Heike Kahlert | Essay |

„… als hätte Exzellenz ein Geschlecht“

Wie wissenschaftspolitische Funktionseliten über das Verhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit denken

Post von der Deutschen Forschungsgemeinschaft – und ihre Folgen

Spätestens seit in Deutschland die Exzellenzinitiative als gemeinsames Förderprogramm von Bund und Ländern startete ist klar, dass das deutsche Wissenschaftssystem exzellenter aufgestellt werden soll.[1] Erreicht werden soll(te) dieses Ziel, indem der Wissenschaftsstandort Deutschland nachhaltig gestärkt, seine internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert und die universitäre Spitzenforschung sichtbarer gemacht wird. In zwei Programmphasen, von 2005 bis 2017, wurden Graduiertenschulen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, Exzellenzcluster zur Förderung der Spitzenforschung und Zukunftskonzepte zum projektbezogenen Ausbau der universitären Spitzenforschung gefördert. 2016 beschlossen Bund und Länder die Exzellenzinitiative als Exzellenzstrategie mit den Förderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten fortzusetzen, um Universitäten durch die Förderung von wissenschaftlichen Spitzenleistungen, Profilbildung und Kooperationen zu stärken und weiterzuentwickeln. Die Exzellenzstrategie als gemeinsames Förderprogramm von Bund und Ländern ist per se auf Dauer angelegt, die in Förderrunden vergebenen Fördermittel sind jedoch befristet. Universitäten und die mit ihnen kooperierenden Forschungseinrichtungen müssen sich in einem wettbewerblichen Verfahren um die zusätzlichen Fördermittel bewerben, die über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) verteilt werden.

Ursprünglich spielte die Gleichstellung der Geschlechter in den Förderkriterien der Exzellenzinitiative keine Rolle. Die Eignung von Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen in der Wissenschaft musste jedoch in den Anträgen auf Förderung ausgewiesen werden. Dieses Kriterium war ergänzend in die Liste der Förderkriterien aufgenommen worden, nachdem die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) sowie andere gleichstellungspolitische Lobbygruppen entsprechenden Druck auf die fördernden Ministerien beziehungsweise Senatsverwaltungen ausgeübt hatten. Allerdings maßen die wenigsten Fördermittel beantragenden Universitäten der Forderung, qualifizierte Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung auszuweisen, viel Gewicht bei.

Die Voranträge zur ersten Antragsrunde im Winter 2005/06 wurden durch internationale Gutachter:innen bewertet. Daraufhin erhielten die beantragenden Universitäten am 3. Februar 2006 einen Brief vom Präsidenten der DFG, Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, in dem dieser kritische Stimmen aus der Begutachtung kommunizierte und dazu aufforderte, diese ernst zu nehmen:

„Alle Prüfungsgruppen haben mit Nachdruck bemängelt, dass der Aspekt der Gleichstellung in der Mehrzahl der Antragsskizzen völlig unzureichend behandelt worden sei. Man könne sich – so die Ansicht der internationalen Experten [sic!] – des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses Thema vorrangig mit Lippenbekenntnissen als mit konkreten Maßnahmen und Zielvorgaben behandelt würde. Wenn auch diese Kritik nicht überall gleichermaßen zutrifft, so sollten wir sie dennoch ernst nehmen. Erlauben Sie, dass ich an dieser Stelle die Bitte an Sie richte, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Ihrer Hochschule dabei zu unterstützen, konkrete Zielvorgaben zu formulieren und Maßnahmen zu ergreifen, die uns auch bezogen auf die Frage der Gleichstellung im positiven Sinne in die internationale Spitzengruppe bringen können.“[2]

Dieser Brief initiierte nicht nur in allen an der ersten Antragsrunde der Exzellenzinitiative beteiligten Universitäten rege Aktivitäten zur Förderung von Wissenschaftlerinnen, sondern entfaltete auch darüber hinaus in Hochschule und Forschung, aber auch in der Wissenschaftspolitik nachhaltige Wirkung. Dabei war es weniger der Brief als solcher, der Bewegung in Sachen Gleichstellung ins deutsche Wissenschaftssystem brachte, sondern die Kombination mehrerer Tatsachen, nämlich dass Deutschland im internationalen Vergleich hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter auf einem der letzten Plätze rangierte und dass internationale Gutachter:innen dieses im Exzellenzkontext kritisiert hatten und dass der Präsident der DFG diese Kritik aufgriff sowie mit Nachdruck um deren Berücksichtigung bat und dass all dies zu guter Letzt auch noch öffentlich bekannt wurde.

Die daraus resultierende wissenschaftspolitische Erkenntnis, dass ein exzellentes Wissenschaftssystem nicht ohne die angemessene Beteiligung von Frauen vor allem in Führungspositionen möglich ist, schlug sich bei den Akteur:innen der Hochschul- und Forschungsförderung nicht nur in der Exzellenzinitiative nieder, sondern unter anderem auch im 2008 etablierten Professorinnenprogramm,[3] einem Bund-Länder-Programm zur Erhöhung des Anteils von Frauen in wissenschaftlichen Spitzenpositionen in Richtung Parität, und in den ebenfalls 2008 von der DFG ins Leben gerufenen Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards,[4] anhand derer sich die Mitglieder der DFG selbst verpflichten, in ihren Einrichtungen personell wie strukturell eine nachhaltige Gleichstellung der Geschlechter voranzubringen. Im Tenor stimmen diese Programme darin überein, dass Wissenschaft sich an Exzellenz orientieren muss und der Chancengleichheit bedarf. Insofern werden hier Exzellenz und Chancengleichheit miteinander in Verbindung gebracht, wobei diese der näheren Exploration bedarf.

Der vorliegende Beitrag widmet sich der Frage, wie wissenschaftspolitische Funktionseliten aus dem deutschen Wissenschaftssystem über das Verhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit denken. Denn wenngleich die Forschung sowohl zu Exzellenz als auch zur Chancengleichheit der Geschlechter im deutschsprachigen Raum und erst recht international längst unüberschaubar ist, ist das Verhältnis beider Diskurse zueinander bislang wissenschaftlich erstaunlich unterbelichtet. Im Folgenden stelle ich vier Denkweisen vor, die in qualitativen Interviews mit wissenschaftspolitischen Funktionseliten zum Verhältnis beider Diskurse zu finden sind.[5] Ich umreiße zunächst kurz das Forschungsdesign der empirischen Untersuchung und stelle anschließend die aus dem Interviewmaterial generierten Denkweisen vor. Eine Diskussion der Ergebnisse sowie ein Ausblick schließen diesen Beitrag ab.

Forschungsdesign: Wissenssoziologische Diskursanalyse, methodisches Vorgehen und Datengrundlage

In forschungsmethodologischer Hinsicht bezieht sich das zugrunde liegende Forschungsvorhaben auf die Wissenssoziologische Diskursanalyse.[6] Diese zielt auf die Vermittlung von Annahmen der eher strukturtheoretisch angelegten Diskurstheorie von Michel Foucault in die Tradition der handlungstheoretischen Wissenssoziologie im Anschluss an den Sozialkonstruktivismus von Peter L. Berger und Thomas Luckmann sowie das interpretative Paradigma der Soziologie. Konzeptuell ermöglicht diese Vermittlung, Entwicklungen des Exzellenz- und des Chancengleichheitsdiskurses einschließlich der gesellschaftlichen Diskurseffekte zu rekonstruieren, zu erklären und zu analysieren. In der Gestaltung des Forschungsprozesses wird durch die Vermittlung der Foucault’schen Diskursperspektive und der handlungstheoretischen Wissenssoziologie für die empirische Diskursforschung auf allgemeine Verfahren qualitativer Sozialforschung zurückgegriffen.

Basierend auf vorbereitenden Felderkundungen und Dokumentenanalysen wurden die folgenden Wissenschaftsorganisationen, die hier alphabetisch aufgeführt sind, als bundesweit relevante Akteur:innen im Zusammenhang mit der hier interessierenden Thematik identifiziert: Allianz der Wissenschaftsorganisationen, bukof, Bundesministerium für Bildung und Forschung, DFG, Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, Hochschulrektorenkonferenz und Wissenschaftsrat. Aus jeder dieser Wissenschaftsorganisationen konnte mindestens eine Interviewperson zur Teilnahme an der Untersuchung gewonnen werden, sodass insgesamt acht leitfadengestützte Expert:inneninterviews mit neun wissenschafts- und/oder gleichstellungspolitischen Funktionseliten durchgeführt wurden.

Der Interviewleitfaden umfasste Fragen zu Exzellenz, zu Chancengleichheit sowie zur Verknüpfung beider Diskurse. Die im Folgenden präsentierten ausgewählten Ergebnisse resultieren aus der Analyse der Interviews zur Untersuchungsfrage, wie nach Ansicht der Befragten das Verhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit in der nationalen wissenschaftspolitischen Programmatik aussieht. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet und anschließend transkribiert sowie inhaltsanalytisch ausgewertet. Zur Wahrung der Anonymität der Interviewten wird bei Zitationen auf jegliche Informationen, die Rückschlüsse auf die konkreten Personen beziehungsweise ihre Organisationen ermöglichen, verzichtet. Zur besseren Lesbarkeit wurden die Zitate sprachlich geglättet.

Alle Interviews zeichnen sich durch ein hohes Engagement und eine große Sachkenntnis der Befragten hinsichtlich der behandelten Diskurse aus. Meistens enthalten sie Hinweise auf verschiedene Denkweisen zum Verhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit, die nebeneinanderstehen: So gibt es im Interviewverlauf zumeist implizite Aussagen zu diesem Verhältnis, die nicht immer nahtlos mit der explizit geäußerten Antwort auf die am Ende des Interviews gestellte Frage nach diesem Verhältnis übereinstimmen. Die Expert:innen sprechen dabei keineswegs mit einer Stimme.

Analytisch lassen sich vier verschiedene Denkweisen zum Verhältnis der beiden Diskurse zueinander unterscheiden, die in unterschiedlichen Häufigkeiten auftreten. In einer ersten Denkweise befördert Exzellenz das Streben nach Chancengleichheit; Exzellenz treibt demnach wie ein Motor die Anstrengungen an, Chancengleichheit herzustellen und Gleichstellung zu verwirklichen. In einer zweiten Denkweise befördert umgekehrt Chancengleichheit das Streben nach Exzellenz; Chancengleichheit wird dabei als Voraussetzung für die Verwirklichung von Exzellenz dargestellt. Beide Denkweisen verweisen darauf, dass und wie Exzellenz und Chancengleichheit zusammenhängen und dass sie in verschieden vorgestellten Abhängigkeiten zueinanderstehen. In einer dritten Denkweise wird das Verhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit problematisiert; als entscheidende Barriere für ein besseres Zusammenspiel beider Diskurse wird dabei das vorherrschende Exzellenzverständnis herausgestellt. In einer vierten Denkweise wird eine Verbindung von Exzellenz und Chancengleichheit negiert; beide Diskurse haben demnach nichts miteinander zu tun und können auch nicht durch eventuelle Modifikationen miteinander verbunden werden. Diese vier Denkweisen werden im Folgenden näher vorgestellt.

Die erste Denkweise: Exzellenz befördert das Streben nach Chancengleichheit

Die Interviews verdeutlichen, dass die wissenschaftspolitisch geforderte Berücksichtigung der Gleichstellung der Geschlechter im Exzellenzwettbewerb um Drittmittel, qualifiziertes wissenschaftliches Personal und die damit verbundene institutionelle Reputation als exzellente Forschungseinrichtung im Hinblick auf Chancengleichheit einiges in Gang gebracht hat. Demnach befördert Exzellenz das Streben nach Chancengleichheit. Dieses Streben für die Verwirklichung von Chancengleichheit wird anhand von drei Entwicklungen festgemacht. Erstens erfährt die Gleichstellungsthematik und -politik eine Aufwertung und Stärkung, zweitens werden für die Beantragung der Exzellenzförderung vermehrt Wissenschaftlerinnen als Projektleitungen (PI beziehungsweise Principal Investigator) gesucht, sichtbar gemacht und in die Antragstellungen integriert, und drittens wird aktiv versucht, den Frauenanteil bei Berufungen auf Professuren und der Stellenbesetzung im wissenschaftlichen Nachwuchs zu erhöhen.

Für die erste Entwicklung, die Aufwertung beziehungsweise Stärkung von Chancengleichheit beziehungsweise Geschlechtergerechtigkeit und auf beides abzielende Gleichstellungspolitik, wird der Exzellenzwettbewerb beziehungsweise die in der Begutachtung der Anträge durch internationale Expert:innen artikulierte Kritik am vergleichsweise niedrigen Frauenanteil in Führungspositionen der deutschen Wissenschaft als Motor angeführt:

„Also ich finde, dass dieser ganze Exzellenzwettbewerb wirklich ein Motor des Themas war. Also das ist für mich eigentlich das Zentrale. Und deshalb fängt es an mit dem Winnacker-Brief, weil da klar war, wir können uns hier nicht einfach als sozusagen mitspielend in der obersten Liga der Universitäten weltweit präsentieren, ohne dieses Themenfeld zu bearbeiten. Und das ist für mich eigentlich das Zentrale. Dass es wirklich ein Motor dieser ganzen Diskussion ist. Einer, der sicherlich zum Beispiel auch die Frage von- also dass die überhaupt etabliert wurden, die Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards mit befördert hat. […] Das ist für mich das Entscheidende.“[7]

Wissenschaftspolitisch fordern seither alle öffentlichen Förderprogramme von den Antragstellenden, dass sie die grundgesetzlich gebotene Gleichstellung der Geschlechter berücksichtigen und die geplante weitere Umsetzung dieses Gebots im Antrag darlegen. Dieser Aspekt bildet nunmehr ein Kriterium bei der Bewertung und Bewilligung der von den Forschungseinrichtungen gestellten Anträge im Wettbewerb um Mittel.

Zweitens führt das Streben nach Chancengleichheit im Wettbewerb um Exzellenz nach Ansicht der Befragten dazu, dass den ohnehin bereits vorhandenen Wissenschaftlerinnen als Expertinnen und Projektleitungen mehr Aufmerksamkeit zukommt und ihnen mehr Verantwortung übertragen wird. Sie werden stärker gesucht und dadurch entdeckt, sichtbar gemacht und in die Beantragung von Fördermitteln aus Exzellenzprogrammen einbezogen.

„Also ich glaube, dass alle Antragsstellerinnen und Antragssteller bei Exzellenz-Clustern, um das mal als ein Beispiel zu nehmen, ein gemeinsames Ziel hatten. Und dann haben sie, glaube ich, weil es nur als Gemeinschaftsprojekt ging, in ihrem Umfeld geguckt, wer könnte dazu beitragen? Und dann haben sie, würde ich einmal sagen, auch die Frauen entdeckt, die sie eigentlich hatten.“[8]

Die dritte Entwicklung ist eng mit der zweiten verbunden und zielt auf die Erhöhung des Frauenanteils in der Wissenschaft im Rekrutierungsprozess des wissenschaftlichen Personals. Demnach führt das Streben nach Chancengleichheit im Wettbewerb um Exzellenz auch dazu, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen mehr Frauen auf Professuren berufen und im wissenschaftlichen Nachwuchs einstellen (wollen). Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen tragen damit aktiv zur Verbesserung der statistisch belegten ungleichen Geschlechterproportionen in der Wissenschaft bei:

„Also ich fände es ganz schlecht, wenn der Eindruck in Zahlen entstehen würde, als hätte Exzellenz ein Geschlecht. Und ich glaube, das denkt niemand, der jetzt in dem Feld, das ich überblicke, sich mit Exzellenz beschäftigt. Und das müssen wir jetzt auch noch in Zahlen umsetzen. Und da sind wir, glaube ich, auf einem guten Wege.“[9]

Deutlich wird, dass das Streben nach Chancengleichheit im Wettbewerb um Exzellenz über monetäre und symbolische Anreize ge- und befördert wird: Will eine Forschungseinrichtung ihre Exzellenz öffentlich sichtbar unter Beweis stellen und dafür kompetitiv zusätzliche öffentliche Mittel einwerben, so muss sie diese von der Wissenschaftspolitik etablierte Vorgabe beachten. Dass dies nicht immer freiwillig geschieht, sondern der Tatsache geschuldet ist, dass die Nichtbeachtung dieser Vorgabe im Wettbewerb negative Folgen haben kann, etwa indem beantragte Fördermittel ausbleiben, wird nur in einem Interview explizit formuliert. Dabei liegt es generell auf der Hand, dass jüngere positive Entwicklungen in Richtung Chancengleichheit eher das Resultat politischen Drucks in Verbindung mit den in allen Forschungseinrichtungen dringend benötigten Fördermitteln sind denn eines Umdenkens.

Die zweite Denkweise: Chancengleichheit befördert das Streben nach Exzellenz

Die zweite Denkweise stellt in gewisser Hinsicht eine Umkehrung der ersten dar. Die Interviews verdeutlichen, dass Chancengleichheit eine Voraussetzung für Exzellenz ist und diese positiv beeinflusst. Chancengleichheit vergrößert und erweitert die Ausgangsbasis für die Bestenauslese, weil schlichtweg aus mehr Wissenschaftler:innen und somit mehr Expertise geschöpft werden kann. In den Interviews werden zwei eng miteinander verknüpfte Effekte von Chancengleichheit thematisiert: Erstens führt Chancengleichheit zu einer Vergrößerung der Masse, aus der die Exzellenz herausragen kann, und zweitens bringt mehr Masse eine größere Vielfalt an Sichtweisen und Ideen mit sich, trägt so also zu einer Steigerung der Qualität bei.

Der erste Effekt ist folglich vornehmlich quantitativ ausgerichtet. Chancengleichheit fördert den Wettbewerb, denn sie verbreitert die Basis, aus der exzellente Wissenschaftler:innen ausgewählt werden können. Mehr (Frauen) in der Breite bedeutet, dass prinzipiell auch mehr (Frauen) an der Spitze ankommen können. Eine Interviewperson hält die Integration von Breite und Spitze für noch nicht optimal umgesetzt und sieht Verbesserungspotenzial:

„Ich glaube, es gibt grundsätzliche Strategiefragen, die ja immer so in die Richtung gehen, will man- das Verhältnis von Spitze und Breite ist so ein Ding. Und wir rutschen immer wieder in die Richtung, zu sagen, Spitzenförderung- also gerade auch mit Frage Geschlecht in Richtung Exzellenz. In Forschungen, die sich ein bisschen unterscheiden von dem, was man im Sport kennt. Dass ich die Spitze nur kriege, wenn ich eine große Breite habe. Und eben früh diese Breite versuchen muss, zu unterstützen und dann natürlich auch zu begleiten, zu unterstützen, in dem Sinn Talente zu identifizieren, beizutragen, dass die dann eben auch ihre Wege gehen können, Unterstützung finden. In dieser Hinsicht sind wir, glaube ich, noch nicht richtig gut unterwegs.“[10]

Mit ähnlichem Tenor ausgeführt wird auch, „dass es nur gut sein kann, die Intelligenzressourcen, die es einfach gibt in der Gesellschaft, vollständiger auszunutzen. Also sprich einfach, die Aktivität und die Einbindung von Frauen in Forschung, in Wissenschaft möglich zu machen.“[11] Chancengleichheit bildet demnach „die Voraussetzung dafür […], dass die Forschung eben wirklich beste Forschung ist“[12].

Die Gleichstellung der Geschlechter ist zudem modern:

„Und es ist natürlich so, man würde sich ja einer Ressource berauben, wenn man jetzt sagen würde, also wie es Generationen vor uns der Fall war, man würde nur 50 Prozent der Bevölkerung sozusagen im Blick haben für Führungspositionen.“[13]

Der zweite Effekt von Chancengleichheit für Exzellenz ist qualitativ ausgerichtet und besteht darin, dass eine breitere Basis beziehungsweise mehr Masse eine größere Vielfalt an Sichtweisen und Ideen mit sich bringt und so die Qualität der Wissenschaft verbessert. Durch Chancengleichheit bildet man „einen diversen Pool, diverse Wissenschaftler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“[14]. Durch „diese[n] Pool, der vergrößert wird, [verbessert] sich dann auch die Qualität“[15]. Gleichstellung wird folglich nicht als Widerspruch zu oder Barriere für Qualität, sondern „im Gegenteil als Förderung von Qualität“[16] dargestellt.

Es findet sich jedoch auch eine umgekehrte Argumentation. Demnach führt mangelnde Gleichstellung in der Wissenschaft strukturell zu Qualitätsverlust:

„Und von der strukturellen Seite sehe ich es so, dass aus meiner Sicht Exzellenz ohne Gleichstellung nicht denkbar ist. Denn in dem Moment, wo es uns an der Gleichstellung mangelt, bedeutet es, dass wir die exzellenten Forscherinnen, an dem Punkt mangelt es ja meistens, nicht dass sie nicht vorhanden sind, sondern dass sie im System nicht eingebunden sind, dass wir eben diese Exzellenz außen vor lassen. Entweder durch Cooling-out-Mechanismen oder eben auch, ja, durch fahrlässige Nichtbeachtung fast. Und dann erreichen wir nicht das Niveau von Qualität, das wir uns eigentlich vorstellen. Denn wenn nicht alles sozusagen einfließen kann, was tatsächlich hochrangige Erkenntnis oder Forschungsansatz ist, dann bedeutet das, wir bleiben hinter unseren Möglichkeiten zurück.“[17]

Die Qualitätsverbesserung wird also darin gesehen, dass durch mehr Masse mehr hochrangige Erkenntnisse oder Forschungsansätze auch von Wissenschaftlerinnen einbezogen werden und sich so „einfach verschiedene Sichtweisen“[18] eröffnen:

„Und da kann es natürlich auch eine große Rolle spielen, wenn sozusagen der Aspekt von Frauen oder die Perspektive der Frauen dann da mit hineingebracht wird. Ja. Und das gilt ja für alle Bereiche. Jetzt, ich meine, ob es jetzt bei der Entwicklung von Medikamenten ist oder bei der Entwicklung neuer Maschinen oder […] im Bereich der Ökonomie. […] Wie es Frauen sehen, wie es Männer sehen. Und das finde ich auch wichtig, dass der Aspekt da sozusagen-, dass man, ja, den Blick weitet. Dass man Perspektiven eröffnet.“[19]

Deutlich wird, dass Chancengleichheit für Exzellenz in Dienst genommen wird und beide Diskurse aufeinander verweisen. Mehr Masse in der Breite, der Einbezug aller Potenziale, erweitert die Auswahlmöglichkeiten für die Spitze. Chancengleichheit sorgt damit für mehr Inklusion und paradoxerweise zugleich für mehr Exklusion bei der Prämierung von Exzellenz. Sie vergrößert also den Wettbewerb und die Konkurrenz, wobei beide dennoch inklusiver sind. Außerdem wird Chancengleichheit attestiert, qualitätsverbessernd zu wirken, da sie eine größere Vielfalt verspricht. Inwiefern damit Frauen in der Wissenschaft faktisch mehr und bessere Chancen haben, als exzellent anerkannt zu werden, findet in dieser Denkweise keine Berücksichtigung – sofern keine Verknüpfung mit der dritten Denkweise erfolgt.

Die dritte Denkweise: Das Verhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit ist problematisch

In der dritten Denkweise wird der Exzellenzbegriff kritisiert und darauf aufbauend das Verhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit problematisiert. Dabei handele es sich um ein „sehr belastetes“[20] Verhältnis. Begründet wird diese Einschätzung mit der vermeintlichen Fraglosigkeit des Exzellenzverständnisses, das Männer bevorteilt und Frauen benachteiligt.

„Weil es [das Verhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit] unter dieser Kautel steht, eben Exzellenz sieht man von sich aus. Und die logische Schlussfolgerung, die da darunter liegt, ist ja das, dass man sagt, also exzellente Frauen setzen sich durch. Und das ist etwas, das ist ja jetzt auch tatsächlich ausreichend forschungsmäßig erhoben, dass das leider nicht der Fall ist. Aufgrund von unterschiedlichen Mechanismen im System.“[21]

Damit ist eine Schieflage in der vorherrschenden Bewertung von Exzellenz beschrieben, angesichts derer Frauen von vornherein nicht die gleichen Chancen haben wie Männer, als exzellent angesehen zu werden. Der Status quo bevorteilt Männer, Frauen werden benachteiligt. Mehrere Interviewpersonen sprechen sich dafür aus, die dominierenden Exzellenzkriterien zu verändern, um Chancengleichheit und Exzellenz in ein ausgewogeneres Verhältnis zu bringen. Im Einklang mit diesen kritischen Ausführungen zum gängigen Exzellenzverständnis wird vereinzelt für wichtig erachtet, das Exzellenzparadigma hinsichtlich des Antriebs zu forschen zu relativieren und sich stattdessen „auf die intrinsischen Motivationen, die mit Wissenschaft normalerweise verbunden sind“[22], etwa Neugier und das Begehren neuer Erkenntnisse, zu besinnen. Man müsse aufpassen, dass die intrinsischen Motive nicht durch extrinsische Komponenten wie dem Streben nach Exzellenz korrumpiert würden und „dass eine Kategorie wie Exzellenz nicht zur dominierenden Kategorie wird“[23]:

„Der Punkt wäre, wenn ich Exzellenz reserviere auf bestimmte kleine Ecken, dann wird das ganz schwierig, hier diese Frage Chancengleichheit in den Griff zu kriegen. Ich muss es öffnen. Wenn ich jetzt hier irgendwelche Aussagen treffe oder spekuliere, dann ist es einfach eben immer in Gefahr mit dem, was Realität ist, sich nicht so ganz zu vertragen. Ich kann es mir sehr gut vorstellen, dass in bestimmten Bereichen, etwa durch eine andere Gewichtung des Transfers starker anwendungsorientierter Forschung, die Chancen für Menschen beider Geschlechter, aber vielleicht auch speziell Frauen besser werden, als exzellent wahrgenommen zu werden, wenn wir überhaupt einmal sehen, was da stattfindet.“[24]

Daneben wird auch die Forderung formuliert, „dass man da Mechanismen und Instrumente schaffen muss“[25], um Exzellenz und Chancengleichheit zusammenzubringen, da beides zusammengehört: „Es sind unterschiedliche Sphären sozusagen, die zusammengehören.“[26]

In der generellen Problematisierung des Exzellenzverständnisses sowie der vergleichsweise engen Kriterien und Mechanismen, mit denen Exzellenz bislang bewertet wird, stimmen die meisten Interviewpersonen überein. Hier bräuchte es andere, erweiterte Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster, aber auch einen erweiterten Kriterienkatalog. Dabei sehen sich die Befragten nicht in der Position, deren Entwicklung und Etablierung anzustoßen oder diese gar vorzugeben, weil die Bewertung wissenschaftlicher Exzellenz eine innerwissenschaftliche Angelegenheit sei, aus der sich die Wissenschaftspolitik heraushalten müsse. Weitgehend einig sind sich die befragten wissenschaftspolitischen Funktionseliten auch darin, dass das Verhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit spannungsreich ist und dass beide Diskurse in ein ausgewogeneres Verhältnis gebracht werden können, wenn die Kriterien für Exzellenz reformuliert und die Bewertungsmechanismen angepasst werden. Wie dieser Prozess initiiert werden und wer die Diskussion dazu anstoßen sowie andere Exzellenzkriterien und Bewertungsmechanismen etablieren kann und soll, bleibt in den Interviews offen.

Die vierte Denkweise: Exzellenz und Chancengleichheit haben keine Verbindung

Die vierte Denkweise ist unversöhnlicher und radikaler als die dritte: Hier werden beide Diskurse als getrennt voneinander dargestellt und keinerlei Berührungspunkte zwischen ihnen gesehen. Nur eine einzige Interviewperson vertritt diese Denkweise. Sie sieht keine Verbindung von Exzellenz und Chancengleichheit und negiert darüber hinaus auch deren perspektivische Herstellbarkeit:

„Das sind zwei völlig getrennte Bereiche. Wenn man meint, man könnte sozusagen die Exzellenzförderung verknüpfen mit einer Gleichförderung [sic!], dann macht man, glaube ich, was falsch. […] Die Exzellenz und die Gleichstellung miteinander da zu verknüpfen, halte ich für völlig falsch. Und wenn man auf Exzellenz geht, dann sollte man nachweisen, dass es wirklich Exzellenz ist.“[27]

Wissenschaftspolitische Versuche, Exzellenz und Chancengleichheit in öffentlichen Förderprogrammen miteinander zu verknüpfen, wie in der Exzellenzinitiative oder im Professorinnenprogramm, bezeichnet diese befragte Person als „politischer Unsinn“[28]:

„Wollen Sie da auf die wissenschaftliche Exzellenz verzichten oder wollen Sie oder meinen Sie, dass es überall sozusagen gleich viele Frauen und Männer gibt, die sozusagen exzellent sind in den Bereichen? Das können Sie nicht sagen. Und wenn die Zahl der Wissenschaftler nicht gleich verteilt ist zwischen den Geschlechtern, dann ist auch die Zahl der Besten nicht gleich verteilt.“[29]

Die Nachfrage, ob an den vorherrschenden ungleichen Geschlechterproportionen im wissenschaftlichen Personal und insbesondere in wissenschaftlichen Führungspositionen etwas verändert werden sollte, wird zwar bejaht, die Verantwortung für diese als notwendig erachtete Veränderung aber nicht im Wissenschaftssystem gesehen:

„Da muss etwas passieren. Da muss etwas gemacht werden. Aber wie kriege ich es denn hin, dass ich mehr Frauen überzeugen kann […]? Wie schaffe ich das denn? Das schafft eine Universität gar nicht. Das kann nur die Gesellschaft schaffen.“[30]

Demnach wollen Frauen gar nicht in der Wissenschaft Karriere machen und seien, spitzt man diese Aussage weiter zu, selbst verantwortlich dafür, nicht zu einem höheren Anteil in wissenschaftlichen Führungspositionen vertreten zu sein und nicht als exzellent anerkannt zu werden. Entspräche das der Realität – und die Forschung hat längst deutlich differenziertere Erkenntnisse dazu erbracht –, sei das dieser Interviewperson zufolge nicht in der Wissenschaft selbst begründet, auch Hochschulen und Forschungseinrichtungen könnten daran nichts ändern. Vielmehr, so die Argumentation der Interviewperson, lägen die Ursachen für den vergleichsweise geringen Frauenanteil insbesondere auf den höheren Stufen wissenschaftlicher Karrieren außerhalb der Wissenschaft und ihrer Organisation(en), eben in der „Gesellschaft“[31]. Letztere sei daher dazu aufgefordert, Frauen zu wissenschaftlichen Karrieren zu ermutigen und Gleichstellung durchzusetzen. Folglich werden in diesem Interview auch die in der Wissenschaft definierten Bewertungsmechanismen und -kriterien von Exzellenz nicht hinterfragt. Die „wirklich[e] Exzellenz“[32] wird demnach als geschlechtslos und frei von sozialen Aspekten und gesellschaftlichen wie politischen Einflüssen vorgestellt.

Fazit: Primat der Exzellenz, Randständigkeit der Chancengleichheit?

Alle Befragten erachten sowohl Exzellenz als auch Chancengleichheit als notwendig und förderungsbedürftig für die (Weiter-)Entwicklung des deutschen Wissenschaftssystems. Inwiefern jedoch beide Diskurse in allen bundesweiten wissenschaftspolitischen Programmen und mit welcher Priorität sie dort jeweils berücksichtigt werden sollten, ist unter den befragten Funktionseliten und nach deren Schilderung auch darüber hinaus in der Wissenschaftspolitik umstritten. Wenngleich in einigen Interviews Skepsis anklingt, ob nun das ganze Wissenschaftssystem und die Wissenschaft per se unter das Primat von Exzellenz gestellt werden sollen, verdeutlicht eine Interviewperson, dass es vor allem in der Konzeption von Exzellenzförderprogrammen zu Kontroversen darüber kommt, welche Rolle der Förderung der Chancengleichheit (der Geschlechter) darin zugeschrieben wird:

„Das Einzige, das immer kontrovers war, ist die Frage, inwieweit Gleichstellung Exzellenzmarker ist von einer Hochschule selbst und inwieweit es zulässig ist oder vielleicht sogar geboten, das in den großen Pakten zu verankern. Uns ist es immer gelungen, eine gewisse Verankerung, muss ich sagen, zu bewerkstelligen. Zum Teil eben auch erst sehr spät durch die Begutachtung durch die ausländischen Experten [sic!] in der ersten Exzellenzrunde.“[33]

Die angesprochene Kontroverse verweist darauf, dass das Verhältnis von Exzellenz- und Chancengleichheitsdiskurs ein asymmetrisches, ja ungleiches ist: Die Orientierung an Exzellenz scheint nicht infrage gestellt zu werden, kann aber ohne Chancengleichheit gedacht werden, während umgekehrt Chancengleichheit ohne Exzellenz auskommen kann. Mehr noch: Während die Exzellenz von Wissenschaft und Erkenntnis per se explizit als geschlechtslos dargestellt wird – darauf verweist unter anderem das Zitat einer Interviewperson, das diesem Beitrag auch den Titel gegeben hat („als hätte Exzellenz ein Geschlecht“[34]) –, rückt mit der Orientierung an Chancengleichheit in der Wissenschaft das weibliche Geschlecht in den Vordergrund. Denn wenn es um Chancengleichheit beziehungsweise Gleichstellung geht, wird dies in der Regel mit der (notwendigen) Erhöhung des Frauenanteils verbunden. Chancengleichheit wird demnach als vergeschlechtlicht vorgestellt, ja als der Feminisierung bedürfend. Diese Gleichsetzung von Chancengleichheit mit Frauen bringt gemäß dem vorherrschenden Wissenschaftsverständnis eine außerwissenschaftliche, ja soziale und politische Dimension in die Wissenschaft ein, von der sich diese eigentlich frei wähnt beziehungsweise, so eine verbreitete Ansicht, von der sie freigehalten werden soll. Demgegenüber werden sowohl die faktische Überrepräsentanz von männlich gelesenen Personen in Hochschule und Forschung als auch die implizite Gleichsetzung von Exzellenz mit Männlichkeit in den Interviews nicht thematisiert. „[W]irklich[e] Exzellenz“[35] setzt sich demnach ohne geschlechts-, sprich: frauenbezogene Förderung durch, selbst wenn der Verzicht auf die Förderung der Chancengleichheit möglicherweise auf Kosten der Breite des Pools, aus dem Exzellenz geschöpft wird, geht.

So gesehen ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Frage der Chancengleichheit insbesondere in der Exzellenzinitiative unterbelichtet, ja marginalisiert, geblieben ist. Eine befragte Person positioniert sich in ihrer Beurteilung von wissenschaftspolitischen Förderprogrammen eindeutig dazu:

„Nun ja, also auf der Programmebene finde ich es [die Verbindung von Exzellenz und Chancengleichheit] z.B. im Professorinnenprogramm wirklich hervorragend gelöst. Und ich finde es in der Tendenz richtig angeschoben im Pakt für Forschung, Innovation und in der Exzellenzinitiative. Aber nur angeschoben. Also es hätte mit ganz anderen Schwerpunkten versehen werden können.“[36]

Darauf angesprochen, wie diese Interviewperson rückblickend die Bedeutung von Chancengleichheit in der Exzellenzinitiative einschätzt, stellt sie klar, es sei „leider eine eher randständige Fragestellung geblieben“[37] – trotz der Kritik internationaler Gutachter:innen, trotz des daraufhin verfassten Schreibens des DFG-Präsidenten an die Universitäten und der damit ausgelösten größeren Aufmerksamkeit für Fragen der Gleichstellung. Hinsichtlich der Berücksichtigung von Chancengleichheit in der Exzellenzstrategie zeigt sich diese befragte Person verhalten, habe doch Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern im Wissenschaftssystem in den Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und den beteiligten Wissenschaftsorganisationen über die Exzellenzstrategie keine Rolle gespielt. Die Interviewperson hofft daher erneut auf entsprechende Impulse von internationalen Gutachter:innen:

„Also es bleibt abzuwarten. Ich hoffe nur, dass sich in den Bewertungen oder in den Begutachtungen, muss man besser sagen, dass sich das da nochmal ein bisschen anders sozusagen zeigt. Und dadurch eine stärkere Verankerung auch wieder stattfindet.“[38]

In den Förderkriterien für den 2027 beginnenden zweiten Förderzeitraum der Exzellenzstrategie wird die Chancengleichheit der Geschlechter nur teilweise thematisiert. In den Förderkriterien der Förderlinie Exzellenzuniversitäten ist sie im Punkt „Planung und Potenzial“ als fünfter und letzter Unterpunkt im Kriterium der „Wirksamkeit und Erfolgskontrolle der geplanten Vorhaben bezüglich der […] Förderung von Chancengleichheit und Diversität“[39] erwähnt. In den Förderkriterien der Förderlinie Exzellenzcluster taucht der Chancengleichheitsbegriff gar nicht auf: Hier ist mit Blick auf die am jeweiligen Exzellenzcluster beteiligten Forschenden von „Diversity in the composition of the group“ und mit Blick auf die Strukturen und Strategien des Exzellenzclusters von „Support of equity and diversity“[40] die Rede. Anstelle der Gleichbehandlung, die der Chancengleichheitsbegriff adressiert, transportiert der hier verwendete Gerechtigkeitsbegriff die Absicht, gezielt Ungleichheiten zu beseitigen, um sicherzustellen, dass alle gleiche Chancen haben. Beide Dokumente enthalten keine expliziten Formulierungen zu Geschlecht, dieses ist vermutlich und bestenfalls mitgemeint. Welche Berücksichtigung diese Kriterien faktisch in den Begutachtungen finden und ob hier der in den Dokumenten vorgenommenen begrifflichen Differenzierung zwischen Chancengleichheit und Gerechtigkeit Bedeutung beigemessen wird, steht freilich auf einem anderen Blatt und bedarf der gesonderten empirischen Erkundung.

Lessons learned? Die wiederholte modifizierte Fortschreibung der Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards, die 2022 um den Aspekt der Diversität erweitert wurden, (zunächst) bis 2029, die Weiterführung des wettbewerblich angelegten Professorinnenprogramms zur Erhöhung des Anteils weiblicher Exzellenzsubjekte an Hochschulen bis (zunächst) 2030 ebenso wie die fortgesetzte ebenfalls wettbewerbliche Förderung der Exzellenzstrategie in Hochschule und Forschung deuten darauf hin, dass sowohl Exzellenz als auch Chancengleichheit in Deutschland weiter auf der wissenschaftspolitischen Agenda stehen und symbolisch und/oder mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Inwiefern es dabei zu Veränderungen im Mit-, Gegen- und Nebeneinander beider Diskurse kommen und die Dysbalance zwischen ihnen korrigiert werden kann, bleibt abzuwarten.

  1. Die Exzellenzinitiative geht auf die „Bund-Länder-Vereinbarung gemäß Artikel 91 b des Grundgesetzes (Forschungsförderung) über die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen - Exzellenzvereinbarung (ExV) - vom 18. Juli 2005“ zurück. Mit diesem Förderprogramm wollten „Bund und Länder eine Leistungsspirale in Gang setzen, die die Ausbildung von Spitzen und die Anhebung der Qualität des Hochschul- und Wissenschaftsstandortes Deutschland in der Breite zum Ziel hat“ (siehe Bund-Länder-Vereinbarung gemäß Artikel 91 b des Grundgesetzes [Forschungsförderung] über die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen - Exzellenzvereinbarung [ExV] - vom 18. Juli 2005 - BAnz S. 13347 [8.10.2025], hier S. 1). Mit der Exzellenzinitiative reagierten Bund und Länder auf die Lissabon-Strategie der Europäischen Union aus dem Jahr 2000, mit der die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU erhöht werden sollte. Die EU-Mitgliedstaaten hatten sich dafür dazu verpflichtet, in ihre Bildungs- und Wissenschaftssysteme zu investieren, um Europa so bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Diese Bestrebungen trafen sich in Deutschland mit nationalen Anstrengungen, den Wettbewerb zwischen Forschungseinrichtungen zu dynamisieren und international sichtbare ‚Leuchttürme‘ herausragender Forschung zu schaffen. Die zusätzlich von Bund und Ländern bereit gestellten Mittel lösten in allen Forschungseinrichtungen vielfältige Aktivitäten zur Intensivierung der Forschung und Verbesserung der diese flankierenden Infrastruktur aus, um im Wettbewerb um diese Mittel zu reüssieren. Klar war aber auch von Anfang an, dass faktisch nur wenige Forschungseinrichtungen von der Exzellenzförderung würden profitieren können.
  2. Ernst-Ludwig Winnacker zitiert in Mechthild Koreuber, Die Exzellenzinitiative – exzellente Forschung und exzellente Gleichstellung?, in: CEWS-Newsletter Nr. 59 vom 12.03.2008, abgerufen am 18.9.2025, hier S. 2.
  3. Mit dem wettbewerblich organisierten Professorinnenprogramm werden (Nachwuchs-)Wissenschaftlerinnen auf dem Weg zur Lebenszeitprofessur gefördert und im Wissenschaftssystem gehalten. Die Wirkung des Programms entfaltet sich auf zwei Ebenen: In personeller Hinsicht soll es die Anzahl der Professorinnen in Deutschland erhöhen, in struktureller Hinsicht werden die Gleichstellungsstrukturen an den Hochschulen durch spezifische Maßnahmen gestärkt. Das Programm läuft seit 2008, mit zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags im Oktober 2025 bisher vier Programmphasen: Professorinnenprogramm I (2008–2012), Professorinnenprogramm II (2013–2017), Professorinnenprogramm III (2018–2022) und Professorinnenprogramm 2030 (2023–2030). Bund und Länder stellen im Fall eines erfolgreich bewerteten Antrags der betreffenden Hochschule für einen befristeten Zeitraum zusätzliche Mittel für die Frauen- und Gleichstellungsstellungsförderung zur Verfügung (siehe Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt, Professorinnenprogramm, abgerufen am 18.9.2025).
  4. 2008 verabschiedete die DFG-Mitgliederversammlung erstmals Forschungsorientierte Gleichstellungsstandards mit dem Ziel, in ihren Mitgliedseinrichtungen den Frauenanteil auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen deutlich zu erhöhen. Mit dieser Selbstverpflichtung definierten die DFG-Mitglieder personelle und strukturelle Standards für eine nachhaltige Gleichstellungspolitik in der Wissenschafts- und Hochschullandschaft. 2022 wurden diese Standards um den Diversitätsaspekt erweitert und heißen seither Forschungsorientierte Gleichstellungs- und Diversitätsstandards. Ihr zentrales Ziel ist und bleibt, den Frauenanteil auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen bis in die Spitzenpositionen zu erhöhen. Über die Einhaltung dieser Standards berichten die DFG-Mitglieder regelmäßig an die DFG. Bei den Standards handelt es sich um ein flankierendes Steuerungsinstrument der öffentlichen und hoch prestigeträchtigen DFG-Forschungsförderung, das nicht mit direkten zusätzlichen Mitteln für die DFG-Mitglieder einhergeht, wohl aber indirekt wirksam ist, denn die Einhaltung der Standards ist ein entscheidungsrelevantes Kriterium in einigen DFG-Förderverfahren (siehe Deutsche Forschungsgemeinschaft, Die Forschungsorientierten Gleichstellungs- und Diversitätsstandards der DFG, abgerufen am 18.9.2025).
  5. Die Interviews fanden im Rahmen des Forschungsprojekts „Exzellenz und/oder Chancengleichheit der Geschlechter: Nationale Programmatiken und diskursive Praktiken an Universitäten (Deutschland und Schweiz)“ statt, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 196369935. Sechs Interviews hat die Autorin dieses Beitrags selbst geführt, zwei weitere wurden von Dr. Niels Spilker, einem Projektmitarbeiter, durchgeführt. Sarah Zapusek, ebenfalls Projektmitarbeiterin, wirkte an der Vorbereitung der Interviews mit. Für ihre Mitwirkung an der Untersuchung danke ich allen Interviewpersonen sowie den beiden Projektmitarbeitenden ausdrücklich, ebenso wie der DFG für die Förderung des Projekts. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei der Autorin.
  6. Vgl. Reiner Keller, Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, Opladen 2004; Reiner Keller, Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms, Wiesbaden 2005; Reiner Keller, Analysing Discourse. An Approach from the Sociology of Knowledge, in: Forum Qualitative Sozialforschung 6 (2005), 3, Art. 32.
  7. Interview 5.
  8. Interview 7.
  9. Interview 7.
  10. Interview 1.
  11. Interview 4.
  12. Interview 4.
  13. Interview 3.
  14. Interview 4.
  15. Interview 4.
  16. Interview 4.
  17. Interview 8.
  18. Interview 4.
  19. Interview 6.
  20. Interview 8.
  21. Interview 8.
  22. Interview 1.
  23. Interview 1.
  24. Interview 1.
  25. Interview 3.
  26. Interview 3.
  27. Interview 2.
  28. Interview 2.
  29. Interview 2.
  30. Interview 2.
  31. Interview 2.
  32. Interview 2.
  33. Interview 8.
  34. Interview 7.
  35. Interview 2.
  36. Interview 8.
  37. Interview 8.
  38. Interview 8.
  39. DFG/Wissenschaftsrat, Förderlinie Exzellenzuniversitäten: Förderkriterien – Gesamtstrategie, abgerufen am 18.9.2025.
  40. DFG/Wissenschaftsrat, Clusters of Excellence Funding Line – Funding Criteria, abgerufen am 18.9.2025.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Nicole Holzhauser, Stephanie Kappacher.

Kategorien: Diversity Gender Methoden / Forschung Politik Universität Wissenschaft

Heike Kahlert

Dr. Heike Kahlert ist Professorin für Soziologie / Soziale Ungleichheit und Geschlecht an der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Geschlechterverhältnisse und sozialer Wandel in Wohlfahrtsgesellschaften, Reflexivität, Kritik und Revision des Wissens in der Moderne, institutionalisierte Ungleichheiten in Bildung und Arbeit sowie gleichstellungsbezogene Organisationsentwicklung im Public-Profit-Bereich.

Alle Artikel

Teil von Dossier

Wissenschaftlerinnen

Vorheriger Artikel aus Dossier: Die longue durée der Deutungsmuster Geschlecht und Rasse

Nächster Artikel aus Dossier: Ziel erkannt, Ziel verfehlt?

Empfehlungen

Christa Binswanger

Kalkül und Kritik in der Akademie

Rezension zu „Vermessene Räume, gespannte Beziehungen. Unternehmerische Universität und Geschlechterdynamiken“ von Sabine Hark und Johanna Hofbauer (Hg.)

Artikel lesen

Heike Mauer

Vielfalt in Academia

Rezension zu „‚Die Poesie der Reformen‘. Zur Karriere des Diversity Management an Hochschulen in Deutschland“ von Julika Griem, David Kaldewey und Il-Tschung Lim (Hg.)

Artikel lesen

Newsletter