Hans-Peter Müller | Essay | 01.04.2020
»Great Transformation« im Publikationswesen
Ein Schwerpunkt zur Orientierung in bewegten Zeiten
[*] Gegen Ende des Jenenser Mid-Term-Soziologie-Kongresses »Great Transformation: Die Zukunft moderner Gesellschaften« fand unter dem Titel »Plan S ante portas« eine kleine Podiumsdiskussion mit interessanter Besetzung statt. Am Ende einer langen Woche war verständlicher- wie bedauerlicherweise die Beteiligung überschaubar. Dafür gestaltete sich der Austausch unter den Anwesenden umso intensiver und fruchtbarer. Gerade weil so wenige vor Ort waren, die Thematik jedoch von großer Bedeutung für die Wissenschaft und unsere Disziplin ist, haben wir uns dazu entschlossen, die Wissen und Meinungsbilder versammelnden Beiträge einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Die hier gebündelten Informationen sollen eine solide Grundlage zur breitenwirksamen Diskussion dieser Thematik in unserem Fach bilden.
Zunächst einige begriffliche Erläuterungen: Bei Plan S handelt es sich um ein wissenschaftspolitisches Projekt, das das Ziel verfolgt, ab dem Jahr 2021 alle Resultate wissenschaftlicher Studien, die mithilfe öffentlicher Gelder durchgeführt wurden, unmittelbar Open Access, also für alle Interessierten frei zugänglich, zu publizieren. Bereits die Annahme einer finanziellen Förderung durch die öffentliche Hand soll die geförderten Wissenschaftler*innen auf diese Publikationsart verpflichten. Eine wichtige Änderung in diesem Zusammenhang ist die Verlagerung der Kosten. Es werden beim Open-Access-Modell – sofern überhaupt Gebühren erhoben werden – für die Publikation einmalige Gebühren entrichtet und nicht mehr für den Zugang mehrfache Lizenzzahlungen an unterschiedlichen Stellen.
Es ist vorgesehen, die im Rahmen der Publikation von Artikeln in Zeitschriften anfallenden Kosten durch transparent aufgeschlüsselte und gedeckelte Gebühren zu finanzieren, die in erster Linie von den Förderinstitutionen getragen werden sollen. Mischmodelle aus Zugangs- und Publikationsgebühren, sogenannte Hybridlösungen bestehend aus freien und gegen Zahlung zugänglichen Artikeln, werden nur noch übergangsweise unterstützt, sollen also mittelfristig gänzlich wegfallen. Der Plan S verfolgt damit deutlich radikalere Ziele als etwa die laufenden »DEAL«-Verhandlungen zwischen der Allianz deutscher Forschungsinstitutionen und den marktbeherrschenden Wissenschaftsverlagen, in denen vor allem Kombinationen von Open Access und Zugangsgebühren vereinbart werden sollen.
Allen Interessierten direkten und umfassenden Zugang zu Forschungsergebnissen zu gewährleisten, ist eine schöne Idee. Wie immer bei guten Ideen, die allen sofort einleuchten, kommt es entscheidend auf deren Umsetzung an. Auf dem Weg von der Idee zur Praxis gilt es, zahlreiche Aspekte und etwaige Probleme zu beachten, um der bei Projekten stets ernüchternden Erfahrung zu entgehen: »Gut gemeint ist nicht gleich gut!« Schließlich ist oft das Gegenteil der Fall, stellen sich bei der Umsetzung neben den gewollten doch häufig auch ungeplante, womöglich negative Effekte ein. Da dem Geschäft der Soziologie auch die Kritik inhärent ist, soll die kühne Idee des Open Access auf mögliche Folgen und Nebenwirkungen hin sorgfältig durchleuchtet werden. Genau das wollen die nachfolgenden Beiträge leisten, indem sie das Projekt aus der jeweiligen Perspektive der involvierten Träger und Organisationen innerhalb des Forschungs(förder)prozesses betrachten.
Cori Antonia Mackrodt vom Springer VS Verlag umreißt die Situation aus der Perspektive eines Großkonzerns und dem wohl wichtigsten Buchverlag in den Sozialwissenschaften. Eingangs zeigt sie, wie weit »Open-Access-Publizieren« (OAP) bereits gediehen ist, in den Naturwissenschaften weiter als in den Sozialwissenschaften. Sodann diskutiert sie, wie das ausschließliche OAP die gesamte Publikationskultur verändern wird. Auf diese Weise macht sie auf einige ungelöste Probleme aufmerksam, etwa auf die Erfahrung, dass OA zwar »open available but not accessible« bedeuten kann, oder die Frage, wer in Zukunft eigentlich das oft gepriesene »Peer-Review« übernehmen soll. Abschließend listet die Verlagslektorin eine ganze Reihe wichtiger Fragen auf, der sich alle, die (weiterhin) wissenschaftlich publizieren wollen, stellen und die sie beantworten sollten, beinhalten die im Rahmen von Open Access auf uns zukommenden Entwicklungen doch auch eine ernsthafte Herausforderung für die »Freiheit der Wissenschaft«. Kathrin Ganz von der »Open Gender Platform« gibt eine informative Einführung in die Thematik, leuchtet den historischen Hintergrund des »Open Access Publizieren« (OAP) aus und skizziert die intensiven Bemühungen der cOAlition S, dem Zusammenschluss europäischer Forschungsorganisationen, die Transformation zu OAP zu beschleunigen, um bis 2021 dieses Ziel zu erreichen. Zudem stellt der Beitrag alternative Geschäfts- und Finanzierungsmodelle für OAP vor, über die angesichts der Dominanz der Publikationsgebühren derzeit in der Open-Access-Community diskutiert wird. Angela Holzer schildert als Vertreterin der DFG Maßnahmen hinsichtlich der Förderung von Open Access (etwa die Bereitstellung von Fördermitteln für die Entwicklung und den Ausbau von Infrastrukturen, strukturbildende Programme für Hochschulen zur Begleichung von Gebühren, und die geplante Ausweitung der Förderung auf Monografien). In ihrem Beitrag hebt Holzer die entscheidende Rolle der Bibliotheken hervor, die ihnen zum einen bei der Organisation von Zahlungen und der Einrichtung von integrierten Budgets für aber auch bei der Marktbeobachtung und bei der Beratung der Wissenschaft und der Bewertung der Seriosität unterschiedlicher OAP-Formate zukommt, denn schon jetzt tummeln sich auf dem »Markt« unseriöse Anbieter, die gegen in ihrer Höhe nicht gerechtfertigte Gebühren den Abdruck eines angeblich »peer-reviewed«-Artikels binnen einer Woche versprechen. Zudem sind bedauerlicherweise überwiegend quantitative Metriken wie Zeitschriften-»Impact« und die Zitierzahlen einzelner Artikel zentral für die Bewertung von Publikationen und Strategien der Publizierenden geworden. Die DFG möchte dem schon lange mit Maßnahmen zu »Qualität vor Quantität« entgegenwirken. Aus ihrer Sicht soll grundsätzlich nicht mehr der quantitativ in diversen Metriken gemessene Erfolg, sondern die Qualität und der wissenschaftliche Erkenntniswert einer Publikation zählen. Tilman Reitz von der Universität Jena fordert aus Sicht der Wissenschaft den »freien Zugang ohne Prestigerenten«. In seinem Beitrag verweist er einerseits auf die prohibitiv hohen Kosten für Zeitschriften durch große Verlagshäuser und andererseits auf die mächtige Stellung der Wissenschaftsorganisationen. Diese beiden Akteure stehen sich gegenüber, um die Details der DEAL-Verträge und ggf. auch die Umsetzung der in Plan S niedergelegten Richtlinien auszuhandeln. In diesen Auseinandersetzungen wird ein entscheidender und bisher strittiger Faktor die Deckelung der für die Publikation eines Wissenschaftsartikels anfallenden Kosten (cost cap) sein, die Autor*innen beziehungsweise deren wissenschaftliche Institutionen im Falle einer Publikation zu entrichten haben. Erste im Rahmen der DEAL-Verhandlungen fixierte Gebühren belaufen sich auf 2.750 € je Artikel, wobei gewisse Stimmen noch deutlich höhere Summen fordern. Gegenwärtig steuert etwa die DFG einen Betrag in Höhe von maximal 2.000 € pro Veröffentlichung bei; Reitz weist unter Bezugnahme auf zahlreiche Quellen nach, dass deutlich niedrigere Beträge von rund 1.000 € mehr als kostendeckend wären. Freilich ist eine Reihe von Mischlösungen denkbar, die unter Umständen auch auf den Markt der Monografien ausgeweitet werden könnte. Die Digitalisierung hat hier zu einem Konzentrationsprozess auf dem Verlagsmarkt geführt. Es gilt aber wie an anderer Stelle für Pluralismus und Vielfalt einzutreten, damit der Geist nicht durch das Geld gehemmt wird.
Enorm wichtig wird sein, dass sich unsere Disziplin an diesem Kampf mit eigenen Ideen und Lösungen beteiligt. Sollten die vier informativen Artikel dazu beitragen, hätte sich der Aufwand gelohnt. An dieser Stelle sei allen Beitragenden gedankt, insbesondere Tilman Reitz, der neben seiner eigenen Stellungnahme die Koordination dieses Schwerpunkts übernommen hat.
Fußnoten
- *** Anm. der Redaktion: Die Texte für diesen Schwerpunkt basieren auf einer Veranstaltung, die im Rahmen der DGS-Regionalkonferenz am 27. September 2019 in Jena stattgefunden hat. In Kooperation mit der Zeitschrift SOZIOLOGIE werden die Beiträge parallel hier und in Heft 2/2020 der SOZIOLOGIE publiziert.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher, Tilman Reitz.
Kategorien: Universität
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