Eva Gilmer, Wibke Liebhart | Interview |

„Stil hat auch etwas mit Mut zu tun“

Eva Gilmer im Gespräch mit Wibke Liebhart

Einige unserer bisherigen Interviewpartner*innen zum Thema wissenschaftliches Schreiben haben ausdrücklich und übereinstimmend betont, wie gerne sie mit Ihnen, Frau Gilmer, zusammenarbeiten. Welche Eigenschaften zeichnen eine gute Wissenschaftslektorin aus?

Fleiß und Neugier sind wichtig in meinem Beruf, der sich bei weitem nicht nur in der Arbeit an Texten erschöpft. Ebenfalls wichtig sind eine gewisse Stressfestigkeit und dass man sich relativ schnell in unterschiedliche Themen und Kontexte einzuarbeiten sowie mit mehreren Projekten gleichzeitig zu jonglieren vermag. Da Kommunikation in alle möglichen Richtungen und mit sehr vielen Menschen in verschiedenen Funktionen eine große Rolle spielt, muss man sich damit ein Stück weit wohlfühlen; und wer Entscheidungen scheut und nicht gerne oder extrem langsam liest, sollte sich besser nach einem anderen Job umsehen.

Was die eigentliche Textarbeit angeht, also das, was sich viele unter dem Begriff „Lektorat“ vorstellen, so würde ich sagen, dass es darauf ankommt, eine Balance hinzubekommen: Einerseits muss man sich auf den Text wirklich einlassen, sozusagen in ihn hineinkriechen, andererseits Distanz zu ihm wahren, sich also nicht von ihm verschlucken lassen. Darauf zu vertrauen, dass die Autor*in weiß, was sie tut, und zugleich davon auszugehen, dass so gut wie alles in dem Text falsch sein kann, ist sozusagen das mentale doublebind, unter dem zu redigieren ist. Daneben gibt es noch das reine Handwerk. Es ist schon essenziell, dass Sie einigermaßen sattelfest in Rechtschreibung, Interpunktion und Grammatik sind, und die Arbeit fällt deutlich leichter, wenn Sie Freude haben am Umgang mit Sprache. Immer hilfreich in allen Lebenslagen ist Humor, zumal der Beruf ja auch eine soziale Dimension hat. Das heißt natürlich nicht, dass ich keine Kommafehler mache, nie im Duden nachsehen muss, immer den richtigen Ton treffe, ständig gute Laune habe oder auf Knopfdruck den richtigen Abstand zu einem Text hinbekomme. Es ist halt menschliche Arbeit.

Wenn ich Sie richtig verstehe, treten Sie als Lektorin in eine doppelte Interaktion: zum einen mit der Autor*in, zum anderen mit dem Text. Wie ist Ihr Verhältnis zu beiden ‚Parteien‘?

Temporär intensiv, würde ich sagen. Die Interaktion mit den Autor*innen erstreckt sich über viele Monate, von der Einreichung des Publikationsvorschlags bis zur Veröffentlichung des Buches und oft auch darüber hinaus. Der Lektoratsprozess im engeren Sinn beginnt, wenn mir die Autor*in das aus ihrer Sicht fertige Manuskript schickt, und er endet mit der Versendung des Vorabexemplars. Dazwischen liegen – je nach Umfang des Buches – in der Regel sechs Monate, in denen sich der Kontakt intensiviert und man regelrecht zusammenwächst in dem gemeinsamen Bemühen, ein gutes Buch zuwege zu bringen. Es entsteht eine ziemlich enge professionelle Beziehung, die jedoch in dieser Intensität temporär ist. Denn jedes Buchprojekt ist irgendwann abgeschlossen und die nächsten Autor*innen warten schon.

Mein Verhältnis zum Text ist vollkommen durch die Absicht bestimmt, dass er am Ende so gut wie möglich sein soll. Und auch hier gibt es eine Phase, die sehr intensiv ausfällt, nämlich wenn ich am Text arbeite und versuche, sozusagen die letzten paar Prozente aus ihm herauszuholen. Das heißt, ich beschäftige mich über drei, vier, fünf Wochen täglich mehrere Stunden damit. Das ist einerseits eine Dienstleistung, die der Verlag seinen Autor*innen anbietet, ganz gleich, ob es sich um einen Roman oder eine soziologische Monografie handelt. Andererseits geht es schlicht auch darum, dass wir als Verlagsunternehmen möglichst gute Produkte auf den Markt bringen möchten, und da steht der Text natürlich im Zentrum. Diesen zu polieren, manche würden vielleicht auch sagen: zu schleifen, damit er den letzten Glanz erhält, bevor er das Licht der Öffentlichkeit erblickt, ist eine meiner Aufgaben.

 Sind die Unterschiede in der Qualität der Texte, die Sie „schleifen“, abhängig von der wissenschaftlichen Disziplin, aus der sie stammen? 

Nein, das kann ich so nicht sagen. Selbstverständlich existieren fachspezifische Wissenschaftssprachen, auch überlieferte Eigenheiten des Schreibens in den jeweiligen Disziplinen und Unterdisziplinen, die sich oft an die eingespielten Terminologien anlehnen. Soziologische Arbeiten haben einen anderen ‚Sound‘ als philosophische, historische einen anderen als literaturwissenschaftliche. Aus meiner Sicht gibt es allerdings ein Altersgefälle. Das mag jetzt langweilig kulturkritisch klingen, aber die ältere Generation, wenn ich sie mal so nennen darf, ist auf der handwerklichen Seite – Rechtschreibung, Interpunktion usw. – besser. Dass die Fähigkeit, einen Text souverän durchzugestalten, sehr viel mit Erfahrung zu tun hat, versteht sich ohnehin von selbst. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass sich die jungen Leute, weil sie sehr viel schreiben müssen – publish or perish –, vielleicht nicht mehr die nötige Zeit für die Entwicklung einer eigenen Sprache nehmen. Womöglich wird das im Wissenschaftsbetrieb auch nicht mehr gebührend honoriert. Bei Qualifikationsschriften (die nach meinem Gefühl immer länger werden) kommt die Neigung hinzu, sich nach allen Seiten abzusichern, also zu dokumentieren, dass man alles, aber auch wirklich alles, berücksichtigt und bedacht hat. Ich will das gar nicht kritisieren, weil ich ja um den Druck weiß, der mit solchen Arbeiten verbunden ist. Aber das führt dann oft ins Statische, Redundante, irgendwie Ängstliche, Unfreie. Stil hat auch etwas mit Mut zu tun. Man muss sich auch mal verabschieden von einem sicheren Satz.

Und was wäre so ein sicherer Satz?

Ach, das sind so Sätze, die in dem Theoriekontext, in dem man sich bewegt, immer richtig sind, schon zigfach exakt so oder so ähnlich geschrieben wurden und oft gar nichts zum Fortgang des spezifischen Gedankengangs beitragen, sondern eher die Zugehörigkeit zu einer Schule signalisieren. Damit will ich nicht sagen, dass es solche sicheren Sätze nicht geben darf. Sie dürfen nur nicht überhandnehmen, sonst erstarrt der Text.

Wie wird, umgekehrt, ein Text geschmeidig?

Darauf gibt es meines Erachtens keine allgemein verbindliche Antwort, das hängt sehr stark vom inhaltlichen und sprachlichen Eigensinn des jeweiligen Textes ab. Übrigens muss auch nicht jeder Text ‚geschmeidig‘ sein. Allerdings glaube ich, dass es nahezu allen Texten guttäte, wenn die Autor*innen sie nach der Niederschrift eine Zeit lang ‚abhängen‘ lassen könnten und das Geschriebene dann noch einmal mit etwas geistigem Abstand in Ruhe lesen würden, bevor sie es mir zum Redigieren schicken. Mit sehr vielen meiner polierenden Anmerkungen zu Konzeption, Darstellung und Stil renne ich gewissermaßen offene Türen ein. Die Autor*innen haben es vorher einfach nicht sehen können, weil ihnen im Prozess des Schreibens die Distanz zum eigenen Text fehlte. Das ist auch völlig normal, wenn man knietief in der Sache steckt und auch noch Zeitdruck dazukommt. Zeitmangel ist meistens der Grund dafür, warum sich ein solches ‚Abhängen-Lassen‘ leider nicht einrichten lässt.

In welchem Zustand sollte ein Text sein, damit Eva Gilmer mit ihrem polish beginnen kann?

Am liebsten arbeite ich mit Texten, die wirklich fertig geschrieben sind, denn ob ein Text von Anfang bis Ende funktioniert, kann ich nur ernsthaft beurteilen, wenn es einen Anfang, ein Ende, aber auch das Dazwischen gibt. Natürlich kommt es vor, dass mich Autor*innen bitten, auf Vorfassungen zu schauen, vor allem, wenn konzeptionelle Weichenstellungen anstehen oder sich Fragen zur allgemeinen Machart stellen. Solche Bitten erfülle ich auch, jedoch mit eher allgemeinen Hinweisen. Ob die Gesamtkonstruktion trägt, die argumentativen Bögen sitzen, ob das, was vorne angekündigt wird, im Verlauf auch eingelöst wird, ob sich Redundanzen stapeln usw., lässt sich nur einschätzen, wenn ich das ganze Werk vor mir habe und indem ich es von vorne nach hinten durchgehe – so wie es idealerweise dann auch die zukünftigen Leser*innen tun. Nebenbei bemerkt halte ich auch gar nichts davon, wenn beispielsweise die Fußnoten nachgeliefert werden. Auch in den Fußnoten tauchen gelegentlich Überflüssigkeiten auf oder gibt es Lücken, die nur zu erkennen sind, wenn man die Anmerkungen im Zusammenhang mit dem Fließtext liest. Das gehört einfach zusammen. Außerdem sind sie gewöhnlich ein schrecklicher Quell von Fehlern, und ich bin schon der Auffassung, dass solche Formalia penibel stimmen müssen.

Seit 2003 arbeiten Sie als Lektorin bei Suhrkamp, haben also enorm viel Erfahrung im Umgang mit Texten, mit dem ganzen Handwerk. Doch was an inhaltlicher Kompetenz ist nötig, um einen wissenschaftlichen Text sachkundig zu lektorieren. Könnten Sie, anders gefragt, auch ein Buch redigieren, das sich mit der Stringtheorie befasst?

Nein. Das ist Lichtjahre weg von meinen Kompetenzen, und da Mathematik im diesem Fall die Sprache der Wahl wäre, könnte mir mein guter alter Duden auch nicht weiterhelfen. Ich würde schlicht überhaupt nicht verstehen, worum es geht, geschweige denn in der Lage sein, irgendwie einzugreifen. Aber ein Text aus der Grundlagenforschung zu diesem Thema würde ohnehin nicht auf meinem Schreibtisch landen, weil das ja gar nicht unser Programmschwerpunkt ist und die Forschungsergebnisse aus diesem Gebiet in aller Regel nicht in der Form von Büchern präsentiert werden. Die Bücher, die ich in der Abteilung Wissenschaft und Sachbuch bei Suhrkamp betreue, kommen bekanntlich allesamt aus dem Bereich der humanities. Und da traue ich mir inzwischen eigentlich fast alles zu beziehungsweise weiß mir zu helfen, wenn dann doch mal eine Formel auftaucht, die meine Logikkenntnisse übersteigt. Man kann ja im Zweifelsfall Leute fragen, die sich damit auskennen.

Die meisten Texte, mit denen ich zu tun habe, funktionieren strukturell so, dass Behauptungen aufgestellt und begründet werden, um daraus gewisse Schlussfolgerungen zu ziehen. Zu schauen, ob das auf nachvollziehbare Weise gelingt oder auf brillante Weise scheitert (was auch sehr toll sein kann), ist mein Geschäft. Und in dieser Hinsicht war mein Philosophiestudium eine gute Schule, in der ich genau das lernen und üben konnte. Die inhaltliche Kompetenz liegt selbstverständlich bei den Autor*innen. Da trete ich nicht als Expertin in der Sache an, sondern als Generalistin, vor allem aber als sehr geschulte, ziemlich erfahrene und oft auch erste Leserin, die sich leicht irritieren lässt. Wenn ich auf etwas stoße, das mir seltsam vorkommt, wenn ich über eine Formulierung stolpere oder einen Satz einfach nicht verstehe, auch nachdem ich ihn fünfmal gelesen habe, stimmt meist etwas nicht. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um einen inhaltlichen Fehler handeln; in der Regel ist es bloß missverständlich dargestellt, unglücklich formuliert, ohne Anschluss zur textlichen Umgebung oder nicht hinreichend erklärt. Manchmal stoße ich auch auf Sätze, die harmlos klingen, bei genauerem Hinsehen jedoch Festlegungen beinhalten, die vielleicht gar nicht beabsichtigt sind. „Wirklich so gemeint hier, dass ...?“, schreibe ich in solchen Fällen an den Rand. Natürlich finden sich gelegentlich auch mal echte inhaltliche Fehler, falsch wiedergegebene Zitate oder Fakten, weshalb der sogenannte Faktencheck wichtig ist. Dazu muss ich gegebenenfalls drumherum lesen und ein bisschen recherchieren.

Ein einzelner inhaltlicher Einwand oder eine kritische Nachfrage sind das eine. Aber was passiert, wenn Sie mit der ganzen Argumentation eines Buches nicht einverstanden sind oder mit zentralen Thesen?

Unser Gespräch dreht sich um das Thema „Schreiben“ beziehungsweise „Textproduktion“. Angesichts dieser Frage will ich aber doch darauf hinweisen, dass sich meine Arbeit keineswegs im Feilen an Texten erschöpft. Mindestens ebenso wichtig ist die Programmarbeit, sind die Entscheidungen darüber, welche Bücher wir im Verlag publizieren wollen. Neben einigen anderen Aspekten spielen dabei inhaltliche Gesichtspunkte naturgemäß eine bedeutende Rolle, auch solche, die sich auf die Gesamtanlage eines Buches beziehen. Das ist jedoch ein weiteres, um nicht zu sagen: ein weites Feld, das wir jetzt nicht beackern können.

Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen: Es kommt so gut wie nie vor, dass ich einen Text zu redigieren habe, der – aus welchen Gründen auch immer – inhaltlich aus meiner Sicht so komplett daneben ist, dass ich damit ernsthafte Schwierigkeiten hätte. Wäre das der Fall, hätten wir vorher, das heißt bei der Programmentscheidung, die bei uns auf der Grundlage substanzieller Textproben gefällt wird, wohl einen Fehler gemacht. Ansonsten muss ich sagen, dass meine persönlichen theoretischen Vorlieben schon in den Hintergrund treten müssen, weil es ja nicht der Gilmer-Meinungsverlag ist (der vermutlich sehr langweilig wäre), sondern der Suhrkamp Verlag, der traditionell die unterschiedlichen wissenschaftlichen Zugänge und Perspektiven innerhalb der Disziplinen, die bei uns vertreten sind, abbilden möchte, wenn auch mit einer gewissen SV-Profilierung. Da gibt es auch eine Tradition, die es fortzusetzen und immer wieder mit neuem Leben zu füllen gilt, finde ich. Meine Aufgabe besteht nicht darin, im Zuge der Textarbeit mit den Autor*innen über ihre grundsätzlichen theoretischen Überzeugungen zu diskutieren. Ich könnte das intellektuell auch gar nicht leisten, denn ich bin ja – wie gesagt – keine Expertin auf all diesen Gebieten. Daher habe ich zu vielen Positionen, die mir so begegnen, auch gar keine solide persönliche Meinung, um ehrlich zu sein. Ein Lektorat ist keine Seminarsituation, mit mir in der Rolle der Mitdiskutantin, die ihre eigenen Überzeugungen durchzubringen versucht. Und um Bekehrung geht es in der Arbeit mit den Autor*innen schon gar nicht. Ich habe – aus Gründen, die ich bei jedem einzelnen Buch benennen könnte – sehr viele Bücher gemacht, zu deren Inhalt mir Gegenargumente einfallen oder die quer zu meinen eigenen Intuitionen liegen. Doch gehört es zu meiner Rolle und bereitet mir auch keinerlei Schwierigkeiten, solche Bücher auf dieselbe Weise zu behandeln wie diejenigen, die ganz nach meinem persönlichen Gusto sind. Im Übrigen finden die entscheidenden Debatten über die Inhalte eines Buches nach seinem Erscheinen statt: mit den Studierenden in den Seminaren, mit den Kolleg*innen im wissenschaftlichen Feld und unter Umständen auch in der breiten Öffentlichkeit.

Wenn es also nicht der Inhalt ist, wonach beurteilen Sie dann einen Text, der Ihnen auf den Schreibtisch oder Bildschirm kommt?

Nein, nein, natürlich spielen die Inhalte eine Rolle, eine geradezu herausragende bei der Programmarbeit und den Programmentscheidungen, und selbstverständlich auch beim Redigieren, nur eben auf einer anderen, eher lokalen Ebene, wo das Ziel ist, ein gelungenes Zusammenspiel zwischen Inhalt und Form herbeizuführen. Und dafür liefert der Text selbst den Maßstab, also die Kriterien für seine Beurteilung beziehungsweise Bearbeitung. Er sollte – wie soll ich es sagen? – in sich stimmig sein.

Zurück zu den konkreten Arbeitsabläufen. Sie haben einen Buchvertrag abgeschlossen und jetzt trifft das Manuskript ein. Wie gehen Sie weiter vor?

Als Erstes verschaffe ich mir einen Eindruck von der formalen Struktur, lege Absatz- und Überschriftenformatierungen fest, damit ich beim Lesen nicht vom äußeren Erscheinungsbild, etwa von komischen Schriften oder seltsamen Abständen, abgelenkt werde. Und dann fange ich an zu lesen, Seite eins, Zeile eins. Früher – so lange ist es noch gar nicht her – am Papier und mit dem Stift in der Hand, heute am Bildschirm und bei eingeschaltetem Korrekturmodus. Ich versuche, mich völlig auf den Text zu konzentrieren, und streiche alles an, was mir so auffällt: von offensichtlichen Tipp- und Grammatikfehlern über ermüdende Wortwiederholungen bis hin zu schiefen Vergleichen, missglückten Metaphern, hässlichen Wörtern oder falschen Jahreszahlen. Nicht selten mache ich lokale Kürzungsvorschläge, entzerre unnötig umständliche Satzkonstruktionen, arbeite am Textrhythmus („hier auch mal einen Nebensatz“), am Ton („kommt mir hier zu flapsig, zu gestelzt, zu ... vor“), füge Absätze ein oder lösche welche. Manchmal mache ich auch Vorschläge zur Umstellung oder Streichung ganzer Passagen, vermerke, dass aus meiner Sicht noch etwas fehlt, ein abschließender Satz zum Beispiel oder ein Verweis. Das allermeiste führe ich direkt in der Datei aus und liefere in einem Kommentar die Erklärung dazu. Es ist also nicht so, dass ich nur sage: „Dieser Satz ist sehr unübersichtlich, bitte entzerren“, sondern ich mache einen konkreten Entzerrungsvorschlag. Gelegentlich finden sich auch Sätze, die ich partout nicht verstehe oder bei denen ich nicht weiß, was eigentlich gemeint ist, sodass ich keine Alternative präsentieren kann. Da biete ich in der Kommentarspalte entweder mögliche Lesarten an oder ich versuche, mein Unverständnis zu erläutern. So arbeite ich mich Schritt für Schritt von vorne bis hinten durch das gesamte Manuskript, das anschließend zur finalen Überarbeitung im Lichte meiner Korrekturen, Anmerkungen und Vorschläge an die Autor*in zurückgeht. Irgendwann kommt es wieder zu mir zurück und wird so akzeptiert, wie es ist. Die Autor*innen haben selbstverständlich das letzte Wort und können sich natürlich gegen meine Vorschläge entscheiden, was auch ständig passiert. Na, und dann steht noch einmal ein formaler Durchgang an und ich bereite das ganze Manuskript für die Herstellung vor. Zum Schluss kommen Fahnenkorrekturen durch die Autor*in und das Korrektorat, Registererstellung, Umschlagtext und lauter so Dinge.

Wie reagieren die Autor*innen auf Ihre Änderungen und Kommentare? Sind sie manchmal von der Anzahl der rot eingefärbten Passagen geschockt?

Ich glaube schon. Natürlich hängen die Reaktionen davon ab, wie und wie stark die Politur ausfällt. Es sieht, das muss ich schon sagen, manchmal furchtbar aus in den Dateien, was mit dem Überarbeitungsmodus zusammenhängt, der jede noch so kleine Operation gnadenlos sichtbar macht. Alles ist rot und übersät mit diesen Kommentarblasen am Rand. Ich bin ja nicht dabei, wenn die Dateien auf der ‚anderen Seite‘ geöffnet werden, aber mir ist schon klar, dass der erste Eindruck gelegentlich kein erfreulicher ist, zumal bei Autor*innen, die noch keine Erfahrungen mit einem, sagen wir: umfassenden Lektorat gemacht haben. Manchmal, nicht sehr oft, wird das Entsetzen oder der Schreck mir gegenüber auch zum Ausdruck gebracht, was ich nachvollziehbar und völlig okay finde. Insgesamt habe ich allerdings doch den Eindruck (nicht zuletzt aufgrund entsprechender Rückmeldungen), dass die allermeisten Autor*innen eher dankbar für mein Herumfuhrwerken in ihrem Text sind. Jedenfalls schätzen viele die Möglichkeit, sich mit etwas Abstand und durch die Augen einer konstruktiv-kritischen Leserin noch einmal mit dem Geschriebenen auseinanderzusetzen, ihm den letzten Schliff zu verpassen. Ich betone auch immer wieder, dass es ja ein gemeinsames Interesse gibt: Das Buch soll doch so gut wie möglich werden. Und wenn die finale Überarbeitung länger dauert als gedacht, dann ist es eben so. Ich würde jeden Publikationstermin platzen lassen für einen besseren Text.

Sie haben schon zu Beginn unseres Gesprächs, als es um die Eigenschaften einer guten Lektorin ging, betont, wie wichtig es ist, sich parallel verschiedenen Projekten widmen zu können. Wie viele Bücher betreuen Sie gerade?

Im Moment sind es wohl sechs oder sieben Bücher, an denen ich konkret arbeite, allerdings in unterschiedlichen Stadien des Produktionsprozesses. Nicht bei allen ist noch viel zu tun. So fällt, würde ich sagen, mein normales Pensum aus.

Das klingt nicht gerade nach einem nine to five job…

Nein, da haben Sie völlig recht. Es kommt neben den Redigaten noch so viel anderes hinzu. Eigentlich bin ich den ganzen Tag über mit Planungen, Sitzungen, Telefonaten und hausinternen Abläufen beschäftigt: hier eine Umschlagpräsentation, dort die Vertreterkonferenz, heute die Vorschautextlesung, morgen eine Arbeitsgruppe zu diesem oder jenem Thema und übermorgen ... ein Interviewtermin. Dazwischen telefoniere ich mit Autor*innen, muss mich mit der Herstellung abstimmen, Korrekturen kollationieren oder Werbetexte schreiben. Dazu kommt dieser nie endende Strom an E-Mails, die der Beantwortung harren und oft auch sehr lange harren müssen, leider. Und schon ist es five – und ich habe noch keinen einzigen Satz redigiert. Dann koche ich mir einen Tee und setze mich an den Text. Um diese Tageszeit ist es viel ruhiger und ich kann ohne Unterbrechung ‚Strecke machen‘. Das geht dann so ungefähr bis eleven.

Und weil Ihnen all die Arbeit nicht reicht, übertragen Sie auch noch philosophische Abhandlungen aus dem Englischen oder Amerikanischen ins Deutsche. Wonach entscheiden Sie, welche Bücher Sie übersetzen?

Das mit dem Übersetzen mache ich nur noch sehr selten, aus den Zeitgründen, über die wir eben sprachen. Meine letzte Übersetzung liegt allerdings tatsächlich noch nicht so lange zurück. Tim Cranes Buch The Meaning of Belief (auf Deutsch heißt es Die Bedeutung des Glaubens) fand ich nicht nur inhaltlich interessant, es hatte auch das passende Format für mich, weil es nicht zu umfangreich ist. Außerdem kannte ich andere Texte von Crane, war also mit seiner Art des Philosophierens vertraut, die mir auch liegt. Doch um ehrlich zu sein: Ich habe es ein bisschen bereut, weil ich gemerkt habe, dass die Übersetzung mein Zeitbudget sprengt. Sie hat großen Spaß gemacht, mich aber die Ferien gekostet. Generell finde ich, dass Übersetzen eine gute Schule ist fürs Lektorat. Jedenfalls war es mein Einstieg in den Beruf. Ich kenne aber auch einige Leute, die den umgekehrten Weg gegangen sind, vom Lektorat zum Übersetzen.

Womit wir schon bei der nächsten Frage sind: Worin unterscheidet sich das Lektorat eines in Deutsch abgefassten Textes von dem einer Übersetzung?

Nun, wenn Sie eine Übersetzung lektorieren, haben Sie es mit zwei Texten zu tun: dem Originalbuch und der Übertragung. Ersteres ist eine verbindliche Vorlage, die bereits lektoriert wurde. Dieser Text steht, Sie können da keine großen Umbauten mehr vorschlagen und treten auch nur in Ausnahmefällen mit der Autor*in in direkten Kontakt. Das Verhältnis zwischen Lektor*in und Übersetzer*in unterscheidet sich auch von demjenigen zwischen Lektor*in und Autor*in, weil die Beziehung der Übersetzer*in zum Text eine andere ist. Im Grunde achte ich beim Lektorieren einer Übersetzung darauf, ob das Original inhaltlich und terminologisch korrekt übertragen, ob der Ton einigermaßen getroffen wurde. Insgesamt sollte es sich wie ein deutschsprachiges Buch lesen, also nicht zu linear übersetzt sein. Natürlich liegt das Originalbuch immer aufgeschlagen auf meinem Schreibtisch, wenn ich anfange, am Bildschirm die Übersetzung durchzugehen, aber ich lese zunächst nicht Satz für Satz parallel, sondern konzentriere mich auf den deutschen Text, um den es ja letztlich geht. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber ich merke beim Lesen der deutschen Übersetzung ziemlich zuverlässig, wenn etwas nicht stimmt, entweder lokal, also bei einem Detail, oder auch insgesamt. Manchmal erinnere ich mich auch daran, schon bei der Erstlektüre des Originals gedacht zu haben, dieser Passus oder dieser Begriff wird nicht einfach zu übersetzen sein. Also wenn mich eine Formulierung irritiert, schaue ich ins Original und manchmal läuft es dann doch auf ein streckenweises oder gar striktes Parallellesen hinaus. Jede Lektor*in hat bei diesen Dingen ihre eigene Technik, und Erfahrung spielt gewiss eine große Rolle. Wir haben einige hervorragende Übersetzer*innen, muss ich sagen, mit denen ich zum Teil schon seit vielen Jahren zusammenarbeite. Das sind Leute, bei denen finde ich nur alle zehn, zwanzig Seiten mal einen Kommafehler, und oft beeindrucken mich die sprachlichen Lösungen, die sie für die Schwierigkeiten finden, welche sich aus der Vorlage ergeben.

Worauf achten Sie noch? Gibt es einen Stil, an dem Sie sich in Ihrer Bearbeitung von Texten orientieren?

Jede Autor*in hat ihren eigenen Stil, den es zu respektieren gilt. Ich fange nicht an, jeden Text in Richtung einer Einheitssprache zu bürsten. Es soll ja die Stimme der Autor*in sein. Wie ich schon sagte: Es geht um Stimmigkeit, und der Text selbst liefert dafür den Maßstab, auch in Sachen Stil, Rhythmus, Tempo etc. Trotzdem gibt es Texte, bei denen ist es im eigenen Paradigma dann doch des Guten zu viel, da ist es besser, die Ornamentik, das Tempo oder bestimmte Stilelemente etwas zurückzufahren, abzudimmen, das ‚Feuerwerk‘ durch ein paar ganz ‚normale‘ Sätze zu unterbrechen, um die Stileffekte nicht zu verschleißen und die eigentlichen Pointen besser zur Geltung zu bringen. Bei anderen ist es genau umgekehrt, eher zu wenig Dynamik, kaum ‚Spitzen‘. Auf solche Sachen, es sind häufig Feinheiten, weise ich gelegentlich beim Redigieren hin und mache entsprechende Vorschläge. Wissenschaftliche Texte dürfen, ja sollen stilistisch idiosynkratisch sein. Wenn die Idiosynkrasien jedoch die Argumentation total verstellen, finde ich es problematisch, jedenfalls schade.

Der Philosoph Robert Brandom schreibt in seinem Buch Expressive Vernunft, das Sie mitübersetzt haben: „Klar zu schreiben heißt, dem Leser genug Anhaltspunkte dafür zu geben, worauf man sich mit jeder seiner Behauptungen festlegen möchte, und wodurch man sich dazu berechtigt fühlt.“ Ist damit eine Grundanforderung formuliert, die jeder Text zu erfüllen hat?

Finde ich schon, jedenfalls bei nichtfiktionalen Texten. Allerdings hat Brandoms These nichts mit Stil zu tun. Man kann diese Transparenzforderung aus meiner Sicht mit den verschiedensten stilistischen Mitteln erfüllen. Mir gefallen Texte tatsächlich besonders gut, bei denen man an jeder Stelle erkennt, was Sache ist, warum das jetzt hier, genau hier, steht und warum es genau so hier steht. Auch wenn man sich das nicht ständig punktuell bewusst macht, spürt man als Leser*in dann den Halt, den man am Text findet.

Aber gehört zu diesem Halt, von dem Sie sprechen, nicht zugleich auch eine ästhetische Qualität? Kann Klarheit nicht auch Schönheit bedeuten oder so etwas wie Eleganz sein?

Natürlich. Klarheit und Schönheit oder Eleganz schließen sich keinesfalls aus, ja gehen oft Hand in Hand. Trotzdem würde ich spontan sagen, dass es sich um voneinander unabhängige Qualitäten handelt. Ich kann mir durchaus einen eleganten Text vorstellen, der es an Klarheit vermissen lässt – und einen durch und durch transparenten, den man vielleicht nicht unbedingt als „schön“ bezeichnen würde. Das sind aber recht schwierige Kategorien, und Ihre Frage führt aus dem Raum der Empirie heraus. Ich müsste länger darüber nachdenken, bevor ich mich diesbezüglich auf eine Behauptung festlege.

Haben Sie, als jemand, die sich den ganzen Tag mit den Fragen beschäftigt, ob und warum ein Text funktioniert, auch Lust, selbst zu schreiben?

Wenn Sie dabei an wissenschaftliches Schreiben denken, lautet meine Antwort ganz klar: Nein. Nur weil ich mich beruflich in die Texte anderer einmische, folgt daraus nicht, dass ich diese Bücher oder Vergleichbares selber schreiben könnte. Das zu meinen, wäre eine totale Selbstüberschätzung; vor allem jedoch eine grandiose Unterschätzung der intellektuellen Fähigkeiten der Autor*innen sowie der Forschungsarbeit, die den Büchern zugrunde liegt. Um ein berühmtes Wort von Lessing abzuwandeln: Festzustellen, dass die Suppe versalzen ist, heißt nicht, dass man sie auch kochen kann. Ich will nicht ausschließen, dass ich mich, wenn ich in Rente bin oder so, mal an einem eigenen Text versuche. Um eine philosophische Abhandlung wird es sich dabei aber gewiss nicht handeln.

Welche Rolle spielt die Belletristik für Sie als Wissenschaftslektorin?

Ein Leben ohne Romane, Erzählungen, Gedichte etc. kann ich mir, ehrlich gesagt, gar nicht vorstellen. Vielleicht liegt es daran, dass ich das Lesen anhand der Zeitung mit den vier großen Buchstaben gelernt habe, die mein Vater täglich studierte, meine ersten Leseerfahrungen also mit fiktionalen Texten gemacht habe. Spaß beiseite: Ich finde, wer sich für die Welt und die menschliche Lebensform in all ihren Facetten interessiert, kommt an Belletristik nicht vorbei. Und wer sich dafür interessiert, was man mit Sprache so alles anstellen kann, sowieso nicht. Eine gewisse Kenntnis des literarischen Kanons gehört auch irgendwie zu der Allgemeinbildung dazu, die man als Lektor*in braucht. Trotzdem ist mein Verhältnis zur schönen Literatur kein instrumentelles, auf meine Arbeit bezogenes. Ich lese Romane aus reiner Leidenschaft. Das war schon immer so und wird vermutlich auch so bleiben.

Wie ist es mit der Lektüre von Tages- oder Wochenzeitungen: Muss ich ein über das Weltgeschehen informierter oder gar ein politischer Mensch sein, um bei Suhrkamp Wissenschaft zu arbeiten?

Auf jeden Fall. Sie können vielleicht Bücher zu organischer Chemie oder Kosmologie machen, ohne sich für das, was in der Welt passiert, zu interessieren. Aber selbst hier könnte es schwierig werden. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob es ihn überhaupt gibt, den unpolitischen Menschen. Doch wie dem auch sei, im Lektorat tauschen wir uns jedenfalls häufig sowohl über aktuelle politische wie kulturelle Themen aus und verfolgen das Weltgeschehen, wie Sie es genannt haben, über diverse Medien, darunter natürlich auch Tageszeitungen. Ich hoffe sehr, dass dem Programm unser Versuch anzumerken ist, auf der Höhe der gesellschaftlichen Entwicklungen und Debatten zu sein. Und wissenschaftliche Debatten betrachte ich natürlich als wichtigen Teil dessen, was in der Welt mit all ihren Interdependenzen stattfindet. Also muss man sich in ihr schon ein bisschen auskennen. Zumal dann, wenn man unter dem Anspruch arbeitet, mit den Büchern über die engsten Fachkreise hinaus Wirkung zu erzielen. Wären Sie als Programmmacher*in total detached, bekämen Sie das nicht hin. Selbstverständlich ist nicht jedes Buch, das wir im Wissenschaftssegment herausbringen, im engeren Sinne politisch. Doch würde ich schon behaupten, etwas hochgestochen und vermutlich trivial, dass es allen – in ihrer je eigenen Weise und bezogen auf den je eigenen Gegenstand – darum geht, das, nun ja, Leben auf dieser Erde zu verstehen. Und das ist ja etwas sehr Konkretes, das sich in allen möglichen Formen tagtäglich vollzieht. Wenn mir eine Bewerber*in fürs Wissenschaftslektorat erzählen würde, dass sie in ihrer Freizeit hauptsächlich Goethe liest und Opern hört, würde ich vermutlich schon nachfragen, ob sie sich gelegentlich auch mal einen Tatort anschaut, ob sie weiß, was Germany's Next Topmodel ist und schon mal auf einer Demo war. Nichts gegen Goethe und Opern, versteht sich!

Wer gerne und viel liest, ist noch nicht zwangsläufig gut darin, Texte zu bearbeiten. Hat Ihnen jemand das Redigieren beigebracht?

Eigentlich nicht. Und es ist auch nicht einfach, diese Fertigkeit zu lehren, weil der Gegenstand, mit dem Sie es zu tun haben, jedes Mal ein anderer ist – sozusagen stets eigensinnige Anforderungen stellt. Klar hat es Kolleg*innen gegeben, die mir gesagt haben, worauf es grosso modo ankommt, worauf ich achten sollte usw. Im Grunde lernt man es aber nur, indem es macht – und daran scheitert. Bei mir war es so, dass mein damaliger Vorgesetzter mir recht bald nach meinem Eintritt in den Verlag ein Projekt zugeteilt hat, so ungefähr mit den Worten: „Ist jetzt Deins, mach mal.“ Da saß ich nun wie vor einem Werkstück, von dem man nicht weiß, wie man es überhaupt anfassen soll. Ich habe wahnsinnig viel Zeit für die Bearbeitung gebraucht („So langsam musst Du einen Zahn zulegen, liebe Eva ...“) und habe dann, als der 1. Lauf aus unserem erstklassigen Korrektorat zurückkam, mit Entsetzen gesehen, was ich alles nicht gesehen hatte. Es war ein Schlachtfeld! Das hat meinen Ehrgeiz entschieden angestachelt, muss ich sagen, und es war der Beginn der Lernkurve, auf der ich mich bis heute befinde. Sehr lehrreich war für mich, meinen unlängst verstorbenen Kollegen Raimund Fellinger einmal beim Redigieren beobachten zu können. ‚Meine Güte‘, dachte ich, ‚wie stark er in den Text eingreift!‘ Vielleicht klingt es jetzt seltsam, aber man muss sich schon ein Stück weit freimachen von Ehrfurchtsgefühlen gegenüber Texten und ihren Autor*innen, selbst wenn sie noch so berühmt sind. Andernfalls liefert man keine gute Arbeit ab.

Wie funktioniert sie dann, die praktische Weitergabe von Wissen im Lektorat?

Wie gesagt, Redigieren erlernt man in erster Linie im wiederholten praktischen Vollzug der Sache selbst und aus den eigenen Fehlern. Weil es keine endliche Checkliste für alle Anwendungsfälle gibt, an die man sich nur halten müsste, ist es eben schwer zu vermitteln. Meine ‚Unterrichtsmethode‘ besteht darin, Neulinge einen Text bearbeiten zu lassen, den ich anschließend selbst noch einmal durchgehe. Anhand dessen, was ich mit dem Text gemacht habe, können sie dann sehen, was sie alles nicht gemacht haben und worauf es ankommt. Einsteiger*innen sind eigentlich immer zu vorsichtig. Außerdem bekommen sie den Blick noch nicht so eingestellt, dass ihnen all die verschiedenen Dinge auffallen, die man verbessern könnte. Oder sie beschäftigen sich, weil sie es aus dem Uniseminar so kennen, zu sehr mit den Aussagen des Textes, ohne zu bemerken, dass hier ein Verb fehlt, dort ein Bezug ins Leere geht oder die Hierarchie der Überschriften inkonsistent ist. Ging mir ja am Anfang auch nicht anders. Eine der größten Herausforderungen besteht schlicht und einfach darin, dass man sich wirklich über einen längeren Zeitraum stark fokussieren und konzentrieren können muss. Diese Fähigkeit lässt sich nicht unterrichten.

Wann macht Ihnen das Redigieren am meisten Freude und wann ist es am schwierigsten?

Nach 17 Uhr und vor 10 Uhr! Aber danach hatten Sie natürlich nicht gefragt. Meine Antwort ist denkbar banal. Ich freue mich sehr, wenn ich bereits beim Redigieren merke, dass es ein super Buch wird – ganz unabhängig davon, ob ich an dem entsprechenden Text sehr viel oder fast nichts machen muss. Manchmal erfreut mich auch eine einzelne gelungene Formulierung, ein raffinierter theoretischer Zug oder einfach eine mir neue Erkenntnis. Und gelegentlich spüre ich noch während der Textarbeit so etwas wie Vorfreude auf das Danach, also auf die Resonanz, die das Werk nach seinem Erscheinen erfahren wird, und den wirtschaftlichen Erfolg. Natürlich weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob ich mit meiner Prognose richtigliege, es ist oft einfach ein Bauchgefühl, hochgradig irrtumsanfällig.

Schwierig ist es für mich vor allem dann, wenn ich den Eindruck gewinne, dass ein Text zu früh auf meinem Tisch gelandet, noch nicht hinreichend durchgearbeitet ist. Das Lektorat kann unter solchen Umständen sehr anstrengend werden, auch in der Kommunikation mit der Autor*in. Daneben gibt es unendlich viele Dinge, die schieflaufen können, auch bei mir. Zum Beispiel kann es durchaus vorkommen, dass man als Lektor*in partout keinen produktiven Zugang zu einem Text bekommt oder er einem einfach nicht liegt. Beides führt dazu, dass das Redigieren etwas mühsam wird. Ebenfalls schwierig wird es, wenn die Zeitplanung komplett aus dem Ruder läuft. Na ja, und dann gibt es die nicht geringe Enttäuschung, wenn ein Buch, an dem viele Menschen engagiert gearbeitet haben, allen voran natürlich die Autor*in, nicht auf die ihm gebührende Resonanz stößt. Manchmal ist das richtig deprimierend.

Was machen Sie in den Fällen, bei denen es schwierig ist, mit der eingespielten Routine zu redigieren?

Ist ein Text noch nicht hinreichend durchgearbeitet, kämpfe ich mich entweder durch oder schicke ihn nochmal zurück. Wenn ich merke, dass ich mit einem Text so gar nicht zurechtkomme, hole ich mir Rat bei Kolleg*innen, versuche mich innerlich neu zu justieren oder gebe das Projekt ab. Zeichnet sich ab – ein seltener Fall, aber schon vorgekommen –, dass die Autor*in und ich aus irgendwelchen Gründen einfach nicht miteinander arbeiten können und selbst ein ‚Entspannungsgespräch‘ nicht hilft, muss ich das Buchprojekt schon um der Sache willen an jemand anderen im Haus abgeben. Läuft die Terminplanung aus dem Ruder – nun ja, entweder entwickle ich mit der Herstellungsabteilung einen Notfallplan oder ich beiße die Zähne zusammen und lege Sonderschichten ein. Häufig begleitet das eine das andere, um die Wahrheit zu sagen. Kommen Manuskripte mit großer Verspätung auf meinen Tisch, muss ich das Projekt verschieben, was in den anderen Abteilungen des Hauses, die ja auf bestimmte Publikationsdaten eingestellt sind, nicht immer ohne Murren abgeht. Das ist dann aber nicht zu ändern. Wenn die Resonanz ausbleibt, obgleich wir alles versucht haben, bin ich ja selbst sehr enttäuscht. Und die Autor*innen umso mehr. Da ergeben sich im Nachgang gelegentlich Gespräche, die nicht immer einfach sind. In all diesen und vielen anderen Situationen, die mein Berufsalltag mit sich bringt, ist psychologisches und kommunikatives Fingerspitzengefühl gefragt – das man meiner Meinung nach spätestens on the job entwickeln muss. Gerade in der sozialen Dimension kann es mitunter wuchtig werden.

Gibt es Autor*innen, wenn Sie uns das zum Abschluss vielleicht noch verraten, mit denen Sie gerne einmal zusammenarbeiten würden?

Ach, da könnte ich jetzt entweder eine ganze Reihe von Namen nennen oder auch keinen. Beides wirkt aus verschiedenen Gründen seltsam und unangebracht. Daher sage ich – und das ist jetzt keineswegs bloße Ausflucht: Am liebsten möchte ich mit denjenigen arbeiten, die im Augenblick oder demnächst tolle Bücher schreiben. Wissen Sie, ich habe das Glück, in einem Verlag zu arbeiten, in dem wirklich großartige Leute publizieren und interessante Bücher erscheinen, und zwar seit sieben Jahrzehnten. Meine Kolleg*innen und ich wollen einfach dazu beitragen, dass das so bleibt. Und wenn Sie mich zwingen und unbedingt einen Namen hören wollen, müssen Sie mich kontrafaktisch fragen, mit wem ich gerne zusammengearbeitet hätte. Antwort: Ludwig Wittgenstein. Eine verwirrte Vorstellung, schon klar.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Martin Bauer.

Kategorien: Universität Wissenschaft

Eva Gilmer

Eva Gilmer arbeitet seit 2003 im Wissenschaftslektorat des Suhrkamp Verlags, das sie seit 2007 leitet.

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Wibke Liebhart

Wibke Liebhart ist Soziologin. Sie arbeitet für das Hamburger Institut für Sozialforschung als Redakteurin der Zeitschrift Mittelweg 36 sowie des Internetportals Soziopolis.

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