Tilman Reitz | Essay | 01.04.2020
Freier Zugang ohne Prestigerenten
Ziele und Durchführungsprobleme von Open Access angesichts Plan S
Die technische Möglichkeit, wissenschaftliche Publikationen mit gegen Null tendierenden Grenzkosten beliebig vielen Interessierten zur Verfügung zu stellen,[1] könnte für die meisten Beteiligten von Vorteil sein. Forschende und Studierende sollten problemlos lesen können, was ihre Erkenntnisse zu erweitern verspricht, Publizierenden ist in der Regel an einer möglichst weiten Verbreitung ihrer Einsichten gelegen, und für die Bibliotheken wissenschaftlicher Einrichtungen, die seit Jahren mit hohen Subskriptionsgebühren zu kämpfen haben, zeigen sich große Sparpotenziale. Auf der Gegenseite stehen neben wissenschaftlich Tätigen, die ein libidinöses Verhältnis zum Urheberrecht pflegen, vor allem Wissenschaftsverlage, die (in sehr unterschiedlichem Ausmaß) vom Status quo profitieren.
Angesichts dieser Interessenverteilung erscheint es kaum tragbar, dass die Verhandlungsmacht der Verlage (vor allem der großen, durch ihre Zeitschriftenpreise massiv gestärkten Verlagshäuser) einen raschen umfassenden Wandel blockiert, beherzte Reformen von öffentlicher Seite sind nötig. Der »Plan S«, der die publizierten Ergebnisse öffentlich geförderter Forschungsprojekte obligatorisch frei zugänglich machen soll, ist der bisher wichtigste Vorstoß dieser Art in Europa. Von einer EU-Taskforce mit Beteiligung nationaler Institutionen entwickelt und zur unmittelbaren Umsetzung bestimmt, ist er zwar kaum demokratisch gestaltet – aber er verspricht die Macht öffentlicher Wissenschaftsfinanzierung durchsetzungskräftig für das Gemeinwohl zu bündeln: Forschende, die gefördert werden wollen, müssen Organe meiden, die durch eine technisch überflüssige und überteuerte Paywall geschützt sind; die Verlage können statt Zugangsgebühren Publikationsgebühren verlangen, müssen sie jedoch transparent gestalten und in einem vorgegebenen Rahmen halten. Interessanterweise ist allerdings ebendiese Deckelung noch nicht fixiert, und eine seriöse Debatte über ihre Höhe ist noch nicht (beziehungsweise nur abseits der Entscheidungszentren) in Gang gekommen. Im Folgenden diskutiere ich, inwiefern die Publikationsgebühren die Ziele des Plans beeinträchtigen oder sogar ins Gegenteil verkehren könnten. Zu befürchten steht nämlich, dass sich im Medium dieser Gebühren ein Wechselspiel von Verlagsmacht und akademischen Prestigehierarchien erneuert, das bereits im Regime der Zugangsgebühren viel Schaden angerichtet hat. Es könnte sich sogar festigen, da mit der Ära des vordigitalen, verlagsdominierten wissenschaftlichen Publizierens auch Bewahrenswertes unterzugehen droht – namentlich der Pluralismus eines weniger zentralisierten, hierarchisierten und staatsabhängigen Buch- und Zeitschriftenmarkts. Eine mutmaßlich multiparadigmatische Wissenschaft wie die Soziologie hat auch in diesem Problemfeld starke Interessen.
Im Folgenden erörtere ich einerseits prinzipiell Vor- und Nachteile von Open Access und frage andererseits konkret, wie der Machtkampf und die Kooperation zwischen Großverlagen und Wissenschaftsinstitutionen die Aussichten von Plan S strukturieren. Zu Beginn führe ich aus, weshalb eine Umstellung wissenschaftlichen Publizierens auf Open Access zwar geboten erscheint, aber unter den Bedingungen konzentrierter Verlagsmacht schwergängig verläuft. Verdeutlichend ziehe ich dabei die Verhandlungen heran, die die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen unter dem Titel DEAL mit den marktbeherrschenden Verlagen führt. Im zweiten Schritt diskutiere ich die größten Fallstricke der unter Plan S zu erwartenden Umstellung: den weiteren Abbau von Publikationspluralismus und die Gefahr, dass das Ko-Oligopol marktbeherrschender Verlage und akademischer Prestigezentren in einem Open-Access-System nur gefestigt wird. Als konkretes Kernproblem von Plan S analysiere ich schließlich die Deckelung von Publikationsgebühren, an der sich entscheiden wird, ob weiterhin eine Handvoll Verlage das System akademischen Publizierens beherrscht und in ihm Monopolrenten abschöpft.
1. Weshalb Open Access sinnvoll, aber nicht leicht durchsetzbar ist (DEAL)
Die Ausbreitung digitaler Speicher- und Verbreitungsmedien hat im akademischen Raum zu einer seltsamen Doppelbewegung geführt: Einerseits können Forschungsergebnisse zunehmend so publiziert werden, dass prinzipiell Alle Zugriff darauf haben, andererseits müssen akademische Einrichtungen seit Jahren immer mehr Geld dafür zahlen, dass ihre Nutzerinnen und Nutzer sie tatsächlich lesen können. Besonders die drastisch gestiegenen Subskriptionsgebühren für namhafte Zeitschriften (die von den führenden Verlagen fast ausschließlich im Paket mit weniger nachgefragten Organen verkauft werden) haben eine viel diskutierte Kostenkrise der wissenschaftlichen Bibliotheken ausgelöst. Damit konsolidiert sich ein Ausgabenmuster, das Leonhard Dobusch wie folgt auf den Punkt gebracht hat:
»Überwiegend öffentlich finanzierte Forschung wird […] von öffentlich finanzierten WissenschaftlerInnen kostenlos begutachtet und dann von Verlagen, deren Leistung in der Regel aus Lektorat, Satz und Distribution besteht, für teures Geld an öffentlich finanzierte Bibliotheken zurückverkauft.«[2]
Dieser Zustand ist (auch wenn man die Leistungen der Verlage noch vollständiger auflistet, siehe weiter unten) technisch unnötig und politisch-ökonomisch ein Ärgernis. Dass er nicht längst beendet wurde, lässt sich nicht allein auf die hergebrachte, nur langsam in Bewegung geratende Rechtslage zurückführen – ebenso spielen die Interessen der Forschenden in einem wettbewerblich organisierten Feld eine Rolle. Solange die bekanntesten und innovativsten von ihnen ihre attraktivsten Beiträge bevorzugt den im Fach als führend geltenden Zeitschriften anbieten, haben deren Inhaber eine Art Monopolmacht gegenüber den Institutionen, die Zugang zu den Texten gewährleisten wollen und müssen.
Im Gesamtfeld sind dadurch zumindest oligopolistische Strukturen entstanden: Da die digital ermöglichten Paketverträge nur für größere Anbieter geeignet sind und die Umstellung auf digitale Infrastrukturen generell Investitionen erfordert, hat sich auf dem wissenschaftlichen Verlagsmarkt ein massiver Konzentrationsprozess vollzogen. Ute Volkmann[3] hat diese Bewegungen am Beispiel soziologisch profilierter Häuser herausgearbeitet: Viele namhafte kleine Verlage sind von größeren aufgekauft worden, die auffälligste Neugründung transcript setzt von Beginn an auf Masse, und mit dem Fusions- und Eingliederungsprodukt Springer VS dominiert genau ein (Unter-)Verlag den soziologischen Publikationsmarkt in Deutschland. Weltweit teilen inzwischen fünf Verlage das Feld Wissenschaft mehrheitlich unter sich auf[4]: Wiley-Blackwell, Sage, Elsevier, Taylor & Francis sowie Springer Nature, die Mutterfirma von Springer VS. Die Aussichten für Open Access sind wesentlich von diesen Resultaten der ersten, proprietären Phase digitalen wissenschaftlichen Publizierens bestimmt.
Für Reformen zeichnet sich daher ein doppeltes Hindernis ab: Als sozusagen natürliche Konflikt- und Verhandlungspartner treten immer die wenigen marktbeherrschenden Verlage auf, und auf der öffentlichen Gegenseite agieren die Großverbünde einer Klientel, die bis auf Weiteres von den angesehenen Zeitschriften abhängig ist. Zu erwarten ist so einerseits, dass die herausgeforderten Unternehmen sich teils hartnäckig konstruktiven Lösungen verweigern (im Fall der DEAL-Verhandlungen namentlich Elsevier), teils Ausnahmen aushandeln (wie Springer im gleichen Kontext für seine Nature-Zeitschriften)[5] und generell darauf hinwirken, dass ein am Ende erzielter Kompromiss die Verlagsprofite nicht stark nach unten korrigiert. Andererseits werden die Akteure der öffentlichen Seite, von den als Allianz organisierten deutschen Wissenschaftsverbünden wie der HRK, der DFG und der Max-Planck-Gesellschaft (bei DEAL) bis zum Europäischen Forschungsrat (bei Plan S), nicht die Reputationsökonomie infrage stellen, die sie mit aufgebaut haben, mit unterhalten und für ihre Erfolgsbilanzen benötigen. Solange bei Forschungsanträgen viel zitierte Beiträge in viel zitierten Zeitschriften ein Hauptkriterium sind, um die ›Qualität‹ der Bewerberinnen zu quantifizieren, und solange der Erfolg von Programmen wie der deutschen Exzellenzstrategie daran gemessen wird, wie sich diese Zitationszahlen entwickeln, wird man die etablierten Zeitschriften brauchen. Eine einzelne Forschungsnation und selbst die gesamte europäische Wissenschaft kann nicht einseitig die globalen Reputationsstrukturen aufkündigen, und ihre institutionellen Vertreter wollen sie auch allenfalls begrenzt infrage stellen. Die Akteurskonstellation der DEAL-Verhandlungen kennzeichnet die Situation daher besser als die hohen Prinzipien der öffentlichen Seite: Die konzentrierte Verlagsmacht trifft auf die konzentrierte Wissenschaftsmacht, und beide zeigen sich bislang nicht daran interessiert, ihre wechselseitige Stabilisierung aufzugeben.
Damit droht nicht allein eine lange Übergangsphase, in der die Großverlage an eigenwilligen Mischungen aus Zugangs- und Publikationsgebühren verdienen. Mit Springer und Wiley hat man sich auf Publish-and-Read-Gebühren geeinigt, in denen ein stolzer Standardpreis für jeden frei zugänglich publizierten Artikel (2.750 €) zugleich das Zeitschriftenprogramm der Verlage für die deutschen Wissenschaftsbibliotheken freischaltet. Hinzu kommt als grundsätzlicheres Problem, das auch die mögliche reine Open-Access-Zukunft erben wird, die regelsetzende Macht der Oligopole. Es dürfte aussagekräftig sein, dass die kleineren Verlage beziehungsweise alle Nicht-Oligopolisten im DEAL-Prozess schlicht keine Rolle spielen. Sie scheinen auch für die Allianz der Wissenschaftsorganisationen eine zu vernachlässigende Größe darzustellen. Im Folgenden ist zu sehen, was die umrissene doppelte Machtkonzentration für die Aussichten von Plan S bedeutet.
2. Was an einem Open-Access-System problematisch sein könnte (Plan S)
Der Plan S verspricht konsequentere und zukunftsträchtigere Lösungen als die DEAL-Vereinbarungen. Er soll keine Paketverträge mit einzelnen Verlagen auf den Weg bringen, sondern überträgt den Geförderten die Open-Access-Verpflichtung. Er sieht ausschließlich diese Publikationsweise vor und gestattet Mischfinanzierungen allenfalls für eine kurze Übergangszeit. Schließlich umfasst er die öffentliche Übernahme von Publikationsgebühren, soll eine transparente und angemessene Preisgestaltung durchsetzen sowie gebührenfreie Publikationsforen fördern.[6] Dieses Paket ist so progressiv, dass Lücken in der Unterzeichnerliste nicht überraschen. Die DFG etwa ist bisher nicht dabei. Sobald sich jedoch alle größeren Fördergesellschaften angeschlossen haben, hat die Initiative gute Aussichten. Nicht jeder darin geäußerte Wunsch wird in Erfüllung gehen – ob etwa bei Publikationslisten in Förderanträgen wirklich nur der »intrinsic merit of the work« gewürdigt wird, während das Publikationsorgan, sein Impact-Faktor »or other journal metrics« völlig außen vor bleiben,[7] muss die Erfahrung zeigen. Doch die Strategie bildet einen ernstzunehmenden Ansatz, öffentliche Interessen durchzusetzen. Damit liegt die Frage nahe, worin überhaupt größere Einwände bestehen könnten.
Zwei Bedenken lassen sich rasch und beinahe vollständig ausräumen. Zum einen besteht wenig Anlass zu der Sorge, dass Plan S einen erkenntnisförderlichen Markt zerstören wird, wie sie etwa ein Vorstandsmitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft äußert:
»Plan S favorisiert eine Planwirtschaft, die zu einem Mangel an Innovation und Risikobereitschaft führen kann und damit den Fortschritt verlangsamen wird. […] Vergleichen Sie einen ostdeutschen PKW mit einem westdeutschen gleichen Baujahrs vor der Wiedervereinigung. Das sind zwei Welten – nicht wegen fehlender Begabung der Ingenieure, sondern weil es in der DDR keinen Wettbewerb gab.«[8]
Auch in der offenen Gesellschaft sollte man vielleicht über einen zeitweiligen Entzug des »Argumentationsführerscheins« nachdenken. Anders als Autos sind wissenschaftliche Resultate keine privaten Güter, die individuell genutzt werden und daher massenhaft verkauft werden können, sondern lassen sich von beliebig vielen Akteuren zugleich verwenden und zur Gewinnung weiterer Einsichten einsetzen. ›Wettbewerb‹ kann also in beiden Bereichen nicht ganz das Gleiche bedeuten. Der Wettstreit um Ansehen, der die Wissenschaft tatsächlich vorantreibt, setzt nach Robert Mertons bekannter Beobachtung geradezu voraus, dass möglichst viele möglichst rasch von den Erkenntnissen erfahren, die etwa Herr Bodenschatz in seinem Labor oder Büro hatte. Daher wird er sie im Regelfall publizieren, und das Forum mit der größten Fachleserschaft wird ihm dafür am besten geeignet erscheinen. Stichhaltig könnte höchstens der Einwand sein, dass die momentan (mit großem staatlichem Aufwand) eingerichteten Anreizsysteme schlechter funktionieren, wenn das Element der besonders begehrten Zeitschriften wegfällt. Gegen den Plan S wurde in diesem Sinn vorgebracht, dass er junge Forschende zu Beginn ihrer Karriere (aber eigentlich alle um Spitzenplätze bemühten Forschenden) vor die schwere Wahl stellt, entweder Fördermittel oder einen exklusiven Publikationsplatz zu erhalten. Das trifft zu, solange Zeitschriften mit aufrechterhaltener Paywall beziehungsweise hohen Publikationsgebühren gleichzeitig zu den begehrtesten Publikationsorten zählen – doch genau diesen Fehlanreiz soll der Plan S im Sinn des Gemeinwohls aushebeln. Auch danach wird es mehr oder weniger exklusive und attraktive Publikationsorte geben.
Es bleibt die Vermutung, dass ein Publikationsmarkt mit größeren öffentlichen Machtanteilen homogener und deshalb vielleicht weniger leistungsfähig sein könnte als einer mit starken Verlagen. Hierfür gibt es historische Anhaltspunkte, zumal in den noch immer nicht ganz in der Journal-Welt angelangten Geistes- und Sozialwissenschaften. In der Ära, die man »goldenes Zeitalter des geisteswissenschaftlichen Buchs« nennen kann,[9] hat eine Vielfalt von Verlagen, von kleinen politisch-intellektuellen Projekten über Traditions- und Universitätsverlage bis zu großen Publikumsverlagen, tendenziell mehrere vorteilhafte Effekte gehabt: Statt eines nur akademischen Publikums sprachen die Verlage eine breite gebildete Öffentlichkeit an, sodass ihre Bücher und Zeitschriften gut lesbar sein mussten; statt bloß wissenschaftliche Funktionen zu erfüllen, spielten sie eine politische und kulturelle Rolle, sodass sie ein inhaltliches Profil hatten und kultiviert haben; in allen Feldern konnten ihre Lektorinnen schließlich interessante, aber riskante Bücher auf den Markt bringen, die durch die Publikumserfolge (sowie allerlei staatliche Zuschüsse) querfinanziert waren. Man kann die Ära, in der solche Vorteile aufblühten – in den führenden Wissenschaftssystemen des Westens etwa die 1950er bis 1980er Jahre –, mehr oder weniger leuchtend ausmalen, sie auf verschiedene Bedingungen zurückführen und sogar zweifeln, ob sich klar »angeben« lässt,
»wann und unter welchen Umständen dieses Zeitalter vorbei war. Diversifizierung, Ende des Wachstums, Abtritt einer Generation, sinkende Auflagenzahlen […] – das sind alles große Begriffe, die aber nicht recht greifen, um die Veränderungen seit dem späten 20. Jahrhundert auf den Punkt zu bringen.«[10]
Mit Sicherheit lässt sich jedoch sagen, dass weder das seither etablierte Journalsystem der Bibliotheken noch eine reine Open-Access-Welt im Sinn des Plan S geeignet sind, die umrissenen Vorteile wiederzubringen.
Für den Status quo wurden die Argumente bereits genannt: Der Konzentrationsprozess auf dem Verlagsmarkt konnte sich nur vollziehen, weil die großen Verlage die Zugangsgebühren für Zeitschriften zielstrebig gesteigert und die Bibliotheken im Gegenzug ihre Bücheretats gekürzt haben; diverse kleinere Verlage sind nach so und anderweitig bedingten Auflagen- und Subventionseinbußen an den Kosten der Digitalisierung gescheitert; in den laufenden nationalen Paketverhandlungen wird das resultierende Oligopol bereits vorausgesetzt. Ute Volkmann mag in ihrer hier erneut resümierten Analyse einige relevante Aspekte – etwa eine geisteswissenschaftliche Gründungsphase in den frühen 2000er Jahren, den jüngsten Mini-Boom soziologischer Zeitdiagnosen bei Publikumsverlagen wie Suhrkamp – nicht berücksichtigt haben. Ihrer Einschätzung, dass die Haupttendenzen »die bis dato für das Verlagsfeld kennzeichnende Heterogenität kleiner und mittlerer Verlage in Richtung größerer Verlage bzw. Verlagsgruppen und -konzerne« verschieben,[11] ist jedoch definitiv zuzustimmen. Ein pluralistischer Verlagsmarkt wird sich daher kaum retten lassen, indem man Paywalls verteidigt oder befestigt.
Der Verlagspluralismus hat allerdings bislang auch keine Vorteile durch Open Access zu erhoffen. Mit nur wenigen Zusatzerwägungen lässt sich vielmehr ein Szenario zeichnen, das die etablierten Oligopole weiter stärkt: Die großen Verlage lassen sich Publikationen in ihren Flaggschiffen (weiterhin) teuer bezahlen, die großen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und -verbünde zahlen den Preis, um ihren Mitgliedern akademische Sichtbarkeit zu gewährleisten, kleinere Verlage verlieren weiter an Bedeutung, und alle Forschenden, die nicht durch finanzkräftige Institutionen unterstützt werden, verlieren den Zugang zur Fachöffentlichkeit. Steuergelder würden dabei wie bisher doppelt an die Großverlage fließen, und der nichtsubventionierte wissenschaftliche Büchermarkt würde sich noch stärker als bisher auf farblose Einführungen oder Lesestoff für materiell saturierte und intellektuell anspruchslose Bildungsbürgerinnen und -bürger verengen.
Die vorliegenden Strategien stellen in Aussicht, dass es nicht überall so schlimm kommen muss. Die kleineren Hochschulen und Forschungseinrichtungen können sich mit Plan S, größtenteils sogar mit DEAL, verhältnismäßig gut aufgehoben fühlen, da Publikationsgebühren aus zentralisierten Mitteln bezahlt werden sollen und sich die Beitragshöhe nach der Finanzkraft der Beteiligten richtet. Ein gutes Beitragsmaß ist die Anzahl der jährlich publizierten Open-Access-Artikel; Probleme hätten dann (in variablem, von der Beitragshöhe abhängigem Ausmaß) nur (kleinere) Einrichtungen zu erwarten, deren Publikationsvolumen rasch ansteigt. Einen schwierigen Stand hätten zudem Institutionen und Länder, die nicht an der Verbundlösung beteiligt sind, sodass nicht nur europäische, sondern globale Lösungen nötig wären, um nicht alte Nord-Süd-Gefälle zu erneuern.
Auf der Seite der kleineren beziehungsweise auch außerakademisch aktiven Verlage zeichnet sich demgegenüber gar keine Lösung ab. Und ob schließlich die Macht der Großverlage bestehen bleibt oder sogar zunimmt, hängt von genau einem Faktor ab: der Höhe der Publikationsgebühren. Hier entscheidet sich, ob das Bedürfnis nach exklusiver Reputation in lukrative Profite umgesetzt werden kann. Solange die im Plan S in Aussicht gestellte Gebührendeckelung nicht feststeht, ist daher offen, ob der Plan insgesamt die Oligopolisierung des Feldes befördert oder etwas an ihr zu ändern verspricht.
3. Vorschläge für ein sinnvolles Open-Access-System
Die Deckelung oder Cost Cap für Publikationsgebühren zwingt zu konkreten Aussagen. Es gilt, eine allgemein verbindliche Summe festzulegen, die den tatsächlich anfallenden Kosten angemessen ist. Die begleitende Forderung nach ›Transparenz‹ der Gebühren ist im zweiten Aspekt fast schon impliziert. Um zu wissen, welche Deckelung angemessen wäre, braucht man nachvollziehbare Angaben. Die mittlerweile verfügbaren Daten und Berechnungen machen die Differenzen zwischen faktisch erhobenen Gebühren, realistisch anzusetzenden Kosten und ausgehandelten Standards recht deutlich.
Der Durchschnittspreis für Open-Access-Publikationen bewegt sich nach Berechnungen aus den letzten Jahren um umgerechnet 1.500 € pro Artikel.[12] Die Preise unterscheiden sich ›natürlich‹ massiv nach Fachgebiet und Zeitschriftentyp, und als handelsüblichen Preis angesehener Organe darf man eher Summen ab 2.000 € annehmen. Marktführer gehen gerne auch höher; in einem Überblicksbeitrag von 2013 wird die Chefherausgeberin der Proceedings of the National Academy of Sciences der USA mit einer Preisvorstellung von 3.700 US-$ zitiert, während der Chefherausgeber von Nature für ein reines Open-Access-System 30.000 bis 40.000 US-$ pro Beitrag ansetzte.[13] Bei solchen Summen darf man davon ausgehen, dass es nicht um Kosten geht, sondern um den (Monopol-)Preis, den man dem (Quasi-)Markt eben abverlangen kann.[14] Um dagegen zu sehen, wie hoch die tatsächlichen Kosten liegen, muss man die einzelnen Komponenten digitaler Publikationen aufführen: Textakquise, Kommunikation, Redigat, Korrekturvorgänge, Layout und Satz, Einpflegung, Metadatenerfassung und Ähnliches. Die Verlage wollen solche Berechnungen bisher nicht offenlegen (vgl. den Beitrag von Cori Mackrodt), doch da viele der aufgeführten Arbeitsschritte auch separat angeboten werden, lassen sich detaillierte Modellrechnungen erstellen. Alexander Grossmann und Björn Brembs, die eine solche Berechnung für verschiedene Szenarien vorgelegt haben, kommen auf Artikelkosten zwischen unter 200 und maximal 1.000 US-$ (in Zeitschriften mit wenigen Artikeln und einer Ablehnungsquote von 90 Prozent). Die Kosten eines durchschnittlichen Beitrags liegen ihrer Berechnung zufolge bei 400 US-$. Sachlich bestünde also, selbst wenn man ordentliche Verlagsprofite zugesteht, kein Grund für Publikationsgebühren über 1.000 € pro Beitrag – und ganz gewiss keiner für die 2.000 € der DFG-Deckelung oder die Publish-and-Read-Gebühren von 2.750 € im Rahmen von DEAL. Auch die sparsamsten Richtlinien der Wissenschaftsorganisationen sehen mit anderen Worten vor, den Großverlagen für jeden Text in einer ihrer begehrten Zeitschriften 1.000 € und mehr zu schenken, mit denen diese ihre Anteilseigner zufriedenstellen und ihre Marktmacht weiter ausbauen können.
Die Schlüsse für einen Plan S, der die Fehlentwicklungen auf dem Markt wissenschaftlichen Publizierens nicht uneingeschränkt weiter befördert, liegen auf der Hand. Das Programm wird erst und nur dann Verbesserungen bringen, wenn die Kosten konkret und nicht übergroßzügig gedeckelt werden. 1.000 € pro Zeitschriftenbeitrag wären eine brauchbare (wenn auch immer noch sehr großzügige) Marke. In Verbindung mit Kostentransparenz wäre an wenigen, wesentlichen Stellen auch über zusätzliche Regelungen nachzudenken: an ein Fair-Trade-Siegel, das angemessene Löhne und vertretbare Arbeitsbedingungen in der gesamten Wertschöpfungskette der Verlage garantiert – auch für die Informatikerinnen in Indien und die Korrekturleser in Indonesien –, an die kostensparende Einbindung öffentlichen Personals bei bibliothekarischen Aufgaben wie Metadatenerfassung, an eine Öffnung und Umgestaltung von Begutachtungsprozessen, die den kommunikativen Aufwand von Redaktionen reduziert. Publikationsverfahren mit faktischen Kosten von 100 bis 200 € pro Artikel können in vielen Fällen wissenschaftlich hochwertiger sein als die etablierte Weise, teure Prestigestücke zu publizieren. Die Publikationsökologie, in der solche Möglichkeiten erprobt werden können, wird nicht allein den Typ der pro Beitrag bezahlten Verlagszeitschriften umfassen, der hier diskutiert wurde, sondern auch viele andere Zeitschriften und Publikationsforen, in variabler Kooperation öffentlicher und privater Akteure.
Das Pluralitätsproblem ist damit natürlich höchstens am Rand berührt (etwa bei innovativen Open-Access-Zeitschriften, die öffentliche Zuschüsse nutzen). Die Probleme der kleineren, mittleren und nicht ausschließlich akademischen Wissenschaftsverlage verlangen andere Lösungen. Nachsteuern könnte man zumal bei Monografien, für die im Plan S längere Fristen, nicht jedoch besondere Regelungen vorgesehen sind. Wenig spräche dagegen, den Verlagen hier eine Alternative zu eröffnen: ein den Zeitschriften äquivalentes Verfahren für Bücher, die ohnehin nur in Bibliotheken beziehungsweise Datenbanken stehen werden – und bisherigen Buchpublikationen ähnliche Lösungen für Werke, die auch für ein breiteres Publikum gedacht sind. Wann immer ein Verlag das für aussichtsreich hält, könnte er auf die sonst etablierten Standardgebühren verzichten und eine zugangsgeschützte Monografie zugleich den Bibliotheken und dem allgemeinen Publikum anbieten. Erstere könnten ihm für landesweite Zugangsrechte sogar eine festgelegte Auflage abnehmen, etwa 100 bis 200 realistisch bepreiste Exemplare, erst das Publikum würde aber ggf. für Gewinne sorgen – und damit indirekt dazu beitragen, dass die Verlage unrealistische Buchpreise von über 50 € vermeiden. Gemessen am Gesamtmarkt würde es in diesem Segment um kleine Summen gehen, für buchlastige und öffentlichkeitsfähige Wissenschaften von der Germanistik bis zur Soziologie könnten die hier erscheinenden Monografien aber einen erheblichen Unterschied machen. Im besten Fall geht es ja um die Kategorie Dialektik der Aufklärung, Gender Trouble oder The Power Elite.
Auch wenn solche Bücher erst einmal Vergangenheit sein sollten oder nicht wirklich durch neuere Zeitdiagnosen aufgewogen werden, bleibt zu hoffen und zu erwarten, dass sich an möglichst breiten Rändern des wissenschaftlichen Publizierens wieder ein experimenteller Geist ausbreitet, der mehr will, als es der Standard-Zeitschriftenartikel zulässt. Die digitalen Formate wären für neue, flexible und Kleinunternehmen offenstehende Formen eigentlich mehr als geeignet. Wenn die öffentliche Vernunft zudem so weit trägt, dass sich im Mainstream eine doppelte Monokultur von Verlagsoligopolen und Prestigeinstitutionen abwehren lässt, wäre an Geld und für den Geist viel gewonnen. Die Mittel soziologischer Aufklärung sollten in diesem Kampf unbedingt genutzt werden.
Fußnoten
- Der Punkt und die Formulierung wurden durch Rifkin (Rifkin, J. 2014: The zero marginal cost society. The internet of things, the collaborative commons, and the eclipse of capitalism, New York: Palgrave Macmillan.) berühmt: Während es aufwändig und kostspielig ist, geistige Güter zu gestalten, wird bei der nahezu aufwandslosen digitalen Vervielfältigung sozusagen jedes neue Exemplar kostengünstiger. Das Phänomen hat eine längere Vorgeschichte. Im traditionellen Verlagswesen sinken die Kosten (und oft auch die Preise) pro Exemplar mit wachsender Auflage; die führenden Wissenschaftsverlage haben dagegen für besonders verbreitete Zeitschriften besonders hohe Gebühren durchgesetzt (siehe genauer Abschnitt 1).
- Dobusch, L. 2016: Mit Open Access aus der Zeitschriftenkrise. MDW-Magazin 4. https://www.mdw.ac.at/magazin/index.php/2016/11/21/mit-open-access-aus-der-zeitschriftenkrise/, letzter Aufruf 6. Januar 2020.
- Volkmann, U. 2016: Soziologieverlage im Zeitalter der Digitalisierung. SOZIOLOGIE, 45. Jg., Heft 4, 371-387.
- Vgl. für quantitative Angaben zu Zeitschriften Larivière, V., Haustein, S., Mongeon, P. 2015: The oligopoly of academic publishers in the digital era. PLoS ONE 10(6): e0127502. doi:10.1371/journal.pone.0127502, letzter Aufruf 6. Januar 2020; und Kathrin Ganz in ihrem Beitrag.
- Vgl. für alle angeführten Informationen zu DEAL die Webseite des Projekts.
- Vgl. die Webseite www.coalition-s.org/.
- cOAlition S 2019: Accelerating the transition to full and immediate Open Access to scientific publications. http://www.coalition-s.org/wp-content/uploads/PlanS_Principles_and_Implementation_310519.pdf, S. 2, letzter Aufruf 6. Januar 2020.
- Bodenschatz, E. 2019: »Plan S gefährdet die Freiheit der Wissenschaft.« Interview mit pro.physik.de – das Physikerportal. www.pro-physik.de/nachrichten/plan-s-gefaehrdet-die-freiheit-der-wissenschaft, letzter Aufruf 5. Januar 2020.
- Kritisch dazu Hagner, M. 2015: Zur Sache des Buches. Göttingen: Wallstein, S. 138 ff.
- Ebd.: S. 170.
- Volkmann, U. 2016: Soziologieverlage im Zeitalter der Digitalisierung. SOZIOLOGIE, 45. Jg., Heft 4, S. 373.
- Crawford, W. 2019: Gold Open Access 2013–2018: Articles in Journals (GOA4). Livermore, CA: Cites & Insights Books. https://waltcrawford.name/goa4.pdf, letzter Aufruf 5. Januar 2020; Grossmann, A., Brembs, B. 2019: Assessing the size of the affordability problem in scholarly publishing. PeerJ Preprints (27809v1). https://doi.org/10.7287/peerj. preprints.27809v1, letzter Aufruf 19. Dezember 2019; Solomon, D., Björk, B.-C. 2016. Article processing charges for open access publication – the situation for research intensive universities in the USA and Canada. PeerJ (2264). https://peerj.com/articles/2264/, letzter Aufruf 6. Januar 2020; für diesen ungefähren Schätzwert wurden die mehrheitlich in US-$ angegebenen Durchschnittspreise umgerechnet; Berechnungen, die auch kostenlose Open-Access-Publikationen einbeziehen und derart den Durchschnittswert senken (Crawford, Gold Open Access, S. 10), habe ich ausgeklammert.
- Van Noorden, R. 2013: Open access: The true cost of science publishing. Nature News, vol. 495, no. 7442, S. 427.
- Präziser beziehungsweise mit weiteren Bestimmungen des fraglichen Markts formuliert: »From the figures available, it is straightforward to hypothesize that publishers, by and large, determine their price structure according to what they estimate the market to be able to carry, i.e., with a value based (or prestige) pricing strategy in a market with status consumption« (Grossmann, A., Brembs, B. 2019: Assessing the size of the affordability problem in scholarly publishing. PeerJ Preprints (27809v1). https://doi.org/10.7287/peerj. preprints.27809v1, letzter Aufruf 19. Dezember 2019, Z89 ff.).
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher.
Kategorien: Universität
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