkeit. Staatstheoretische Reflexionen der frühen Bundesrepublik, Baden-Baden 2022; Patrick Wöhrle, Verfassungspatriotismus als Differenzierungstheorie. Eine (auch) historisierende Lektüre von Niklas Luhmanns Grundrechte als Institution, in: Andreas Höntsch / ders., Provisorische Ewigkeit, S. 95–115.
- In eine ähnliche Richtung scheinen mir zumindest implizit und in verschiedenen Hinsichten auch die Überlegungen von Baecker, Leerstelle Politik, und Hall/Opitz/Scheuermann, Die Grenzen der Verwaltung in der Krise, zu weisen. Baecker hat den Eindruck, dass Luhmann in Die Grenzen der Verwaltung die „Willkürchancen“ (Baecker, Leerstelle Politik, S. 239), die mit politischer Macht einhergehen, kaum beachtet beziehungsweise deren Diskussion womöglich gezielt vermeidet, da er anderenfalls „auf das Terrain einer Theorie der nationalsozialistischen Regimes“ (ebd.) gelangt wäre. Baeckers These, dass Luhmann „das Problem der politischen Einhegung von Willkür“ (ebd., S. 238) damals zwar als Erfahrung, nicht aber als Konzept zur Verfügung stand, sollte jedoch mit Vorsicht genossen werden, ist genau dieses Problem doch Gegenstand der ebenfalls Mitte der 1960er-Jahre entstandenen Schrift Grundrechte als Institution. Auch dieses Werk allerdings ist keineswegs frei von einem sehr spezifischen sensemaking der frühen Bundesrepublik, das sich mentalitätsgeschichtlich verorten lässt (vgl. Wöhrle, Verfassungspatriotismus als Differenzierungstheorie, bes. S. 110–113). Die Analyse von Hall, Opitz und Scheuermann ließe sich ebenfalls ‚zurück‘ in die frühe Bundesrepublik verlängern: Die in der Corona-Krise nicht mehr durchhaltbare „Normalitätsprämisse“, die der Analyse des Verwaltungshandelns in Die Grenzen der Verwaltung nach Ansicht der Autoren unterliegt, dürfte in der Tat der (relativ) stabilen Phase der Post-Wirtschaftswunder-Ära entnommen sein.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher.
Kategorien: Gesellschaftstheorie Kommunikation Politik Systemtheorie / Soziale Systeme
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